Alan Royhs

Citybummel - er wollte doch zum Harley Händler

„Moin, na – wie war das Wochenende?“
Thomas stand mit dem Rücken zu mir an der Kaffeemaschine. Mit der Tasse in der Hand drehte er sich um, und ich sah in etwas betrübte Dackelaugen: „Ging so ..“
Denn ….
…. am Samstagmorgen saß Thomas gemütlich am Frühstückstisch, als Ulrike von der Zeitung aufblickte und fragte: „Sag‘ mal, wolltest du nicht das ‚Dings‘ für dein Motorrad abholen?“
Thomas schaute seine Frau mit leicht zur Seite geneigten Kopf an: „Ja, aber …“ Er hatte sich vor ein paar Monaten eine Harley geleistet und wollte seine Maschine mit einem ‚Screaming Eagle‘-Luftfilter aufpeppen.
„Na, ja“, sagte Ulrike, „du könntest mich gleich zum Mittag zu dem netten Portugiesen in der Innenstadt einladen. Der Mopedhändler hat doch sicher bis 16:00 Uhr auf!?“
„Oh, guter Vorschlag. Jetzt ist es 8:30 Uhr, dann haben wir ja noch etwas Zeit.“

„Ähh – können wir vorher nicht noch ganz kurz in die Fußgängerzone?“, Ulrike blickte ganz unschuldig.
„Ja, ok, dann aber los – die Parkhäuser sind um 10 Uhr meistens schon voll!“
Ulrike sprang auf und spurtete ins Obergeschoss: „Zieh‘ mich nur kurz für die Stadt um.“

Thomas räumte den Tisch ab, spülte das Geschirr, brachte den Müll raus ...

Kurz nach 9:00 kam Ulrike im stylischen Outfit die Treppe herunter. Sie musterte Thomas streng: „Hey, willst du dich nicht umziehen???“
„Wie jetzt, wir holen den Luftfilter für die Harley. Ich behalt auf jeden Fall meine Destroyed Jeans an und nehm‘ die Lederweste!“, darüber war mit Thomas nicht zu diskutieren.
Ulrike seufzte: „Mensch, Thomas!!! Ich kann doch nicht mit meinem Outfit neben dir …“
Thomas zuckte die Schulter und drehte sich zur Tür.

„Okay, okay, okay – gib‘ mir nur eine Minute, dann zieh ich mir auch schnell was Sportliches an!“ Ulrike hastete schon die Treppe hinauf und konnte somit nicht sehen, wie sich bei Thomas die Mundwinkel etwas nach oben bewegten. Etwa eine viertel Stunde später sauste Ulrike, nur mit einem Slip bekleidet, an Thomas vorbei in den Keller und kam kurze Zeit später mit einem hellblauen Push-Up-BH in der Hand wieder an ihm vorbei.
„Was????“, staunte Thomas mit offenem Mund.
„Ja, ich kann doch nicht mit weißem Spitzen-BH unter einem Jeans-Hemd rumlaufen“, drehte sich Ulrike empört auf der Treppe um.
Zwanzig Minuten und gefühlten 5 Zigaretten später kam Ulrike die Treppe herunter, trug eine sportliche Hose, ein Jeanshemd und ein Lederblouson: „So, jetzt bloß noch die Schuhe.“
„OK, ich hol‘ schnell das Auto, fahr‘ tanken und wasch ...“
„THOMAS !!!“

Als sie in der Stadt ankamen, war es kurz vor 11 – alle Parkhäuser waren voll. So reihte sich Thomas in eine lange Schlange vor dem Parkplatz in der Innenstadt. Ulrike sprang aus dem Auto: „Hey, wir treffen uns bei Lizzy’s, du weißt, direkt am Dom!“
Thomas seufzte: „Gut, bis nachher“, konnte aber eine gewisse Freude nicht verbergen, da er so den Boutiquen wohl zum Großteil entgehen würde.
Gegen 11:30 hatte der den Wagen geparkt und schlenderte Richtung Innenstadt, um direkt auf Ulrike zu treffen.
„Boh, gut das du da bist, dann kann ich dir ein totschickes Kleid hier bei S&Z zeigen. Bis Lizzy’s bin ich gar nicht gekommen.“

