Prolog
„...die Einkaufsmeile in Manchester ist ganz toll. Ich freue mich total darauf. Alan führt Verhandlungen und ich werde shoppen gehen, bis ich ins Koma falle.“ Aufgeregt strahlte ich meine Freundin an. „Am Abend sind wir dann zu einer Verabschiedungsfeier für den Geschäftsführer einer Firma, mit der Alan zusammenarbeitet, eingeladen. Ich werde ein richtig tolles Wochenende haben.“
An dieser Stelle ging mir die Luft aus, was meiner Freundin Gelegenheit zu einem Kommentar gab. „Ich hoffe, dass alles so toll abläuft, wie du dir das vorstellst.“
„Du olle Unke, na klar - das wird super toll!“
Zum Ersten
„Guten Morgen, Schlafmütze.“ Alan stupste mich sacht an. „Zeit um aufzustehen. Nach dem Frühstück holt uns Barry, der neue Mann bei Omega Vision ab. Die Firma ist etwas auserhalb, deshalb setzte ich dich in der Innenstadt von Manchester ab. Du kannst dir den Vormittag damit vertreiben Schuhe anzuprobieren. Wenn ich fertig bin rufe ich dich an und hole dich wieder ab.“
Ich räkelte sich wohlig in den Kissen. „Lass dir ruhig Zeit, mein Schatz. Ich werde mich schon beschäftigen. Anschließend fahren wir direkt zum Hotel, nicht wahr?“
„Ja, dort findet die Feier für Gary statt, Barry ist sein Nachfolger. Es soll eine Überraschung werden, Gary scheint tatsächlich nichts zu ahnen. Jetzt aber raus aus den Federn.“
***
Barry schüttelte mir kräftig die Hand und murmelte etwas Unverständliches.
Auf dem Weg zum Hotelparkplatz wandte sich Alan an seinen Geschäftspartner. „Was meinst du, Barry, können wir meine Frau in Manchester absetzen?“
Dieses Mal gab der Angesprochene einen längeren Monolog von sich, doch wieder verstand ich trotz größter Mühe kein Wort. Fragend sah ich Alan an.
„Barry meint, dass wir zu viel Zeit verlieren, wenn wir erst in die Innenstadt von Manchester fahren. Auf unserem Weg ist allerdings ein riesiges Einkaufszentrum. Er schlägt vor, dich dort abzusetzen. Was meinst du?“
Das fing ja gut an. Eigentlich hatte ich vor gehabt, mir die Stadt anzusehen. Resigniert zuckte ich die Schultern. „Ja, wenn er meint.“
Im Auto wandte ich mich verunsichert an Alan. „Ich habe geglaubt ein ganz passables Englisch zu sprechen, aber dieser Mensch hört sich an, als würde er ständig auf einem Handtuch herumkauen. Ich verstehe kein Wort von dem was er sagt.“
Alan grinste. „Das kann ich mir vorstellen. Barry spricht einen fürchterlichen Slang. Er ist aus Yorkshire. Dort geht es sprachtechnisch schlimmer zu als im tiefsten Bayern. Ich habe oft selbst alle Mühe um ihn zu verstehen ... Holla die Waldfee ...“, dieser Kommentar war an den vorausfahrenden Barry gerichtet, denn der fuhr so schnell, dass Alan alle Mühe hatte um ihm zu folgen. Auf der Autobahn schien er die rechte Spur komplett für sich gepachtet zu haben.
Alan schüttelte verblüfft den Kopf. „Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn ist 70 Meilen in der Stunde. Ich fahre jetzt 90 Meilen und Barry ist mir immer noch ein gutes Stück voraus. Er scheint sich keine Gedanken um die Geschwindigkeitsbeschränkung zu machen. Wir müssen an der nächsten Abfahrt runter, dann wird er sich wohl ausgetobt haben.“
Doch hier irrte sich Alan gründlich. Barry raste durch den nächsten Ort, als ob er sich auf dem Circuit de Monaco befinden würde, und Alan bemühte sich ihm zu folgen.
Es ging durch enge Straßen, vorbei an parkenden Autos, bis...
... mit einem satten Splitterton verabschiedete sich der linke Seitenspiegel, was Alan veranlasste den Wagen am Straßenrand anzuhalten. Barry schien nichts mitbekommen zu haben, er raste unbeirrt weiter.
„Shit ...!“ Alan stieg aus und spurtete zu dem parkenden Fahrzeug, das er offensichtlich gestreift hatte.
