1.
Vor vielen Jahren, zu Beginn meines Studiums, hatte ich mich unsterblich in ein Haus verliebt, das in Den Haag gewesen.
Das war – wie bei holländischen Stadthäusern zumeist – schmal, hoch, und es erstreckte sich weit in die Tiefe des Grundstücks. Dieses Haus jedoch verfügte über eine unendlich zarte Gußeisenfassade, ganz gläsern nur, und war so trotz aller Enge licht, auch über etliche Dachoberlichter, Innenhöfe, Galerien, und war voller Grandezza.
Es beherbergte seinerzeit einen Designladen, bei uns damals selten noch, voller ausgewählter schöner Stücke, nicht Eines Nippes oder Kitsch, und habe ich meine ganze Barschaft dagelassen, ausgesuchter Mitbringsel wegen – die mit der Hausfassade bedruckte Einkaufstüte trug ich wie eine Trophäe, drückte sie an mein Herz. Aber auch die junge Verkäuferin war zu schön.
Habe sie dann nicht mehr wiedergefunden, weder Haus noch Mädchen. Lange nicht.
Sehr viele Jahre danach besuchten wir meinen Neffen, der in Den Haag studierte. Die Fahrt war lang und beschwerlich gewesen, so waren wir froh, daß wir zunächst einkehren durften, um dann entführt zu werden zu einer Veranstaltung des Niederländischen Filminstitutes, wo „synthetisch erzeugte Filme“ gezeigt werden sollten. Das hatte mein Neffe für mich ausgesucht, meiner filmischen Interessen wegen, und da ich in Berlin gerade ein schwieriges Projekt für die Stanford University hatte machen dürfen. War diese Universität aber damals die einzige, die solches versuchen konnte, ihres großen Theater- und Filminstitutes wegen, insbesondere aber wegen der Kooperationen im Silicon Valley, die zumeist Ausgründungen von Stanford waren. So gab es kein Entrinnen, und wir mußten eilen.
Jene Veranstaltung wurde auch mit entsprechenden Hinweisen eingeleitet – daß es bislang eben nur 3 Computer weltweit gebe mit ausreichender Rechenleistung, einer eben bei Stanford in Kalifornien – und wir sahen einige kurze Filmchen: ganz nett. Wirklich spannend aber war, daß man die Filme von Marylin Monroe digitalisiert und daraus neue Szenen verfertigt, eben „synthetisch“ hergestellt hatte: dieses ließ mich insgeheim auf weitere Filme von diesem Star hoffen: Manche mögen es heiß, Blondinen bevorzugt.
Die eigentliche SENSATION aber war, für mich, daß es jenes Haus war, nach dem ich so lange gesucht, und hatte man es wiederum wunderbar eingerichtet und umgebaut für die Cineasten-Gemeinde. Jener Laden aber war fortgezogen, und die schöne Verkäuferin auch.
Aber: DIESES Wiedersehen, nach all den Jahren, gleich und unverhofft am ersten Abend. So waren alle Mühen vergessen der Reise, der fehlenden Zeit, und sind es herrliche Tage geworden.
2.
Nun wartete aber daheim ein weiteres schwieriges Projekt, ein Kamikaze-Vorhaben gleichsam bei einem wahrhaft bedeutenden Bau, einer architektonischen Ikone, wo man die Sanierung unvorsichtigerweise begonnen hatte und dann realisierte, daß es keine Planung gab für Trassen, Leitungen, zusätzliche Erfordernisse. So drohte ein Desaster.
Da ich das Haus aber gut kannte, beauftragte man mich, trotz meiner damals noch jungen Jahre, jene Planung nachzuholen, parallel zu der laufenden Ausführung, 400 Bauleute in 3 Schichten vor Ort. Es ist ein wahrhafter Parforce-Ritt gewesen, aber eine beglückende Erfahrung, da weitestgehend gelungen. Ohne deren zeitliche Not hätte ich einen solchen Auftrag nie bekommen.
Kaum war das Ärgste geschafft, mit äußerster Anspannung, einem 12 – 14 Stunden Tag über Wochen, da betraute man mich der nun absehbaren Erfolge wegen mit einem bis dato nicht geplanten Zusatz: der Einrichtung eines High-Tech-Tonstudios für Schallplattenaufnahmen, das in jenes Bauwerk noch einzufügen war – in seeehr knappe Räumlichkeiten, keine Wand oder Decke parallel geführt der Tonspiegelung halber, die neu zu errichtende Zellenkonstruktion schwimmend gelagert, höchste Anforderungen an Akustik und Design, dieses alles oberhalb der Hochhausgrenze. Zur Eröffnung in wenigen Monaten mußte es fertig sein für die Live-Übertragung.
Mir rutschte das Herz in die Hose. Der außerordentliche, väterliche regierungsamtliche Projektleiter, ohne dessen schützende Hand das ganze Unterfangen keine Chance gehabt hätte schon angesichts meiner relativen Jugendlichkeit, bei den robusten Bau-Machern ringsrum, erkannte meine Erschütterung und riet mir, die bevorstehenden Weihnachtstage zu nutzen für eine kleine Auszeit und dann mit frischem Mute neu zu beginnen, im neuen Jahr, gleich!
Allerdings verpflichtete er mich, zuvor noch – zwischen den Jahren – eine Kölner Spezialfirma zu besuchen, der man den Auftrag schon erteilt, da jene eine ähnliche Konstruktion bereits zuvor gebaut hatte, in ähnlich kurzer Zeit. Es war dieses aber eine Einrichtung der Bundeswehr in der Nähe von Bonn.
