Der Seelenraumer

Der alte Mann stand schon eine ganze Weile in der trüben Dunkelheit seines Schlafzimmers, das sich im 1. Stock seines Hauses befand und hatte den langen Vorhang etwas zur Seite geschoben, um besser nach draußen sehen zu können.

Wie gebannt blickte er hinunter auf den großen Hof, der ringsherum von einigen hohen Kastanienbäumen gesäumt wurde. Am nächtlichen Himmel zogen einige düster aussehende Wolken am hellen Vollmond vorbei, dessen Licht jetzt aber nur fahl und schemenhaft durch eine vorbeiziehende Wolkendecke drang.

So stand er schon eine ganze Weile da, wie ein erstarrter Schatten, der auf ein wichtiges Ereignis wartete, von dem nur er wusste, dass es sich bald mit Sicherheit ereignen würde.

Und tatsächlich tat sich oben am nächtlichen Himmel ganz plötzlich etwas. Die dichte Wolkendecke teilte sich gleichmäßig nach beiden Seiten auf und ein imposantes, tropfenförmiges Raumschiff trat langsam daraus hervor, das schließlich direkt auf den einsam da liegenden Hof zusteuerte.

Nachdem es behutsam gelandet war, öffnete sich seitlich ein mannshoher, lichtdurchfluteter Eingang, aus dem eine majestätisch aussehende Person in einem hellen Gewand hervor trat, zu dem alten Mann am Fenster hoch schaute und ihn mit beiden Armen auffordernd zuwinkte, dass er jetzt kommen möge.

Dieser nickte sogleich mehrmals bejahend mit dem Kopf, als wüsste er schon über alles Bescheid. Dann schwebte er, wie von Geisterhand getragen, durch das geschlossene Schlafzimmerfenster hinunter zum offenen Eingang des seltsamen Raumschiffes und wurde dort lächelnd von der wartenden Lichtgestalt empfangen, die ihn sofort freudig umarmte.

„Komm rein! Wir haben noch eine lange Reise vor uns. Eine neue Welt ohne Leid, Elend und Schmerz wartet auf dich. Wir haben schon viele Seelen an Bord, die alle nur darauf warten, dass wir bald losfliegen. Du warst der letzte Passagier, den wir noch aufnehmen mussten. Wenn du willst, dann kannst noch einmal zurück blicken, bevor wir losfliegen und die Erde verlassen“

Der alte Mann drehte sich noch einmal um und blickte sehnsuchtsvoll hinüber zu seinem Haus, wo er fast 91 Jahre seines langen Lebens verbracht hatte.

Mittlerweile veränderte sich auch das Gesicht des Alten auf geheimnisvolle Art und Weise, bis er wieder so aussah, wie ein junger Mann.

Schließlich bemerkte er auf einmal seine Frau, die nur zwei Jahre jünger war als er.

Sie saß bitterlich weinend auf der hölzernen Kante seines Bettes und streichelt ihn immer wieder über seine tief eingefallenen Backen. Er konnte förmlich ihr Schluchzen hören.

Trauer überkam ihn, weil er seine Frau zurücklassen musste.

In diesem Moment griff die neben ihm stehende Lichtgestalt behutsam nach seiner rechten Hand und sagte zu ihm mit leiser Stimme: „Hab' keine Angst. Du bist in dieser Nacht gestorben. Deine Frau hat dich tot im Bett aufgefunden und weint jetzt um dich. Ich darf dir übrigens sagen, dass sie dir bald folgen wird. Es wird nicht lange dauern, dann seid ihr wieder zusammen. Für immer und ewig.“

Nach diesen tröstenden Worten gingen beide ins Innere des Raumschiffes, wo die anderen Seelen schon warteten und ihn voller Liebe und Freude begrüßten.

Hinter den beiden schloß sich mit einer leisen Bewegung die Eingangstüre und das tropfenförmige Raumschiff startete in einen jetzt wolkenlosen Nachthimmel hinein, wo es bald irgendwo im unendlich funkelnden Sternenmeer eintauchte, bis es nicht mehr zu sehen war.

ENDE

(c)Heinz-Walter Hoetter

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