Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebte in unserer Region ein König, der hatte drei Söhne: Eckhard, Gundrum und Nikolaus.
Die drei Jünglinge waren so verschieden, wie Brüder verschieden nur sein können, obwohl sie doch aus dem gleichen Mutterleib geboren und vom gleichen Vater gezeugt waren.
Eckhard war ein besonders kräftiger Bursche, der keinem Streit aus dem Wege ging, und der wegen seiner gewalttätigen Art nicht unbedingt den besten Ruf hatte.
Er zog es vor, erst zu schlagen oder zu stechen, bevor er Fragen stellte. Gundrum war der bedeutend klügere.
Er liebte es, in alten Büchern aus der Bibliothek des Vaters zu stöbern und bedachte jeden Schritt, bevor er ihn ausführte.
Während Eckhard sich nicht darum scherte, ob seine Kleider beschmutzt oder zerrissen waren, legte Gundrum immer besonderen Wert auf Sauberkeit und Ordnung.
Er war sehr eitel. Nikolaus dagegen unterschied sich von seinen Brüdern dadurch, dass er in allem, was er tat, sehr bescheiden war.
Nikolaus ging jedem Streit aus dem Weg, und wenn sich sein großer Bruder wieder einmal mit anderen Burschen stritt, versuchte Nikolaus den Streit zu schlichten.
Eckhard und auch Gundrum dachten stets in erster Linie an sich selbst, aber Nikolaus half gerne anderen Menschen, mit den Problemen des Alltags fertig zu werden.
Während Eckhard stets seinen finanziellen Vorteil suchte, um Gold und Silber mit seinen Saufkumpanen zu verprassen, legte Gundrum jede Münze sorgsam beiseite, um einmal selbst finanziell unabhängig zu werden.
Auch in diesem Punkt war Nikolaus ganz anders. Erhielt er vom Vater und Verwandten Gold und Silberlinge, so nahm er dieses Geld, um den Armen im Lande zu helfen, ihre Not ein wenig zu lindern.
Er erfreute sich an dem Dank der Beschenkten und deren Liebe.
Als nun der König in die Jahre kam und die Last des Regierens immer schwerer auf seinen Schultern drückte, beabsichtigte er, die Regentschaft einem seiner Söhne zu übertragen.
Er kannte das Recht des Erstgeborenen, aber als König war er auch in der Lage, Gesetze zu ändern und so abzuwandeln, wie er es für richtig hielt.
Er war sich nicht schlüssig, wer von seinen drei Söhnen der geeignete war, das Land von seinen momentanen Sorgen und Nöten zu befreien.
Es herrschte große Armut unter der Bevölkerung, Uneinigkeit und große Unzufriedenheit nach langer Dürre und schlechten Ernteergebnissen.
Also rief er seine drei Söhne zu sich und sagte zu ihnen:
„Hört, meine Söhne! Ich bin inzwischen ein alter Mann geworden und meine Tage sind gezählt.
Ihr wisst, wie ich einen jeden von Euch ins Herz geschlossen habe.
Der Wunsch Eurer verstorbenen Mutter war es, Gundrum mit der Last der Regentschaft zu betreuen, weil sie ihrer Sache sicher war, dass seine Klugheit und Besonnenheit dem Vorteil des Volkes dienen könnt.
Dem alten Gesetz zufolge hätte Eckhard, meinem Erstgeborenen, die Regentschaft übertragen gehört.
Dir, lieber Nikolaus, fehlt von beiden deiner Brüder etwas, so dass ich glaube, dass Du nicht die Bürde tragen könntest, die das hohe Amt eines Regenten mit sich bringt.
Gestern Nacht ist mir Eure Mutter im Traum erschienen und hat mir im Strahlenglanz göttlicher Herrlichkeit die Bitte vorgetragen, einen jeden von Euch auf die Probe zu stellen, um so herauszufinden, wer von Euch meine Krone verdient.
So hört, was ich Euch zu sagen habe:
Zieht in die Welt und sucht mir ein Geschenk besonderer Art zum Beweis Eurer Fähigkeit.
Wenn sich der Winter wieder über das Land legt, sollt Ihr an meinen Hof zurückkehren, dass meine Wahl getroffen werden kann.
Während sich Nikolaus ohne besondere Einwände auf den Weg machte, den Wunsch des Vaters folgsam zu erfüllen, gingen Eckhard und Gundrum missmutig von hinnen.
