Burckhardt Fischer

Holz vor der Hütte

Es war da ein Häuschen im Wald, das die Eltern für Ferien und Wochenenden sich geleistet hatten, für künftigen Verzicht auf Urlaubsreisen, die mit 4 Jungen doch umfangreich und beschwerlich gerieten, über unsere Verhältnisse, und selten.

Das Grundstück war außerordentlich, mit 7.000 m² wahrhaft groß, alle Nachbarn ordentlich entfernt und es zudem an der äußersten Ecke des Gebietes gelegen, in dem solche Behausungen gelitten wurden. Jenseits des schmalen Weges begann der Staatsforst, mit hohen kräftigen Kiefern und umfangreichen Blaubeerkolonien, die uns zur Erntezeit gefangen hielten – es dauert lange, bis ein Gefäß mit den zarten Beeren gefüllt. Über die schmalen trockenen Gräben, die in engen Reihen parallel gegraben, jagte ich quer mit meinem Dackel: eins, zwei, drei, vier, fünf - SPRUNG! Seine Ohren flogen.

Nicht weit davon ein verwunschener Ort mit steilen Sanddünen, gut 20 m hoch, wo vor Jahrhunderten die Fürsten des Landes mit knapper Not dem Teufel entkommen. Nun auch mit Kiefern bewachsen, deren Wurzelwerk, wiewohl zum Teil freigespült, die Hänge beisammen hielten, dazwischen aber Schneisen mit steilen Abbrüchen, in denen der Sand wie ein Lavastrom nach unten sich ergoss. Die Versuche, diese Hänge todesmutig mit dem Fahrrad, oder im Winter mit dem Schlitten hinab zu rauschen, endeten unrühmlich.

Das Grundstück unserer Hütte war mit jungen Kiefern eng bestanden, wie Bohnenstangen, eine Menge Totholz darunter. Mutter und ich räumten über Jahre bei jeder Gelegenheit einige Meter frei, stapelten das trockene Reisig zu Wällen, harkten die toten Nadeln beiseite, die Sand und die winzige Humusschicht flächig verdeckten wie ein altes vermodertes Parkett, auf dem man jedoch noch federnd ging. Mich beeindruckte sehr, wie nach einem Regen, sei er auch noch so stark, nach wenigen Momenten man trockenen Fußes bereits wieder gehen konnte, da alles Wasser vom Sande verschluckt, während die Baumäste noch trieften vom Naß und das Land dampfte.

Eine Stelle aber, da war schon eine kleine Lichtung, mit langen glänzenden Gräsern bestanden in unendlicher Zartheit, Farnen, einigen Ginster. Dorthin ließen die Eltern unsere Hütte bauen, nicht hinein, sondern davor, dieser grünen Insel zugewandt, und war das Häuschen wie gemacht dafür, denn war es zuvor der Fahrrad-Laden des Schmiedes gewesen in Ganderkesee: mit einen Fenster fast über die ganze Front. Hockte man so, im Häuschen geborgen, direkt inmitten des Waldes, zwischen Bäumen, vor der Wiese, und sah den Rehen gelegentlich zu beim Äsen, vom Bette aus und doch nur wenige Meter entfernt.

Auf das Dach hörte man die Kiefernnadeln zart fallen, vernahm den Wind und jede leise Nuance im Regen, und mit Knall den Fall von Kienäpfeln. Noch immer erinnere ich die morgendliche Runde des Eichhörnchens auf unserem Dache, ganz früh: mit einem Plumps die Landung, leichtes Hoppeln und Kratzen bei der Wanderung, dem Abraspeln eines Kienapfels und und dann dem Ablegen des Restes. Man wartete immer wieder auf den Abschluss der Runde, wenn das Tierchen mit federndem Sprung sich in die Äste verabschiedete und bettete den Kopf in die Kissen: dieser Part des Tages war dann schon einmal geschafft!

Morgens duschte der Vater, indem er eine blecherne Gießkanne an einen Ast über sich hängte und mit einem Strick daran zog, bis das Wasser aus der Brause sich über ihn ergoss. Angesichts solcher Wäsche blieb ich lieber stinkend zurück.

Die Kanne benutze ich noch heute – achtsam bewahrt – zum Blumen gießen.

 

Nun war aber der Weg dorthin weit und beschwerlich, letzteres vor allem: erfüllte mich ein jedes Mal, wenn er zu nehmen, mit Sorge, Widerwillen, Resignation. Vom Bahnhof durch den ganzen Ort, eine Straße, die damals noch bestanden mit lichtem Kiefernwald beiderseits der Fahrspuren, aber eben schon lang, der Ort gewachsen. Ein Trost war der Laden, der am Ortsausgang gestanden, denn dort erhielt ich Wegzehrung: ein Eis von Langnese, Fürst Pückler, Schwarz-Weiß-Rot zwischen zwei Waffelscheiben, 30 Pfennige, einen Groschen für jede Farbe. Gegessen werden musste es in strenger Folge: zuerst das wenig geliebte Schokoladeneis, dann die etwas langweilige Vanille, zum Schluss das süße Erdbeereis, mit kleinen Fruchtstückchen darin, während die Waffeln schon aufgeweicht und klebten und schlabberten, mussten aber auch genossen werden.

