Einmal in der Woche muss ich die Mutter anrufen. Alles in allem nimmt das dann zwei Stunden in Anspruch. Am Anfang macht sie oft den Eindruck, etwas außer Atem zu sein. Und dass es nicht viel zu sagen gebe. Telefonisch ist sie geschickt darin zu tun, als wäre alles noch beim Alten. Man könnte sie für zwanzig Jahre jünger halten. Das unterstützt meine Neigung, sie als die Frau vor mir zu sehen, mit der ich vor dreißig Jahren zusammengewohnt habe. Als Vierzigerin wie auf dem Bildern im Fotoalbum, eine Dame mit onduliertem blondem Haar, die in die Gymnastik und in Volkshochschulkurse geht. Dass sie sich eine Zeitlang in der japanischen Kunst des Blumensteckens, Ikebana, versucht habe, hat sie empört von sich gewiesen. Ich weiß nicht, was daran verwerflich gewesen wäre. Wir werden uns nicht mehr einigen, wer sich da falsch erinnert.
Ich weiß, wie gerne sie redet und dass sie zur Not mehrere Stunden füllen kann. Andererseits ist mir klar, dass es in unserem Blut liegen muss, dass auch ich, irgendwann, wenn man mich stoppen will, bevor ich alles gesagt habe, ärgerlich darauf bestehe, dass ich noch nicht fertig bin. Ich habe versucht zu lernen, habe mir vorgenommen zu warten, bis meine Mutter richtig reingekommen ist und ihre erste Ladung gelöscht hat. Habe ich mich nicht deshalb dazu verpflichtet, sie einmal wöchentlich anzurufen, weil sie alt und alleine ist und ihre Familie vermisst? Also soll sie sprechen und ruhig lange. Meine Sachen kommen mir bedeutender vor, ihr die Ihren aber sicher auch.
Dann ist eine Stunde vorbei und langsam bin ich es leid. Im Großen und Ganzen kenne ich, was noch kommt. Ich ärgere mich ein wenig, sage mir, bleib gelassen, gönn ihr dieses Vergnügen! Dann sieht es aus, als näherte sie sich dem Ende. Nur angekommen ist sie noch nicht. Jetzt will ich was sagen, nicht von Meinem, noch zu Ihrem. Ich unterbreche, ich falle ins Wort. Und schon bin ich der Dauerplauderer.
Allerdings kann die Mutter auf keinen Fall so lange zuhören, wie ich das getan habe. Das überfordert sie. Sie wirft was mitten rein. Ich weiß, sie will wieder übernehmen. So schnell kann ich sie aber nicht schon wieder lassen! Erstens würgt sie das Thema, von dem wir es hatten, doch nur ab. Zweitens redet sie ohne Punkt und Komma weiter. Man wird sie überfahren müssen, um je selbst was loswerden zu können. Darum wird sie sich schließlich auch beschweren und eigentlich Recht damit haben.
Je länger diese Gespräche mäandrieren, vom einen banalen, niemals abgeschlossenen Gegenstand zum anderen, desto mehr geht die Frau mir auf den Geist. Empfindet sie keine Anerkennung dafür, dass ich sie Woche für Woche anrufe, zwei Stunden für Krimskrams drangebe? Sind ihr die etwa lieber, die sich kaum noch regen, eine Karte ab und an?
Am besten unterhält sie sich mit ihren Schulfreundinnen, bei denen sie selbst nie anruft, vielmehr wartet, dass die bei ihr anklingeln. Aus Rücksichtnahme, Bescheidenheit oder Stolz? Aber an den Abenden melden sie sich nicht, weil das für unschicklich gilt. Abends will man lesen, man hat Gäste oder sieht fern. Die Menschen sind müde und wollen nicht gestört werden. In Wahrheit lesen diese Alten nichts mehr außer Regenbogenpresse, der Tageszeitung - und die Eine verschlingt Okkultes und Hokuspokus, um Krankheiten, Flüche und böse Geister zu bannen. Abends sitzen die Alten beim Fernsehen. Was aber doch heißt, beim Fernsehen sind sie eingepennt. Das unterscheidet nun mich. Ich rufe abends an, oft erst kurz nach neun. Auch bei der Mutter glimmt dann der Fernseher, das heißt, sie schläft und hört sich beim Abnehmen gestresst an. Sie weiß nicht, ob es minutenlang geklingelt hat, ob sie fürs Aufwachen zu lange gebraucht hat, ob man ihr das anmerkt. Ihren Fernseher hat sie ausgeschaltet und wird einem nun gleich sagen, was es war und dass es langweilig war.
Die Wohnung meiner Mutter ist dieselbe, in die wir anfangs der siebziger Jahre als fünfköpfige Familie eingezogen sind, als das Haus neu war. Vier Zimmer, Küche, Bad, Toilette, Speicher- und Kellerraum. Zweites Obergeschoss, kein Fahrstuhl, Balkone nach zwei Seiten hinaus. Hier hat meine Mutter ein Leben bekommen, wie sie es haben wollte. Unvorstellbar, dass sie sich ein anderes hätte wünschen können!
Sie war dem dreißigsten Geburtstag nahe, als sie heiratete, Ende der fünfziger Jahre. Sie bekam drei Kinder, beendete die Arbeit als kaufmännische Angestellte bei der Industrie, ging darin auf, ihren Kindern ein sicheres, gut versorgtes Zuhause zu schaffen. Alles ging gut. Wir lebten bescheiden, aber nicht schlecht. Wir hatten kein Auto, kamen aber an viele Orte mehr oder weniger umsonst, weil der Vater Bahnbeamter war. Wir fuhren nie in die Ferien, bevor die Kinder ungefähr zehn und die Mutter so um die vierzig Jahre alt war. Dann auch nur bis ins Allgäu und an verschiedene Sommerfrischen in den österreichischen Bergen, unsere Wanderferien. Wir flogen nie. Wir hatten keinen Bausparvertrag und keinen eigenen Grund und bauten uns kein eigenes Haus. Mit den Kindern war nie was Schlimmes. Wir brachten gute Noten nach Hause. Ein bisschen introvertiert war die Familie. Als Erziehende schickte die Mutter uns in den Turnverein und ging eine Zeitlang selbst mit einer Nachbarin zur Hausfrauengymnastik. Andererseits war sie es auch, die auf keinen Fall wollte, dass eines ihrer Kinder den Kindergarten besuchte, obwohl er direkt neben unserem Haus war.
„Was“, fragte sie mich eines Abends, als ich dazu übergegangen war, sie ab und an mit Fragen zu behelligen, von denen ich wusste, dass sie die nicht hören wollte, „habe ich mir eventuell vorzuwerfen? Habe ich was falsch gemacht?“ Das bezog sich darauf, dass keines ihrer in der Schulzeit so erfolgreichen Kinder Karriere gemacht hatte. Sie wohnten immer noch zur Miete, teils lebten sie sogar von staatlicher Armenunterstützung. Vor allem hatten sie keine Ehepartner, hatten teils welche gehabt, dann verloren. Vor allem haben sie keine Kinder. Die Familie stirbt aus. Sie selbst war ein Einzelkind.
