Christian Berg

14 Tage

  

 

 To find the beauty in failed journeys,

In the discovery of personal excess,

In feeling the sting of limits,

But these are the boundaries around which humanness is constructed.

(Penny Vlagopoulos: Rewriting America)

 

Die Schönheit in gescheiterten Reisen finden,

In der Entdeckung persönlicher Ausschweifung,

Darin, den Stachel der Begrenzung zu finden,

Aber dies sind die Grenzen um die herum Menschlichkeit konstruiert ist.

 

 

Prolog

 

1. Wendekreis des Rasenmähers

 

Die Liebesbeziehung mit Galina war ein Traum. Vier ganze Jahre hatten sie sich - ohne einen einzigen Streit – geliebt, und nach vier Jahren wirkten sie auf ihre Freunde noch immer wie frisch Verliebte. Nach zweieinhalb Jahren war ihr Sohn zur Welt gekommen. Nun begann sich ihre Beziehung langsam zu verändern, ohne dass sie das zunächst bewusst – und als besorgniserregend - wahrnahmen. Aber die Veränderung war da.

 

Maxim nahm sich vor, Galinas Liebe zu ihm wieder zu intensivieren, nett zu Galina zu sein, sie zu überraschen, ihr Geschenke zu machen, sie spürbar zu lieben. Maxim wollte seinen Körper – vor allem für Galina – wieder attraktiver machen, zweimal in der Woche ins Fitness-Studio gehen. Und Maxim wollte besseren Sex mit Galina haben: mehr Abwechslung, mehr Aktivität Galinas, mehr Positionen.

 

Dann kauften sie sich ein Haus, und der Stress begann. Zuerst waren sie wochenlang auf der Suche nach einem geeigneten Objekt und fuhren abends und am Wochenende kreuz und quer durch Hamburg. Anschließend hatten sie die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Und schließlich kam der Umzug und die Arbeit im und am Haus. Maxim verbrachte Stunden und Tage mit der Arbeit am Garten – der in einem sehr schlechten Zustand gewesen war. Gleichzeitig kümmerten sie sich um ihren Sohn, Galina studierte und bereitete sich auf Prüfungen vor, Maxim arbeitete. Das Auto ging kaputt. Bei all dem musste zwangsläufig etwas zu kurz kommen – und das war ihre Beziehung.

 

Es gab erste Streitereien, später die erste Krise, ausgelöst durch Galinas Mutter. Maxim schlief zwei Nächte am Arbeitsplatz. Sie waren zum ersten Mal seit Beginn ihres Zusammenlebens getrennt. Und zum ersten Mal fiel auch das Wort „Trennung“. Maxim spielte finanzielle Modelle für diesen Fall durch.

 

Nach dem Ende des Besuches von Galinas Mutter rauften sie sich wieder zusammen. Erst später wurde klar, dass diese Krise der Anfang vom Ende ihrer großen Liebe war.

 

2. Ende des Breaks

 

Am Ende des darauf folgenden Jahres wollte Galina ihre Mutter in Russland besuchen. Maxim sollte zunächst nicht mitkommen, doch dann willigte Galina ein, dass er mitkommen könne. Er musste allerdings erst einmal seinen Reisepass verlängern und entschied sich deshalb, halb aus Bequemlichkeit, halb aus letztlich fehlender Motivation für diese Reise, nicht mitzukommen. Später bedauerte er diesen Entschluss, denn das war Galinas erster – und einziger – Solourlaub im Laufe ihrer Beziehung. Ein weiterer Stein, der aus dem Fundament ihrer Ehe herausgebrochen wurde.

 

Einige Wochen zuvor hatte sich Galina bei der Demontage eines Heizkörpers den Finger gebrochen, einen Tag vor ihrem Abflug nach Russland brach sich Maxim beim Tennis-Training das Handgelenk. Eine Doppelung, vielleicht auch eine Spiegelung ihrer beiderseitigen Enttäuschungen. Und Monate später der Anlass für einen Vergleich von Galina: Mit dem Finger sei auch ihre Liebe zerbrochen ...

 

Zu diesem Zeitpunkt wäre es sicherlich eine riesige Übertreibung gewesen, zu sagen „his life is a mess“. Doch ein halbes Jahr bevor ihn Galina verließ, fühlte Maxim sich so, als stünde er auf einer Kante und könnte jederzeit in Richtung „mess“ abkippen. Das Problem war nur, dass er dieses Gefühl nicht wirklich ernst nahm.

 

Seine Erfolgsspur ging langsam zu Ende, sein Leben war sinnentleert geworden: Maxim hatte wenige Interessen, fast alle seine Freunde verloren, sein Leben völlig auf Galina und ihre Familie ausgerichtet. Er hatte nichts was ihm noch einen Kick gab. An Interessen gab es nur das Tennis und die Musik, aber da Maxim diese Interessen schon länger hatte, blieb der Reiz aus.

 

Sie machten zu wenig Dinge, die ihm Spaß brachten. Sie saßen viel zuhause, gingen zu wenig weg. Sie konnten Partys nicht besuchen, weil Galina ihren Sohn nicht alleine lassen mochte. Und Galina war seit Beginn ihres Studiums selbständiger geworden, hatte einen Freundeskreis aufgebaut und kam abends oft spät nach Hause. Maxim wusste nicht mehr, was er abends machen sollte. So saß er vor dem Fernseher und trank Whiskey und Wein.

 

Es kamen wehmütige Gedanken an früher hoch (die 90er). Manchmal hatte Maxim große Lust, mal wieder über die Stränge zu schlagen, ein böser Junge zu sein.

 

Das Ehe- und Familienleben gab ihm einerseits Halt und bisweilen auch Geborgenheit, andererseits langweilte es ihn und machte ihm oft zu schaffen:

 

Maxim hatte das Gefühl, von Galina nur als Geldgeber, Ratgeber und anderweitiger Unterstützer gebraucht zu werden. Jeden Tag trug Galina Aufgaben und Bitten an ihn heran, jeden Tag erwähnte sie irgendwelche Dinge, die sie (gleich Maxim) kaufen könnten, sehr oft fragte sie ihn um Rat bei ihren Angelegenheiten. Andererseits hörte sie ihm oft nicht richtig zu, ließ ihn nicht zu Ende reden, bat ihn sehr oft, Dinge anders zu machen.

 

Maxim hatte das Gefühl, sein erarbeitetes Geld zu neunzig Prozent für die Familie und Galinas Wünsche auszugeben, sich selbst aber kaum etwas zu gönnen. Und wenn Maxim das dann tat, hatte er das Gefühl, dass Galina es ihm vorwerfe.

 

Maxim spürte aber Galinas Bemühen, nett zu ihm zu sein. Sie war es auch, die den „gemeinsamen Abend“ vorschlug, um angesichts des ewigen Stresses und der zeitlichen Belastung wenigstens ab und zu Zeit zu zweit zu verbringen. Doch leider kam es hinterher nur ein paar mal zu einem gemeinsamen Abend.

 

Auf irgendeine Art liebte sie ihn. Dafür hätte er ihr dankbar sein sollen. Maxim erkannte aber auch hier nicht den Ernst der Lage, dass nämlich Galina ebenfalls so enttäuscht über ihre Beziehung war, dass sie sich innerlich schon von ihm zu lösen begann.

 

Maxim stellte sich die Frage, ob er die Dinge ändern würde, indem er sich von der Kante abkippen ließ – um anschließend wieder auf festeren Boden zu kommen. Oder, indem er alles mit Galina bespräche? Oder, indem er einfach nichts tun und warten würde?

 

War Galinas Liebe zu ihm weniger geworden oder seine zu ihr? Oder beides? Maxim hatte das Gefühl, dass Galina sich noch bemühte und er schon – deutlich sichtbar – aufgegeben hatte. Dazu passte auch, dass er begann, sich im Markt der Kontaktanzeigen umzusehen, und sich sogar ein Mal mit einer Frau traf – ohne dass dabei etwas herausgekommen wäre. Maxim suchte also nicht das offene Gespräch mit Galina, sondern wartete. Dann kam das Unvermeidliche.

 

3. Katastrophen

 

Galina zog sich mehr und mehr von ihm zurück. Und sie kam abends noch öfter spät nach Hause. Eines Tages konfrontierte Maxim sie mit der Frage, ob es einen anderen Mann gäbe. Sie war so ehrlich, das zuzugeben, betonte aber, bisher sei „nichts“ passiert, außer einiger Küsse.

 

Daraufhin stellte Maxim Galina ein Ultimatum: Sie solle sich innerhalb einer Woche entscheiden, ob sie ihre Ehe retten oder mit dem anderen Mann zusammenkommen wolle.

 

Sie verließ Maxim, zog mit beider Sohn zunächst zu einer Freundin, daraufhin zu dem anderen Mann. Maxim versuchte zu kämpfen, sie dazu zu bewegen, zurück zu kommen, doch sie schottete sich ab, ließ keine Gespräche mehr zu.

 

Nach der Trennung fühlte sich Maxim als wäre er in die Welt geworfen worden – wie ein incredible shrinking man, der schon von einem leichten Windstoß auf den Boden befördert und weggeweht wird. Sein Leben war plötzlich ein Vakuum, ohne Inhalt, ohne Sinn. Aus.

 

Er fühlte sich verschmäht, abserviert und substituiert. Das verletzte ihn unendlich. Er fürchtete sich vor der Zukunft. Die Zukunft war nunmehr ein gähnendes Nichts.

 

Er stand völlig neben sich, war teilweise konfus, fast weggetreten – unter dem Einfluss der Beruhigungsmittel, die ihm verordnet worden waren.

 

Das Schlimmste waren die „Feierabende“ zuhause, in der Wohnung, in der die Erinnerungen an Galina und seinen Sohn allgegenwärtig waren, in der er sich nun aber einsam seinen Gedanken und Depressionen hingab.

 

Dann entdeckte Maxim, dass Dating-Seiten im Internet, der Kontakt, die Korrespondenz und nachher auch die Telefonate mit Frauen ihn die Abende überstehen ließen und ihm sogar Hoffnung und positivere Gedanken gaben.

 

In einer Anzeige wurde angeboten, eine Nacht in Stettin zu verbringen und polnische Frauen kennenzulernen. Das klang vielversprechend für Maxim, also bezahlte er die Vermittlungsgebühr und fuhr am verabredeten Termin von Hamburg nach Stettin.

 

Es war ein drückend heißer Tag, sicherlich über 30 Grad Celsius. Maxim öffnete das Dachfenster seines Rovers und ließ auf der Autobahn dröhnend laut Justine Electra, „Fancy robots“ und „Killalady“, und „No backward glances“ von Seachange laufen. Das Tempo war hoch, über 200 km/h. Zwischendurch machte das Auto schlapp, die Kühlflüssigkeit kochte über.

