Bernhard Pappe

Sonnenuntergang und „A Message in a Bottle“


„Ein Sonnenuntergang ist doch wie der andere.“
   Ich widersprach energisch, bemächtigte mich meiner Kamera und verließ das Zimmer. Der befestigte Weg am Hotel führte mich nach wenigen Minuten in eine zauberhafte Landschaft aus Dünen und Ozean. Ich zog meine Latschen aus, weil sie mich beim Erklimmen der Dünen behindern würden. Der Sand fühlte sich warm an. Er hatte die Sonne des Tages in sich gespeichert. Jeder Sonnenuntergang kam anders daher. Einzig die Sonne selbst nahm immer die Hauptrolle in dem Spektakel ein; selbst wenn der Himmel mit Wolken vollgestopft war.
   „Du hast doch genug Fotos von Sonnenuntergängen.“
   Da konnte ich vorhin im Zimmer nicht widersprechen. Von ihnen schlummerten ausreichend viele auf Speichermedien. Eine Passion, gewiss. Die lässt sich im digitalen Zeitalter trefflich ausbauen. Vor ein paar Wochen fielen mir alte Aufnahmen aus Studientagen in die Hände, die belegten, dass die Leidenschaft für solche Art Fotos seit Jahrzehnten in mir brodelte.
   Rasch erklomm ich eine der Dünen. Mein Blick weitete sich. Ein Meer aus Sand breitete sich vor mir aus und schmiegte sich über Kilometer hinweg an die Wasser eines schier unendlichen Ozeans. Diese Landschaft, in der sich bereits der Abend einnistete, wirkte wie ein Magnet. Immer mehr Menschen strömten herbei. Sie mochten mehrheitlich aus meinem Hotel stammen oder gar einen weiteren Weg auf sich genommen haben, um dem Schauspiel beizuwohnen. Von meiner Sichtachse aus würde die Sonne nicht im Meer versinken, sondern zwischen dem Leuchtturm und der seitlich aufragenden Bergkulisse ihren Tageslauf beschließen.
   Menschen hatten gleich mir eine Düne erstiegen, um einen freien Blick zu haben. Manche machten Fotos, andere saßen einfach nur da, häufig als Pärchen, und ließen den scheidenden Tag auf sich wirken. Der Tag rief sein Licht zurück, das Himmelblau gab seine Strahlkraft ab, ein noch blasser Mond gewann an Schärfe.
   Ich wand mich von der westlichen Himmelsrichtung ab und mein Blick wanderte gen Süden, zurück zu den vor mir aufragenden Bergen aus Sand. Der aufziehende Abend, ein Spiel von Licht und Schatten. Die Spuren der Menschen im Sand wurden scharfkantig. Die geometrische Struktur der Dünen kehrte sich heraus, über allem thronte ein heller werdender Mond. Beeindruckend. Ich wechselte den Standort und erklomm eine weitere Düne vor mir, um der Landschaft mit ein, zwei Fotos meine Referenz zu erweisen.
  Es blieb noch Zeit bis zum Abendessen. Ich entschloss mich die „kleine Wüste“ zu durchqueren, um zum Strand zu gelangen. Das Restlicht des Tages spielte orangene Farbenspiele mit den wenigen Wolken, die nun aufgezogen waren. Der Ozean hingegen überzog sich bereits mit dem Dunkel-Grün-Grau der Nacht, als hätte es das prächtige Glitzern seiner Oberfläche im Licht des Tages nie gegeben. Die meisten Menschen waren bereits in die Urbanität zurückgeflutet. Ich tauchte meine Füße in das Wasser, was angenehm warm war. Mein Blick wanderte zum Horizont und erhaschte beiläufig einen Gegenstand, der sich unweit von mir im Rhythmus der Wellen bewegte. Beim Näherkommen zeichnete sich eine grünliche Flasche ab. Sie schien verschlossen zu sein.
   Es kam mir der Song „Message in a Bottle“ der Band Police in den Sinn. Wartete im Song nicht jemand auf Hilfe und bat inständig, dass seine Nachricht in der Flasche gefunden und gelesen wurde
(I hope that someone gets my message in a bottle)? Die Abenddämmerung intensivierte sich. Ich entschied mich für eine Inspektion der Flasche, entnahm sie dem Wasser und stellte fest, dass ihr Glaskörper gar nicht so dunkel war, wie ich anfangs vermutet hatte. Jener war tatsächlich das Reisegefährt für einen zusammengerolltes Stück Papier im Innern. Nach einem kurzen Schütteln glitt es heraus; ich legte die Flasche im Sand ab und entrollte es mit wachsender Neugier.