Jenseits der Siebzig schafft es die Mutter noch, mit dem Rollator durch die Stadt zuckelnd, der steht parterre hinter den Briefkästen, Lebensmittel einzukaufen und die Wohnung staubfrei zu halten. Die zwei Buben haben mehr oder weniger nie was für ihren Haushalt schaffen müssen. Das war praktisch für uns als Jungen. Der Vater putzte unten der Straße entlang, im Keller und im Hof. Die Schwester half der Mutter ein wenig, die Söhne spielten Fußball oder fuhren Rad, sammelten Schallplatten oder lasen Karl May und Agatha Christie.
Viel hat sie eingefroren und die Mikrowelle hilft ihr, portioniertes Essen heiß zu machen. Weiterhin benützt sie den Geschirrspüler, obwohl es sich für einen Esser kaum lohnt. Sie isst wenig, zu wenig, finde ich, kaum noch Fleisch, Wurst, Fisch und Käse, dafür viel Obst, das sie als die beste Diät zu ihren Gebresten, Rheuma und Osteoporose, bezeichnet. Mit den Jahren ist sie abgemagert, zusammengeschnurrt. Ich glaube nicht wirklich, dass sie sich adäquat ernährt, aber stelle es nicht in Frage. Ich bin zu selten bei ihr, um das überwachen zu können. Den Hausputz alle vier Wochen, Treppenhaus und so weiter, schafft sie nicht mehr. Dafür hat die Katholische Sozialstation sie mit einem freundlichen jungen Familienvater zusammengebracht, der, immerhin ist es Schwarzarbeit, sie regelrecht ausplündert. Solche Leute kriegen mit derartigen Jobs mehr in der Stunde heraus als ich, der ich studiert habe, mit einer angemeldeten Arbeit. Falls ich ausnahmsweise eine haben sollte.
Schon lange gibt es nur einmal im Jahr noch ein paar Tage, wenn alle sich wiedersehen (minus Vater). An Weihnachten. In dieser Zeit fühlt die Mutter den Drang, noch einmal die perfekte Hausfrau zu geben und mit selbstgebackenen Weihnachtsbrötli und einer kanonisierten Menüabfolge sowie badischem Wein das allgemeine Glück zu befestigen. Was es geben wird und die Tage, wann es was zu geben hat, wissen wir im Voraus. Schäufele, mit Eiern und Speck gefüllte Rinderrouladen, Rotkraut, Kartoffelklöße mit Croutons, Fleischfondue mit pikanten Saucen (die es sonst nie gibt), gefüllte Vol-en-vents. Mein Bruder hat die Lebensmittel besorgt. Die Schwester steht ihr in der Küche zur Seite. Derweil blättert der Bruder gelangweilt im Zeitschriftenvorrat, zappt durch die Programme und fängt Streit an mit mir.
Geblendet von der Opulenz solcher Christkind-Fresstage verirrte ich mich bei einem meiner übrigen Besuche, sie um die Wiederauflage ihres Gugelhupfs zu bitten, ob mit Haselnussschlieren oder ohne. Nein, den mache sie nicht mehr, gestand sie, es strenge an und zu zweit würden wir den Kuchen nicht zwingen, Hefeteig altere schlecht. Ich wusste, dass sie rheumatische Hände und brüchige Knochen hat. Immer grotesker sahen diese Hände aus. Ich hatte geglaubt, mit dem Knetaufsatz vom Mixer ließe es sich machen.
Unentwegt sprechen ist ihr zum Lebensinhalt geworden. Wobei gleich ist, was sie gerade sagt. Hauptsache, sie kann weiter und immer weiter reden. Zuerst wird durchgenommen, was mit der Sache nicht viel zu tun hat. Dann wird wiederholt, was man bis jetzt schon weiß. Dann kommen die unwichtigeren Sachen. Überraschend erreichen wir eine Stelle, die zu sein scheint, was sie uns darzulegen begonnen hatte. Allerdings ist sie enttäuscht von der Reaktion des Publikums. Man begreift wohl nicht, was sie gesagt hat. Macht nichts, sie hat Geduld und erklärt es. Sie erklärt und - was war das, entweder haben wir nicht zugehört oder sie ist vom Weg abgekommen und in eine andere Geschichte gepurzelt. Auch diese ist ganz unverzichtbar.
Sie wird zornig, wenn man sie im Sermon unterbricht. Sermon ist ein Mama-Wort. Die Sermone kamen von anderen, Christen und sonstige Menschen, die einem vorsagten, wie man leben sollte.
„Jetzt lass mich ausreden!“
Du fährst deiner Mutter über die Zunge! Du unterbrichst deine Mutter. Du versuchst, einen, wie du leider zu wissen meinst, ins Diffuse sich verzweigenden Fluss zu kanalisieren. Die Mutter mag keine Hilfestellung. Du hörst ihr nicht zu. Das Meiste, was die Mutter sagen möchte, darf sie nicht mehr sagen. Schön, gut, na denn! Du lässt sie drei Mal Erzähltes ein viertes Mal erzählen. Könnte sie es dieses Mal in vier statt in zwanzig Minuten packen? Aber siehe da, sie lässt eine Lücke, sie atmet. Sie scheint müde! Jetzt darfst du. Wenig später fällt sie dir ins Wort, weil ihr noch was Wichtiges gekommen ist, das du zu dem von vorhin schon noch wissen mussti.
Versuchst aber du, der so lange nicht konnte, ebenso ausschweifend zu sprechen, schaltet bald sie ab. Dir fällt es erst auf, als sie wegen irgendwas hochschreckt. Minuten hast du nur für dich geschwatzt. Egal, was immer du erzählst, sie hat es am nächsten Tag vergessen. Es gehört nicht in ihre Welt. Vielleicht solltest du ihr immer nur dieselben vier oder fünf Geschichten erzählen und sehen, ob ihr was auffällt.
Natürlich bist du es nicht, sondern sie ist es, die siebenundsiebzig Jahre alt ist. Ihr Mann ist seit sieben Jahren tot. Irgendwann war dir aufgegangen, dass die Mutter nur selten noch Fragen stellt und auf die Leben ihrer drei Kinder gar nicht neugierig ist. Dennoch verfügt sie nach wie vor über Unmengen Stoff, den wir von ihr erfahren müssen.
Relevanz ist etwas, für das die Mutter keinen Sinn mehr hat. Oder, auf eine gespenstische Weise vielleicht doch! Immerhin sind es nur die nebensächlichsten Einzelheiten, in denen sie sich ergeht, zum Herz der Dinge vorzustoßen, vermeidet sie nach Möglichkeit. Als ginge es nicht darum, irgendwelche Inhalte zu vermitteln, sondern eher darum, einen Vorwand in der Hand zu behalten, um mit dem Sprechen nie irgendwo anzukommen und dann womöglich aufhören zu müssen.
Ich habe nie mithören können bei den Telefongesprächen mit anderen. Wenn eine von den Freundinnen anruft, während man in der Nähe ist, sagt sie, der Klaus ist da, du, wir reden später weiter, ich hab zu tun. Mir sagt sie, ich hab sie grad noch stoppen können, sonst hört die in Stunden nicht auf. Wie schafft sie das, ihnen zuzuhören? Sie muss wohl, denn sie erzählt mir ganze Abende lang, was sie ihr gesagt haben. Würde sie zur Abwechslung erzählen, was mich halbwegs etwas angeht! In Mutters Kopf scheint ein Programm zu bestimmen, das zensiert, was in einem gewissen Grad umstritten, anstößig, schmerzlich oder lebenswichtig herauskommen könnte. Was immer die Mutter sagt, ist all dies nämlich nicht.