Wenig später erschien er wieder auf der Bildfläche, die Teile des zerlegten Spiegels in der Hand. „Die Leute hier sind echt entspannt. Der Typ, dem der Wagen gehört, hat mir die Teile hier in die Hand gedrückt. An seinem Wagen ist nichts beschädigt, meint er und ich soll meinen Spiegel wieder zusammenflicken.“
Nach einigem hin und her hatte er den Spiegel tatsächlich wieder zusammengebaut und grinste vergnügt vor sich hin. „Wenn es jetzt bei der Abgabe dieses Leihwagens auch noch regnet, dann bin ich aus dem Schneider. Die paar Kratzer sind fast nicht zu sehen.“
Er zückte sein Handy. „Jetzt muss ich erst mal schauen, dass ich Barry wieder einfange.“
Der zeigte sich baff erstaunt, denn er hatte immer noch nicht bemerkt, dass wir ihm nicht mehr folgte.
Schließlich trudelten wir mit einiger Verspätung bei Omega Vision ein. Eine nette Dame fuhr mich zu der versprochenen Shoppingmall und versprach mich pünktlich wieder abzuholen.
Zum Zweiten
„Och nö, ich habe gedacht wir fahren jetzt gleich zum Hotel und ich kann mich vor den Lunch noch etwas frisch machen.“ Nach der Shoppingtour hatte ich gehofft, etwas Ruhe zu haben.
„Sorry, Schatz, das hatte ich so geplant. Doch jetzt werden wir eben mit Gary und Barry zum Lunch gehen. Das lässt sich nicht ändern.“
„Ich bin Larry.“ In Restaurant gesellte sich ein kleinwüchsiger Inder zu uns und schüttelte mir eifrig die Hand.
Ich unterdrückte ein Kichern. Larry, Garry und Barry??? Wo war die versteckte Kamera!
***
„Das glaubt mir kein Mensch. Ich war mit Tick, Trick und Track zum Lunch und sie haben sich tatsächlich gegenseitig die Pommes vom Teller geklaut.“ Immer noch ungläubig schüttelte ich den Kopf. Endlich im Hotelzimmer angelangt hatte ich es mir nach einer ausgiebigen Dusche auf dem Bett bequem gemacht. "Hast du bemerkt, dass Larry, der Inder, sich während des ganzen Essens ein weißes Ding an die Nase gehalten hat?Meinst du er kokst?“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Keine Ahnung was das sollte. Er hat sich das Ding allerdings abwechselnd rechts und links ins Nasenloch geschoben. Das Teil sah aus wie ein Tampon ...", Alan verstummte grinsend, als er meinen Blick sah.
"So, so, Tampon? Du kennst dich aber gut aus ..."
Auf diesen Einwurf ging der beste aller Ehemänner nicht ein. "Wahrscheinlich war es ein Nasenspray", stellte er amüsiert fest. „Larry ist für die Finanzen zuständig, das wird er nicht auf die Reihe kriegen, wenn er ständig high ist. Aber merkwürdig war die ganze Veranstaltung schon.“
Womit Alan nicht Unrecht hatte. Während Berry seine Fish `n Chips in Windeseile verschlungen und damit begonnen hatte, seinen Tischnachbarn die Pommes Frites vom Teller zu klauen und sie sich in den Mund zu stopfen, popelte sich Larry in aller Seelenruhe mit dem ominösen weißen Teil in der Nase herum. Dabei erörterten die Herren die Weltwirtschaftslage, tauschten sich über die Vorzüge der neuesten Kaffeemaschinen und Autos aus dem Hause BMW aus und erzählten Witze. Während Alan bei dieser Unterhaltung fleißig mitmischte, schaute ich mir die Akteure des Schauspiels fasziniert an und kam deshalb gar nicht dazu, groß zur Unterhaltung beizutragen.
Zum Dritten
Jetzt sollte also das Überraschungsfest starten. Die Gesellschaft hatte sich um die schön gedeckte Tafel versammelt und wartete gespannt, denn die Hauptperson fehlte. „Ich hoffe, irgend jemand hat Gary einen Tipp gegeben, sonst ist er wohlmöglich unterwegs“, murmelte Alan.
Plötzlich kam Bewegung auf. Barry telefonierte hektisch, wandte sich der Allgemeinheit zu, erklärte lautstark etwas und eilte, den indischen Larry im Schlepptau, aus dem Raum. Ich zuckte resigniert die Schultern, denn wieder einmal verstand ich nur Bahnhof.
