Vanessa Meier

Einfach so

 

Eine Frau liegt oben ohne am Strand in der Sonne.

Sie reibt sich ihren dicken Bauch sorgfältig mit Sonnencreme ein und dreht dann ihr Badehandtuch mit integrierter Rückenlehne so Richtung Sonne, dass Diese frontal auf ihr Antlitz ballern kann.

Ihr Mann, der daneben sitzt und mit AirPods seine Lieblingsmusik zu genießen scheint, reicht ihr einen Tuppertopf, woraufhin sie hineingreift und sich dann genüßlich etwas in den Mund schiebt. Dabei muss sie sich leicht nach vorne beugen und ihr Leib staucht sich überlappend zusammen. 

Sie sehen gut zufrieden aus. 

Die Sonne knallt, die Haut trieft vor Fett, der Sand klebt und scheuert und die Lippen sind spröde und salzig, das Licht ist gleissend hell.

Ich liege im langen Kleid am Strand in der Sonne. 

Vor mir die beruhigende waagerechte Linie des Horizonts, die sich zu den Augenwinkeln hin leicht konkav verliert und mir dadurch immer wieder ein Gefühl des besseren Überblicks vortäuscht, was mich total erdet und beruhigt. Dazu das monotone Geräusch der Gischt und der Wellen und ich könnte Wochen so verbringen. 

Wie schön. 

Ungefähr 10 Minuten. 

Dann nehme ich wieder alles andere wahr. 

Gesprächsfetzen in unterschiedlichen Sprachen, Kinderlachen, das Plocken von Gummibällen auf Holzschlägern, das Zischen von Surfbrettern auf dem Wasser, Musik von den drei jungen und gut aussehenden Badeaufsichtsrettungsmenschen, die bestens gelaunt zusammenstehen, plaudern und ganz cool und geschmeidig ihre Hüften leicht im Takt mitschwingen lassen. Bis ein Typ im Wasser ca n guten Meter neben der roten Boje schwimmt. Das geht natürlich nicht und einer der Drei bläst in eine eistütenförmige Signaltröte. Der Typ schwimmt leicht genervt und sichtlich ertappt sofort Richtung Strand und ahnt nichtmal wie haarscharf er dem Tod von der Schippe gesprungen ist. 

Dann Möwengeschnatter und Flügelschlagen links von mir. Drei Mädels, ca 15, die vorhin noch auf der Sandbank Selfies für Insta geschossen haben, füttern jetzt eine Möwe mit ihren Brötchen und amüsieren sich darüber. Die Möwe bleibt nicht lange alleine und es bricht ein Streit aus unter dem Federvieh, das die dargebotene Leckerei nicht gern teilen will. Sie rücken den Mädels dabei ziemlich dicht auf die Pelle und kommen auf die Idee, nicht mehr so lange zu warten, bis das Menschlein ihnen erst was abreißt, sondern holen sich das Brötchen einfach direkt aus der Tüte. Die Mädels sind plötzlich nicht mehr amüsiert und nach beginnender Verzweiflung, wirft die Brötcheninhaberin ihren Snack im hohen Bogen weit nach vorne, womit die Möwen wieder auf sicheren Abstand zurückgedrängt wurden. 

Ein Typ, weiter hinten in der gleichen Richtung reibt seine Strandgöttin, auf der er rittlings sitzt, den gebräunten und stromlinienförmigen Rücken ein und berücksichtigt dabei die beiden seitlichen Ausbeulungen auf Brusthöhe, die sich aufgrund der Bauchlage bilden, etwas sorgfältiger als den Rest des erreichbaren Areals. Als er fertig ist, dreht sie sich um und setzt sich auf. 2 Kinder sitzen mit auf dem Boho-Strandtuch. Sie sieht aus, als würde sie professionell im spanischen Fernsehen für Bio-Wassermelone werben oder so. Fantastische Figur, Haut wie Ebenholz, ein Lächeln, das die weißen Zähne aufblitzen lässt und sie tatsächlich noch schöner werden lässt, tätowiert, Dreads im Unterhaar, Fußkettchen, eine Gestik und Körpersprache wie eine Gazelle. Die am Strand liegt. Würden Gazellen das tun. 