Einmal stießen wir im Album auf Fotos meines Vaters aus den frühen fünfziger Jahren, als er sie noch nicht kannte. Man sah verschiedene Männer, keine Frauen, seine damaligen Freunde offenbar. Er war ungefähr dreißig. Sie fuhren mit Motorrädern durch die Alpen. Man sah Schweizer Gletscher und Passstraßen. Ob sie diese Männer noch kennen gelernt habe? „Mit was für Kerlen der Werner vor unserer Ehe herumgezogen ist, wie soll ich das wissen!“ Sie befahl, die Fotos aus dem Album zu nehmen und ins Altpapier zu tun. „Was soll ich mit Leuten, die ich nicht kenne?“
Ich unternahm in jenen Jahren oft Ganztagesausflüge quer durch die Schweiz. Trotz meiner SBB-Halbpreiskarte wären die Fahrkarten zu teuer gewesen, für mich als Arbeitslosen. Ich konnte mich darauf verlassen, dass die Mutter, solange ich in ihrer Küche frühstückte, Schweizer Scheine hinten auf den Tisch legte. Gebeten hatte ich sie nie darum. Es war mir wichtig, dass ich mit ausreichend Geld bei ihr ankam, um wenigstens einen einzigen Tag alleine bezahlen zu können. Mit Mutters Hilfe wurden zwei oder drei im Verlauf einer Woche daraus.
Ich war am See von Lugano oder im Oberengadin, eine das Verrückte streifende Zug- und Bus-Sitzerei. In der Sommerzeit war das wunderbar, abends um halb sieben von einem Hügel Lausannes auf den Genfer See schauen und drei Stunden später in einer starken, aber warmen Brise über die deutsche Grenze, die hundertjährige Rheinbrücke, zu wandeln. In der Küche machte die Mutter Essen warm. Ich fing an, von meinem Ausflug zu erzählen. Ich fand, sie hätte ein Recht darauf.
Sie verhielt sich bei solchen Berichten wie einst, wenn wir aus den Basler Theatern oder Kinos heimgekommen waren. Sie konnte nicht ahnen, was wir erlebt hatten, aber sie schien überglücklich, dass wir einen schönen Tag oder Abend gehabt hatten. „Oh ja, Palmen und Pferdesteaks!“
Jetzt hätte sie von der Riviera und von Siena anfangen können, wohin es ihr, als der Vater mit Anfang sechzig frühpensioniert wurde und den weißen Golf gekauft hatte, noch gereicht hat. Davon sprach sie aber nie. Nie wieder von den Ehepaar-Ferien, die für eine schnell vergehende Zeit das Auto noch ermöglichte, bevor die Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter mit Fernreisen ein Ende machte. Nie wieder erinnerte sich sich an Holland, den Rhein, die Mosel, die Lüneburger Heide, das Essen im Elsass. Es gab Fotos, die sahen wir aber nicht mehr an, weil sie nicht in Alben, sondern auf Dias waren.
Es gab Wichtigeres. Den Nachmittag über hatte sie telefoniert. Was es zu hören gegeben hatte, schien sie materialisieren zu können, indem sie es wie eine Schallplatte Wort für Wort abspielte. Allerdings erlebte ich kein einziges Mal, dass sie sagte, was die Frauen von ihr gehört hatten, etwa über ihre Gesundheit, das Leben der Geschwister oder mich. Auch erwähnte sie nie Fragen, die ihr gestellt worden waren. Ich musste vielmehr hören, was mir nicht das Geringste bedeutete, wonach ich noch nie verlangt hatte. Wo die Alten neulich gewesen waren, an welchen Krankheiten sie momentan litten, welchen Modetorheiten sie erlegen waren. Dazu viel Material aus einer historischen Vergangenheit, die vor siebzig, sechzig, fünfzig, im günstigsten Fall vor dreißig Jahren spielte.
„Zum Beispiel, weiß nicht, ob ich's schon gesagt hab, sagt die Lioba ja, du weißt doch, wie der Arnold noch gelebt hat, da hat der gern einen über den Durst getrunken, manchmal ist er sternhagelvoll gewesen, wenn er mit dem Maxl raus ist, also ihrem Hund, und das eine Mal, da war es aber schon Nacht, wie damals, wo wir beim Arnold auf der Ranch oben waren, da warst du auch dabei, nein, glaub, das war dein Bruder, da war es aber wieder so, also der Arnold ist mit dem Maxl über die große Kreuzung, unten bei der Geburtsklinik Dietrich, da war kein Mensch und kein Auto weit und breit, es war ja Nacht, dann ist da ein Kerl auf dem Zebrastreifen gelegen, mitten auf der Straße, der war noch mehr besoffen wie der Arnold und dann.“
Und dann. Und dann. Und dann. Und dann war es wohl so.
Man hat ein wenig Grips und erkennt, dass und welche Spiele Menschen miteinander spielen. Dass solche Spiele auch Regeln haben, die von den Mitspielern im Allgemeinen anerkannt werden, ohne dass man sie noch mal besprechen müsste. Klar, Regeln sind Menschenwerk, können und werden missachtet oder umgeworfen, dennoch funktionieren sie für die Mehrzahl der Fälle ziemlich gut. Mir als Germanisten war aufgefallen, wie willkürlich die Mutter mit diesen Regeln verfuhr. Ich fing an, sie zu nerven, indem ich von der inhaltlichen Ebene zur nicht so sinnreichen Art ihrer Vermittlung wechselte und sie ans Prinzip der Gegenseitigkeit erinnerte.
Diese Dinge kommen uns banal vor. Meiner Mutter waren sie auch schon bekannt. Ihr Sprechen spottete vielen Regeln, doch empfand sie es als persönlichen Angriff, nun davon reden zu müssen. Ich höre zu. Ich lasse den Anderen aussprechen, bevor ich mit meiner Antwort anfange. Ich gehe zu Gunsten des Gegenübers vorerst davon aus, dass er wirklich meint, was er da sagt, dass es ihm auch halbwegs wichtig vorkommt, nicht davon, dass er mich verkohlen oder veräppeln will. Was ich nicht verstehe, schiebe ich nicht als Unsinn von mir weg, sondern stelle lieber ein paar Rückfragen. Bevor ich nicht den sachlichen Gehalt aufgenommen habe, gehe ich einer Aburteilung des Sprechenden aus dem Weg, obwohl sie mir erleichtern würde, seine Widerworte zu ignorieren. Das hat er alles nur gesagt, um mich mal wieder zur Schnecke zu machen! Gehe ich am Ende allerdings doch davon aus, spreche ich es an und versuche die Atmosphäre zu reinigen. „Kann es sein, dass du mich als Dummkopf vorführen willst?“ (Zu fragen, wäre, wem denn, da wir uns ständig nur zu zweit unterhielten.) Im Übrigen bin ich mir im Klaren, dass es Antwortsignale von Seiten eines Zuhörenden gibt, die ohne Worte funktionieren. Ein Gegenüber, das feindlich geworden ist, wütend, gelangweilt, erschöpft, kann ich zu dem von mir gewollten Gespräch nicht mehr nötigen.
