Als ich dreizehn Jahre alt war, bekam ich ein eigenes Zimmer. Die Jahre zuvor musste ich das „Kinderzimmer“ in unserem Elternhaus mit meinem jüngeren Bruder teilen. Das war eine sehr konfliktreiche Zeit und oft endeten unsere „Grabenkämpfe“ in einem handfesten Streit.
Eines Tages jedoch war es dann soweit und ich durfte in das sogenannte „Kellerzimmer“ einziehen. Obwohl dieser Raum sehr klein war und mir beim Öffnen der Tür jedes Mal ein unangenehmer und modriger Geruch entgegenschlug, wurde er zu meinem „Reich“, in das man nur nach vorherigem Anklopfen eintreten durfte.
Die Einrichtung war sehr spartanisch. Das Bett passte genau in die dafür vorgesehene Nische. An der Wand über meinem Bett hing ein riesengroßes buntes Poster. Es zeigte eine wildromantische Landschaft mit hohen Bergen und einem türkisblauen See. Wenn ich im Bett lag hatte ich oft die Angst, dass sich das Wasser des Sees nachts über mich ergießen könnte und ich dann in meinem Bett jämmerlich ertrinke- aber ich hatte nur verrückte Gedanken und mein Bett blieb glücklicherweise trocken.
Auf dem Nachttisch stand das Wertvollste, was ich damals besaß: ein silbergrauer Kassettenrecorder. Aus ihm dudelten täglich die damals angesagten Hits der 70er Jahre und versüßten mir die Zeit, die ich in meinem „Reich“ verbrachte. Der Schreibtisch, der am Fenster stand, war schon sehr in die Jahre gekommen und zeigte erhebliche Kratz-und Schreibspuren. Darauf hatte ich jeden Tag meine Hefte und Bücher ausgebreitet und hing während des Lernens oft meinen Tagträumen nach, die ich durch den melancholischen Blick aus dem Fenster im daran anschließenden Garten fortsetzte.
Auf dem Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand des Zimmers war eine fast unüberschaubare Menge an Büchern aneinander gereiht. Ordentlich sortiert nach
Schriftstellern und Buchtiteln. Meine Bücher waren – außer meinem Kassettenrekorder natürlich – mein ganzer Stolz. Dann gab es noch einen Kleiderschrank, dessen Tür immer klemmte und beim ruckartigen Öffnen ziemlich quietschte.
Das Außergewöhnlichste an meinem Zimmer aber war, dass es keinen fest installierten Heizkörper gab. Die meiste Zeit verbrachte ich dort bei niedrigen Temperaturen- die einzige Chance, in meinem „Eispalast“ unbeschadet zu überleben, war, dass ich jeden Tag meine „Polarausrüstung“ anzog, bestehend aus zwei wollenen Pullovern, Strumpfhose, Jeans, dicken Socken und Schal. Die einzige Wärmequelle war nämlich nur ein mobiler Ölradiator, der einen Hauch von Wärme in meinem Zimmer verströmte und dabei gleichzeitig einen miefigen Geruch verbreitete. Sobald das Gerät abgeschaltet wurde, kroch sehr bald die Kälte wieder an meinen Beinen hoch und das Frieren ging weiter. Außer meiner „Polarausrüstung“ wickelte ich mich dann zusätzlich noch in eine kuschelige braune Decke ein.
Nachts jedoch verbot mir meine Mutter, den Radiator einzuschalten, denn meine Eltern mussten sparen. Also herrschte in meinem Zimmer eisige Kälte, aber das hielt mich nicht davon ab, weiterhin in meinen „eigenen vier Wänden“ wohnen zu bleiben. Damit ich beim Schlafen nicht auch noch frieren musste, schob mir meine Mutter jeden Abend eine gusseiserne, kochendheiße Wärmeflasche ins Bett, sodass ich mir jedes Mal beinahe die Füße daran verbrannte. Das war nichts gegen die wohlige Wärme, die sich dann jeden Abend in meinem Bett ausbreitete und mir einen tiefen Schlaf schenkte.
Ich empfand eine innere Zufriedenheit über das Wenige, was ich besaß. Ich war einfach nur glücklich, ein eigenes Zimmer zu haben. Einen Raum, in den ich mich zu jeder Zeit zurückziehen konnte – ein Zufluchtsort, der mir in dieser Zeit ALLES bedeutete und in dem ich mich frei fühlte, frei von allen elterlichen Zwängen und Vorschriften – ein magischer Ort, in dem ich „ICH“ sein durfte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2024.
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