 

Doch er kam pünktlich in Stettin an. Die Begegnung der deutschen Männer mit den polnischen Frauen fand auf einem großen Balkon statt, in einem Gebäude wie ein kleines heruntergekommenes Schloss. Maxim tanzte mit einer Frau. Er mochte die Frau. Später sah Maxim, dass ein anderer Mann anscheinend Erfolg bei ihr hatte ...

 

Am Abend ging die ganze Gesellschaft in die Diskothek. Weiter tanzen, Geld für Getränke ausgeben und flirten. Am nächsten Morgen herrschte Katerstimmung und frustrierte Single-Männer lamentierten über ihre schlechten Erfahrungen.

 

Die „Kennenlern-Party“ in Stettin machte Maxim nur noch deprimierter und ließ ihn sich noch einsamer fühlen.

 

Maxim fiel es schwer, Emotionen zu entwickeln oder zu offenbaren. Zu dieser Zeit gebot ihm das sein Lebensstil: Er schlingerte - krampfhaft und unbelehrbar für sich selbst - von einem Erlebnis zum anderen, immer das leichte Amüsement und das umgehende positive Ergebnis jagend. Im folgenden Jahr reiste er 11mal ins Ausland und war viel in Deutschland unterwegs. Er war manisch, wie besessen und übereifrig. Er tat alles, um sein Fiasko, das Entsetzen über den Verlust seiner Frau und seines Sohnes, seinen Kummer und seine Melancholie durch ziellose Betriebsamkeit zu ersticken und nahm sich kaum Zeit, um über das Erlebte nachzudenken oder sich mit Freunden darüber auszutauschen.

 

Im Winter hatte Maxim immer wieder sporadische, aber beständige Anfälle von Depression. Kurz vor seiner nächsten Reise litt er noch unter einem akuten seelischen Tief und Suizidgedanken.

 

Doch Maxim bereitete sich auf die Reise nach St. Petersburg vor. In dieser Stadt sollte er dann in einer angenehm milden Frühlingsnacht den besten Sex seines Lebens haben ...

 

Maxim wollte Larisa treffen, einen Kontakt aus einer Dating-Seite. Larisa hatte aber schon im Vorfeld Zweifel am Erfolg ihrer Begegnung aufkommen lassen, denn sie hatte ihm geschrieben: „Kann sich so ergeben, dass bei dem Treffen wir nicht einander ganz gefallen werden.“

 

Deshalb suchte Maxim nach Alternativen, für den Fall, dass es zwischen ihm und Larisa nicht funken würde. Da gab es Alexandra, eine Frau, die er über eine Zeitschrift mit Kontaktanzeigen kennengelernt hatte, und mit der er seit einigen Monaten in Brief-, Mail- und Telefonkontakt stand.

 

Im Internet recherchierte er nach Diskotheken und Bars in St. Petersburg, in denen man gut Frauen kennenlernen könnte. Er fand das „Marstall“, das „Tribunal“ und das „Rossi“, alle ziemlich zentral.

 

Und für den Fall, dass auch diese Alternativen ihn keine Frau für eine feste Beziehung finden lassen würden, recherchierte Maxim auch nach „prostitutes St. Petersburg“. Er brauchte irgendeine externe Bestätigung, denn er war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, sein eigenes Selbstwertgefühl zu entwickeln.

 

Er kaufte sich das obligatorische „Merian“-Buch (mit persönlichem Zugangscode zur Internet-Seite …) und machte eine Liste mit Sightseeing-Zielen.

 

 

14 Tage sind zu kurz, um alles zu erleben

 

1. Tag in St. Petersburg (Anreise)

 

Beim Abflug auf dem Hamburger Flughafen verpasst Maxim beinahe zum ersten Mal einen Flug. Er trödelt, streunt sehr lange durch die Shops und sucht nach zollfreien Zigaretten und Alkohol. Er spricht ewig lange mit der Frau an der Information über die neue Regelung zum Verpacken von Flüssigkeiten. Vor den Gates überrascht ihn dann, dass eine endlose Schlange am Check des Handgepäcks wartet. Nachher sagt man ihm, dass sie schon ohne ihn abfliegen wollten und sein Gepäck bereits von Bord genommen worden war.

 

Er bemerkt, dass er seinen Kalender und sein Notizbuch zuhause vergessen hat.

 

Maxim kommt mit etwa 33.400 Rubeln und 210 Euro in bar nach St. Petersburg.

 

Larisa holt ihn vom Flughafen ab. Sie erkennt ihn sofort. Maxim ist etwas unsicher, denn er sieht sie zum ersten Mal mit Brille.

 

In der Metro fallen ihm die für einen Sonntag (und für Hamburger Verhältnisse) ungewöhnlich vielen Menschen auf. Larisa sagt ihm, dass sei nichts Untypisches. Sie würde es oft erleben, dass sie von der Spitze der Rolltreppe zur Plattform nach unten sehen und einen Ameisenhaufen aus Menschenköpfen erblicken würde.

 

Sie fahren gemeinsam zum „Hotel“, das Larisa für ihn besorgt hatte (seinen Vorstoß, bei ihr zuhause schlafen zu können, hatte sie abgeblockt). Das „Hotel“ stellt sich als schlichtes Wohnhaus in der Nähe des Platzes Alexandra Nevskogo heraus. In einer größeren Wohnung in der 3. Etage hat man vier Zimmer hergerichtet. Dazu gibt es eine kleine Sitznische mit gemeinsamem Kochplatz.

 

Im Internet-Café (mit Larisa) schreibt Maxim eine Mail an seine Mutter, dass er heil in St. Petersburg angekommen sei.

Anschließend gehen Larisa und er in ein Restaurant in der Nähe des Hotels, „Rasputin“. Danach verabschiedet sich Larisa (gegen 22 Uhr), um nach Hause zu ihren Töchtern zu fahren.

 

 

2. Tag in St. Petersburg

 

Am Morgen geht Maxim zum Platz Aleksandra Nevskogo und sieht die riesige Nevskij-Statue und das Kloster im Hintergrund. Er spaziert am Sinopskaia-Ufer. Die Neva ist noch vereist.

Es ist nicht kalt, aber frisch.

 

Ein zweiter Spaziergang führt ihn den Nevskij Prospekt hinunter, über den Platz Vosstaniia bis zum Fontanka-Ufer und zurück zum Hotel – ein Marsch von etwa 5 Kilometern, aber Maxim läuft gerne …

 

Er kauft sich eine 2-Wochen-Karte für die Metro. So glaubt er. Später erkennt er, dass die Karte nur für eine Woche gültig ist und er einen viel zu hohen, fünffachen Preis bezahlt hatte.

 

Abends holt ihn Larisa vor dem Hotel ab. Sie fahren mit der Metro zum „Gostinyj Dvor“, flanieren durch die Einkaufsmeile „Passasch“ und zum „Teatr Muzykal’no Komedi“. Larisa zeigt ihm noch das Puschkin-Denkmal und das Mussorgski-Theater. Sie laufen vorbei am Russischen Museum. Maxim ist durchaus beeindruckt angesichts all der historischen Prachtbauten.

 

Und dann sieht er die Kirche „Hram Voskreseniia Hristova“ („Erlöser-Kathedrale auf dem Blut“), die Christi-Auferstehungs-Kathedrale. Wunderschön und unvergesslich mit ihren goldenen und gelb-blauen „Zwiebelkuppeln“ und der rötlich-braunen, reichverzierten Fassade ...

 

Sie setzen sich in das „Café People“. Sehr nett. Sie gehen zum Kazanskaia-Platz. Maxim kauft eine SIM-Card von Beeline. Larisa sagt, dass damit die Gespräche viel billiger für sie beide seien.

 

Mit dem Umschlag von Beeline in seiner Hand gehen sie hinunter in die Metro-Station „Gostinyj Dvor“. Maxim bemerkt die Bettler und armen Leute im Fußgängertunnel. Er trägt seine neue hellbraune Secondhand-Lederjacke und sieht schick aus.

 

Sie warten an einer Eingangstür zu ihrem Metro-Zug. In St. Petersburg gibt es in vielen Bahnhöfen Türen, die verhindern sollen, dass Menschen vom Bahnsteig auf die Gleise fallen. Die Türen sind verschlossen, wenn kein Metro-Zug in der Station eingefahren ist. Wenn der Zug kommt, hält er exakt so, dass sich die Türen des Zuges auf einer Höhe mit den Türen des Bahnhofs befinden. Als Nächstes öffnen sich beide Türgruppen parallel, die Menschen steigen ein und aus, und die Türgruppen schließen sich wieder parallel. Der Zug fährt ab.

 

Ihre Metro kommt und die Türen öffnen sich. Larisa steigt schnell ein. Zwei Männer drängeln sich vor. Maxim lässt ihnen den Vortritt, sollen sie doch drängeln. Die Männer stellen sich sofort, mit dem Gesicht zum Bahnsteig, vor seine Nase in den Eingang des Zugabteils. Maxim möchte links an Ihnen vorbei den Zug betreten. Da kommen schon zwei andere Männer von hinten und blockieren ihn. Die vier Männer scheinen untereinander eine Rangelei zu beginnen, in die Maxim irgendwie hineingezogen wird. Er denkt sich: „Lass die Verrückten rangeln, halte Dich möglichst heraus“. Maxim wird in der Rangelei leicht berührt, aber nicht mehr. Es kommen noch mehr Männer von hinten dazu, unter anderem auch ein Krüppel, der scheinbar unter Zeitdruck versucht, noch den Zug zu betreten. Maxim hat Mitleid mit ihm und lässt auch ihm den Vortritt. Larisa blickt ihn an und gibt ihm zu verstehen, er solle jetzt endlich hineinkommen. Die Männer sagen währenddessen einige Worte auf Russisch, sie scheinen untereinander zu streiten. Maxim versteht sie nicht. Auch Larisa sagt ein paar Worte - die Maxim ebenso wenig versteht.

 

Endlich gelingt es ihm, sich zwischen den Männern in den Zug hineinzuzwängen. Maxim setzt sich neben Larisa und ist froh, dass er sich aus dem ganzen Streit raushalten konnte. Er beobachtet die Verrückten und wundert sich, dass diese nach und nach wieder den Zug verlassen, noch bevor dieser abgefahren ist. Maxim denkt: „Die sind wahrscheinlich betrunken, und wollen bloß ein bisschen Unsinn miteinander machen“.

 

Die Lautsprecherdurchsage kommt, daraufhin gehen die Türen langsam zu. Nur noch ein Mann aus der Gruppe steht vor den Türen. Er hält etwas in der Hand und blickt Maxim an. Er prüft mit einem abschätzenden Blick das in seiner Hand befindliche Heft und wirft es plötzlich mit einem mitleidigem Gesicht vor Maxim hin auf den Fußboden. Dann springt er im letzten Augenblick aus dem Zug auf den Bahnsteig. Die Türen sind jetzt verschlossen, der Zug fährt ab.

