Brigitte Waldner

Der Mann, der aus dem Kriegsgebiet kam

Gestern war ich im Supermarkt einkaufen.
Schon vor der Tür, als ich den Einkaufswagen herausziehen wollte,
kam ein junger ungeduldiger Mann von hinten.
Ich hatte meinen Einkaufswagen erst halb herausgezogen,
stand er schon dicht hinter mir und zog schon den nächsten heraus,
er griff über meine Schulter drüber,
ohne zu warten, bis ich weg war. Er behinderte mich,
dass ich nicht weg konnte, so dass ich erschrocken bin,
ob seines plötzlichen Auftauchens.
Ich fragte ihn, ob er meinen Einkaufswagen will.
Er sagte etwas halblaut, schaute mich aber nicht an dabei.
Es klang nicht freundlich, eher überheblich verärgert.
Ich habe es nicht verstanden.
War das Ukrainisch? Das war mein erster Gedanke.
Es klang wie Russisch.
Russisch lerne ich seit 17 Monaten, ein bisschen kann ich schon,
aber ich habe nichts verstanden. Kein Wort.
Da waren nebeneinander vier Reihen mit Einkaufswägen gestanden,
bei drei Reihen war niemand.
Warum musste er ausgerechnet hinter mir mich bedrängen?

Im Supermarkt drinnen war es dasselbe Verhalten.
Ich stand vor dem Gebäck und wollte mir ein Stück herausnehmen,
aber er kam wieder von hinten rasch daher und behinderte mich,
obwohl ich zuerst dort war. Das Gebäckregal mit backfrischer Ware
ist fünf Meter lang, und kein anderer Kunde war dort.
Er war sicher größer als 180 cm
und griff seitlich schräg über meine Schulter drüber zum Gebäck.
Das macht hier keiner und das ist mir zu körpernah.

In seiner Begleitung war ein junges hübsches Mädchen,
größer als ich, das immer fröhlich lächelte und mit ihm
mehrmals dezent was redete,
wahrscheinlich über mich, dass ich sie anschaue,
entweder seine Frau, Freundin oder Tochter,
genau konnte ich das nicht erkennen.
Nach Krieg sahen sie nicht aus. Sie waren gepflegt und nicht geknickt,aber irgendwie doch auf der Flucht.
Er hatte eher helle Haare, sehr kurz geschnitten.
Das Mädchen hatte dunkle Haare und schwarze, feurige Augen.
Ich habe sie angelächelt,
als wir uns noch zweimal zwischen den Regalen begegneten,
aber sie lächelte nicht zurück.

Als ich sie anlächelte wurde ihr von Natur aus weicher Gesichtsausdruck hart,
als hätte sie mich für eine Russin gehalten.
Als ich vor der Regalwand mit den Molkereiprodukten stand
und schaute, wo sich das befand, was ich mir kaufen wollte,
stand dort auch ein älterer Herr mit seinem Einkaufswagen,
auf dem eine kurze Leiter lag,
die aber länger war, als der Einkaufswagen,
vorne und hinten stand ein kurzes Stück über.
Eine ebenso betagte Frau gehörte auch zu diesem Mann.
Dann kam dieser freche mutmaßliche Ukrainer wieder von hinten angeschwebt,
den man weder hörte noch sah, zack, war er da,
wie ein Schmetterling, aus dem Nichts herausgezaubert,
als hätte er Rollschuhe an, glitt er lautlos durch den Raum,
schob den Einkaufswagen der alten Leute
mit seinen beiden Händen schräg weit auf die Seite,
drängte sich vor und nahm sich aus dem Regal,
was er brauchte, mehrere Dinge,
als ob er keine Zeit hätte, zu warten,
oder Angst hätte, dass er zu wenig kriegt.
Die zwei alten Leute haben im Abseits gewartet, bis er weg war.
Er hätte ja Entschuldigung sagen können,
egal in welcher Sprache, das hat er aber nicht.
„Sorry“ versteht bei uns jeder.
Das wird ja wohl ein Ukrainer auch können.

Ich war eine halbe Stunde im Supermarkt
und der Kriegsdienstverweigerer auch.
Es war ihm und seiner Begleitung aufgefallen,
dass ich sie immer wieder anschaute.
Bei der Supermarktkassa, tauchte er hinter mir wieder auf.
Ich schaute ihn an, er reagierte,
und nahm sich eine andere Supermarktkasse,
sonst wäre er direkt hinter mir gewesen.
Wir waren daher fast zugleich fertig.
Am Parkplatz habe ich sein Autokennzeichen gesehen.
Das war mir wichtig.
UA. Ja, ich kann die Sprache Ukrainisch identifizieren,
obwohl ich sie nicht spreche und nicht kannte bis vor dem Krieg.
UA habe ich noch nie vorher gesehen, zumindest nicht bewusst wahrgenommen.
Ich habe es gegoogelt. Ich hatte keine Ahnung.
Unter U hätte ich mir „United“ vorgestellt.
Ich kam nicht von alleine auf die Idee,
dass das Ukraine heißen könnte.
UA ist UKRAINE sagt Google.
Bald nach Ausbruch des Krieges sah ich hier die ersten ukrainischen Autos,
ich glaubte, sie an ihren eigenartigen KFZ-Kennzeichen zu erkennen,
und an der Farbe blau-gelb.
aber keines trug das UA. Das wäre mir doch aufgefallen.

Der flüchtige Mann, der aus dem Kriegsgebiet kam,
hatte einen prächtigen neuen Wagen,
schöner, größer und besser als jeder andere
zur selben Zeit auf diesem Parkplatz,
der nur zu einem Drittel beparkt war und daher überschaubar.
Sein Wagen war blitzsauber und hell.
So sehen Autos nicht aus, die aus dem Krieg kommen
und auf der Flucht sind, dachte ich mir.

Wenn sich Leute aus dem Osten
bei uns im Supermarkt was kaufen,
wenn so ein Menschenschwarm von einem Reisebus kommt,
rempeln sie unsere Leute hier rücksichtslos an und schupsen sie auf die Seite
und sind sehr dominant. Auffällig dominant.
Direkt berührt hat dieser Herr mich nicht.
Es war mir einfach nur total unangenehm und ungewohnt,
wenn er seinen Arm dicht neben meinem Ohr vorbeistreckte,
um sich aus dem Regal eine Ware zu greifen.
Wir sind es hier gewöhnt, Abstand zu halten
und den hat er nicht eingehalten. Nicht einmal den Mindestabstand
von vor der Pandemie, der sich anstandshalber gehört.
So wundert mich das nicht mehr,
dass sich die Slawen gegenseitig die Köpfe einschlagen;
die können ja nicht einmal Abstand halten.
Da wird es noch lange nichts mit dem Frieden
nach meinem Dafürhalten.
Eher schwappt der Krieg noch über auf uns.

© Brigitte Waldner

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.04.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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