Christine Wolny

Omas letzte Reise




Wattinchen besuchte ihre 98 jährige Großmutter, bei der sie fast 10 Jahre ihre Kindheit verbrachte. Die Tante kümmerte sich um die Oma, die schon mehrere Wochen krank im Bett lag. Wattinchen fiel auf, dass die Tante schon lange keinen Friseur mehr besuchte, denn die Haare hingen ihr lange den Kopf herunter. So bot Wattinchen sich an, doch auf die Oma aufzupassen, damit Tante einmal ihre Haare in Ordnung bringen lassen kann. Erst wollte sie nicht, Wattinchen musste sie förmlich dazu überreden. Es wurde gleich ein Termin vereinbart, damit Tante es sich nicht wieder überlegen und abspringen konnte.


Wattinchen fuhr an jenem ausgemachten Vormittag zum Haus der Tante und Oma, in dem sie einmal daheim war. Oma war schon etwas verwirrt. Sie erkannte Wattinchen nicht gleich, erst nach und nach wuchs ihr Vertrauen, und Oma erzählte Wattinchen von einer Reise, die sie in den nächsten Tagen vorhatte. Sie wollte heimgehen nach Polen. Wattinchen wusste, dass Polen Omas Heimat war. Sie war damals mit ihren erwachsenen Kindern vor den Russen von dort geflohen. Nur mit den Sachen, die sie am Leibe trugen, kamen sie hier an. Wattinchen bewunderte in den vielen Jahren den Fleiß der Oma. Sie ruhte den ganzen Tag nicht aus. Ständig beschäftigte sie sich mit irgend einer Arbeit. Oma war stets ausgeglichen. Sie war eine starke Frau.


Das alles ging Wattinchen durch den Kopf, als sie von Omas Vorhaben erfuhr. Oma erzählte Wattinchen von ihren Schwierigkeiten, die sie zur Zeit habe. Sie hätte keine Schuhe zum Verreisen und auch kein Geld. Wattinchen schaute sich im Zimmer um. Es standen nur ein paar Hausschuhe am Bett. Sie lief in den Flur und schaute im Schuhschrank nach. Doch Omas schwarze Schuhe, Wattinchen kannte sie genau, sie hatte sie so oft für Oma geputzt, waren nicht da. Wattinchen öffnete den Kleiderschrank und holte Omas feste Schuhe aus dem hintersten Eck hervor. Sie wunderte sich darüber, dass Omas Schuhe dort standen. Omas Augen leuchteten, als sie ihre Schuhe wieder sah. Sie konnte es sich gar nicht erklären, dass plötzlich ihre Schuhe wieder da waren.

Wattinchen spielte das Spiel mit. Sie wusste ja, dass Oma nie mehr verreisen konnte, dass sie es nur im Geiste vor hatte, und sie wusste auch, dass es Menschen, die kurz vor dem Tode waren, immer in die Heimat zurück zog.

Oma war froh. Sie lachte herzlich mit ihrem zahnlosen Mund und sah so glücklich aus. Wattinchen holte auch noch mehrere Sachen zum Anziehen aus dem Schrank. Oma konnte alles gebrauchen. Dann öffnete Wattinchen ihre Handtasche und nahm ein Geldstück heraus. Jetzt hatte Oma auch Geld für die Fahrkarte. Sie war so glücklich und bedankte sich mehrmals bei Wattinchen. Nun konnte Oma ihre Reise antreten.

Als Tante vom Friseur zurück kam, sah sie die vielen Kleidungsstücke und Schuhe. Sie erzählte Wattinchen, dass sie alles im Schrank versteckt habe, denn Oma hatte schon mehrmals den Wunsch geäußert, fort zu fahren. Damit sie es nicht wirklich einmal des Nachts wahr machen konnte,hat Tante die Schuhe gut versteckt.

Wattinchen verstand.

Oma hat ihre Reise ein paar Tage später wirklich angetreten. Sie ist friedlich „heimgegangen“. Wattinchen denkt heute noch an das fröhliche Gesicht von Oma, als sie ihre Schuhe und die Kleider wieder sah. Sie konnte Oma noch eine letzte Freude bereiten, und das war für beide wunderschön.









Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christine Wolny).
Der Beitrag wurde von Christine Wolny auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.11.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Christine Wolny als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Lauter Rasenmäher - Stacheliger Kaktus. von Astrid v.Knebel Doeberitz



Eine heiter-besinnliche Liebesgeschichte

Die gestresste Lehrerin Jeanne Garner freut sich über den wohlverdienten Urlaub in ruhiger Umgebung, den ihr jedoch der Nachbar schon am ersten Tag verdirbt. Rick Bradley, der Modefotograf, gehört vom Typ her zu der Sorte Mann, um die Jeanne vorsorglich einen weiten Bogen macht. Seine Beharrlichkeit bewegt in ihr jedoch mehr als sie sich eingesteht. Gut, dass es da noch die Nachbarn, Anthony und Sally Cartman, gibt! Rick beginnt, sein bisheriges Leben zu überdenken, während bei Jeanne eine tief greifende Veränderung ihrer Lebenseinstellung stattfindet. Als es nach Monaten zu einem von einer Freundin geplanten Wiedersehen zwischen ihnen kommt, steht Jeanne ungewollt vor einer Entscheidung ...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wahre Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Christine Wolny

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

ICH BIN DOCH VERRÜCKT von Christine Wolny (Alltag)
Der gute, schwierige Freund von Karl-Heinz Fricke (Wahre Geschichten)
eine Milch(bubi)rechnung von Egbert Schmitt (Kindheit)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen