Christine Wolny

Die Schneefrau, die nicht alleine sein wollte

Es schneite in diesem Jahr das erste Mal. Dicke Flocken fielen vom Himmel. Erst waren es nur wenige, dann aber wurden sie immer dichter, und schnell bildete sich eine weiße Schneedecke auf dem gefrorenen Boden. Langsam dunkelte es.

Wattinchen drückte ihre Nase ans Fenster, um das Schauspiel draußen besser sehen zu können. "Wenn es so weiter schneit, werden die Kinder morgen viele Schneemänner bauen", sagte Oma zu Wattinchen.
Wattinchen schlief in dieser Nacht unruhig, denn sie konnte es kaum erwarten, bis es hell wurde. In der Morgendämmerung huschte sie leise aus dem Bett, schlich zum Fenster und staunte über die herrliche Schneepracht. Doch ihre Füße wurden schnell kalt auf dem Holzboden, und so schlüpfte sie nochmals unter die Decke, zog die Beinchen hoch an den Körper und schlief bald wieder ein.

Jetzt träumte sie von einem Schneemann, nein, von einer ganzen Schneemann-Familie.
Im Traum sah sie eine Schneefrau, die ganz alleine in einem Garten stand. Die Kinder hatten sie hübsch geformt, ihr einen schwarzen Hut aufgesetzt und ihr einen Schneeball in die Hand gegeben. Mit ihren großen, schwarzen Knopfaugen lächelte sie Wattinchen an, und weil Wattinchen zurück lächelte und sie lange anschaute, begann die Schneefrau mit ihr zu reden. Ja, sie erzählte Wattinchen von ihren Problemen und von ihrem Weihnachtswunsch.

Wattinchen hörte aufmerksam zu, was die Schneefrau so alles sagte. Sie staunte nicht schlecht über deren Wunsch, konnte sie aber verstehen, denn auch Wattinchen ist nicht gerne alleine. So jammerte die Schneefrau über das Alleinsein und dass sie sich deswegen einen großen Schneemann und ein niedliches, kleines Schneekind wünschte. "Willst Du mir dabei helfen?" fragte sie Wattinchen. "Ja, gerne", erwiderte Wattinchen, "aber wie stellst Du Dir das vor?" fragte sie die Schneefrau.
Die Schneefrau wollte sich das Schneekind alleine formen. Das Köpfchen dafür hatte sie bereits in der Hand. Wattinchen sollte ihr noch einen großen und einen kleinen, blauen Schal und mehrere schwarze Knöpfe verschiedener Größe, sowie Hüte besorgen.

Doch die Schneefrau wollte auch einen Schneemann. Wattinchens Aufgabe bestand darin, einen einsamen Schneemann in den Nachbargärten zu suchen und ihn zu fragen, ob er in der Weihnachtsnacht nicht seinen Platz wechseln und zu einer Schneefrau ziehen wolle. "Du musst nämlich wissen, dass wir in der Heiligen Nacht laufen können," sagte die Schneefrau zu Wattinchen.
"Ja, über einen Schneemann an meiner Seite, würde ich mich riesig freuen."

Wattinchen wollte der Schneefrau gerne helfen und ihr einen geeigneten Schneemann suchen.
So lief sie von einem Garten zum anderen und schaute über die Zäune nach einem passenden Schneemann für die niedliche, nette Schneefrau. Sie fand viele, aber der eine sah so dick aus, der andere war zum Fürchten, denn er hatte einen Besen in der Hand. Wieder einer machte ein grimmiges Gesicht.
Doch im letzten Garten fand sie einen, der ihr durch sein freundliches Lächeln auffiel. Er hatte auch einen schwarzen Hut auf dem lustigen Kopf.

Um ihn standen mehrere kleine Geschenke am Boden. Wattinchen war neugierig und fragte ihn, für wen diese Päckchen bestimmt sind, und der Schneemann erzählte ihr, dass er am Heiligen Abend von Garten zu Garten ginge und diese Geschenke an die Schneekinder verteilen wolle. Wattinchen fand diese Geste besonders nett, und sie erzählte ihm von der einsamen Schneefrau. Der Schneemann war sehr gerührt, und er versprach Wattinchen, einen besonderen Blick auf sie zu werfen.

Am heiligen Abend ging er gleich nach der Dämmerung los. Es sollte ihn niemand sehen. Er war richtig neugierig auf die Schneefrau geworden. Sein Hase hoppelte hinter ihm her, und er hatte gute Laune. Schnell waren seine Päckchen verteilt, doch zwei behielt er für die Schneefrau und das kleine Schneekind.
Sein Herz klopfte laut, je näher er zu dem Garten der Schneefrau kam.
Dann sah er sie da stehen mit einem Schneekind an der Hand, und beide sahen allerliebst aus.
Er grüßte freundlich, überreichte die Geschenke und erzählte von Wattinchen und dass er gerne der Schnee-Mann wäre, wenn es gestattet sei.


Wie freute sich die Schneefrau über den netten Schneemann und die Geschenke. Auch sie hatte etwas für ihn und zwar den gleichen Schal, den sie und ihr Kleines trug. Sie steckte ihm noch ein Weihnachtssträußchen an den Hut, und nun sahen sie gleich aus.
Das Schneekind spielte mit einem Hasen, während sich die beiden umarmten. Der Stern strahlte in dieser Heiligen Nacht besonders hell, und Wattinchen lächelte im Traum und freute sich, dass sie zu diesem Glück beitragen konnte.

by Christine Wolny

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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