Die Mutter muss, was sie für zentral hält, von weit draußen her umschleichen, die Spannung muss aufgeweckt werden, es darf nicht zu schnell herauskommen, wohin die Sache sich später noch versteigen wird. Dass man die Anekdote schon kennt, ahnt sie nicht und, wie oft sie diese Historien nacherzählt hat. Tatsächlich nach-erzählt, denn sie erzählt mir selten was aus ihrem eigenen Leben, etwa von vor meiner Geburt, sondern vor allem, was andere Leute vor-erzählt haben. Übrigens auch Leute aus allerlei Talk Shows, menschliche Schicksale, Krankheiten und Süchte. Allerdings kennt man von vielen Geschichten das Ende nicht. Kann sein, man hat nicht mehr zugehört, kann sein, sie hat bei den vielen Umwegen die Coda doch noch verpasst.
Wenn man zurückdenkt, wurde in der Familie immer viel geredet, aber noch öfter ferngesehen. Von Mitte der sechziger Jahre an täglich mehrere Stunden. Allerdings stand der Fernseher im Wohnzimmer und oft saß nur der Vater dort.
Bevor sie später dann auch noch hinüber ging, hockte die Mutter meist längere Zeit, bis zu zwei Stunden, in der Küche draußen, unter dem grellen gelbgrünlichen Kunstlicht, bei dem ich nie kapierte, wie die Eltern sich das bieten lassen konnten, wo der Vater ein versierter Bastler war. Die Mutter bügelte oder strickte oder stopfte Socken, noch früher häkelte, stickte und schneiderte sie auch, das ließ dann nach. Oder sie sah Zeitschriften durch und wog die Anzeigen von österreichischen Pensionen und Ferienwohnungsvermietern im Eisenbahner-Gartenfreunde-Blatt ab. Sie schälte Kartoffeln für den Kartoffelsalat von morgen oder legte Linsen oder Bohnen zum Quellen ein. Sie spülte unsere Sachen vom Abendessen. Im Radio lief fast immer Südwestfunk 1, Fröhlicher Alltag mit Heinz Siebeneicher und das Wunschkonzert am Mittwoch. Der Vater nahm politische Dinge und vor allem Fußball wichtiger als sie.
Hierzu hatte sich im Lauf der siebziger Jahre mit dem portablen Schwarzweißfernseher eine Alternative ergeben. Er stand im Zimmer meiner Schwester. Somit konnten wir Kinder Filme sehen, wenn Vater sich Report oder Monitor, das ZDF Magazin oder irgendwelche Fußballspiele genehmigte. Ab etwa 1980 waren die Kinder aus dem Haus, zum Studieren. Der Vater saß immer noch jeden Abend im Wohnzimmer, wo er seinerzeit, er ging auf die Sechzig zu, auch schon einzunicken begann. Die Mutter schaute derweil bei Hans Rosenthal, Sigi Harreis und Thomas Gottschalk vorbei. Ich, wenn ich zu Besuch war, lag im Bubenzimmer auf dem Bett, meinen Roman in der Hand.
Die im Sinne der Mutter verlaufenden Familienfeierabende, wenn alle fünf vor dem Farbfernseher staunten und lachten, bleiben mit den Unterhaltern jener Epoche verknüpft. Hans-Joachim Kulenkampff, Joachim Fuchsberger, Wum und Wim, Robert Lembkes Beruferaten, Frank Elstner im Dritten, Mäni Weber und Kurt Felix auf dem Deutschschweizer Kanal.
Meine Mutter weiß schon, dass ich ihr die Treue zu den doofer gewordenen Lieblingen, dem seriösen Joachim Fuchsberger, dem servilen Frank Elstner, dem flach flachsenden Karl Dall und ihrer jüngsten Flamme, dem schmierigen Johannes B. Kerner, übelnehme. Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir herausnehmen, von ihnen weg zu zappen, am Ende bei Alfred Hitchcock, Mastroianni, Fellini, Ravels Klavierkonzert oder Carla Bley anzukommen. Jedes Mal sitzt sie eine Viertelstunde daneben, dann ist sie weg. Mund leicht offen, Kopf allmählich vorwärts fallend. Bis es im Genick spannt, dann schnellt sie zurück, um gleich wieder nach unten zu sacken. Bei Kerner und Elstner machst du das auch, denke ich.
Eines Tages streift mich die Erkenntnis, dass sie schon Jahre keinen Spielfilm mehr komplett gesehen hat. Vermutlich nicht mal was mit Liselotte Pulver, die vor Jahrzehnten ihr Role Model gewesen war: blond, unbeschwertes Lachen, sauber und strebsam, nie eine Affäre.
Lange war mir nicht klar, wie sehr die Mutter Standards etablierte, was in der Familie für bedeutsam oder erstrebenswert gehalten wurde. Was in den Mund genommen, benannt und besprochen wurde, was dagegen ausgespart, verschwiegen oder übergangen wurde. Um es simpel zu fassen: Unendlich bedeutsam war, eine gute Suppe, ein gutes Mittagessen, einen guten Wein und einen Nachtisch zu haben. Es war wichtig, dass Ordnung und Sauberkeit herrschten. Es war wichtig, recht oft zusammen zu sitzen und es gemütlich zu haben, als Familie, eher selten mit Freunden, Verwandten oder Bekannten. Es war nicht wichtig, welche Strömungen und Interessengegensätze in der Welt gerade vorherrschten. Wofür und wogegen Schreihälse und Großsprecher sich stark machten. Es war nicht wichtig, dass man gesehen wurde. Aber wichtig war, dass man nicht ungut auffiel, sobald man doch mal gesehen wurde.
Meine Mutter war keine Getriebene. Das Leben meiner Mutter wurde nicht von Männern bestimmt. Scheinbar anerkannte sie jegliche hergebrachte Autorität. Dann verstand sie es, verstohlen und geschmeidig Einfluss zu nehmen, bis die Dinge doch noch so wurden, wie sie es sich vorgestellt hatte. Von mehreren ins Auge gefassten Sommerfrischen, wählte der Vater – für ihn mussten es nur Berge sein – diejenige, die der Mutter am meisten gefiel. Die Mutter befand, dass wir keinen Bausparvertrag nötig hatten und auf kein Haus hinzuleben brauchten. Die Mutter konnte ohne Auto sein. Sie war mit diesem Mann schon ein paar Jahre zusammen gewesen, bevor sie schwanger wurde und die Frage der Verheiratung sich stellte. Ganz am Ende stellte ich Fragen. „Wieso hast das gemacht und nicht was anderes?“ Aber sie gab mir keine Auskunft mehr. Nein, nein, sie hatte nichts entschieden, manches sei da zusammengekommen, dann war es auch ganz gut, wie es herauskam. Wirklich schlecht wurde es nie.
In den sechziger und siebziger Jahren sind es meistens Männer gewesen, die Werte und Tabus ihrer Familien festgelegt haben. Nicht so bei uns, wo der Vater sich gerne in seine Splendid Isolation zurückzog. Mutters Tabus, die wir alle gelernt hatten, lange dachte ich, sie wären vom Vater gekommen, sie hätte nur deren Durchsetzung übernommen, aber es muss anders gewesen sein, er hielt sich wie wir alle an ihre Tabus, sie waren: die Sexualität, das Geld, die Politik, die Religion. Ich gebe es in einer Reihenfolge wieder, von der ich annehme, dass sie den Grad ihrer Entschlossenheit widerspiegelt, möglichst ungeschoren darum herum zu kommen.
