Brigitte Waldner

Kurts Bruder

Sein Name steht unauffällig am hellen Grabstein auf unserem Friedhof,
fast könnt man ihn übersehen.
Ein Thriller ist es, wie sich eine meiner Kusinen
einmal von ihm hat heimbegleiten lassen.
Sie war in seinem Haus zu Besuch bei einer seiner Töchter,
als sie lernten, Gitarre zu spielen
und noch jüngere Jugendliche waren.
Als sie heimgehen wollte, war es schon dunkel.
Meine Kusine hatte Angst, alleine den bewaldeten, steilen Fußweg
im unwegsamen und gefährlichen Gelände
in der einsamen Gegend die 5 Minuten vom Berg hinunter zu gehen,
obwohl es dort teils Straßenlaternen gibt.
Aber vielleicht gab es die ja damals noch nicht.
Niemand hätte Schreie gehört,
weil unten der Wildwasserfluss so laut rauscht.
Kurts Bruder erwähnte, dass er mit seiner Taschenlampe den Weg beleuchtete,
scheinbar, um davon abzulenken,
dass er früher ein Gewaltverbrecher war,
der zu Bandit Siegfrieds Komplizenkreis zählte,
in meiner nächsten Nachbarschaft.
Allenfalls wollte Kurts Bruder mir insgeheim beweisen,
dass von ihm keine Gefahr mehr ausging.

Ich denke, dass sie seine Vorgeschichte nicht kannte,
ich schon.
Ihre Mutter wollte es ihr höchstwahrscheinlich nicht zumuten,
dass sie nicht unbedacht etwas erwähnte.
Mir schon, meine Oma hat mir einiges erzählt
und mit Zeitungsberichten bewiesen.
Es war erforderlich,
ich musste selber auf mich aufpassen,
ich habe eventuell nicht alles verstanden,
aber ich habe es mir gemerkt und war vorsichtiger,
bis ich es eines Tages verstanden
und wieder vergessen habe,
bis ich das nächste Mal über den Mann
oder über den Namen stolperte.

Als Kurts Bruder der Totengräber meines Opas war,
kamen beim Ausschaufeln seines Grabes sehr große Steine heraus,
die er neben das Grab legte.
Ich habe den Totengräber gebeten,
diese Steine zu entfernen und nicht wieder ins Grab
auf den Sarg drauf zu werfen.
Meine Mutter hat ihn extra gut dafür bezahlt.
Er hat es uns zumindest versprochen
und wir haben ihm vertraut.
Nicht hat er sich daran gehalten.
Wenn ich das geahnt hätte,
hätte ich sie damals selber weggefahren.
Das hatten wir ihm sogar angeboten,
aber er winkte freundlich ab.
Als wir die Steine am Müllplatz gesucht haben,
waren keine dort und er log uns an,
sie seien bereits entsorgt worden.
Als das Grab erneut geöffnet wurde,
damit meine Mutter hineingelegt werden konnte,
nicht etwa auf Opa drauf,
nein, direkt an die Stelle, wo Opa seit 17 Jahren geruht hatte,
kamen die großen Steine wieder zum Vorschein.
Der Totengräber meiner Mutter hat es mir erzählt,
dass er sich darüber sehr geärgert habe,
Kurts Bruder habe in alle Gräber die Steine wieder hineingeworfen,
brutal auf den Sarg drauf.
Er hat mich darauf aufmerksam gemacht,
die allergrößten habe er jetzt beseitigt.
Ich habe die Steine am Müllplatz gesehen.

Der Totengräber selber hat sich verbrennen lassen.
Er wollte nicht, dass ein Grab für ihn ausgehoben wird,
weil es händisch eine schwere Arbeit ist,
damals geschah das alles noch händisch,
und er wollte nicht, dass ihn die Würmer aufessen
und dass auf ihn große Steine geworfen werden.
Vom Vorhaben hat er mir schon bei Lebzeiten erzählt.
Sein letzter Wunsch wurde ihm erfüllt.

© Brigitte Waldner

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