 

Maxim blickt auf das Heft am Fußboden und erkennt, dass es sein Notizblock ist. Erst in diesem Moment wird ihm bewusst, was passiert ist. Sein erster Griff geht in die Innentasche seiner Lederjacke. Der Brustbeutel mit 8.700 Rubeln (und einem Dollar) ist verschwunden. Larisas und seine Blicke treffen sich. Einige Gegenübersitzende grinsen.

 

Eine Ewigkeit an Sekunden vergeht. Ihm ist noch immer nicht das ganze Ausmaß des Geschehenen klar. Maxim sucht in einer Außentasche seiner Jacke nach seinem Handy – es ist weg.

 

Maxim hat in Geld und Handy etwa 400 Euro verloren. Schnell überredet er Larisa dazu, bei der nächsten Station auszusteigen, zurückzufahren, und in der Metro „Gostinyj Dvor“ nach den Taschendieben zu suchen. Überzeugen kann Maxim Larisa allerdings nicht – sie sagt ihm gleich, dass das nichts bringen würde. Sie fragt ihn, was er sich denn erwarten würde. Das seien Profis, und die wären schon längst nach Irgendwohin verschwunden.

 

Sie fahren also zurück und sehen natürlich niemanden. Maxim überredet Larisa dazu, einen Polizisten anzusprechen. Der geht mit ihnen tatsächlich zu einem Aufsichtshäuschen. Maxim fasst etwas Mut. Der Polizist telefoniert mit irgendeiner unbekannten Stelle. Danach teilt er ihnen mit, dass er jetzt nichts mehr für sie tun könne. Die zuständigen Personen hätten vor fünf Minuten Feierabend gemacht. Niemand hätte etwas gemeldet, niemand etwas bemerkt. Die Polizei würde in solchen Bagatellfällen nicht tätig werden, nur bei Verletzungen und Morden. Maxim könne aber am nächsten Tag zu einer Stelle der Polizei fahren – die sich etwa 2 Stunden vom Stadtzentrum entfernt befindet – und dort den Vorfall zur Anzeige bringen. Das würde allerdings seine Chancen, das Geld und das Handy zurückzubekommen, auch nicht vergrößern…

 

Maxim fährt ins Hotel, Larisa fährt nach Hause. Maxim fühlt sich sehr allein.

 

  

3. Tag in St. Petersburg

 

Maxim beginnt den Tag mit Rettungsmaßnahmen. Er ruft aus dem Gedächtnis die in seinem Handy abgespeicherten Kontakte ab und notiert sie sich. Im Internet sucht er sich die Telefonnummern seiner Handy-Provider heraus, ruft in Deutschland an und lässt seine SIM-Cards sperren. Beim Versuch, eine Telefonkabine und ein Gespräch nach Deutschland zu bekommen, gerät Maxim mit der Postangestellten aneinander und wird so wütend, dass er sich Namen und Telefonnummern ihrer Vorgesetzten geben lässt. Maxim kauft sich eine Flasche Absinth.

 

Er marschiert zum Deutschen Konsulat, um zu versuchen, sein Handy und sein Geld irgendwie zurückzubekommen. Er hofft, dass das Konsulat bei der Polizei bewirken kann, dass nach den Tätern gesucht wird. Oder, dass er aus irgendeiner Art Versicherung eine Kompensation bekommt. Doch er sieht das Konsulat nur von außen, die für sein Anliegen zuständige Abteilung hat bereits geschlossen.

 

Maxim sitzt lange im Michailovskii-Garten beim Russischen Museum. In Russland ist das Erlebnis im Park zu sitzen ein vollkommen anderes als in Westeuropa. Viele Parkanlagen sind in einem bedauernswerten Zustand, Pflanzen und Rasenflächen nicht gepflegt, Denkmäler und Gebäude zerstört oder verrottet. Leere Wodkaflaschen und sonstiger Abfall liegen auf und neben den Gehwegen. Doch das Schlimmste sind die unvermeidbaren Gruppen Trinkender, die sich gerne in Parks treffen und dort stundenlang Alkohol zu sich nehmen. So ist es sehr schwer, in einem russischen Park Ruhe zu finden und die Natur zu genießen.

 

Im Hotel telefoniert Maxim mit der Schwägerin von Alexandra. Er möchte Alexandra treffen.

 

Die Schwägerin macht ihm Vorwürfe. Maxim sei nicht wegen Alexandra nach St. Petersburg gekommen. Alexandra hätte es ihr erzählt, wäre „upset“ gewesen. Russische Frauen würden so etwas nicht mögen.

 

Die Schwägerin behauptet, Alexandra habe kein „mobile phone“. Doch ihre Telefonnummer ist eine „mobile phone“-Nummer ...

 

Der Gipfel des Gesprächs ist dann die Behauptung der Schwägerin, Alexandra sei nicht zuhause und Alexandra könne ohnehin kein Englisch. Maxim entgegnet, er habe doch schon mit Alexandra telefoniert. Die Schwägerin: „Das war nicht Alexandra!“

 

Später lernt Maxim im Hotel einen sehr netten jungen Mann aus Irkutsk kennen, Sergeij. Sie trinken zusammen und sprechen über Musik und Literatur.

 

Am Nachmittag trifft Maxim Larisa. Sie gehen in einen Supermarkt in der Nähe ihres Hauses und Maxim kauft ein – hauptsächlich für Larisa. Danach zeigt sie ihm einen Handy-Shop und Maxim kauft sich eine neue SIM-Card und ein gebrauchtes Handy (für umgerechnet 105 Euro). Anschließend verschwindet Larisa nach Hause, Maxim ins Hotel.

 

 

4. Tag in St. Petersburg

 

Am Morgen darf Maxim kurz beim deutschen Konsulat vorsprechen, doch er versucht vergeblich, etwas in Bezug auf sein gestohlenes Handy und Geld zu erreichen.

 

Danach geht Maxim um den Taurischen Garten spazieren, durch die Spalernaja Uliza, am Denkmal F. E. Dzerzinski und Kikin-Palais vorbei, über den Rastrelli-Platz, und landet schließlich vor dem Smolnyj-Kloster.

 

Der Abend: Larisa sagt ihm ab, sie muss arbeiten. Maxim hatte sich schon Adressen von Prostituierten besorgt, nun sucht er zweimal vergeblich nach einem Bordell in der Nähe der Metro „Vladimirskaya“. Er möchte die Bar „Manilow“ besuchen, doch die Bar gibt es nicht mehr.

 

An der Metro am Platz Vosstaniia wird Maxim von einer Frau angesprochen, ob er ein Paar Rubel habe. Zuerst verneint er und geht weiter. Dann überlegt Maxim, bleibt stehen, geht zu der Frau und fragt sie nach Sex. Sie einigen sich schnell und gehen zu ihr nach Hause.

 

Sie wohnt mit ihren Eltern in einer Kommunalka, einer größeren Wohnung, deren Zimmer von verschiedenen Personen oder Familien bewohnt werden, die sich Küche, WC und Bad teilen. Sie ist 27 Jahre alt und heißt Oxana.

 

Sie müssen sich in die Wohnung hineinschleichen und flüstern. Maxim gibt ihr 1.000 Rubel. Zunächst tun sie es mit Kondom auf dem Bett. Doch das Bett macht zu viel Krach. Sie wechseln auf den Fußboden. Maxim zieht schnell das Kondom ab und sie machen weiter. Maxim kommt. Sie rauchen einige Zigaretten und Maxim gibt ihr noch einmal 100 Rubel und ein Zigarettenpäckchen (er beginnt wieder mit dem Rauchen, nachdem er einige Tage aufgehört hatte).

 

Maxim kehrt zurück auf den Nevskij Prospekt und wird von einer anderen Frau angebettelt. Alles verläuft ähnlich.

 

Sie heißt Ira (Irina) und ist 23 Jahre alt. Sie nimmt von ihm 700 Rubel und beginnt in einem Treppenhaus einen Blow Job. Maxim möchte Geschlechtsverkehr, sie möchte das nur mit einem Kondom.

 

Also verlassen sie das Treppenhaus und gehen zu einem Kiosk. Sie wartet auf der Straße und bittet ihn, im Kiosk Kondome und ein Bier zu kaufen. Als Maxim den Kiosk verlässt ist Irina verschwunden.

Maxim erkennt, wie dumm und naiv er war und trottet ziemlich angetrunken, müde und kaputt zum Hotel. Auf dem Weg dorthin findet er an einem geschlossenen Kiosk ein Schlüsselbund und steckt es ein. Nach 2 Uhr nachts kommt er im Hotel an.

 

 

5. Tag in St. Petersburg

 

Am Morgen geht Maxim am Ufer der Neva spazieren und notiert seine Impressionen und Gedanken:

 

Es gibt kaum Grün im Stadtzentrum von St. Petersburg, die wenigen Parks sind entweder geschlossen, schmutzig, von Drogenabhängigen bevölkert oder von stark befahrenen Straßen umgeben.

 

Es gibt draußen kaum einen Platz der Ruhe, selbst der Fluss Neva wird von mehrspurigen Straßen begrenzt.

 

Der Straßenverkehr ist gigantisch.

 

Es regnet fast immer, es ist fast immer windig.

 

In der Metro ist man länger auf diesen unendlichen, mit Menschen vollgestopften Rolltreppen unterwegs als tatsächlich in der Bahn.

 

Die Menschen haben ein trauriges Leben, besonders die Männer lachen nie und trinken ständig Alkohol. Männer und Frauen rauchen viel.

 

Wie privilegiert dagegen doch sein Leben in Westeuropa ist ...

 

Der Abend: Larisa sagt wieder ab. Maxim kauft eine Schachtel Zigaretten.

 

Am Platz Vosstaniia trifft Maxim auf Ania. 25 Jahre. Sie laufen lange zusammen herum und sprechen (so weit auf Russisch möglich), weil ihr „Miet“-Zimmer besetzt ist. Sie setzen sich in eine Bar und trinken Espresso. Maxim bietet ihr an, zu ihm nach Hamburg zu kommen. Sie haben ganz angenehmen Sex. Maxim möchte ihr helfen.

 

Er kehrt in sein Hotel zurück.

 

 

6. Tag in St. Petersburg

 

Tagsüber besucht Maxim den Friedhof „Lazarus“ und erstarrt vor den Gräbern der prominenten Russen, die dort begraben sind – Dostojewski, Rimski-Korsakow, Mussorgski, Glinka. Am Grab von Tschaikowski kommen ihm ein paar Tränen. Maxim macht viele Fotos mit seiner russischen Lomo – später in Deutschland wird er realisieren, dass die Kamera defekt und der Film nichts geworden ist.

 

Er liest den „Vollidiot“ von Tommy Jaud – das lustigste Buch ever ...

 

Maxim ruft Ania an – sie hat keine Zeit.