Heute kreist die Gesprächigkeit meiner Mutter vor allem ums Wetter, das Essen, das Trinken, die Dummheiten ihrer Freundinnen sowie die schönen Ausfahrten, die sie mit denen manchmal noch unternimmt. Oder mit meinen Geschwistern, wenn diese auf ihren Sommerreisen nach Südfrankreich bei ihr ankehren. In diesen Zusammenhang stoßen wir zu den Themen Essen, Trinken, Wetter und noch mal Essen vor. Hinzu treten die Jugenderinnerungen jener alten Frauen, von denen ich überhaupt nur eine jemals von Angesicht zu Angesicht erlebt habe.
Die Abstände zwischen meinen Fahrten nach Rheinfelden wurden länger. Früher hatte ich mir Jahr um Jahr das jeweils zwölf Monate gültige Schweizer Halbtaxabo zugelegt, mit dem ich mir dann jederzeit Tageskarten fürs sämtliche Schweizer ÖPNV-Verbindungen kaufen konnte. Solche Fahrten gingen nur, wenn ich mich bei der Mutter aufhielt. Von meinem Wohnort aus hätte es bis an die Grenze viel zu lange gedauert. Übernachtungen in Schweizer Hotels konnte ich mir nie leisten. Jetzt die Weihnachtsheimfahrt, als ich erkannte, dass ich das Schweizer Halbtaxabo nie wieder kaufen würde. Das letzte war abgelaufen, ich hatte es nicht benützt. Das hieß nichts anderes als: Ich hatte von der einen bis zur nächsten Weihnacht kein einziges Mal bei der Mutter vorbeigeschaut. Je mehr sie verkam, desto mehr ließ ich sie im Stich. Wir gaben einander allmählich auf. Ich rief noch an, aber nicht mehr wöchentlich. In jener Zeit lernte ich beim Wandern einen Schwulen kennen, der mir sagte, mit seiner Mutter, die über neunzig war, telefoniere er jeden Tag. Wie hält er das aus, fragte ich mich.
Ich fragte mich auch: Was hat sie noch von diesem Leben? Was kann sie noch? Manchmal machten Rheumaschübe ihr das Leben auf Wochen hinaus zur Qual. Besonders während der kalten Monate saß sie im zweiten OG fest und verzehrte Lebensmittel, die Nachbarn für sie holten.
Solange der Vater noch hier war, solange sie Kinder zu versorgen hatte, solange ihre skeptisch beäugte Schwägerin (sie rauchte Kette, hatte sich von Mann und Kindern getrennt, lag auf der Couch und klagte über ihr Geschick) aufkreuzte, um die von der Mutter in der Schweiz besorgten Zigaretten und Kaffeepackungen abzuholen, sprach meine Mutter mit jenen Mädchen aus der Volksschulzeit in den dreißiger Jahren (später war sie aufs Gymnasium gegangen, das war in Säckingen gewesen, bei uns gab es noch keins) allenfalls beim Einkaufen, nicht am Telefon. Dann ein Ehemaligentreffen, aus dem ein monatlicher Stammtisch hervorging, den sie unterdessen meidet, vielleicht wegen der Angst auf dem nächtlichen Heimweg. Sie hat das nie begründet.
Vor zehn Jahren haben wir die Geschenke für Weihnachten und Geburtstage abgeschafft. Die Geschwister hatten es zuerst mit der Mutter besprochen, sie hatte zugestimmt. Als ich davon hörte, war es bereits Konsens. Doch ich wollte nie von meiner Marotte abgehen, allen Menschen Bücher zu schenken, von denen ich annahm, die würden zu ihnen passen und ihnen auch was bringen, was sie, auf sich selbst gestellt, verpasst hätten. Noch immer beschenkten wir uns heimlich. Leider ohne die Autorin gelesen zu haben, ich kannte Filme, schenkte ich der Mutter nach und nach die Romane von Jane Austen und heute, da ich einige gelesen habe, finde ich, dass das nie das Richtige gewesen ist, dann noch einzelne Titel von Theodor Fontane. Kurz vor Schluss merkte ich, dass sie diese Bücher längst nicht mehr las und auch sonst keine mehr. Einst hatte sie „Bittere Pillen“ und Günter Wallraffs „Der Aufmacher“ verschlungen, sich in Folge regionaler Betroffenheit auch durch Rolf Hochhuths „Eine Liebe in Deutschland“ gekämpft. Sie tat jetzt nur noch so. „Ach, noch eins vor ihr! Die sind jedes Mal sehr gut!“ Ihr nett gemeintes Theaterspielen ärgerte mich. Somit war mit der Schenkerei jetzt also Schluss.
Es interessieren sie nur Leute, die sie seit langem kennt. Wenn auf der anderen Straßenseite in ihrer Höhe junge Leute einziehen, wenn sie Kinderwagen und Hunde ausführen, achtet die Mutter nicht mehr darauf. Vor dreißig Jahren hätte sie das alles registriert und mittels einiger Gespräche mit Nachbarinnen und sonstigen Bekannten zu einem exakten Bild angeordnet.
Da meine Mutter nonverbale Rückmeldungen negiert, von Störern lässt sie sich nicht mehr unterkriegen, kommt ein Tag, an dem ich ihr auf den Kopf zu sage, was sie da immer tut. Dass sie versucht, einem Unterhaltungen, die eigentlich Monologe sind, aufzuzwingen, dass Gespräche aber im Einverständnis der Beteiligten ablaufen müssen. Als Erstes überhört sie mich. Als Nächstes ruft sie: „Lass mich! Lass mich jetzt endlich mal ausreden!“ Schon einige Male habe ich ihr ins Gesicht gesagt: „Ich will mich nicht unterhalten. Ich will meine Ruhe. Ich will lesen oder fernsehen.“ Und: „Was du mir da erzählst, will ich gar nicht wissen, weil es mich nicht interessiert.“ Und: „Ich brauche das nicht zu wissen, du hast es schon vier Mal gesagt. Ich kann es dir beweisen, sei mal still und lass mich wiederholen!“ Oder auch: „Ich bin ein Fünfziger, der alleine und ohne Frau im Norden von Baden-Württemberg lebt. Es ist für mich ganz unwichtig, welche Frisur die Lioba sich hat machen lassen oder was für einen Hund sie als Kind mal hatte!“
Ein schmerzlicher Moment. Ich sehe der Mutter an, das tut weh, wie man sie jetzt also schon anfährt. Sie scheint nach innen zu lauschen und dann: „Ha, das war noch komisch! Weißt du, was mir passiert ist, als ich aus der Klinik kam? Da hat mich der Mann von der Nachbarin gefahren. Wie er den Rollator aus dem Auto gehoben hat, da -“
Mein Gott, sag nur nie, dass alte Menschen dumm wären! Ich habe so etwas noch kein einziges Mal verkündet. Im größten Zorn nicht. Doch fast jedes Mal, wenn ich es wage, meine Mutter zu kritisieren, sind wir nach ein paar Augenblicken dort, wo sie mir vorhält, ich würde sie für dumm erklären.
„Also, jetzt muss ich aber sagen, du scheinst mich für vollkommen verblödet zu halten. Weißt du, du bist jetzt auch so ein hässiger alter Junggeselle geworden.“ Wen sie damit sonst noch meint, erfahre ich nicht. Das Wort hässig hat mit Hass zu tun, im Alemannischen steht es aber auch für unhöflich, verbissen, verbiestert, miesepetrig.