Eckhard war böse und enttäuscht, dass der Vater sich über das Gesetz des Erstgeborenen hinweggesetzt hatte, und Gundrum war auch unzufrieden, weil die Wahl des Vaters nicht auf ihn gefallen war.
All seine Pläne schienen zunichte, und seine Vorbereitungen und geheimen Machenschaften mit einigen Höflingen umsonst, sollte letztlich die Wahl seines Vaters gegen den Wunsch der Mutter auf einen seiner Brüder fallen.
Aber ebenso wie Eckhard und Nikolaus machte er sich eilends auf den Weg.
Eckhard nahm Rüstung und Schwert und war mit seinem streitbaren Ross bereits durch mehrere Flussniederungen geritten, als er am Abend in eine Herberge am Fuße des Neckars einkehrte.
Zwar war die Herberge bis auf das letzte Bett belegt, aber Eckhard verstand es, einem fahrenden Gesellen beim Kartenspiel dessen Bett abzugewinnen, so dass dieser mit einem Magen voller Wein und einem Kopf voller Ameisen knurrend seine Bettstatt im Stroh der Scheune bezog, während Eckhard auf gutem Lager ebenso guten Schlaf fand.
Doch in der Frühe des nächsten Morgens tauchte der fahrende Geselle wieder in der Gaststube der Herberge auf, um sich mit Eckhard anzulegen.
„Betrogen hast Du mich, Du Lump“, grölte er in den Morgen, „Deine Karten waren gezinkt, und während mich dein Wein besoffen machte, hast Du mich um mein bezahltes Lager und einen guten Schlaf gebracht!“
„Was sagst Du da?“ entgegnete Eckhard, der sich an diesem Morgen so ausgeruht und stark fühlte, dass er es mit zehn solcher Streithammel aufnehmen könnte,
„was hast Du gesagt?
Ich habe Dich betrogen?
Sag das noch einmal, und Du wirst es bereuen, Du alter Saufkopp.
Wer nicht verlieren kann, sollte nicht spielen!
Und jetzt scher Dich zum Teufel und lass mich in Ruhe frühstücken!“
Doch der fahrende Geselle, dessen Kraft auch nicht von schlechten Eltern war, gab keine Ruhe, und so ergab ein Wort das andere.
In der Gaststube der Herberge blickte man neugierig auf.
Einige Landsknechte verbaten sich die Ruhestörung, andere stachelten den fahrenden Gesellen an, sich nicht von irgendeinem Prahlhans die Butter vom Brot nehmen zu lassen.
Und schon war die größte Rauferei im Gange, die je in der Herberge ausgefochten wurde.
Nachdem Eckhard dem Fahrensmann einen solchen Hieb versetzt hatte, dass dieser glatt über zwei Tische in das Frühstück der Landsknechte geflogen war, stürzten sich gleich sechs Mann wutentbrannt auf Eckhard.
Doch noch ehe der Hahn auf dem Misthaufen im Hof zweimal gekräht hatte, lagen alle sieben, die Landsknechte und der fahrende Geselle, am Boden und bald darauf allesamt auf dem Misthaufen.
„Da gehört Ihr hin, Ihr Saukerle, die einen anständigen Reisenden nicht einmal in Ruhe frühstücken lassen!“ rief Eckhard und setzte sich in aller Seelenruhe wieder an den Tisch, und forderte noch mehr Wein, Brot und Schinken.
Eilfertig trug der Wirt auf, wie ihm geheißen, denn mit diesem schlagkräftigen Burschen wollte er sich nicht anlegen, dem sogar sechs Landsknechte nicht gewachsen waren.
Einer der Gäste im schwarzen Reisegewand mit großem Hut und breiter Krempe sah dem Schauspiel dieses Morgens mit großem Interesse zu.
Es war der Rittmeister des Grafen zu Leiningen, der auf der Suche nach wehrtüchtigen Recken außer Landes gezogen war.
Nun erhob er sich, als er sah, dass sich die Wogen der Erregung bei Eckhard gelegt hatten und bat darum, neben diesem Platz nehmen zu dürfen.
„Hockt Euch hin, wenn Ihr keinen Streit sucht!“ sagte Eckhard, „womit kann ich Euch dienen?“
„Dienen, ja, das könntet Ihr wirklich,“ erwiderte der Rittmeister und stellte sich in aller Höflichkeit vor.