 

Am Abend kauft Maxim mit Larisa Karten für ein Marionetten-Theater, in das sie am nächsten Tag gemeinsam mit ihren beiden Töchtern gehen wollen. Danach gehen sie bei Wind und Kälte zum Schlossplatz, vor die Eremitage und schließlich in ein russisches Restaurant. Dort kommt es aus ihm unbegreiflichen Gründen zu einer Meinungsverschiedenheit. Im Nachhinein interpretiert Maxim diesen Abend als den Moment, an dem Larisa endgültig beschloss, nicht mit ihm zusammenzukommen.

 

Im Hotel liest Maxim bis nachts um halb 4 den „Vollidiot“ weiter und erkennt sich und seine verzweifelten Versuche, eine Frau kennenzulernen, in der Geschichte wieder. Die neuen Nachbarn im Nebenzimmer machen währenddessen Sex. Das laute, lang anhaltende Stöhnen der Frau deprimiert ihn zutiefst.

 

 

7. Tag in St. Petersburg

 

Larisa, Alena, Anelya und Maxim gehen in das Marionetten-Theater am Newskij Prospekt 52. Während der zweistündigen Vorstellung legt Maxim einmal seine Hand auf Larisas Rücken. Sie duldet das, reagiert aber nicht weiter darauf. Etwas später nimmt Maxim seine Hand wieder weg. Maxim versteht sich gut mit den Kindern. Besonders bemüht er sich um die ältere Tochter, in der Hoffnung, das könne Einfluss auf Larisas Entscheidung für oder gegen ihn nehmen. Doch Larisa hat ihre Entscheidung schon getroffen, der Tag sollte der Tag ihrer letzten Begegnung sein. Maxim mochte das Lied „Gorod Miau“.

 

Nach der Vorstellung gehen sie alle über den Newskij Prospekt und kehren im „Teremok“, einem Schnellrestaurant, ein. Larisa scheint es ihm übel zu nehmen, dass er nicht selbstverständlich für alle bezahlt. Sie essen Bliny und Suppe, danach fahren die drei mit dem Bus nach Hause.

 

Erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland versteht Maxim, dass es vielleicht noch andere Gründe für die Abfuhr Larisas gab. In ihrer letzten Mail vor seiner Reise hatte sie geschrieben, dass sie wegen seines Besuchs zwei Wochen nicht arbeiten könne. „Deshalb ziehen mich die sorgsamen Männer, die die Protektion leisten, heran!“. Sie hatte also erwartet, dass Maxim ihr finanzielle Unterstützung zukommen lassen würde. Er hatte das nicht verstanden und darum nichts gegeben.

Larisa hatte also auch deshalb wenig Muße für Maxim, weil sie dann doch arbeiten ging.

 

Sie leben in einer Welt, die geprägt ist von Arbeit, Stress, Medien und Werbung. Die Menschen haben kaum Zeit, um Gefühle zu bilden oder erkennen zu lassen.

 

Maxim glaubt, jetzt mehrspurig zu fahren: Er versucht es bei Larisa, Ania und Alexandra und hofft, dass er bei mindestens einer weiterkommt. Larisas Duldung seiner Hand auf ihrem Rücken interpretiert er als positives Zeichen. Am Abend wird Maxim vielleicht versuchen, eine vierte Spur zu finden.

 

Alleine am Ostrowski-Platz fällt ihm auf, dass es in St. Petersburg, ähnlich wie in Paris, fast keine Bank gibt, auf der man sich mal ausruhen und hinsetzen kann; die Handvoll Grünanlagen im Zentrum haben oft geschlossen oder haben schlichtweg keine Bänke.

 

Dann kommt die Nacht, die Maxim am darauf folgenden Tag zur schönsten Nacht der letzten fünf Jahre erklären wird.

 

Er begibt sich in die Disko „Marstall“ und betrachtet cool und äußerlich „selbstbewusst“ - er versucht stark und selbstsicher zu wirken - die Frauen. Das macht Spaß. Das „Marstall“ hat 2 Etagen, unten die Tanzfläche und eine Bar, in der 2. Etage ebenfalls eine Bar. Holzinterieur, Sitzbänke, Holzgeländer, Holzpfeiler, Holztreppe – alles in einem schicken, mit glänzendem Klarlack überstrichenen helleren Braun. Es läuft Chart-Musik.

 

Maxim trinkt einen doppelten Whiskey. Zwei Frauen suchen Augenkontakt mit ihm und lächeln ihm zu. Auch hier versucht er immer, mehrspurig zu fahren und seine Optionen bei möglichst vielen Frauen möglichst lange offen zu halten. Deshalb stellt er sich in diesem Moment beispielsweise beim Tanzen so, dass er potentiell beide Frauen umwerben kann. Maxim hat noch den naiven Glauben, hier würde es auch Frauen geben, die nicht nur Geld für ein paar Stunden mit ihm haben wollen, sondern tatsächlich Liebe suchen und eventuell nach Deutschland kommen würden …

 

Dann der erste Schock: Eine Frau spricht ihn direkt auf Englisch an. Sie fragt, ob sie in der Bar 2. Etage etwas trinken gehen wollen. Maxim kann sein Glück kaum fassen, ist aber doch innerlich etwas abwartend. An der Bar fragt Maxim sie, was sie machen würde, und sie sagt ihm, sie würde „hier arbeiten“ „Welche Arbeit?“ „Sex!“

 

Maxim ist fassungslos. Sie setzen sich an einen Tisch und sie bietet ihm Sex für 150 US-Dollar (oder wahlweise 100 US-Dollar) an. Sie würde auch für eine Woche zu ihm nach Hamburg kommen, wenn Maxim das Ticket für sie bezahlen würde. Mehr aber nicht – sie studiert Tourismus in St. Petersburg und hat einen einjährigen Sohn.

 

Das war Kristina.

 

Anschließend spricht Maxim endlich eine der beiden Augenkontakt-Frauen an: Julia ...

 

Sie möchte nicht tanzen, bittet ihn aber sofort, sich zu ihr und ihrer Freundin Sveta an den Tisch zu setzen. Maxim spendiert den beiden Red Bull und Saft. Sie führen ein nettes Gespräch (mit Notizen auf Servietten) – soweit das bei dieser Lautstärke und seinen Russisch-„Kenntnissen“ möglich ist. Julia fragt ihn, ob Maxim im Hotel oder Apartment wohne, und wo. Sie fragt ihn, ob sie mit ihm ins Hotel kommen könne. Maxim erklärt ihr mehrmals, dass er keine Frau für Geld suche, sondern echte Liebe. Sie sagt, dass sie auch echte Liebe suche. Sie wolle aber heute auch Sex. Maxim würde ihr nur etwas Geld geben, sie würden die Nacht zusammen verbringen (sie würde bei ihm im Hotel schlafen) und wenn sie sich gut „verstehen“ würden, könnten sie sich in den nächsten Tagen wieder treffen – dann ohne Geld ...

 

Sie fahren also im Taxi, Händchen haltend und umarmt, ins Hotel. Dort haben sie ein längeres Gespräch über ihre Ex-Frauen und –Männer – ganz nett. Und über das „etwas“ Geld – ganz unangenehm.

 

Später hat Maxim den fast besten Sex seines Lebens. „Fast“, weil er auch nach zwei Stunden und fünf verbrauchten Präservativen nicht kommen kann und sie Diskussionen über „ein bisschen ohne Kondom“ haben. „Bester Sex“, weil Maxim noch nie eine im positiven Sinne so aktive Frau hatte. Die wollte andauernd die Stellung wechseln, genoss es sichtlich, ordentlich genommen zu werden und hatte auch sonst noch einiges zu bieten. Wow!

 

Sie schlafen danach etwas, Maxim umarmt Julia, sie ihn nicht. Sie schläft ein bisschen auf seiner Brust.

Um halb 9 Uhr morgens muss Julia plötzlich ganz schnell gehen. Sie macht sich fertig und sagt: „Good bye“. Maxim ist überrascht. Er hat nicht ihre Nummer, sie nicht seine, und er auch nicht ihre Adresse. Wie wollen sie sich so in den nächsten Tagen wieder treffen?

 

Sie gibt ihm ihre Nummer.

 

 

 

8. Tag in St. Petersburg

 

Maxim schläft ewig lange und steht erst um halb 3 Uhr nachmittags auf. Er nimmt sich Zeit zum Frühstücken, dann macht er sich auf den Weg zum Haus von Julia. Doch das ist nicht genau zu finden, unter dieser Adresse gibt es ca. 10 Treppenhäuser mit jeweils ca. 5 Etagen. Maxim weiß auch nicht Julias Nachnamen. Also ruft er von der Straße aus bei ihr an.

 

Das beeindruckt sie nicht. Sie sagt, sie wolle schlafen - und Maxim darf wieder ins Hotel fahren.

 

Abends geht er erneut ins „Marstall“. Er hofft, Julia zu begegnen, und wenn nicht, eine andere Frau kennenzulernen. Es ist nicht so voll: Sonntagabend. Maxim wird gleich auf Englisch angesprochen. Die Frau ist ehrlich und sagt sofort, dass sie eine Professionelle sei. Die würden in der Disko „geduldet“ werden und müssten von ihren Einnahmen von 100 US-Dollar hinterher 30 US-Dollar an die Disko abgeben. Maxim gibt der Frau (Galina!) ein Bier aus und nimmt selber einen Whiskey. Er erzählt ihr seine Geschichte vom Vorabend, mit Julia. Sie sagt, dass Maxim zwar kein „small boy“ sei, aber sich doch so verhalten würde. So eine Geschichte wie seine würde sie jeden Tag hören. Maxim fragt sie verzweifelt, ob es denn in dieser Disko nur Professionelle geben würde, und erklärt ihr, dass er auf der Suche nach „normaler Liebe“ sei. Sie sagt, dass es in der Disko zwar auch einige wenige „Normale“ geben würde, Maxim aber besser am Tag, z.B. in Cafés, versuchen sollte, eine Frau kennenzulernen.

 

Etwas später steht plötzlich eine Frau am Pfeiler hinter ihm. Sie wirkt sympathisch und „normal“ - sie hat sich nicht besonders herausgemacht, kaum Make-up, kein auftoupiertes Haar, keine sexy Kleidung, keine Stöckelschuhe. Maxim fragt sie, ob sie etwas trinken möchte, und sie bejaht: Bier.

 

Maxim bestellt zwei Bier und sie setzen sich an einen Tisch ...

 

Das ist Lena (Elena). 28 Jahre alt, eine neunjährige Tochter, Asia, seit drei Jahren getrennt und geschieden (ihr Mann betrog sie mit anderen Frauen). Sie ist sehr nett, sie unterhalten sich gut (ein bisschen Russisch, ein bisschen Englisch). Sie rauchen, trinken jeder 2 Becher Bier und tanzen zweimal, eng und langsam. Nach der Nacht mit Julia ist Maxim mutiger geworden und sucht schneller Körperkontakt.