„Ja, mach weiter und behandel mich, wie wenn ich ein Dubber, ein Bachele, ein Christkindle wär (Letzteres der Terminus mit dem sie sich ein Leben lang über zwar liebe, aber bescheuerte oder doch extrem arglose Geschlechtsgenossinnen erhob), ein dummes altes Weib! Aber denk nicht, ich würd das nicht merken! Dir wird’s noch mal genauso gehen!“
Offen kritisiert haben wir die Eltern früher nicht. Das hat zu unseren Tabus gehört. Im Gegenzug hat die Mutter keine wesentliche Entscheidung, die wir für unser Leben getroffen haben, vorweggenommen oder hinterher umzumodeln versucht. Es war nie üblich, zwischen Eltern und Kind über dergleichen zu diskutieren. Entscheidungen waren zu heikel, um in deutliche Worte zergliedert zu werden. Die Ratschläge meiner Mutter bewegten sich auf der Ebene, dass man doch einen Schirm mitnähme oder Schal und Mütze tragen sollte, es sei kalt. Mich fuhr sie beim Weineinschenken an: „Man macht die Gläser nicht so voll!“
Schon wieder war sie auf ihrer Bahn ein Stück abwärts gerutscht. Entsetzen war die Ursache eines Benehmens, das sie als Krittelei verstand. Immer wieder sah ich es kommen: Sie wird dir genommen. Ich konnte diese Fehlleistungen nicht vergeben, ohne mich dagegen zu stemmen. Meine Hoffnung auf ein Training war entstanden. Ich wollte ihren nachlässigen Geist zwingen, bei der Sache zu bleiben. Ich wollte sie trainieren, ohne dass sie das überhaupt merkte; auch wenn es letztenendes vergeblich bleiben würde. Natürlich wird die Mutter abbauen und dann vergehen. Nur vielleicht etwas langsamer!
Ich musste hart bleiben. Ich durfte mich nicht wegdrücken lassen. Ich hatte zugehört. Ich wusste es noch! Aber, sagt sie, du sagst mir, dass ich dumm bin, dabei bin ich alt. Meine Mutter räumt erstaunlich oft ein, alt geworden zu sein. Es war über sie gekommen wie alles davor.
Es hatte längst noch nicht angefangen, aber im Jahr 2013 würde der nächste Bundestag gewählt werden. Am Telefon sagte ich ihr voraus, dass Angela Merkel es noch mal packen werde. Dieses Mal nur noch mit Hilfe der SPD. Die FDP würde abschiffen, die SPD es ohne gescheite Sozialpolitik nie wieder zurück ins Kanzleramt schaffen. Ich sprach nicht von ungefähr, sondern um die Mutter zu reizen. All das gehörte zu meinem Training. Über Politik wollte sie sich noch nie unterhalten, ich dagegen schon. Dass sie die norddeutsche Pastorentochter Angela Merkel rein menschlich nicht verbutzen konnte, wusste ich sehr wohl. Deswegen hatte immer festgestanden, dass sie SPD ankreuzen würde, um es Frau Merkel zu zeigen. „Vielleicht ist man dann gar nicht mehr da. Dann kann es einem egal sein“, sagte sie. Damit war das Thema durch. Und wieder hörte ich, dass ihr fast egal geworden war, was aus ihren Kindern noch werden würde. Bis ungefähr fünfzig wäre so eine Einstellung undenkbar gewesen.
Die Geschwister weisen meine Hinweise, in letzter Zeit habe die Mutter abgebaut, der Tod melde sich schon, energisch von sich. Der Bruder sagt: „Na ja, sie wird halt nicht jünger.“ Die Schwester sagt: „Besonders intelligent war sie noch nie.“
Die Geschwister haben Vorteile. Der Bruder kann weghören, wenn sie langweilt. Als säße sie nicht im gleichen Raum und würde labern. Mir gelingt das nicht. Ich muss ihr zuhören. Statt einen Film, den ich sehen und hören will, höre ich Gerede, das sich nicht an mich, sondern an den Bruder wendet. Ich staune über die Kaltschnäuzigkeit, mit der er ein zweites, parallel laufendes Gespräch mit der Schwester anfängt, während die Mutter noch hofft, sie sage ihm was. Er sollte sein Zuhören wenigstens heucheln. Er stößt sie vor den Kopf. Wahrscheinlich denkt er, wenn die Mutter auf Zeichen, man habe genug, nicht reagiert, ist es gestattet, sie kaltzustellen. Mit unglaublichem Starrsinn ignoriert sie diese Zurückweisung, die sie bemerkt haben muss. Sie bemerkt ja noch was, wenn sie mir, da sind wir allerdings nur zu zweit, vorwirft, ich würde sie für dumm erklären. Kann es sein, weil die Ungehörigkeit ihres Zweitgeborenen zu unfassbar wäre, um sie anzusprechen? Oder geht es darum, auf ihrem Recht zu beharren: Ich habe zuerst gesprochen, also kann ich so lange sprechen, bis ich fertig bin, dich habe ich angesprochen, also musst du mir zuhören, wenn du dich weigerst, weiche ich nicht etwa, sondern halte mein Recht in Händen, indem ich zu verstummen mich weigere.
Bis vor ein paar Jahren war mit der Schwester jedes Mal ihr Mann mitgekommen. Dadurch verteilte es sich dann mehr. Bei so einem Zweiergespann sieht meine Mutter ein, dass die mal für sich bleiben wollen.
Was sie gern tut, immer schon getan hat, aber in den letzten Jahren ist das stärker geworden: Sie dekretiert, bestimmte Themen hätten sich erledigt. „Darüber müssen wir nicht mehr sprechen.“ Der Sargdeckel, den sie knallen konnte auf alles, was man gerade gesagt hatte, dem sie sich nicht ausgesetzt fühlen wollte. Wir müssen nicht sprechen, das hieß: Wir werden das nicht besprechen. Du magst es weiter probieren, aber ich werde mich stellen, als könnte ich dich nicht hören.
Schon als Kind hatte es mich wild gemacht, wenn Leute, die getan hatten, als wollten sie reden mit einem, sich binnen kürzester Zeit als solche enthüllten, die nicht mit, sondern nur an einen hin sprechen wollten. Nur sie durften sagen, was man zu tun hatte oder wissen sollte oder wie man sich bessern konnte. Ich erlebte Stress und zwar körperlichen. Ich kann Stress nicht meistern. Ich werde aggressiv, hysterisch, fahrig. Dazu fühle ich mich unwohl, krank. Und er klingt hinterher für Stunden nicht ab, auch wenn der Andere womöglich eingelenkt und mir Recht gegeben hat.
Im Zuge meiner Versuche, politische Diskussionen zu führen, ich hatte wahrscheinlich über die als Reformen gepriesenen neoliberalen Gesellschaftsspaltungstendenzen, die als Hartz IV bekannt waren, hergezogen, die Mutter hatte geantwortet, wir müssen nicht mehr davon sprechen, weil man nichts dagegen machen kann, herrschte ich sie an: „Wer so redet, das sind immer diejenigen, die an der Situation noch nie was haben ändern wollen! Wer uns zu erklären versucht, alle Versuche wären zum Scheitern verurteilt, Chaos und Verwirrung würden folgen, hat sich dafür entschieden, dass, wenn es bleibt, wie es ist, er selbst am besten wegkommt! Wer je was anderes wollte, der versucht auch mal was, ob es aussichtsreich ist oder nicht.“ Für einen Moment riss sie das aus ihrer Bahn. Sie sah mich an. In diesem Moment ging mir auf, dass wir nicht nur von Schröders oder Merkels Politik gesprochen hatten, sondern auch von dieser Mutter und ihrem Verlöschen. Sie hatte es geschluckt. Man konnte nichts mehr machen.