Der grinsende Alan klärte mich auf. „Weil Gary nicht Bescheid wusste, sitzen er und seine Frau jetzt beim Italiener vor einer großen Pizza. Barry und Larry haben sich auf den Weg gemacht um das Pärchen schnellstmöglich hierher zu buxieren. Das ist ja eine interessante Feier.“
Nach einiger Zeit erschien der atemlose Barry wieder auf der Bildfläche, ihm folgte Larry und nach einiger Zeit betrat ein ratloser Gary zusammen mit seiner Frau den Raum.
„Was ist das...“, er verstummte abrupt, denn alle Gäste hatten sich erhoben und applaudierten, während Barry den fassungslosen Jubilar zu seinem Platz geleitete.
Hier ließ sich Gary erst einmal auf seinen Sitz plumpsen und schnappte nach Atem. „Barry, du verdammter...“, was er weiter sagte ging in dem allgemeinen Trubel unter.
Larry meldete sich zu Wort. „Lieber Gary...“, so fing eine lange Rede an, die mit den Worten endete: „...und deshalb haben wir uns überlegt, dir ein besonderes Geschenk zu machen, eine Uhr. Erst wollten wir eine günstige goldene Rolex kaufen, aber die Goldpreise auf dem britischen Markt haben kräftig angezogen und deshalb ...“ Hier stockte er einen Moment und sah sich nach Barry um.
Der saß ganz entspannt und lauschte scheinbar dem Nachhall der Rede.
„Barry, die Uhr“, rief Larry verunsichert aus.
Der Angesprochene erwachte aus seinem, wie auch immer gearteten, Wachtraum und nuschelte etwas.
„Uhr? Ja, sicher, die Uhr. Wo ist sie denn?“, übersetzte Alan.
„Du hast sie, ganz bestimmt!“
Barry schaute zunächst verdutzt, dann in seine Jacken- und Hosentaschen und anschließend unter den Tisch, wobei er vor sich hin murmelte.
Ein leicht angeheiterter Gast krabbelte unter den Tisch. „Ladys, kneift die Knie zusammen, ich komme“, grölte er zur allgemeinen Erheiterung. Wenig später tauchte er zwischen den Beinen seiner Frau wieder auf. „Die Uhr habe ich nicht gefunden...“, stellte er fest.
„Und hier ist nichts, dass du nicht schon kennst“, klärte ihn seine Angetraute freundlich auf, was den Herrn dazu veranlasste komplett unter dem Tisch hervorzukommen und sich gutgelaunt und durstig auf seinen Platz zu setzen.
Plötzlich schlug sich Barry mit der flachen Hand vor den Kopf, stürmte er aus der Tür und ließ die Gesellschaft in verblüfftem Schweigen zurück.
"Ihm ist eingefallen, wo er die Uhr gelassen hat", grinste Alan.
Einige Zeit später tauchte er, sehr zur Erleichterung aller, tatsächlich mit der goldenen Rolex auf und überreichte sie dem freudestrahlenden Gary.
Nachdem die Uhr mit einigen Hindernissen überreicht und alle Reden des Abends gehalten worden waren, ging man zum gemütlichen Teil über. Hier erwiesen sich die Briten, wie erwartet, als trinkfest und gemütlich.
Trotz aller Anfangsschwierigkeiten wurde Garys Fest eine rundum gelungene Feier.
Epilog
„So, jetzt erzähl mal, wie war es in Manchester? Was hast du alles gekauft? Bestimmt lauter angesagte Klamotten! Wie war die Feier?“
„Hmmm, na ja.“
„Was heißt das?“, meine Freundin ließ nicht locker.
„Ja also; ich war gar nicht in Manchester, sondern etwas außerhalb“, klärte ich sie auf. "Ich habe nichts gekauft, doch dafür habe ich mit Gary, Barry und Larry zu Mittag gegessen. Larry ist übrigens ein kiffender Inder. Alan hat den Spiegel vom Leihwagen zerstört, was natürlich bei der Abgabe voll peinlich aufgefallen ist. Bei der Feier hat Barry die goldene Rolex verlegt, ein besoffener Brite ist unter den Tisch gekrochen um den Weibern unter den Rock zu schielen und der Jubilar hat seine Pizza nicht gegessen.“
Meine Freundin musterte mich mitleidig. „Und ich habe gedacht, dass es keine Fälle mehr von Rinderwahn auf der Insel gibt! Da habe ich mich wohl gründlich geirrt.“
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.09.2024.
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