 

Sie treffen einen deutschen Mann, Andreas, der Lena in der Nacht zuvor im „Marstall“ kennengelernt hatte (als Maxim schon mit Julia im Hotel war). Andreas möchte das Gespräch mit Maxim, fragt ihn, ob er sich für Lena interessieren würde. Er sagt, es sei nichts mit Lena gelaufen, sie sei eine gute Frau.

 

Maxim lädt Lena natürlich zu ihm nach Hamburg ein. Er erzählt ihr alles über seine Vergangenheit und seine Wünsche für die Zukunft. Er lädt Lena ein, gemeinsam mit ihrer Tochter und ihm die Eremitage zu besuchen.

 

Später sagt ihm Lena, dass sie St. Petersburg lieben und niemals verlassen würde. Sie wolle nur, dass es ihrer Tochter gut ginge und eine feste Wohnung für die beiden.

 

Lena arbeitet als „cook“ in einer Bäckerei und Imbiss.

 

Maxim sagt Lena, dass er gerne am Morgen mit ihr aufwachen würde. Sie möchte das auch mit ihm (später denkt Maxim, dass sie das ausschließlich als Wunsch nach Sex interpretierte, sie bleibt nämlich nicht bis zum Aufwachen bei ihm. Maxim wollte aber mehr als Sex von ihr, und er wollte tatsächlich mit ihr aufwachen).

 

Sie lassen sich an der Garderobe des „Marstall“ ihre Jacken geben, gehen nach draußen und noch in ein „Kofe Haus“ nahe der Disko. Dort gibt es Zigaretten, Kaffee, Bier, Bliny und Salat.

 

Es ist inzwischen 2 Uhr nachts. Sie gehen durch kleine, dunkle, menschenleere Straßen. In einem Kiosk in einer Seitenstraße des Nevskij Prospekt kaufen sie mehr Bier. Der Kiosk ist für seine bescheidene Größe recht gut gefüllt, einige lichtscheue Gestalten können hier auch zu dieser Stunde noch Alkohol konsumieren und sich aufwärmen. Lena wirkt schon etwas angetrunken. Sie hatte im „Marstall“, nachdem sie von Maxim angesprochen wurde, 2 Bier getrunken, darauf 2 im „Kofe Haus“ und jetzt eins im Kiosk. Sie fahren schließlich zu seinem Hotel. Dort wirkt Lena dann wieder nüchtern, sie kann anscheinend einiges vertragen.

 

Im Hotel reden sie etwas, Maxim schreibt Lena zum besseren Verständnis Zahlen auf die letzten Seiten seines Stadtplans von St. Petersburg: „1999 – 2006“, seine Beziehung mit Galina. 180sqm, die Wohnfläche seines Hauses. Er kritzelt dazu ein Nikolaus-Haus aufs Papier. Sie duschen zusammen und im Anschluss daran ...

 

Der beste Sex seines Lebens!

 

Sie möchte es unbedingt haben und gibt sich ihm total hin. Sie möchte hart und schnell genommen werden. Das macht Maxim.

 

Er kommt diesmal relativ schnell, nach einigen Minuten. Als Nächstes befriedigt er sie. Er wird wieder hart, sie kopulieren weiter, Maxim liegt ewig lange mit seinem Penis außen auf ihrer Vagina und gibt ihr so viel Spaß. Maxim penetriert sie von hinten und sie rutscht mit dem Bauch auf den Lattenrost zwischen den beiden Matratzen, die sich mittlerweile nach außen verschoben hatten. Auch das gefällt ihr. Am Ende nimmt Maxim sie wieder schnell und brutal. Sie macht sich total eng, so dass Maxim kaum noch sein Glied in ihr bewegen kann. Sie umschließt ihn vollkommen, als sei er ein Teil von ihr. Dann kommt sie (glaubt Maxim). Das war dann ein vaginaler Orgasmus.

 

Sie sind restlos kaputt und sich einig, dass das guter Sport war. Maxim zeigt ihr seinen Rücken, auf dem der Schweiß in kleinen Bächen hinunterläuft. Sie fragt ihn, wie oft er gekommen sei, und Maxim sagt: „Einmal“. Sie sagt: „Ich auch einmal“. Maxim möchte mit ihr abklatschen …

 

Sie gibt ihm ihre Telefonnummer und nimmt seine Nummer auf einem Zettel mit. Ihre volle Adresse möchte sie ihm nicht geben – das sei „persönlich“. Sie sagt ihm nur die Straße, Lanskoie Schossé, und die Metro-Station, „Akademitscheskaya“. Maxim bringt sie um 5 Uhr morgens zum Taxi. Er zahlt das Taxi und gibt Lena noch 50 Rubel für ein Frühstück. Kein Abschiedskuss.

 

 

 

9. Tag in St. Petersburg

 

Gedanken am Nachmittag: Was ist Liebe? Wie intensiv muss Liebe sein, damit es „echte“ Liebe ist? Gibt es „echte“ Liebe überhaupt?

 

Maxim beginnt zu begreifen, dass Galina ihn schon „ein bisschen“ geliebt hat. Es war genauso, wie sie es ihm beschrieben hat. Als sie nach Hamburg gekommen ist, hat sie das Leben in Hamburg und mit ihm so überwältigt, dass sie nicht unterscheiden konnte, was welchen Anteil an ihrer Liebe zu ihm hatte. Wenn Maxim sich das Leben in Russland – die kaputten Häuser und Treppenhäuser, die Trinker auf den Straßen, der allgegenwärtige Dreck, die abgearbeiteten und müden Menschen – ansieht, versteht er, dass der Anteil des Lebens in Hamburg nicht zu unterschätzen sein kann. Maxim – als Person – hat ihr einiges geboten: große Aufmerksamkeit, Freundlichkeit und Nettsein am Rand von Schwäche, guten Sex, Geld, Urlaub auf den Kanaren, Erfahrung und Weisheit, Intelligenz. Vor ihm hatte Galina nur einen, ziemlich jungen Freund. Da konnte Maxim im Vergleich ganz gut abschneiden. Deshalb hatte das Leben mit ihm auch einen Anteil an Galinas Liebe.

 

Aber es war wohl keine „echte“ Liebe. Jedenfalls erklärte ihm Galina – und das scheint ihm jetzt plausibler als je zuvor -, dass sie erst gemerkt hätte, was „echte“ Liebe sei, als sie den anderen Mann getroffen hätte. Und dann war es vorbei mit ihnen beiden.

 

Um 7 Uhr abends ist Maxim mit Lena vor der Diskothek verabredet. Maxim hatte vorgeschlagen, spazieren zu gehen, ins Restaurant und ins Kaufhaus. Natürlich kommt Lena nicht. Maxim hatte zwar innerlich versucht, sich auf solch eine Situation vorzubereiten, ist aber dennoch etwas enttäuscht.

 

Die also auch! Genauso wie die anderen? Maxim probiert mehrmals, Lena anzurufen. Es kommt nur die Ansage: “The subscriber is not registered in the network. Please call back later.” Also wieder nichts ...

 

Was aber wollte Lena? Sie hat von ihm kein Geld bekommen, nur ein paar Bier und von ihm angebotene Aufmerksamkeiten.

Es scheint unglaublich, aber es kommt ihm tatsächlich so vor, als habe Lena nur Sex von ihm gewollt! Vielleicht hat ihr das eine Mal gereicht? Oder Maxim war ihr nicht liebenswert genug für ein Wiedersehen?

 

Er ist jedenfalls müde von St. Petersburg und müde von den Frauen in St. Petersburg. Langsam dämmert es ihm, dass es wirklich unmöglich ist, die „echte“ Liebe zu finden, wenn man sich nicht in einer Sprache unterhalten kann.

 

Kristof Schreuf hat wahrscheinlich recht: Am leichtesten kriegt man eine Frau, indem man sie volllabert. Doch das geht nicht, wenn man nicht eine Sprache spricht. Und wie kann die Frau „echte“ Liebe entwickeln, wenn sie ihn nicht richtig sprachlich versteht, seinen Witz, Humor und Charme nicht begreifen kann, von der anderen Kultur ganz zu schweigen. Maxim möchte nicht schön und regelmäßig Sex haben, er möchte richtige Liebe. Und wenn keine „echte“ Liebe, dann zumindest eine Liebe, so groß und so gut wie die von Galina zu ihm und für ihn war.

 

Aber kann Maxim die in Deutschland finden? Die Frauen hier waren zwar leicht zu bekommen, das hat sein Selbstbewusstsein für ein paar Tage aufgebaut, doch die Frauen hatten viele Probleme und hätten vermutlich keine ehrliche, „echte“ Liebe zu ihm haben können.

 

Und die deutschen Frauen, die Maxim über Kontaktanzeigen kennengelernt hat, waren ihm entweder zu alt oder sie waren o.k., aber dadurch für ihn unerreichbar.

 

Was ist mit Galina passiert? In Russland hatte sie kein gutes Leben (siehe oben). Maxim weiß nicht genau, wie glücklich oder unglücklich sie dort war, auf jeden Fall schrieb sie über die ersten 10 Monate mit ihm, das Leben mit ihm wäre wie im Paradies.

 

Sie war schon clever, sehr intelligent für ihr Alter. Und es ging ihr für russische Verhältnisse relativ gut. Aber wie positiv hat sie sich nachher entwickelt! Sie ist zu einem ganz anderen Menschen geworden. Auf jeden Fall reifer und erfahrener.

 

Was hat Maxim ihr alles gegeben? Er hat ihr den Zugang zu sehr viel Bildung ermöglicht. Er hat ihr sehr viel von der Welt und vom Leben gezeigt. Das alles hat sie geformt und entwickelt. Und ein Resultat davon war, dass sie in dem anderen Mann die „echte“ Liebe fand, und ihn verließ …

 

Nach dem geplatzten Treffen mit Lena geht Maxim noch ins Kaufhaus und zur Post. Er ruft bei Julia an. Sie will schlafen, Maxim soll sie aber am nächsten Tag um 10 Uhr anrufen, um sich mit ihr zu treffen.

 

Im Anschluss daran fährt er zum Haus von Larisa. Das richtige Haus findet er wohl. Dort sucht er aber eine Stunde in sämtlichen Stockwerken und düsteren Hausfluren mit der Taschenlampe in seinem Feuerzeug nach ihrer Wohnung (13?), fragt Leute, zeigt Larisas Foto in seinem Handy. Maxim findet die Wohnung nicht. Er ruft Larisa mehrmals auf beiden Apparaten an. Sie ist nicht erreichbar.

 

In der Nähe seines Hotels isst er warmes Butterbrot und einen Snack. Im Hotel ruft er bei Ania an. Sie treffen sich 30 Minuten später beim „Kofe Haus“ am Platz Vosstaniia. Ihre Bedingung: 1000 Rubel. Seine Bedingung: Sie schläft bei ihm im Hotel, kein Sex!