Sie war nicht immer so. In den sechziger Jahren, in der alten Wohnung, drüben im Haus nebenan, hatte sie uns vor dem Einschlafen Geschichten vorgelesen. Hinterher hörte man sie noch lange sprechen, die Eltern vom Schlafzimmer her, vor allem hörte man die Stimme der Mutter.
Mit der Mutter sind wir auf dem Hallwilersee gerudert, von ihr in den Zoologischen Garten mitgenommen und zum Vermicelles-Essen ausgeführt worden. Zu Silvester hat sie eine Tischbombe von der Migros geholt und eine Bowle angesetzt. An Fasnacht tanzte sie, aber nur einmal, in einem ausgestopften Schlafanzug und unter einem einem Plastikhut, ihr Schnurrbart war aufgemalt. Ansonsten ging sie Anlässen organisierter Munterkeit stets aus dem Weg.
Ging man mit der Mutter vom Markt nach Hause, die schweren Taschen hingen am Rad, kamen Frauen: „Ja hey du, solli, wie goht's au?“ Als Kind wurde man gemustert und hörte ewig dasselbe, man komme ganz dem Onkel Karl nach, ihrem Vater also. Dann standen sie an der Straßenecke und unterhielten sich. Ohne Regeln konnten sie sich unterhalten. Die Mutter liebte es, war aber mit keiner so eng, dass die mal in unsere Wohnung gekommen wäre.
Dass sie an den letzten zwei Weihnachten hinfällig wirkte, eine halbe Portion, sie war im Krankenhaus gewesen, weil ein Knochen gebrochen war, ohne dass ihr das aufgefallen war, darüber tauschen wir uns verstohlen aus, wenn sie nicht im Raum ist. Ich will an diesen Tagen raus an die Luft, Spaziergänge unternehmen, mache sie dann für mich. Die Geschwister sind an den Bildschirm gepappt wie der Vater. Über das Entsetzlichste werden keine Worte mehr gewechselt. Die Persönlichkeit der Mutter hat sich verändert. Über längere Passagen quasselt sie Blödsinn. Geht man mit Hinweisen und Nachfragen dazwischen, um sie zu logischen Zusammenhängen zurückzuführen, bricht sie ab und blickt ratlos. Hat sie da was gesagt? Wesentliche Bestandteile ihres Lebens sind im Meer ihrer Vergesslichkeit verloren gegangen.
„So verkalkt, wie du denkst, bin ich noch lange nicht!“, scheltet sie. Mir fällt ein, wie sie das nach den mehr oder weniger täglichen Besuchen bei ihrer eigenen Mutter gesagt hatte. „Die Oma ist verkalkt. Die checkt das nicht mehr.“ Die Oma schrie dasselbe, was sie sagt: „Bloß weil du mich für dumm hältst, stimmt das doch nicht!“ Wie meine Mutter litt ihre Mutter unter Gelenkabnutzung. Die Mutter der Mutter hatte zwei künstliche Hüftgelenke bekommen, meine Mutter mittlerweile zwei Kniegelenk-Prothesen. Alle beide haben sie die Operationen gut überstanden. Dann der Unfall, die Oma fiel auf der hölzernen Treppe, brach sich das Becken. Von der Operation erholte sie sich nie mehr ganz, obwohl es noch mindestens zwei Jahre ging. Die Anzeichen geistiger Verwirrung mehrten sich. Unsere Mutter redete ihr zu, die Unterschrift für die Überstellung ins Hotzenwälder Pflegeheim zu geben.
Ich frage die Mutter: „Würdest du das wollen?“ „Nein, sagt sie, ich nicht, ich kann noch alleine. Für die Oma war das aber gut. Die musste nichts mehr machen, sie konnte den ganzen Tag schwatzen.“ Die Eltern hatten in jenen Jahren ein Auto. Sie sahen die Großmutter öfter; in den Schwarzwald fuhr mein Vater fast jedes Wochenende. Bei uns Kindern, die wir weggezogen waren, kamen jeweils keine fünf Besuche zusammen. Dabei erschien die Oma vergnügt. Man schob sie im Rollstuhl in den Fernseh- oder Spieleraum. Sie quatschte einen voll. Sie erzählte uns noch mal, was sie den hier oben versammelten Bekannten aus der Industriestadt neulich erzählt hatte. Dabei waren die Gemeinten entweder noch im Rheintal unten oder ihrerseits schon verstorben. Hat man den feinen Unterschied bemerkt? Die Mutter der Mutter erzählte, was sie ihren Freundinnen gesagt hatte. Meine Mutter erzählt das nie, sondern meistens, was die anderen ihr gesagt haben.
Ich gehe spät zu Bett, stehe spät auf, schließlich bin ich in Ferien. Nur für längere Fahrten in die Schweiz gehe ich vor dem Mittagessen aus dem Haus, denn ich weiß, dass die Teilnahme an gemeinsamen Mahlzeiten unserer Familie heilig ist. Auch kocht sie immer noch gut. Ich darf es nicht übertreiben und dahin kommen lassen, dass ich jedes Mal zu ihr hinfahre, um dann gleich wegzulaufen. Nach dem Essen sage ich: „Ich gehe noch nach Basel.“ Sie weiß das, sie hat es nicht anders erwartet. Ich bin immer nach Basel, wenn ich nichts zu tun hatte.
Übrigens unternahmen wir, bis es ohne Rollator nicht mehr zu machen war, gemeinsame Nachmittagsausflüge. Das änderte allerdings nichts. Ob wir im Römischen Theater in Augst, in Rehmanns Skulpturenausstellung in Laufenburg, im Eiscafé in Lörrach oder im Botanischen Garten saßen, jedes Mal sah sie über all das träumerisch weg oder durch es hindurch und steckte ihre Kraft ins Erzählen. In Museen war sie keine Minute leise. Dass alle anderen kaum etwas sagten, fiel ihr nicht auf. Zugleich bemerkte ich und es störte mich, dass viele Passanten diese alte Frau aus ihren Wahrnehmungen entfernt hatten. Meine Mutter war zu einem Wesen geworden, das man nicht bemerkt haben wollte.
In die Kneipe kann ich mich nicht absetzen. Erstens hat man das in unserer Familie noch nie gemacht. Keiner ist abends in die Wirtschaften gegangen. Der Bruder vielleicht mal, drei, vier, fünf Mal mit seinen Kumpels. Zweitens habe ich keine Freunde und alte Bekannten mehr, bei denen sie es verstehen könnte, wenn ich die mal treffen wollte.
Bruder und Schwester erlebe ich nur um Weihnachten herum. Dann können wir durcheinander reden. Die Mutter bedient uns immer noch und kommt sich ein wenig überfahren vor. Immer wieder gibt sie mir Geld. Immer noch schickt sie Geld. Ich haue es für CDs auf den Kopf statt für gesundes Essen, wie sie wahrscheinlich hofft. Wir hatten es von den Tafel-Läden. In Rheinfelden gibt es auch einen. Sie riet mir ab, dort einzukaufen, ich hätte das nicht nötig. Ein kaum verhüllter Hinweis auf das Geld, das ich von ihr bekomme.