…. nach etwa einer dreiviertel Stunde und etlichen Anproben mit den Kommentaren: „Na, ja“, „Geht so“ oder „Ooch, ich weiß nicht“ von Thomas, schien Ulrike etwas genervt zu sein. Sie schmiss das zuletzt probierte Kleid über die Stange und zog Thomas aus der dritten Boutique: „Komm, wir gehen erst was essen!“
Thomas grinste in sich hinein. Sie machten sich auf den Weg zum Portugiesen und kamen am Schaufenster von Lizzy’s vorbei.
„Mensch, Thomas! Ist das nicht ein geiler Hosenanzug im Fenster???“
Unwillig schaute er in die Auslage und war sichtlich beeindruckt: „Ja, tatsächlich! Der gefällt mir auch auf Anhieb! Nach dem Essen kannst du ja ….“ Weiter kam er nicht, denn Ulrike hatte schon Lizzy’s geentert. Seufzend schlurfte er hinter ihr her. Das konnte dauern! Ulrike probierte den Hosenanzug und stand nach 3 Minuten vor Thomas: „Na???“
Wie hatte sie das in 3 Minuten geschafft? Zu Hause - man denke nur an den Morgen – ach egal! „Sieht wirklich Spitze aus – ist nur etwas zu groß? Oder?“ Thomas war doch etwas skeptisch.
„Ja“, erwiderte Ulrike, „sonst passt 38 eigentlich – fällt wohl etwas groß aus. Kannst du mal nach 36 schau’n?“
Inzwischen war auch eine Verkäuferin gekommen: „Es tut mir leid, aber in der Größe 36 ist der Anzug nicht mehr da. Nur noch im Fenster und der ist leider hinten an der Jacke eingerissen.“
„Ok, verstehe, aber kann ich den Anzug nicht probieren? Wenn er passt, bestellen sie mir einen Neuen?“
„Nein – das geht nicht! Samstags holen wir nichts aus dem Fenster!“
Thomas konnte sehen, wie Ulrikes Unterlippe etwas anfing zu flattern. Er trat einen kleinen Schritt zurück und betrachtete mit großem Interesse die ausgelegten Damenhandschuhe. „WIE?? AN EINEM SAMSTAG ----- KANN ICH BITTE DEN GESCHÄFTSFÜHRER …“, Ulrike wurde ein klein wenig lauter. Die Verkäuferin drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in Richtung Büro. Thomas trat wieder nah zu Ulrike, nahm sie in den Arm und sagte: „Reg‘ dich nicht auf, kommen wir halt Montag noch mal her …“
„Das werden wir ja seh’n!“, Ulrike war jetzt im Kampfmodus. Einige Minuten später kam die Verkäuferin mit einer Gouvernante zurück, die – wie sich herausstellte – Lizzy, die Inhaberin war. „Wie kann ich helfen??“, mit einem Lächeln, das einem das Blut gefrieren ließ, sprach sie Ulrike an, stutzte kurz und musterte dann Thomas. „Zerriss’ne Jeans – Lederweste – unrasiert – was macht das Wesen in meinem Geschäft?!“, schien sie zu denken.
„Äah“, Ulrike schien jetzt etwas verunsichert zu sein. „Ich würde gern den Hosenanzug aus d..“
„Ich weiß. Das hat mir meine Angestellte bereits mitgeteilt und ihnen auch gesagt, dass wir samstags die Dekoration nicht ausräumen! Außerdem ist diese Herbstkollektion limitiert. Eine Nachbestellung ist nicht möglich. Sie können aber sicher das etwas zu große Model ändern lassen!“ Damit schaute sie Ulrike noch einmal streng an, drehte den Kopf, scannte Thomas mit Verachtung und drehte sich um. „Guten Tag!“ Danach verschwand sie steif (und Thomas ist sich immer noch nicht sicher, ob sie die Füße wirklich bewegte oder über den Boden surfte).
Ulrike drehte sich ebenfalls um und verschwand mit mehreren nicht druckreifen Schimpfworten auf den Lippen in der Umkleide.

Ach, ich sollte noch erwähnen, dass es nichts mehr wurde mit dem netten Mittagessen beim Portugiesen – und zum Harley Händler bin ich auch nicht mehr gekommen. (Ääh, ich meine Thomas ist nicht mehr zum Harley Händler - - - ach, ihr wisst schon )

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.09.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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