 

Sie führen ein nettes Gespräch im Café. Maxim bekräftigt seinen Vorschlag, dass sie zu ihm nach Deutschland kommt. Maxim sagt ihr, dass er ihr helfen möchte. Später sagt er ihr, dass sie – wenn sie dieses Leben in St. Petersburg weiterleben wird – in fünf Jahren tot sein wird. Sie ist überrascht von seinem Vorschlag (Weshalb? – wenn Maxim ihn ihr doch schon vorher gemacht hat), fragt ihn: „Warum?“. Maxim sagt, dass er denkt, dass sie ein guter Mensch sei. Nochmal, dass er ihr helfen möchte. Später sagt er noch, dass, als er sie zum ersten Mal an der Metro „Ploschad Vosstaniia“ sah, sich sein Herz zu ihr hingezogen fühlte.

 

Damit sie möglichst lange im Hotel bei ihm schlafen kann, bietet Maxim ihr an - anstatt ihr 1000 Rubel zu geben - noch in der Nacht ihre Schulden zu begleichen. Sie fahren zusammen mit dem Taxi in die Nähe der Metro-Station „Vasilieostrovskaia“. Das ist das erste Mal, dass Maxim das Zentrum von St. Petersburg verlässt und nach Norden über die Neva fährt, auf die Vassili-Insel. Maxim hat ein bisschen Angst, in eine Falle gelockt zu werden – nachdem ihm Sergeij im Hotel erzählt hatte, sein Freund hätte eine Frau in St. Petersburg kennengelernt – und sei hinterher dort entführt worden. Die Entführer hätten ein Lösegeld vom Vater des Freundes erpresst.

 

Die Angst wird größer, als sie in einem einsamen Wohnblock ein einsames Treppenhaus betreten. Doch nichts passiert. Ania bittet ihn, im Treppenhaus zu warten, während sie ihre Schulden bezahlt. Beim Warten stellt Maxim schockiert fest, dass sein Handy (das er sich sechs Tage zuvor als Ersatz für sein gestohlenes Handy gekauft hatte) sich nicht mehr in seinen Taschen befindet.

 

Es gibt nur vier Möglichkeiten: Maxim hat das Handy im „Kofe Haus“ gehabt und dann entweder

 

1. in seinen Mantel gesteckt, und ein Pärchen (mit Notebook) am Tisch hinter ihm hat es aus dem Mantel gestohlen. Unwahrscheinlich: Wozu braucht ein Paar mit Notebook noch ein Handy? Und Ania, die ihm gegenüber saß, hätte den Diebstahl sehr wahrscheinlich bemerkt.

2. auf dem Tisch liegen gelassen, wo es nach ihrem Weggang gestohlen wurde. Unwahrscheinlich: sie hätten beim Weggehen ein Handy auf dem Tisch bemerkt.

3. in seinen Mantel gesteckt, aus dem es im Taxi herausgefallen ist. Wenig wahrscheinlich: Das hätte er bemerkt.

4. in seinen Mantel gesteckt, und Ania hat es, während er das eine Mal auf der Toilette war, aus dem Mantel gestohlen. Das möchte Maxim nicht glauben. Er kann sich auch nicht vorstellen, dass Ania das Risiko eingehen wollte, dass Maxim das Fehlen des Handys noch im Café bemerkt, und hierauf sie und ihre Taschen durchsucht hätte.

 

Sie fahren zum erfolglosen Checken zurück ins „Kofe Haus“, und anschließend ins Hotel. Sie gehen später noch mal kurz in einen 24-Stunden-Shop, um Zigaretten, Drinks und Snacks zu kaufen. Sie reden ziemlich viel (mit Wörterbuch natürlich ...). Sie trinken Absinth. Maxim zeigt Ania das Foto seines Sohnes. Irgendwann gegen 4 Uhr gehen sie schlafen. Maxim pflegt Ania den ganzen Abend mit Taschentüchern und Hautcremes. Sie bedankt sich beim Einschlafen.

 

Sie hat einen bewundernswerten Schlaf. Dreht sich die ganze Nacht über kein einziges Mal, sondern bleibt immer in der königlichen Rückenlage.

 

 

10. Tag in St. Petersburg

 

Morgens klingelt Anias Handy, der Klingelton ist ein Lachschwall, wie früher aus einem Lachsack, oder auf dem Rummel.

Sie stehen um 12:30 Uhr auf, frühstücken und verabreden sich für 16:30 Uhr an ihrer Kennenlern-Stelle am Platz Vosstaniia.

 

Dort wartet Maxim nachher geschlagene 75 Minuten bei Wind und ca. 2 Grad Celsius auf Ania.

 

Dreimal bittet Maxim Passanten, ihr Handy für ein Telefonat mit Ania nutzen zu dürfen. Sie sind so nett, auch ohne Bezahlung.

Um 16:55 Uhr sagt ihm Ania, sie würde „in 15 Minuten“ kommen. Um 17:45 Uhr entschuldigt sie sich, es hätte ein Problem gegeben, sie sei jetzt zuhause, Maxim solle gegen 20,21 Uhr wieder anrufen.

 

Maxim ist völlig kaputt von der vergeblichen Warterei und ausgepumpt von den ganzen letzten Tagen. Er bestellt im „Republic of Coffee“ 2 große Becher doppelten Espresso, mit etwas Milch. Nach anderthalb Bechern hat er fast einen Kollaps, begibt sich ins Hotel und schläft bis 22 Uhr …

 

Maxim denkt, dass er versuchen sollte, sich auf sein Leben in Hamburg vorzubereiten. Er ist jetzt in einem völlig anderen Film, in einer anderen Welt. Er erkennt, dass er aufpassen muss, in Hamburg nicht in ein tiefes Loch zu fallen und endgültig so deprimiert zu sein, dass er nicht mehr weiter kann (zwischendurch hatte Maxim schon – als letzte Möglichkeit, weil er zu schwach dazu ist, Selbstmord zu begehen – daran gedacht, sich wie Nicolas Cage in „Leaving Las Vegas“ tot zu saufen. Diese Tage in St. Petersburg erinnern ihn ohnehin des öfteren an einige Szenen aus dem Film).

 

 

11. Tag in St. Petersburg

 

Happy birthday, Maxim!“

 

Gedanken an seinem Geburtstag:

 

Vielleicht ist Lena auch nicht mehr zu ihrem Treffen gekommen, weil sie vermeiden wollte, sich in ihn zu verlieben – mal eine positive Interpretation.

 

Das ärgerlichste an dem Verlust des zweiten Handys sind nicht die verlorenen 100 Euro, sondern die verlorene Telefonnummer von Julia. Alle anderen Nummern hatte Maxim irgendwo notiert, diese Nummer nicht! Jetzt kann Maxim sie nicht mehr erreichen …

 

Die Männer in St. Petersburg sind fast alle potentielle Kleingauner, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit mehr oder weniger geschickt versuchen, Geld zu machen.

 

Und die Frauen in St. Petersburg wollen fast alle nur das eine: Geld. Das macht sie zu mehr oder weniger offenen Nutten oder – da Ausländer mehr Geld haben – Devisennutten.

 

Nach dem gestrigen Kollaps im Café hatte Maxim schon von 19 bis 22 Uhr geschlafen. Darauf bis ca. 0:30 Uhr wach geblieben. Geschlafen bis 9:15 Uhr. Gefrühstückt. Dann wieder geschlafen bis 14:15 Uhr! Wenn die Putzfrau nicht geklopft hätte, wäre er wohl seinen ganzen Geburtstag über im Bett geblieben.

 

So geht Maxim dann noch nach draußen, fährt eine Station mit der Metro und geht in den Telefon-Shop, in dem er das Handy (und SIM-Card) eine Woche zuvor gekauft hatte.

 

Maxim bekommt kostenlos eine neue SIM-Card mit der gleichen Nummer. Die alte SIM-Card wird gesperrt. Super!

 

Bei einem neuen Handy lassen sie allerdings nicht mit sich handeln, und bleiben auch nach einer halben Stunde intensiven Feilschens hart: Maxim kauft ein wenige Monate altes Motorola RAZR V3i, genauso wie sein geliebtes gestohlenes Handy, nur noch etwas besser (mit MP3-Player), für 5.490 Rubel (ca. 159 Euro).

 

Im Anschluss daran fährt er zurück in die Nähe seines Hotels und geht in die Pizzeria „Patio“. Zum Geburtstag genehmigt er sich eine große Pizza Mexikana und zwei Tassen Kaffee. Das tut gut ...

 

Maxim lädt die Kellnerin ein, sich am Abend mit ihm zu treffen. Keine Chance!

 

Er gibt ihr später noch einen Zettel mit seiner Mobiltelefonnummer in Russland, auf den er schreibt, dass er keinen Sex möchte, sondern, dass er sie, Marina, lieben möchte.

 

Maxim kann es nach allem immer noch nicht lassen, sich weiter bei den Frauen zu versuchen. Er registriert an diesem Tag auch zweimal mit Genugtuung, dass ihn Frauen auf der Straße mustern und ihm in die Augen sehen. Maxim bleibt ein Jäger auf der Pirsch.

 

Mit dem neuen Handy ruft er später bei Ania und Alexandra an. Ania gratuliert ihm zum Geburtstag und möchte ihn später zurückrufen. Bei Alexandra ist wieder nur ihre Schwägerin am Telefon. Maxim beschwert sich darüber, warum Alexandra ihn nicht zumindest mal für eine Minute anrufen kann. Immerhin komme sie ja auch zum Schlafen nach Hause.

 

Und Larisa sendet ihm zum Geburtstag, den Maxim in St. Petersburg verbringt, um sie zu besuchen, eine SMS: „Ich wünsche Dir viel Glück und Gesundheit.“ Klarer hätte eine Absage wohl nicht sein können! Maxim wird sich nicht mehr bei ihr melden.

 

Er wird auf jeden Fall nie wieder (außer vielleicht für Zlata, und auch nur unter der Bedingung, dass Maxim in ihrer Wohnung, in ihrem Bett schlafen wird) ins Ausland fahren, um eine Frau kennenzulernen. Wenn die Frau es möchte, soll sie zu ihm kommen, Maxim zahlt das Ticket. Die Menschen im Ausland sind wie die in Deutschland – sie haben ihr eigenes Leben, ihre eigene Sprache, ihre eigenen Freunde, sie sind total mit sich selbst beschäftigt. Da als Ausländer rein zu kommen, ist hoffnungslos. Und warum sollte Maxim im Ausland bessere Chancen haben, eine Frau einfach so auf der Straße kennenzulernen, als er in Hamburg hat?: Keine Chance!

 

 

12. Tag in St. Petersburg

 

Wieder bis 12:30 Uhr geschlafen – bis zum Klopfen der Putzfrau. Nach dem Frühstück SMS-Austausch und Telefonat mit Larisa: Alena ist seit 4 Tagen im Krankenhaus (starker Husten) ...