Er berichtet von seinem Auftrag.
„Mein Fürst sucht streitbare Recken, die sein Land vor herumstreunenden Banditen und Strauchdieben schützen können.
Der Sold ist gut bemessen und das Leben vortrefflich.
Ich habe gesehen, wie Ihr mit Strolchen umzugehen wisst, und würde Euch gerne unter Sold stellen.“
Eckhard, dessen Geldbeutel in den letzten Tagen sehr an Schwindsucht gelitten hatte, sah hier eine passende Gelegenheit, seine Finanzen etwas aufzubessern, und andererseits praktische Erfahrung im Kriegsdienst des Grafen zu sammeln.
Ein Handschlag besiegelte die Werbung, und Eckhard begleitete den Rittmeister noch eine Weile, bis zwölf Landsknechte für die Garde des Grafen geworben waren.
Eckhard konnte schon jetzt gute Dienste leisten, denn, kaum waren sie in einer Herberge eingetroffen, gewann Eckhard geeignete Gesellen entweder für das Kartenspiel, wobei diese all ihr Geld verloren, oder er verwickelte brauchbare Gesellen in einen Streit, von dem sie erst wieder im Mannschaftswagen des Trosses erwachten, und als geworben galten.
Im Dienst des Grafen
Am Hofe des Grafen zu Leiningen erlangte Eckhard, „Eckhard der Starke“, wie man ihn bald nannte, das Wohlwollen des Grafen, und schon bald die Stellung als Anführer der Garde.
Ein Einsatz folgte dem anderen, und jedes Mal kam Eckhard als der siegreiche Garant für Frieden und Ordnung in die Burg zurück.
Langsam ging das Jahr in den Herbst, und Eckhard besann sich auf den Auftrag seines Vaters.
Er hatte eine Idee.
„Unzufriedenheit und Armut herrschte im Königreich des Vaters, dem könnte abgeholfen werden.
Ja, das ist es, womit ich dem Vater dienen kann, und es wird zum Wohle aller ihm eine große Freude sein.
Er wird erkennen, dass ich der geborene König und ein würdiger Nachfolger sein werde.“
Im Geheimen wählte er aus der Garde des Grafen vierundzwanzig der besten und erfahrensten Landsknechte aus und verließ mit ihnen eines sehr frühen Herbsttages die Burg mit dem Versprechen, eine Räuberbande am Rande der Grafschaft zu vertreiben.
Doch er kehrte nie zurück.
Da auch nicht einer seiner Landsknechte zurückkam, glaubte der Graf, dass die Räuberbande seine Reiter besiegt habe und war in großer Sorge.
Eckhard aber zog mit seinen Söldnern in das Reich seines Vaters zurück.
„Wie schön, dich zu sehen!“ rief der alte König, „wenigstens du bist zurück. Von deinen Brüdern habe ich bis heute kein Lebenszeichen erhalten. Hoffentlich ist ihnen nichts zugestoßen! Aber sag mir, wo ist dein Geschenk, das du mir mitgebracht hast?“
„Ja, Vater“, erwiderte Eckhard, „gib mir zwei Wochen Zeit, und ich werde dir zeigen, was ich für dich mitgebracht habe.“
Zu sich selber sagte er: „Vielleicht habe ich Glück, dass keiner meiner Brüder zurückkehrt, dann erledigt sich alles wie von selbst, und ich werde König im Lande, ob es dem Alten schmeckt oder nicht.“
Da aber noch Zeit war für die Rückkehr der Brüder, zog er mit seinen Söldnern durchs Land und schlug zu, wo auch nur die kleinste Unzufriedenheit im Keim zu ersticken war. Er trieb Steuern bei den Bauern und Bürgern ein, und schon bald füllten sich die Truhen des Königs mit Gold und Silber. Er überfiel zu nächtlicher Stunde fahrende Kaufleute und kassierte enormen Wegezoll. Weigerte sich ein Bauer, den geforderten Tribut zu zahlen oder zahlte ein Bürger oder Kaufmann nicht, wurden Feld, Wagen oder Haus einfach angezündet.
„Damit es euch eine Lehre ist, was dem geschieht, der sich gegen den Befehl des Königs stellt“, so ließ er die Menschen wissen, die verängstigt und arm zurückblieben.