Wenn SIE sich vorbeugt, bleibt alles perfekt. 

Menschen, die vorne im knöcheltiefen Wasser am Strand entlang spazieren. Die unterschiedlichsten. 

Alle schwitzen sie. Alle stinken sie. Alle sind sie dumm wie sie lang oder kurz oder dick oder dünn sind. 

Und machen alle einen zufriedenen und entspannten Eindruck. 

Und ich liege dazwischen.  

Ich schwitze auch. Ich stinke. Und bin so dumm wie ich durchschnittlich lang und durchschnittlich unförmig bin. 

Und sehe all das und rieche es und höre es und fühle und schmecke es. 

Und bin neidisch, angeekelt, fasziniert, gestört, inspiriert und deprimiert, melancholisch und schwermütig. Und überfordert. 

Ich fühle, wie es der Frau mit der Plauze egal ist, dass sie eine hat, weil es wichtigere Dinge im Leben gibt und die Zeit dafür zu wertvoll ist, um sie mit Komplexen wegen einer Plauze zu verschwenden. 

Ich fühle die Naivität der jungen Mädchen, die in ihrer Pubertätsblase keine Ahnung davon haben, was Instagram eigentlich wirklich mit ihnen macht oder wie stumpf Möwen sind. 

Fühle den Typen, der sich ne Zigarette anzündet, während seine Strandgöttin Richtung Wasser schreitet und ihm dabei noch ein Lächeln über die perfekte Schulter zuwirft und der sich denkt: Scheiße, kann das Leben geil sein. Scheiße, bin ich verliebt. 

Fühle die Strandgöttin, wie sie sich in ihrem ursprünglichsten und auf Leib und Seele maßgeschneiderten Lebensraum bewegt und lacht und alles um sich rum in vollen Zügen genießt und die Sonne in jede Pore aufsaugt, um mit den aufgeladenen Akkus irgendwie den kalten und Vitamin-D-armen Winter zu überstehen. 

Fühle die Leichtigkeit der Badeaufsichtsbaywatchmenschen, die den lässigsten Job des Sommers haben. Die Mädchen flirten mit den Boys und andersrum und trotzdem haben sie alles im Blick. Sie tragen schließlich Verantwortung. Was natürlich, zusammen mit den sonnengebleichten Haarspitzen nur ein weiterer Coolnessfaktor ist. 

Und dann fühl ich mich. Wie ich schwitze, wie ich stinke, wie die Sonne auf meiner Haut brennt und mich langsam aber sicher aggressiv werden lässt. Wie meine Augen vom Zusammenkneifen weh tun, weil es trotz Sonnenbrille einfach viel zu hell ist. Wie unbequem es ist, auf dieser Matte so zu sitzen oder zu liegen, dass einem nicht entweder der Sand am ganzen Arsch klebt oder man irgendeine Beule im Rücken hat. 

Ich fühle, wie mir wieder langsam, aber sicher der Kopf platzt von den ganzen Eindrücken, den ganzen Gerüchen, Geräuschen, Gefühlen und Gedanken. 

Einfach so am Strand liegen. 

Einfach so mal eben einkaufen gehen. 

Einfach so mal eben beim Arzt anrufen.

Einfach mal aus dem Haus gehen. 

Einfach mal ein Konzert besuchen oder sich in ein Restaurant setzen.

Einfach aufstehen. 

Nie.

 

Ich liege im Wald auf dem Boden im Schatten. 

Keine Menschenseele, außer meiner ist da. 

Der Wind rauscht durch die Blätter und die Baumkronen wiegen sich in seinem Rhythmus, mit der gleichen Anmut, wie die der Strandgöttin, die Richtung Wasser schreitet. 

Es duftet nach Moos, nach Erde, nach Harz und nach Holz und der Duft geht von meiner Nase in die Atemwege, tiefer in meinen Körper hinab, bis ich ihn erst auf der Zunge schmecke und dann in meinem Herzen fühlen kann. 

Ich fühle, wie er sich ausbreitet und alles in mir füllt. Ausfüllt. Erfüllt. Anfüllt. 

Alles sein, alles fühlen.

Einfach so. 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.10.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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