 

Es hat einige Vorteile, dass St. Petersburg die „westlichste“ Stadt Russlands ist. Es ist einigermaßen sauber, touristisch, relativ gut organisiert (es gibt teilweise Straßenschilder und Hausnummern) und man bekommt überall Geld und etwas zu essen. Aber auf der anderen Seite scheint es Maxim, dass die Menschen in St. Petersburg auch schon mehr die „westliche“ Lebens- und Denkweise angenommen haben als zum Beispiel die Menschen in Irkutsk oder Dubna: Geld regiert – alle wollen es; die Männer, die es haben, kriegen auch eine schöne Frau. So einfach kann das sein.

 

An diesem Tag zieht Maxim endlich ein Touristenprogramm durch. Er macht etwa 30 Fotos, geht auf die Bankbrücke, vor die Admiralität (da gibt es noch einen halbwegs annehmbaren Park), vor die Isaaks-Kathedrale, auf den Senats- bzw. Dekabristen-Platz (er sieht die Figur „Eherner Reiter“, einen trinkenden Bären und zwei Hochzeitsgesellschaften in Stretch Cars), auf den Schlossplatz (mit der Alexander-Säule und dem Winterpalais), an den Kanal Gribojedova (Maxim macht Fotos der Christi-Auferstehungs-Kathedrale) und zum Abschluss in das Restaurant „Schestoj Ugol“, wo er seine letzten 266 Rubel für etwas Schaschlik und ein Glas Wasser ausgibt und wo die Kellnerin im Pionier-Kostüm auftritt.

 

Der Raum dort ist farbenprächtig in Braun-, Gelb- und Rot-Tönen gestaltet. Zwei Sitzbänke aus Holz stehen auf einer Fußbodenschräge, der Gast sitzt also schief. Ein Esstisch sieht aus wie ein Bett, mit Rahmen und einer Tischplatte, anstelle der Matratze. Es hängen Symbole der Sowjetzeit an der Wand – Hammer und Sichel, die rote Flagge der UdSSR, ein Portrait von Lenin. Holzpfeiler sind schräg, das Dach über einer Sitzgruppe ist schräg, Lampen hängen schief, alles scheint abschüssig zu sein, zu kippen und nach unten zu rutschen. Das mutet an wie das Cabinet des Dr. Caligari.

 

Nach dieser Zeitreise begibt sich Maxim auf einen langen Marsch zum Innenhof des Hauses von Julia. Natürlich nichts ...

 

Er definiert die genauen Bedingungen, eine Frau in Deutschland kennenzulernen:

 

Die Frau sollte klug sein, denn Maxim denkt, dass er manchen Frauen zu klug oder zu kompliziert war. Sie sollte aber auch nicht so klug sein, dass sie kalt ist.

 

Die Frau sollte mindestens Ende 20, höchstens Ende 30 sein, und einigermaßen passabel aussehen. Sie sollte keine Brille tragen.

 

Sie sollte die gleichen Wünsche und Vorstellungen wie Maxim haben – nicht nur Sex, sondern eine langfristige Beziehung.

 

Sie sollte nicht unbedingt (mehr) Kinder haben wollen.

 

Sie sollte (ein bisschen) häuslich sein.

 

Am Abend möchte Maxim noch einmal Sex haben. Er möchte in die Disko „Tribunal“ oder wieder ins „Marstall“ gehen. Es scheint, als müsse er unbedingt – allerdings ohne sich dessen bewusst zu sein – dem emotionalen Stress der letzten zwei Wochen und seiner inneren Leere entfliehen. Das hat etwas von zweifelnder, unbestätigter Selbstverliebtheit.

 

Und dann kommt es zum vielleicht angemessenen Abschluss dieser intensiven zwei Wochen in St. Petersburg. Um etwa 22:30 Uhr zieht Maxim los in die Diskos. Das „Tribunal“ hat bis zum 6. April geschlossen. Das „Golden Dolls“ bietet ausschließlich Striptease. Im „Magrib“ am Nevskii Prospekt wird erst ab Mitternacht getanzt. Also wieder ins „Marstall“.

 

Es beginnt eine hochinteressante Nacht des Abcheckens und Scannens. Maxim fühlt sich sehr clever, glaubt das Prinzip des Ladens verstanden zu haben, und begibt sich auf die naive und verzweifelte Suche nach einem „normalen“ Mädchen. Maxim beobachtet die Frauen sehr genau und kann ganz gut erkennen, welche Frauen „professionell“ sind. Kristina ist auch da, lächelt ihm zu, und später wechseln sie auch ein paar Worte. Sie sagt, sie wolle nur Sex. Maxim möchte korrigieren: „Du willst doch nur Geld“.

 

Wie geht es den anderen Männern? Maxim vermutet, dass einige wenige wirklich keine Ahnung haben, was hier abläuft. Die meisten haben das aber grundsätzlich verstanden – und sie spielen das Spiel mit. Dabei haben sie dann vielleicht mehr Spaß als Maxim, der krampfhaft versucht, das Korn im Ameisenhaufen zu finden.

 

Maxim spricht Jura an der Bar an, den Lena ihm beim letzten Mal als ihren Bekannten vorgestellt hat. Er sagt, dass Lena am Vorabend da gewesen wäre, und vielleicht noch käme.

 

Maxim wird von einer asiatisch aussehenden Russin aus Vladivostok auf Englisch angesprochen. Damit ist schon alles klar. Sie bietet Sex für Geld. Er lehnt ab.

 

Sie hilft ihm aber weiter, indem sie die Chefin der Mädchen nach Lena fragt. Die Chefin ist sehr nett, spricht mit ihm, sagt zwar zunächst, dass sie nur eine Lena kennen würde (das ist aber nicht „seine“ Lena), geht daraufhin aber doch vor die Tür, um „seine“ Lena anzurufen. Diese sei auf dem Nevskii Prospekt, in einer anderen Disko, und würde nun ins Marstall kommen.

 

Maxim berichtet der Chefin, dass Lena „cook“ sei und Probleme mit ihrer Wohnung habe. Es scheint ihm so, als würden sie nun über dieselbe Lena sprechen.

 

Die Chefin sagt, dass Lena eben doch im „Marstall“ arbeiten würde, nur nicht so häufig. Maxim erklärt ihr, dass Lena aber von ihm kein Geld verlangt hätte. Die Chefin sagt, dass das nicht in Ordnung sei, und Lena auf jeden Fall noch etwas Geld an das „Marstall“ abführen müsse.

 

Maxim sucht weiter nach „normalen“ Mädchen und findet zwei auf der Tanzfläche. Die eine lehnt sein Angebot, etwas zu trinken, ab. Das ist ein gutes Zeichen!

 

Später sitzen die beiden in einer Vierergruppe am Tisch, und Maxim setzt sich dazu.

 

Maxim fragt sie gleich, ob sie „normal“ seien, und sie bejahen. Maxim kann es kaum glauben ...

 

Da die eine (sie heißt Aida, der Vater ist Opernfan, die Mutter Gesangslehrerin) nicht mit ihm trinken wollte, konzentriert er sich auf die andere, Tatiana, 23 Jahre alt.

 

Maxim begeht den Fehler, sein Alter mit 40 anzugeben. Sie zeigt sich überrascht. Maxim hätte wohl auch ohne weiteres auf 35 heruntergehen können. Dann hätte er vielleicht bessere Chancen gehabt.

 

Sie taut langsam auf, sie reden und tanzen, reden und tanzen. Sie schreibt aber auch eine SMS an einen „Pascha“. Das sei aber nur ein platonischer Freund.

 

Sie arbeitet bei Mitsubishi im Service-Bereich. Sie sagt, dass sie ihr Leben liebe.

 

Später tanzen sie noch mal sehr erotisch. Maxim drückt seine Hüften mehrere Male an ihren Hintern, sie bewegt sich dabei nach rechts und links. Er umfasst sie von hinten. Er glaubt, gewonnen zu haben ...

 

Sie setzen sich wieder. Eine der vier Freundinnen telefoniert mit Pascha, sagt, dass er in wenigen Minuten kommen würde.

 

Tatiana sagt, dass sie zur Toilette ginge. Etwas später stehen plötzlich die anderen drei Mädchen auf, und eine sagt zu ihm: „We go!“ Maxim: „What?“

 

Sie verlassen den Tisch mit noch brennenden Zigaretten im Aschenbecher. Und Tatiana kommt nicht mehr zurück.

 

Eine Kellnerin beklagt sich, dass die Mädchen sogar für ihre Getränke nicht gezahlt hätten. Maxim sucht weiter, spricht einige „Normale“ an, aber auch eine „Professionelle“. Keine möchte mit ihm tanzen oder trinken.

 

Als Nächstes sieht er eine nicht besonders gut aussehende „Normale“ und tanzt mit ihr – umarmt. Nach dem Tanz gehen sie zu ihrer Freundin. Das Mädchen fragt nach zwei Orangensaft für sie und ihre Freundin, ohne „Bitte“ natürlich. Maxim lehnt ab.

 

Sie tanzt alleine weiter, Maxim steht daneben. Er überlegt schon, der Freundin 30 Rubel für einen Saft in die Hand zu drücken und mit dem Mädchen alleine auf einen Saft in die 2. Etage zu gehen. Doch plötzlich hebt sie ihre Hand zum Abschiedsgruß, und die beiden verlassen das „Marstall“.

 

Eine „Professionelle“ spricht ziemlich rüde mit ihm. Maxim sagt ihr, dass er hier eine „normale“ Frau suchen würde. Sie sagt, dass alle Frauen hier normal seien. Sie würden lediglich Sex für Geld machen ...

 

Noch mal versucht Maxim sein Glück bei zwei „Normalen“, Sveta und Nina, zwei Telefonistinnen. Doch die beiden warten hier nur auf die erste Morgenmetro.

 

Die Diskothek hat sich inzwischen deutlich geleert. Die „Normalen“ sind nach Hause gefahren, die „Professionellen“ entweder auch, weil sie leer ausgegangen sind, oder sie sind noch da und flirten entweder schon mit anderen Männern oder sind für ihn nicht interessant.

 

Eine „Professionelle“, die ihn Stunden zuvor ohne Erfolg angesprochen hatte, kommt – sichtlich angetrunken – an den Tisch, an dem Maxim mit Sveta und Nina sitzt, und fragt ihn, was er hier machen würde. Sie hat wohl das Gefühl, dass er das Geschäft stören würde, weil er nur mit „Normalen“ flirte.

 

Dann sieht Maxim plötzlich Elena. Das ist nicht „seine“ Elena/Lena, sondern eine etwas ältere, vollere Frau, die sehr sympathisch wirkt.

 

Sie lächelt ihm zu. Sie geht auf die verwaiste Tanzfläche und tanzt alleine. Maxim betrachtet das als Einladung und fängt an, in ihrer Nähe, und schließlich mit ihr zu tanzen. Sie tauschen einiges an Lächeln aus.

 

Ein riesiger, glatzköpfiger Mann kommt einige Male zu Elena und spricht mit ihr. Er zeigt auf seine Uhr. Sie zeigt ihm mit einem abfälligen Blick, was sie von ihm hält.