Als nun die Schatztruhen des Königs mit Gold gefüllt waren, ließ Eckhard sie vor den König bringen und sagte:
„Nun, Vater, sieh, wie ich deine Truhen gefüllt habe. Auch gibt es keine aufmuckende Unzufriedenheit mehr in deinem ganzen Land. Das ist mein Geschenk für dich. Habe ich nicht verdient, König dieses Landes zu sein?“
„Gewiss, gewiss“, antwortete der weise König, „augenscheinlich hast du mir ein großes Geschenk gemacht. Aber sind meine Bürger, ist mein Volk auch glücklich? Lass mich durch das Land ziehen, dass ich mit meinem Volke spreche!“
Das war Eckhard verständlicherweise nicht gerade recht. Aber, was konnte er machen. Er besetzte mit seinen Soldaten die ersten fünf Dörfer der Landstraße und verbannte all jene, die unzufrieden waren wegen der hohen Abgaben und Steuern. An ihre Stelle setzte er Diener seines Soldes, ließ alle Häuser der Dörfer auf das Feinste herrichten, bevor der Vater mit ihm an der Seite durch die Ansiedlungen seines Reichs zog. Zwölf Landsknechte Eckhards begleiteten die Königskutsche, zwölf andere waren dem Tross voraus geritten und sorgten dafür, dass fröhlich spielende Kinder und Ehre bezeugende Bürger die Dorfstraßen säumten.
Nachdem der König vier seiner Dörfer erlebt hatte, war er tief beeindruckt und bat den Sohn um Umkehr. Er fühlte sich müde vom huldvollen Winken aus der Kutsche und war sich seiner Sache sicher, dass Eckhard bestimmt der rechte Nachfolger auf seinem Throne sei.
Trotz allem Drängen gab der Vater aber im Moment seinen Thron noch nicht preis, wollte er doch erst noch die Rückkehr seiner anderen Söhne abwarten. Und er tat gut daran.
Die Erlebnisse des Prinzen Gundrum
Gundrum, der schlaueste der Brüder, war weit in fremde Länder gezogen.
Eine Erfahrung nach der anderen lockte ihn weiter, sein Wissen um die Geschicke der Menschen dieser Welt zu erforschen.
In der Alchemistenküche eines sächsischen Quacksalbers namens Böttcher wollte er Gold machen, doch heraus kam nur weißes Porzellan, doch was sollte er mit Porzellan anfangen?
In China lernte er, Feuerwerk zu basteln, und fast hätte er geglaubt, schon das Richtige für den Vater entwickelt zu haben, als er von einem Wettbewerb am Hofe eines indischen Großfürsten hörte, der den klügsten Mann der Welt suchte.
Gold, Silber und Diamanten sollten dem winken, der drei Aufgaben zu lösen wüsste, die der Herrscher gestellt hatte.
Die drei Rätsel
Gundrum bewarb sich am Hofe des indischen Herrschers und fand Zutritt zu den Prunkräumen des Maharadschas von Eschnapur.
„Du, Fremder, glaubst der Klügste zu sein?“ sprach der Maharadscha Gundrum an.
„Nun, dann löse mir folgende drei Aufgaben,.dch wisse, wenn Du es nicht innerhalb eines Tages schaffst, wirst Du Deiner Manneskraft beraubt und musst als Eunuch in meinem Harem dienen!“
Dieser Gedanke ließ Gundrum erschauern, da er sich aber seiner geistigen Geschicklichkeit bewusst war, stellte er sich dieser Aufgabe.
„Wie nun sind die Fragen, die ich zu beantworten habe?“ fragte Gundrum ungeduldig, nachdem sich der Herrscher auf einem weißen Diwan niedergelassen hatte.
„Sieh diesen Wurzelstock, mein Freund.
Sieh diese Astgabel, kannst Du sie entzweibrechen, ohne selbst Deiner Hände Kraft einzuwenden?“
Gundrum nahm die Wurzel in die Hand und sah, dass das Wurzelholz von großer Härte war.
Wieder und wieder gingen ihm die unmöglichsten Lösungen durch den Kopf, aber jedes Mal hätte er selbst mit der Kraft seiner Hände nachhelfen müssen.
„Na, gibst Du etwa schon auf?“ triumphierte der Maharadscha, doch Gundrum gab noch nicht auf.
Er besorgte sich einen Keil getrockneten Holzes, den er zwischen die Gabelung der Wurzel mit leichter Hand befestigte und begann, den Keil immer wieder mit Wasser zu befeuchten.
