Peter Kröger

Zählen (eine Wirrnis)

 

 

 

Zum nachzählen, dachte ich, den von mir so genannten Bremer Vorfall erwägend. Viermal erreichten meine Hiebe vor dem herrlichen Überseemuseum (irgendwo geschehen eben solche Dinge) den eifersüchtig fuchtelnden Achim Berger, dreimal führte das zu Frakturen, nämlich des Jochbeins, des Oberarms sowie des Unterkiefers, einmal zu einer Rippenquetschung. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass im Fall der Quetschung Achims durchtriebene aber alles in allem bis ins Mark ansprechende Gattin Urte Berger-Gathmann mit von der Partie war (damals begannen wir sozusagen zu kooperieren) und den Unglücksraben mit Homerzitaten (in der Hampeschen Übersetzung) und einem überraschend angedeuteten Kussmund ablenkte und irritierte („was soll der Scheiß“; „du hast doch was mit diesem Freak“; „dein Homer interessiert mich nicht “ etc. höre ich ihn noch stammeln), während ich mit der linken Faust die Quetschung herbeiführte. Dem Unterkiefer musste im städtischen Krankenhaus mit einer dreistündigen Operation drahtig zu Leibe gerückt werden (die Dauer eines solchen Eingriffs variiert naturgemäß), Jochbein und Oberarm heilten, wie man so schön sagt, von selbst ab, der Oberarm allerdings nicht ganz dort, wo er brach, sodass fortan eine Art Krümmung und Verdrehung der fraglichen Region seinen sonst so makellosen Körper (wie ich von Urte weiß) dauerhaft verunzierte.

Wegen schwerer Körperverletzung (in einem minderschweren Fall hätte ich jetzt fast gesagt, aber ich mache nur Spaß) fuhr ich zwei Jahre und drei Monate ein und erlernte in dieser Zeit die italienische Sprache; die listenreiche Urte wurde freigesprochen (sie habe lediglich „deeskalierend“ wirken wollen), schied aber bald, wie ich es formulieren möchte, aus der Ehe aus, als sie feststellte, dass ihr Hass auf Achim keinen ausreichenden Grund für ein weiteres Zusammenleben bot. Jedenfalls holte sie mich nach Verbüßung meiner Haftstraße am Gefängnistor ab, worauf wir Bremen hinter uns ließen, das Motel der Autobahnraststätte Nürnberg-Feucht drei Tage und vier Nächte für romantische Liebesfreuden nutzten, schließlich in Kempten ein Apartment mit 131 Quadratmetern Wohnfläche bezogen (die Namen Gathmann und Kröger schmückten, von Urte vorbereitet, bereits Briefkasten und Türklingel) und bis zum heutigen Tage sechszehn Bildungsurlaube in Italien (mittlerweile konjugiere ich jedes Verb, wenn man so will, bis ins dritte und vierte Glied), eine Nilkreuzfahrt (sehr heiß) und vier Wanderungen in den schottischen Highlands (sehr regnerisch) unternahmen. Während Ute uns beide als Lehrerin für Altgriechisch und Erdkunde durch die immer wärmeren Winter bringt, spüle ich das Geschirr zweimal täglich, staubsauge die Wohnung zweimal wöchentlich und schreibe sogenannte Schlüsseltexte, von denen Vermaledeites, Gebenedeites (in Zusammenarbeit mit Wolf Fleischer), Mutter und Marterpfahl, sowie Kahlschlag und Eigensinn und – last but not least - Krümmung die wichtigsten sind. Manchmal denke ich: Gut und schön, aber wird Achim Rache nehmen? Urte blickt von der Ilias auf und sagt: Er wird fünfe gerade sein lassen, weil er sonst ruckzuck alle viere von sich streckt. Einer Altgriechin traut man diesen Wortwitz gar nicht zu. Einer Erdkundlerin schon. Denn die Welt steckt voller Gefahren. Meine Lieblingszeitung, der Kemptener Fackelträger, würdige Nachfolgerin der Bremer Tat, schrieb jüngst sogar in seinen Vermischtes aus der Heimat über einen siebenfachen Mörder aus dem Allgäu, der nur ein Mal entkommen musste um straffrei auszugehen. Nur ein einziges Mal. Sieben Männer auf einen Streich praktisch ausgelöscht. Ein Dorf fast komplett versenkt. Ich las den Artikel mit Interesse und Respekt: Mit Sicherungsverwahrung Minimum fünfundzwanzig Jahre, dachte ich. Falls er geschnappt wird. Oder sie. Urte vermutet nämlich einfache weibliche Täterschaft im Zusammenspiel mit siebenfacher männlicher Selbstüberschätzung. Ein feministischer Fehlschluss? Nicht zwingend. Allerdings ist die Zahl der Fackellauf der Vergänglichkeit, gleich welcher Provenienz. Es gibt kein Vertun: Was wir möchten, zählen, zahlen und wollen wir. Dreimal ist Bremer Recht. Über sieben Brücken musst du geh'n. Das weiß jedes Kind. Sogar Achim. Da kommt er ja, der arme Mann. IN KEMPTEN! Achim heißt er, ist deutscher Meister. Worin denn? Im Finden. So ähnlich geht doch das Lied.

 

Ein bisserl ist es auch Urtes Schuld. Schließlich war er ihre Wahl. Warum auch immer. Vermutlich wollte sie seinen Körper. Das rächt sich. Ganze siebenhundertfünfundsiebzig Kilometer von Bremen beginnt alles von vorn. Der Kerl hängt an ihr, glaube ich. Und pfeift auf Homer, den er auf der ersten Silbe betont, was komisch klingt. Irgendwie auch eine Art Göttliche Komödie. Manchem ist nichts eine Lehre. Anyway, meine Strafe ist verbüßt. Mich kann er nicht meinen. Vaffanculo. Urte schweigt ausnahmsweise. Und zögert, jeder in Kempten sieht es. Ein Trauerspiel. Eine Tragödie. Aischylos lässt grüßen. Hass ist nur ein Wort. Achim kann es nicht lassen und reckt die Faust. Sie zeigt in die falsche Richtung.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Peter Kröger).
Der Beitrag wurde von Peter Kröger auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.05.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Peter Kröger als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Wir haben Wehen: Mythen und Irrtümer aus dem Kreißsaal von Silvia Pommerening



Dieses Buch ist ein Geburts-Crash-Kurs mit lustigen Geschichten und lehrreichen Erfahrungen aus dem Kreißsaal, einem Ort, welcher alle nur denkbaren sozialen und kulturellen Individuen unter einem Dach vereint. Angefangen beim jungen Kevin, selbst erst den Windeln entsprungen, der zwischen Handy spielen und Kippen rauchen, das erste Mal Vater wird, bis hin zur spätgebärenden Oberstudienrätin, mit ihrer eigens für die Geburt mitgebrachten Celine Dion-CD. Tja, wenn es ums Kinderkriegen geht, sind halt alle gleich! Fernab vom Fachchinesisch der Mediziner erhalten Sie hier praktische Tipps, die durch einfache Zeichnungen verfeinert und mit dem nötigen Humor gesalzen wurden.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Absurd" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Peter Kröger

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Rom von Peter Kröger (Drama)
Die Couch von Klaus-D. Heid (Absurd)
Das verstopfte freie Netz oder wie freenet arbeitet. von Norbert Wittke (Ernüchterung)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen