Burckhardt Fischer

Ein Drachen

Mein Bruder, der häufig seufzte und jammerte, sich beklagte über den Unbill der Welt, die Ungerechtigkeiten, insbesondere ihm gegenüber, mein Bruder stöhnte, als er sich auf den Barhocker neben mir schob, und ich musste mein Cocktailglas vor der Erschütterung hüten, die er dabei auslöste an der langen Theke der Lützow-Bar, mein Bruder also war darnieder gedrückt, daß sein Sohn sich zum Geburtstag ein Ritterfest wünschte, und wie solle er solches bewerkstelligen angesichts den vielfältigen Anforderungen seines Berufs?

Es sei doch kein Problem, suchte ich ihn zu ermuntern: Du besorgst einen Schwung der kleinen Holzschwerter, die in dem Spielzeugladen um die Ecke angeboten, und eröffnest einen Parcour, läßt die Kiddies auf Schaukelpferden gegeneinander antreten, oder mit Steckenpferden. Mein Bruder nuckelte an seinem Drink – die sind lecker dort und immer richtig, wenn man dem Barkeeper seine Wünsche authentisch beschreibt, wenn auch nicht eben günstig – mein Bruder also sinnierte, daß sein Erstgeborener hierfür doch schon zu alt sein dürfte, wie auch seine Kumpane. Ein wenig zumindest.

Man müsste eine Art Schnitzeljagd daraus machen, etwas, wo alle zugleich beschäftigt seien, und eine Belohnung anstehe zudem, um die Horde im Zaum zu halten und bei dem Spiel. Ach, sagte ich, kein Problem – und in dem Augenblick; da die Worte entfleuchten aus meinem Maul, schneller wieder einmal als die warnenden Gedanken, nicht mehr zu stoppen, einzufangen daher – wir bauen ihm einen Drachen, der erlegt werden muß, mit jenen Schwertern, und einer findet das goldene Herz und ist der Champion. ICH baue den Drachen, wo doch mein Bruder so schwer trug an unseres Berufes Last. Kaum gesprochen, war mir klar, daß ich ein Samenkorn gelegt hatte für kommendes Unheil, Mühsal, Qualen, und ich zu messen sein würde an diesem Versprechen.

Aber gesagt ist gesagt, zudem mein Bruder mich dauerte, mit seiner Schwermut, seinem Geseufze, und ich der Beschwernis des Abends zu entkommen suchte mit konstruktivem Blick auf das zu Schaffende, dieses Projekt. Ich muß meinem Bruder zugestehen: er hat sich nicht lumpen lassen: mit jedem Drink wuchs das Vorhaben, wurde ausgemalt in Details und Möglichkeiten: die Größe war dabei quasi vorgegeben anhand Augen, die wir uns ausmalten als Christbaumkugeln, von denen ich einen Schwung noch verwahrte, die Nüstern versehen mit Trockeneis und Wunderkerzen, der Leib gebildet aus aufgeblasenen Ballons, einige gefüllt mit roter Flüssigkeit als Blut, und eben ein güldenes Herz inmitten.

Des Nachts, als der erste Rausch verflogen, schrak ich hoch und sinnierte, wie ich dieses alles bewerkstelligen könnte, neben meinem Berufe, darin sicher nicht weniger angespannt als eben jener Bruder. Aber gesagt ist gesagt.

Es waren bis zu jenem Feste nun noch etliche Wochen, glücklicherweise, aber da die Erfahrung mich lehrte, daß Aufschub bei solchem Werke kaum möglich, nicht verantwortbar, machte ich mich zügig daran, am folgenden Abend, und vielen anderen folgenden danach, nach des Tages harter Fron, anderer Gelüste nicht bedenkend für eine längere Zeit ein Gestell zu formen aus kräftigen Stäben und aus Maschendraht, und dieses dann zu belegen mit Pappmaché. Es erwuchs ein kräftiges Trumm, zunächst Schädel und Oberkiefer, Tütenohren, ein spitzes Horn, das später mit güldenem Glimmer belegt, und angesichts der bereits gewaltigen Dimensionen Zunge, Unterkiefer, Brust und Vorderbeine etwas geschrumpft, wiewohl guten Proportionen damit nicht mehr wirklich zuträglich. Man muß aber eben die Kirche im Dorfe lassen.

Nach Wochen harter Arbeit stand das Werk, das Ungetier. Gerade noch rechtzeitig.

Nun war da aber das Problem, es zum Veranstaltungsorte zu bringen. Als erstes stellten wir fest, daß es durch den Treppenraum nicht passte, so mußten wir es abseilen vom Balkon, vielmehr vom Erker, wo sich das Fenster breiter öffnete und wo sich jenes Ungeheuer durch geschickte Drehungen so gerade hindurch jonglieren ließ, mit einigen Kratzern.

F. hatte ich überredet, mit seinem Feuerwehrauto den Transport zu wagen: die Vorderbeine auf dem Dache des Wagens hoch aufragend, der Schädel aber rücklings nach hinten gerichtet des großen Horns wegen, und mit den Stoßzähnen sich quasi in der Rückfront verbeißend. Diese Verladung hatte uns um Stunden zurückgeworfen, und ich fürchtete den Zorn der Empfänger aufgrund der langen Wartezeit. Waren wir aber alle erschöpft, und durchfeuchtet, bei beständigem Nieselregen.

Nun waren aber an diesem Tag Wahlen in Berlin, und hatte sich eine Partei im Wahlkampf verlassen auf Plakate mit übergroßen Tierabbildungen: Dackel und dergleichen, mit Erfolg. Wenn wir also nun die braven Bürger passierten mit unserer Fracht, jene auf dem Weg zur Wahlkabine oder dem wohlverdienten Mittagsmahle, Kaffee und Kuchen vielleicht bereits, so erstarrten deren Blicke, entgleisten die Gesichtszüge angesichts unseres Monster-Trucks, spätestens beim Anblick der sich hinterrücks verbeißenden Drachenzähne: wußte man nicht, war es noch WERBUNG für den Regierenden – am Wahltage verboten – oder war es eine Karikatur, eine unbotmäßige Handlung gegenüber dem beliebten Landesvater, ein anarchistischer Anschlag vielleicht? Eilig hat man weggeschaut. Nur die GIs, die wir in Dahlem passierten vor ihren Kasernen, die lachten schallend.

Wir jedoch blieben unter der S-Bahn-Unterführung stecken, der langen Drachenbeine wegen, auf dem Autodache. Da war es aber nicht mehr weit.

Dem einzigen Foto von dem fertigen Drachen, das mir überliefert wurde, und den Berichten zufolge ist es ein tolles Fest geworden, eben mit dem dank Trockeneis und und Wunderkerzen fauchenden Getier, mit einem mächtigen Leib aus Luftballons. Mein Bruder seufzte, stöhnte noch lang über die Fron, die das Aufblasen gewesen.

Ich aber ward nicht geladen. Hatte mit der Anlieferung meine Schuldigkeit ja getan.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.11.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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