Nach der letzten Weihnacht war ich der Letzte, der abfuhr. Jetzt kam sie mit dem schnurlosen Telefon, das die Schwester ihr vor ein paar Jahren mitgebracht hatte. Den Hörer konnte sie beim Fernsehen neben sich in ihren großen Sessel legen. Falls sie irgendwen anrufen wollte, musste sie für die zehn wichtigsten Kontakte jeweils nur eine Taste betätigen. Aber das Ding ging nicht. Ich bemerkte, dass sie, bevor sie mich zur Hilfe rief, die Abreise meiner Geschwister abgewartet hatte, offenbar weil sie deren Hilfe bei früheren Gelegenheiten in Anspruch genommen hatte. Immerhin das schien ihr noch bewusst zu sein. Was sie auch drückte, ewig stand „Gesperrt“ auf dem Display. Mit der Gebrauchsanweisung kam sie nicht klar. Auch ich benötigte reichlich Zeit, bis ich durchgestiegen war. Ich sagte: „Drück einfach nicht so wild drauf rum! Gib nie mehr als eine Taste auf einmal ein, du brauchst für jeden nur eine Zahl.“
Dann kamen der letzte Tag vom alten, die ersten vom neuen Jahr. Gemäß alter Tradition musste die Mutter allen Lieben und nicht so Lieben, viele waren das nicht mehr, eine gute Zukunft anwünschen. Genau da zeigte das Telefon nur „Gesperrt“ an.
Jetzt griff sie auf Herrn Schüler zurück, vor Zeiten einer von den jungen Männern von Papas Arbeitsstelle. Der einzige, der zusammen mit uns im neuen Haus eingezogen war und immer noch darin wohnte. Das war ein Eisenbahnerhaus gewesen. Die sich ihrer Neuheit alle paar Jahre versichern müssende Deutsche Bahn hatte es nach Jahrzehnten an internationale Investoren verkauft. Deren Konzept besagte, dass man es, zu Eigentumswohnungen gestückelt, weiterverkaufen konnte. Schüler war mittlerweile Eigentümer geworden, die Mutter hatte sich geweigert, das Kapital könne sie nicht aufbringen. Natürlich hatte man sie nicht weiter behelligt, die Sache würde sich biologisch lösen.
Der Schüler, sagte sie, wobei herauskam, dass auch er das Problem nicht zum ersten Mal kennen gelernt hatte, wäre zum Dapper geworden. Sogar mit dem Heftli in der Hand habe er es nicht geschafft, den Apparat bei ihr oben zu entsperren. Einen halben Tag habe er noch gebraucht, wo er das Telefon doch schon mal repariert habe, und es zu sich nach unten mitnehmen müssen. Ach so, dachte ich, Schüler weiß auch, wie das ist, wenn man eine Anleitung zu lesen versucht und der Mensch, der mit überhaupt nichts mehr zurechtkommt, einem von der Seite her nonstop Tipps und Hinweise um die Ohren haut.
Als wir vor ihrer letzten Weihnacht telefonierten, Ende November war es gewesen, hatte die Mutter, um wegen dem Essen und überhaupt allem planen zu können, darauf bestanden, dass ich ihr sagen sollte, ob ich am Sonntag, am Samstag oder schon freitags ankommen würde. Wäre ich der Bruder gewesen, hätte ich ein Auto gehabt und für sie einkaufen sollen, hätte ich es nachvollziehen können. Ich wich aus und sagte: „Na, hoffentlich rastet der Bruder nicht am ersten Abend gleich wieder aus und fährt fort!“
Zu diesem Vorfall, einmalig in der Eltern-Kinder-Geschichte unserer Familie, war es vor einem Jahr gekommen. In den Abendstunden des Vierundzwanzigsten waren die Geschwister eingetroffen. Der Bruder hatte die Schwester zu Hause abgeholt und mit seinem Auto gebracht. Sie hatten Koffer und Taschen abgestellt, ein paar Sachen ausgepackt, dann waren wir in der Küche gesessen und hatten Kaffee und Tee nachgeholt. Das wirkliche Heiligabendmahl würde später beginnen. Der Bruder war aufgestanden und verschwunden, als ginge er zur Toilette, längere Zeit war er weg und stand mit einem Mal im Mantel, den Koffer neben sich, in der Küchentür. „So, ich geh jetzt wieder.“ Wir fielen aus allen Wolken; eine Begründung sollte es nicht mehr geben.
Als er gefahren war, erzählte die Schwester, schon auf der Autobahn habe er geklagt, wie bescheuert unsere Weihnachtstage ablaufen und dass ihm das Gerede schon wehtue. Wessen Gerede, fragte ich, bekam aber keine Antwort. Ich hatte den Hinweis auf mich bezogen. Zwei Jahre zuvor, im Jahr dazwischen hatte alles gut ausgesehen und war friedlich geblieben, hatte der Bruder mich harsch abgekanzelt und mit Nachäffen meiner Sprechweise zur Weißglut getrieben. Damals war ich aus der Küche gestürmt und hatte mir im Bubenzimmer Gedanken gemacht, ob ich in der Kleinstadt zu dieser Stunde ein Zimmer noch bekommen und ob ich das überhaupt zahlen konnte.
Vier Wochen vor Weihnachten erinnerte sich die Mutter nicht mehr. Oder tat sie nur so, um nie wieder davon sprechen oder hören zu müssen? Sie gab jenes mulmige, gedehnte „Äh“ von sich, Signal ihrer Überforderung, wie ich gelernt hatte. „Ja, letztes Jahr soll der anscheinend weggefahren sein.“ Gemäß der mir bekannten Ausdrucksweise besagte dies, dass sie nicht zum ersten Mal von dem Vorfall erzählt bekommen hatte. Irgendwer musste das mal erwähnt haben. Insofern war es wohl auch geschehen, allerdings war es der Mutter in den letzten elf Monaten entfallen.
„Aber das musst du doch noch wissen! Der war nicht mal eine Stunde da, dann ist er die lange Strecke alleine wieder zurückgefahren, noch vor dem Essen, die Schwester musste die Bahn nehmen!“ Aber hallo, mit „Das musst du doch noch wissen!“ hatte ich den Weg eingeschlagen, der in den Aufschrei mündet: „Du glaubst, du kannst mich für dumm erklären, dich erwischt das aber auch noch!“ Dieses Mal griff sie allerdings zu der anderen Taktik, zur Unwerterklärung des Gesprochenen. „Darüber müssen wir nicht mehr sprechen.“ Über den Bruder und die überstürzte Abreise musste oder durfte nicht gesprochen werden. „Es ist unwichtig, ob es so war oder nicht! Ob ich das noch weiß oder nicht! Wir sprechen doch über diese Weihnachten!“ „Nein, wir müssen über deinen Abbau schon auch mal was sagen“, hätte ich rufen wollen.
Doch nur mir selbst sagte ich, kaum hatte ich aufgelegt: Jetzt steht das Ende vor der Tür.
So kam es. Nicht einmal sechs Monate später starb sie. Nach Wochen und Monaten in der Klinik, in der Reha und noch mal in der gleichen Klinik. Noch im Januar ging es los. Jeweils kurz, nur für ein paar Tage, sah sie ihre alte Wohnung noch mal wieder. Mein Bruder und ein Nachbar trugen die alte Frau auf einem Hocker die zwei Stockwerke hinauf. Ich war zu dieser Zeit so krank geworden, dass ich nicht mehr helfen konnte.
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Der Beitrag wurde von Klaus Mattes auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.03.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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