Diese Leckerei reichte wenig mehr als die Hälfte des Pfades, der schon als Abkürzung genommen werden konnte zu Fuß oder mit dem Fahrrad – ansonsten musste man drum rum – diagonal durch ein Waldstück mit jungen Kiefern noch, der Boden gehalten durch enges Wurzelwerk und einen dichten Flor herabgefallener Nadeln. Aus der Dichtung heraus trat man wiederum auf die Straße, welches ein Sandweg war: mit tief ausgefahrenen Spuren, worin der Boden aber wenigstens fest gewesen, während auf dem parallelen Fußwege mit jedem Schritt einen Abdruck sich bohrte in den lockeren, fließenden Sandgrund, und war es mühsam zu Fuß, wie auch mit dem Rad. Erst, als die Straße dann asphaltiert gewesen, erkannte ich – mit Bedauern – welch großartiges Abenteuer es war zuvor: dieser Weg, der uns forderte mit seinen Kuhlen, den Untiefen, und mit seiner herrlichen Landschaft: rechts die Wiesen des Bauern, weit, bis hin zum Bahndamm in der Ferne, links der Staatsforst mit hohen, schönen Kiefern und ersten Blaubeeren, Moosbeeren, Ginster, zarten Gräsern. Nach einer nochmaligen Strecke zwischen Wald und piefigen Häusern bog man um die Ecke und war da.

Der erste Gang war der schwerste: mit der von mir zu Unrecht ungeliebten Oma, die ein Bein nachzog und sich noch mühsamer durch den Sand arbeitete, als ich Zwerg. Das Eis war schon nach wenigen Metern der Abkürzung aufgezehrt. Aber wir erreichten das Grundstück noch vor einem mächtigen Gewittersturm, der über die Baustelle fegte, wo der Mann unserer Zugehfrau, ein kleiner, fast quadratischer Mensch, aber wie mir schien mit ungeheuren Kräften ausgestattet, die Elemente des Hauses zusammenfügte. Die Omama wurde auf ein Brett über dem Kellerloch gesetzt, mit den Beinen baumelnd, über sich einen großen Schirm, während ich in meinem Anorak mich unter den Bäumen an meine Mutter schmiegte. Der Sturm hatte sich alsbald verzogen, Herr Huber hämmerte noch während der letzten Tropfen die restlichen Verbindungen zusammen und alsbald ward Richtfest gefeiert.


Ein ander Mal ging ich – was selten vorkam – an der Hand meines Vaters diesen beschwerlichen Weg. Im schwirrenden Sonnenlicht entdeckte ich – in weiter Ferne – eine Berliner Fahne über den Kiefern im Winde flattern. Vater erklärte auf meine Nachfrage, dass sich dort ein kleines Cafe befände, ein Ausschank.

„Oh“, sagte ich: „dahin müssen wir mal gehen!“.

„Nein“, sagte Vater: „das sind Nazis!“

Etwas Schlimmeres – das hatte ich gelernt – konnte es kaum geben. So schwieg ich bedrückt und bin in jene Gegend damals nie gekommen.


Jahre später, als das Häuschen unserer Eltern schon längst unter den umstürzenden Bäumen bei einem gewaltigen Herbststurm begraben, stromerte ich durch ein Waldstück, das ein wenig abseits jener Schneise der Verwüstung gelegen und stieß auf einen steilen Abhang, nur wenige Meter hoch, dessen Saum mit wunderbaren alten, knorrigen Eichen bestanden.

Dahinter aber befand sich ein verlassenes Grundstück und ein kleines Haus.

Dieses erwarb ich dann – mit einiger Mühe – und als ich meinen neuen Besitz schließlich erforschte, stieß ich auf den abgebrochenen Fahnenmast, an dem seinerzeit jene Fahne gehangen, beim Ausräumen des Hauses dann auch auf das nämliche Tuch. Mit der Zange habe ich es entsorgt und alles umgegraben, weggeworfen, abgegeben – sogar das Grundig TK 450 Tonbandgerät habe ich an einen befreundeten Sammler gegeben, das ich darin noch gefunden und hatten mein großer Bruder und ich lange auf ein solches gespart, bis er dann nach Amerika entschwand, mitsamt meinen Ersparnissen, diese allerdings für eine Filmkamera verwendet und sah ich die solchermaßen gedrehten Berichte aus der Neuen Welt damals schon als angemessene Entschädigung und das Verfahren ein als notwendig.

Am Tisch vor dem Fenster jedoch, in der Studierstube, bewahrte ich als Einziges aus jenem Erbe ein Album mit Klebebildern unserer Vogelwelt, wiewohl jener bedrohlichen Gedanken-welt nicht völlig fremd – herausgegeben weiland vom Cigaretten-Bilderdienst. Waren die armen Vögel doch aber für den Lungenkrebs nicht haftbar zu machen und trachtete ich herauszufinden, welcher gefiederte Freund mich wohl besuchen möchte, wenn jener tote Wald einst wieder belebt, und lag das Büchlein dort aufgeschlagen.

Kannte ich die Sorten aber schon.

Die Hütte am Einhornweg in Sandkrug / Mutter und Bruder im vom Orkan (1972) zerrupften Wald / Der Hang der Düne mit dem Häuschen - die Baggerkante der Sandgewinnung für den Bahndamm durch die Hunteniederung im 19 Jhdt. / Das Klebebilderalbum des CIGARETTEN BILDERDIENST, 1932

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