Paul Theobald

Der kleine Friedensbote

Ein Metzgermeister und ein Bäckermeister wohnten in einer Straße gegenüber und
betrieben dort auch ihr Handwerk und ihre Geschäfte. Beide Familien verstanden
sich prächtig. Während der Metzgermeister fünf Kinder hatte, war die Ehe des
Bäckermeisters kinderlos geblieben. So spielte die Frau des Bäckermeisters für
die Kinder des Metzgermeisters den Osterhasen, den Nikolaus oder das
Christkindlein, indem sie Geschenke den Kindern brachte.
Der Metzgermeister und der Bäckermeister gingen zusammen ins Wirtshaus. Wenn sie
einmal einen zu viel getrunken hatten, stützten sie sich gegenseitig und
torkelten gemeinsam heim. Die beiden Frauen gingen zusammen zum Kirchgang oder
zum Friedhof. Nichts schien die Eintracht zwischen den beiden Familien zerstören
zu können.
Der Metzgermeister hatte einen Hund und der Bäckermeister eine Katze. Beide
spielten friedlich zusammen und sie schienen in Eintracht miteinander
auszukommen, wie die beiden Familien. Leute, die die beiden spielen sahen,
sagten: „Bei denen trifft aber nicht zu, dass sie wie Hund und Katz sind.“ Eines
Tages geschah es. Niemand konnte darüber etwas sagen. Vielleicht hatte die Katze
ihre Krallen nicht eingezogen, als sie dem Hund über die Nase fuhr und ihn
streicheln wollte. Jedenfalls hatte der Hund des Metzgermeisters eine blutige
Nase und die Katze des Bäckermeisters totgebissen.
Darüber gerieten die beiden Familien in Streit. Der Bäckermeister schrie: „Wie
kann der Hund des Metzgermeisters unsere Katze totbeißen, wo sie doch immer
friedlich miteinander spielten. Der hat bestimmt die Tollwut. Wie der Herr, so
das Gescherr! Ich werde den Metzgermeister vor Gericht bringen.!“
Der Metzgermeister blieb die Antwort nicht schuldig und entgegnete: „Deine Katze
war wohl nicht richtig im Kopf, als sie meinem Hund eine blutige Nase schlug.
Wie der Herr, so das Gescherr! Ich werde den Bäckermeister vor Gericht bringen!“
Fortan war die friedliche Eintracht zwischen beiden Familien zerstört. Für die
Kinder des Metzgermeisters gab es keine Geschenke mehr durch die Frau des
Bäckermeisters. Wenn der Metzgermeister in ein Wirtshaus ging, suchte der
Bäckermeister ein anderes auf. Die beiden Frauen gingen nicht mehr gemeinsam zum
Friedhof oder zum Kirchgang.
Eines Tages war jedoch bei der Familie des Metzgermeisters das Brot ausgegangen,
so dass zum Frühstück kein Brot vorhanden war. Ein Kind wurde zu einem weiter
entfernten Bäckermeister geschickt. Es wurde dem Kind verboten, zu dem
Bäckermeister gegenüber zu gehen. Doch der Bäckermeister, zu dem das Kind kam,
war krank und der Laden geschlossen. Das Kind dachte: Jetzt muss ich ins nächste
Dorf zum Bäckermeister laufen. Das ist mir viel zu weit. Ich gehe zum
Bäckermeister, der uns gegenüber ist.
Der Bäckermeister machte große Augen, als das Kind den Laden betrat und rief:
„Was suchst du bei mir?“ Der Junge sagte: „Ich soll einen schönen Gruß vom Papa
ausrichten und Brot kaufen.“ Der Bäckermeister traute seinen Ohren nicht und
wollte es nicht glauben. Aber der Junge sprach: „Doch, doch, das hat der Papa
gesagt.“ „Dann sage deinem Papa auch einen schönen Gruß und das Brot kostet
heute nichts“ gab schließlich der Bäckermeister zur Antwort.
Die Frau des Metzgermeisters sagte, als der Junge ihr erzählt hatte, dass der
Bäckermeister einen schönen Gruß an Papa ausrichten lässt und das Brot nichts
gekostet hat: „Der Bäckermeister will wieder Frieden mit uns schließen. Da
können wir doch nicht nein sagen.“
Seit diesem Tage lebten der Metzgermeister und der Bäckermeister wieder in
friedlicher Eintracht zusammen. Wenn es doch zwischen der Ukraine und Russland
und allen Ländern, die Krieg miteinander führen, auch ein solch kleiner
Friedensbote gäbe.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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