So fuhr ich also am Silvestertage, ein anderer Termin hatte sich nicht finden lassen, mit dem Zug nach Köln, wurde in dem schweren Firmenwagen von dort nach St. Augustin gekarrt und durfte dort, nachdem ich mich tunlichst hatte ausweisen können, eingelassen in hochgesicherte Räume, darin uns ein knabenhaft wirkender Presseoffizier führte. Das Tonstudio war schnell besichtigt, jener Offizier geleitete uns aber zu dem zugehörigen Computerraum: einer wahrhaft riesigen Halle, vollgestellt mit elektronischen Geräten.
Beeindruckt erwähnte ich meinen Besuch in Den Haag, vielmehr erzählte von den Möglichkeiten, die die Leute von Stanford uns dort aufgezeigt: mit der Herstellung fiktiver Szenen, ohne jene noch wirklich neu schauspielern und aufnehmen zu müssen. „Ja“, sagte voller Stolz jener junge Soldat: „das können wir jetzt auch, wir sind die Vierten!“
„Oh“, frozzelte ich: „das ist ja prima – da müssen Sie ja gar nicht mehr wirklich schießen, sondern können Krieg spielen lediglich am Computertisch“!
„Ja“, antwortete wiederum jener, „aber das rechnet sich noch nicht, das lohnt nicht.“
Noch bevor ich meine ob diese Auskunft herabgefallene Kinnlade wieder in Position bringen und in schallendes Gelächter ausbrechen konnte, realisierte er die gewisse Problematik seiner Aussage und lief glutrot an bis unter die Mütze, stammelte, daß man hier ja nur Werbung produziere für den militärischen Dienst.
So ward ich in die letzte Nacht des Jahres entlassen, bereits zwischen Böllern.
3.
Als alles gerichtet war, fertig auf den letzten Poäng, mit vielen Widrigkeiten, aber doch zur Zufriedenheit, da veranstaltete der junge Bauleiter, der seinem Chef bei jener Aufgabe assistierte, ein eigens Fest darob, hatte er hierfür ein kleines Lokal gemietet einige Zeit danach, nicht weit von jener Baustelle, da wir – der engere Zirkel – zu der größeren, wichtigeren Veranstaltung seines Brotherren zumeist nicht geladen gewesen.
Er war ein junger Türke, mit vermeintlich „deutschen“ Tugenden reichlich gesegnet: immer freundlich, konstruktiv, hilfsbereit, ordentlich, pünktlich. Hatte er die durch seinen cholerischen Chef verprellten Bauarbeiter immer wieder eingenordet, ohne ihn wäre die Baustelle schwerlich pünktlich geräumt, alles erledigt gewesen. Wir waren Freunde geworden darob.
Da ich nun, etwas verspätet wie damals zumeist – bin eben kein Türke – jene Lokalität betrat, in der die Festivität bereits in vollem Gange, da sah ich den Herren jener Kölner Firma, die uns besagtes Studio gebaut, gerade noch so, sah ich eben jenen Herren alleine an der Theke stehen, mit mürrischem Gesicht.
Ich gesellte mich zu ihm, ihm auch Dank zu sagen und ihn aufzumuntern, nach Möglichkeit, eröffnete das Gespräch etwas forsch mit der Frage, was IHN denn aus Köln hierher getrieben habe, da die Arbeit doch bereits getan und insbesondere die närrischen Tage direkt noch vor uns lagen, die bekanntermaßen in rheinischen Landen das Unterste zuoberst drehen, und ist der Frohsinn dort nationale Pflicht.
Sein Gesicht färbte sich rot, selbst in dem fahlen Lichte jener Kneipe, sein Körper straffte sich, und aus ihm brach es heraus: alle Enttäuschung, Verletztheit, aller Frust dieser Welt, da er sein Leben, seine Zeit, seine Familie geopfert habe diesem Verein, jahre-, jahrzehntelang, der in seiner Heimatstadt diese fünfte Jahreszeit bestimmt und die nunmehr unmittelbar vor uns lag – sicherlich habe ich keine Vorstellung, könne ich keinerlei Vorstellung davon haben, was dafür alles organisiert, geregelt, bedacht und erledigt werden müsse, vom Umzugswagen über Kamelle bis hin zur Auswahl des Prinzenpaares, die persönlichen Eitelkeiten, die angemessene Berücksichtigung der Sponsoren, ohne die solcher Frohsinn nicht möglich, Einflußnahmen von Politik und Kirche. Die Zeit selbst mit ihren Narreteien sei dann ein Kinderspiel gegenüber DIESER VORBEREITUNG.
Habe er doch nunmehr hingeschmissen, die Verantwortung abgegeben: sollen es Jüngere machen, dieses erfordere die jetzige Zeit, da alles nach dem Willen des Fernsehens ginge, das diese Narreteien übertrüge, und sei dies seine Welt nicht mehr. Ginge es aber ohne dieses Fernsehen nicht, nicht ohne seine Gelder, und dürfe man den Jecken aus Mainz, Düsseldorf oder Aachen das Feld nicht räumen.
Nahm diese Tirade eine längere Zeit in Anspruch, dieweil sich Publikum um uns sammelte, und habe ich eine Atempause nützen müssen, da er heiser geworden und erschöpft, gebrochen, um diverse Alkoholika zu ordern – darin haben wir seinen Kummer ersäuft. Wird er hoffentlich dann doch noch rechtzeitig gekommen sein, trotzdem, um an jenem Treiben in seiner Heimat teilzuhaben, als einfacher Narr nunmehr.
Auch mir ward jedoch schwummrig ob jenem Suff, und nie wieder spreche ich Narren an und frage nach ihrer Profession!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2023.
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