   Die Schrift war, trotz des immer geringer werdenden Lichts, ohne Probleme lesbar. Bereits die Überschrift des kleinen Textes ließ mich innerhalten – Bottle in a Message. Ich begann zu lesen und erkannte, dass der Text von der aufgefundenen Flasche handelte. Er beschrieb, wie man sie hergestellt hatte, wie sie beschaffen war und welchem Zweck sie dienen sollte - nämlich etwas einzuschließen. Vielleicht nur Luft oder eine Flüssigkeit, ein kleines Segelschiff, vielleicht ein ganzes Universum oder ein Stück Papier mit einer Nachricht, damit diese eine große Reise über ein Meer hinweg antreten konnte. Die letzten Sätze enthielten eine Anleitung zum Wiederversiegeln der Flasche, um sie dem Ozean erneut anzuvertrauen. Der würde mit seinen uralten Strömungen für den Weitertransport sorgen.
   Ich wendete den Zettel. Seine Rückseite wies keine Zeichen auf. Die Niederschrift enthielt keinerlei Zeitangaben und der Text schloss nicht mit einer Unterschrift ab. Das Papier mochte alt sein oder auch nicht. Ich hielt es gegen das Mondlicht, konnte jedoch keine Art von Markierung oder Wasserzeichen ausmachen. Ich folgte einfach den Weisungen im Text. Das Papier rollte ich zusammen und ließ es zurück in die Flasche gleiten. Jetzt fiel mir auf, dass es sich im Flaschenkörper nicht im Geringsten entrollte und einfach seine Form beibehielt. Eine feste, vorgegebene Form, die sich der Weite des Flaschenhalses anglich. Ein Detail, was mir beim Öffnen der Flasche entgangen war. Das Papier war in keiner Weise verschnürt gewesen und vor Minuten trotzdem hindernisfrei in meine Hand geglitten. Mir wurde immer bewusster, dass diese Flasche ihre Reise unbedingt fortsetzen musste. Ich verschloss sie sorgsam, holte weit aus und gab sie dem Ozean zurück. Ich blicke hinaus, als würden mir Ozean und Horizont hernach eine Botschaft zukommen lassen. Das Wasser überzog sich mit bleierner Dunkelheit, weil der Mond gerade hinter eine kleine Wolke getreten war. Horizontlinie und Wasser verschmolzen. Nichts passierte. Was hatte ich erwartet? Ein Gedanke schien mir auf: Schließe dich ein, wenn du Sicherheit brauchst. Schließe alle Türen auf, wenn du in die Welt hinaustreten willst. Nichts ist endgültig, Grenzen sind überwindbar. Es war an der Zeit, in das Hotel zurückzukehren. Ich wurde gewiss schon erwartet.
   Die darauffolgende Nacht bescherte mir unruhige Träume. Irgendwann erwachte ich, nahm das Dämmerlicht des heranbrechenden Tages in mich auf und war mir plötzlich sicher, dass Träume in der Lage sind, alle Türen zu öffnen, alle Siegel aufzubrechen, alle Grenzen niederzureißen.
   Meine Kamera lag noch auf dem Tisch. Ich ging hinüber, um sie zu aktivieren, berührte das Symbol für die Fotoansicht. Die zuletzt geschossenen Bilder waren nur Stunden alt. Impressionen eines heraufziehenden Abends in den Dünen, über ihnen der Mond, im Hintergrund ließ sich der Ozean erahnen. Jedoch kein Glaskörper, der auf den Strand zutrieb, kein Stück Papier darin mit einer seltsamen Nachricht – nichts davon hatte ich mit meiner Kamera dokumentiert. War ich gestern zu überrascht gewesen, als ich die Flasche fand? Ich legte die Kamera zurück auf dem Tisch und trat ans Fenster, hinter dem der Morgen sich rasant zu einem neuen Tag entwickelte.
   Die Flasche, das zusammengerollte Papier in ihrem Innern… War alles nur ein Traumgespinst? Message in a Bottle… Die Wahrheit trieb dort draußen auf den Wellen des Ozeans.


  © BPa / 02-2018 bis 04-2023

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.04.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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