 

Sie sagt Maxim, dass das der Chef des Ladens sei, und der wohl darauf dränge, dass sie sich einen Mann, der bezahlt, angeln sollte.

 

Inzwischen ist es 5:30 Uhr. Maxim verliert ein bisschen die Geduld. Als er sieht, dass Sveta und Nina sich auf den Weg zur ersten Metro machen, geht Maxim zu Elena, um sich zu verabschieden. Er fragt sie, ob sie wirklich nur tanzen wolle, und nicht mit ihm sprechen, wie sie ihm eine halbe Stunde vorher erklärt hatte.

 

Da macht sie einen Vorschlag: Maxim soll die Disko alleine verlassen, den Security-Leuten sagen, er ginge jetzt schlafen, 100 Meter nach links gehen, und an der nächsten Ecke 10 Minuten auf sie warten.

 

Das tut er. Er steht also morgens um 6 Uhr alleine auf der Straße, vis-a-vis der Christi-Auferstehungs-Kathedrale, dem für ihn schönsten Gebäude der Welt ...

 

Maxim fühlt sich wie in einem Krimi. Elena und er tun etwas Verbotenes, Geheimes, Gefährliches. Er drückt sich hinter die Häuserecke, um von der Diskothek aus nicht gesehen werden zu können. Einige Autos fahren langsam an ihm vorbei, die Fahrer mustern ihn.

 

Ein Auto kommt zweimal. Beim zweiten Mal bleibt der Fahrer lange direkt vor ihm stehen, sieht ihn an. Und wartet. Maxim denkt, dass das ein Homosexueller sein könnte, der vermutet, Maxim sei käuflich. Maxim blickt sehr lange und sehr stur in den Himmel. Endlich fährt der Mann weiter …

 

Nach ewig langem Warten kommt Elena. Maxim ist glücklich. Sie gehen sehr langsam, über einen großen Umweg, zur Metro-Station. Sie unterhalten sich glänzend.

 

Sie arbeitet bei einem Immobilien-Makler. Sie wohnt etwas außerhalb, nördlich des Zentrums. Maxim macht ihr einige Komplimente. Sie gibt ihm ein Foto und ihre Telefonnummer. Sie trennen sich in der Metro-Station „Maiakovskaia“. Um 7 Uhr ist Maxim endlich im Bett ...

 

 

13. Tag in St. Petersburg

 

Maxim schläft bis um 15 Uhr, die Eremitage kann er nun nicht mehr besuchen. Um 17 Uhr sein erster Anruf bei Elena, sie ist müde, will schlafen und baden, Maxim soll um 19 Uhr noch mal anrufen. Um 19 Uhr genau die gleiche Auskunft. Maxim verabschiedet sich und sendet ihr noch eine SMS mit seiner Adresse und Telefonnummer, und der Bemerkung: „Liebe kommt nicht immer auf den ersten Blick.“

 

Danach geht er los und trifft am Platz Vosstaniia die 33-jährige Tania. Sie arbeitet in einem Hospital und scheint irgendein leichteres Problem zu haben. Vielleicht Alkohol. Sie riecht nicht, ist sehr sauber, aber sie hat Koordinationsschwierigkeiten.

 

Sie gehen durch die „Puschkinskaia Uliza“ in die „Ligovskii Pereulok“, in ihre Kommunalka, bitterarm. Sie wohnt (?) wohl mit zwei älteren Frauen zusammen. Maxim soll 1000 Rubel für Sex zahlen. In ihrem (?) Zimmer möchte sie dann noch 200 Rubel für die Zimmerbenutzung haben. Maxim bietet ihr an, seine verbliebenen 500 Rubel später in einem Café zu wechseln und ihr dann 200 zu geben.

 

Der Sex ist gut, sie ist ziemlich feucht und scheint es zu genießen. Nachher wollen sie im Bett noch eine rauchen, als ihre Mitbewohnerin klopft. Plötzlich zieht sich Tania ziemlich schnell an, inclusive Straßenkleidung, redet auf ihn ein – Maxim versteht kaum etwas, nur, dass sie ihm ihre Telefonnummer geben möchte, und etwas vom Geldwechseln im Café. Maxim solle sich schnell anziehen. Sie verschwindet.

 

Er zieht sich an und wartet. Er stellt fest, dass die 500 Rubel aus seiner Hosentasche fehlen und Tania nicht wiederkommt.

 

Maxim geht auch.

 

Entweder hat er das Geld irgendwo verloren und Tania musste wirklich plötzlich schnell weg., um danach wiederzukommen und mit ihm das Geld zu wechseln. Das wäre die „Small boy“-Version.

 

Oder jemand hat ihm das Geld gestohlen (z.B. während sie Sex machten) und Tania hat nun statt 1000 plötzlich 1500 Rubel von ihm.

 

Dafür einen „Pfand“ aus ihrem Zimmer mitzunehmen hätte keinen Sinn – da gibt es nur ein paar Kinderplüschtiere und ein leicht defektes Radio.

 

Wie groß müssen seine Enttäuschungen und seine Niederlagen noch werden, damit sich etwas in seinem Leben ändert (oder Maxim sich ändert)? St. Petersburg war die Hölle! Mit wie viel Hoffnungen und Erwartungen war Maxim wieder losgefahren. Er nahm eine Eigenfetttransplantation auf sich, um sein Gesicht aufzufüllen. Er hatte mit dem Rauchen aufgehört.

 

Nun raucht Maxim wieder, das Gesicht ist schmal, und er ist körperlich und seelisch ziemlich erledigt.

 

Jedenfalls möchte er häufig weinen. Das Leben mit Galina war so gut – und Maxim denkt, so gut wird sein Leben nie wieder werden.

 

In St. Petersburg hat Maxim fast keine guten Menschen kennengelernt, nur Sergeij aus Irkutsk, Elena und, mit Abstrichen, seine Lena und Julia. Aber Maxim war auch selbst schuld. Dadurch, dass er sich mit so vielen Frauen umgab, die kein Geld haben, musste er fast zwangsläufig ausgenutzt und ausgenommen werden. Es scheint so zu sein, dass Menschen, die arm sind, dadurch auch sehr skrupellos und schlecht sind. Selbst Ania, zu der Maxim so fürsorglich, nett und fair war, hat ihn nur ausgenutzt.

 

Dabei geht es ihm nicht ums Geld, sondern um das Gefühl, nur betrogen worden zu sein.

 

Zu sagen, mit St. Petersburg verbinde ihn eine Hassliebe, wäre noch ein Euphemismus. Es gibt hier kaum etwas, das Maxim mag, kaum gute Erinnerungen – höchstens an die Nacht mit „seiner“ Lena ...

 

... Larisa hat natürlich nicht – wie in Aussicht gestellt – noch einmal bei ihm angerufen. Maxim fährt ohne Abschied von ihr. Und auch Ania hat sich nicht mehr gemeldet. Soll sie doch mit den 3000 Rubeln aus dem Erlös seines Handys glücklich werden.

 

 

14. Tag in St. Petersburg (Abfahrt)

 

Aber vielleicht war die Geschichte mit Tania doch anders. Maxim erinnert sich, dass sie von der Straße aus gerufen wurde. Sie musste wahrscheinlich wirklich schnell gehen und wollte danach zu ihm zurückkommen. Sie wollte doch mit ihm im Bett eine rauchen und ihm auch ihre Telefonnummer geben. Und Maxim hatte die 500 Rubel in der Tasche, in der auch seine Zigarettenschachtel war. Was ist wahrscheinlicher? Dass jemand, während Maxim auf Tania lag, in das Zimmer gekommen war – ohne, dass Maxim ein Geräusch hörte oder etwas sah – und den Geldschein aus seiner Hosentasche zog – der irgendwo unter oder neben der Zigarettenschachtel lag? Oder dass Maxim den Geldschein irgendwo auf der Straße verloren hatte – ohne es zu bemerken – als er die Zigarettenschachtel aus der Hosentasche zog?

 

Maxim erinnert sich dunkel, dass er in die Hosentasche griff und den Geldschein berührte, als ihn Tania nach den zusätzlichen 200 Rubeln fragte – aber er ist sich nicht sicher ...

Maxim schläft von etwa 22 Uhr bis 4:30 Uhr. Sein Weg, mit Gepäck, vom Hotel zur ersten Metrostation ist ruhig und stresslos. Er fährt mit der Metro zur Station „Moskovskaia“, und von dort mit dem Marschrut-Taxi zum Flughafen. Maxim ist super pünktlich da, erster am Check-In, und hängt darauf noch lange im Wartebereich ab. Die letzten Rubel verpulvert er für eine Flasche Whiskey und zwei Flaschen Cola.

 

Um 8:40 Uhr Ortszeit verlässt Maxim St. Petersburg.

 

 

Epilog

 

Zurück in Hamburg ist es (bis auf Weiteres) ganz anders als bei seiner letzten Rückkehr aus Irkutsk und Dubna im Januar: Maxim freut sich riesig, wieder zu Hause zu sein. Er genießt die frische Luft, jetzt merkt er erst, dass die Luft in St. Petersburg wohl nicht so gut ist. Er fährt und geht durch die Straßen seines Bezirks und denkt: Das ist wirklich mein Zuhause, hier fühle er mich wohl ... Maxim entscheidet, Hamburg zu seiner neuen Lieblingsstadt Europas zu küren, noch vor Paris. Hier passt für ihn einfach alles. St. Petersburg würde es wohl gerade mal in die Top Ten schaffen (er ist sogar so vermessen, zu denken, dass Deutschland für ihn das beste Land der Welt ist …).

 

Maxim mutmaßt, als was sich die 14 Tage in St. Petersburg herausstellen werden – war das jetzt der Anfang vom Ende seines Lebens oder das Ende vom Ende, das Ende der langen Durststrecke, die er seit 9 Monaten durchlebte?

 

Er hatte intensive und wilde 14 Tage erlebt. St. Petersburg ist eine Stadt voller Legenden, vergöttert von seinen Einwohnern, verhätschelt von den Politikern, verehrt für seine vielen beeindruckenden alten Bauwerke, gleichzeitig erschreckend verkommen, wenn man sich ein paar Schritte abseits der Prachtstraßen begibt. Maxim empfindet St. Petersburg als eine verlogene Stadt, viel versprechend vor der Anreise, unangenehm überraschend, ja, schockierend nach der Ankunft. Zu viele Menschen leben hier in prekären Verhältnissen, zu viele Menschen treibt das in Alkohol, Prostitution und Kriminalität.

 

Und Maxim, der schon höchst instabil, mit Depressionen und Selbstmordgedanken, aber auch mit Hoffnungen und Vorstellungen - die sich als falsch zeigen sollten - anreiste, ist nach der Reise nur noch verzweifelter und noch labiler. Sehr schnell sollten sich die 14 Tage in St. Petersburg als traumatisches Erlebnis für Maxim erweisen ...

  

 

  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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