Endlich war es soweit.
Das trockene Holz des Keils begann sich vollzusaugen und quoll mächtig auf, es quoll derart, dass es die Wurzel mit eigener Kraft zu sprengen wusste.
„Bravo“ lobte ehrlich der indische Herrscher, „aber löst Du auch die zweite Aufgabe?“
Diese bestand darin, einen geborstenen Rosenstock ohne die Kraft eigener Hände zusammenzupressen, auf dass der Stock wieder zu einem einzigen Gebilde würde.
Eine schwere Aufgabe, die ein langes Besinnen erforderte.
Wie konnte er das gesplitterte Holz zusammenbringen, wenn er nicht ein Seil mit aller Kraft fest um den Stock wickeln durfte.
„Wickeln, binden und zusammenziehen,“ grübelte er.
„Das schafft er nie“, dachte der Maharadscha und wunderte sich, dass der junge Mann nach einem Ledertuch fragte.
„Was willst Du mit einem Ledertuch?“ fragte er, „Dir den Schweiß von der Stirn tupfen?“
Gundrum aber schnitt das Ledertuch in kleine Streifen, die er in das Wasser des Springbrunnens tauchte, der den Prunkraum des Palastes erfrischte.
Als das Leder genügend aufgeweicht war, wickelte er es ohne Kraftanstrengung seiner Hände um den Rosenstock und stellte diesen in die heiße Mittagssonne.
Es dauerte nicht lange, und das feuchte Lederband begann sich im Trocknen zusammenzuziehen, Zentimeter für Zentimeter, bis schließlich die Zugkraft so groß wurde, dass der Rosenstock nachgab und sich vereinte.
„Phantastisch gelöst!“ durchfuhr es den Herrscher, „nun aber kommt die schwierigste der drei Aufgaben!“
Eine ganz weißgekleidete Dienerin mit langem Haar, das zu einem Knoten gebunden war, brachte eine kristallene Karaffe auf weißem Tuch, das auf einem weißen Marmortisch ausgebreitet wurde.
Behutsam legte sie ein weißschaliges Ei auf die Öffnung der Karaffe.
„Versuch, dieses Ei in das Innere der Karaffe zu befördern, ohne selbst das Ei zu zerschlagen!“
„Bei Gott“, dachte Gundrum, „das ist wirklich eine schwere Aufgabe.
Wie kann man es schaffen?
Gibt es nicht für alles eine Lösung?“
Und er grübelte mehrere Stunden, nahm zwischendurch einige Happen des im Raum aufgestellten Mahles ein und grübelte weiter.
„Das Ei ist nur wenig größer als die Caraffenöffnung, wie aber soll ich es da hineinbringen, ohne es vorher aufzuschlagen?
Plötzlich kam ihm ein Gedanke.
Unter den wachsamen Augen des indischen Herrschers und zweier Palastwächter, die dieser bereits hinzugerufen hatte, um die bevorstehende Kastration des Fremden vornehmen zu lassen, erbat sich Gundrum einen brennenden Kienspan, den er vorsichtig in die Karaffe gleiten ließ.
Danach legte er das Ei wieder behutsam auf den Spund der Karaffe.
Und siehe da, die sonst harte Schale des Eies verformte sich, gab nach und ließ schließlich das Ei in das Innere des Kristallgefäßes gleiten.
Der Maharadscha war total überrascht.
Das war des Rätsels Lösung.
Der Fremde hatte die Probe bestanden, da gab es keinen Zweifel.
„Nun, mein Freund“, so sagte der indische Herrscher voll echter Bewunderung:
„Du bist wirklich ein gescheiter Mensch, der Klügste, der mir jemals begegnete.
Komm her und geh mit mir in meine Schatzkammer, und nimm Dir so viel Gold, Silber, Edelsteine und Diademe, wie Du und Dein Pferd tragen können, Du hast mich besiegt!“
Der Trick gespielter Bescheidenheit
Gundrum überraschte den Herrscher mit der Vortäuschung von Bescheidenheit, als er sagte:
„Eure Majestät, mein Pferd zu beladen, erscheint mir unver-schämt, lasst mich in aller Bescheidenheit zuerst um die Gunst des Erhabenen bitten, mir nur ein einfaches Maultier zur Verfügung zu stellen.“
„Und er ist doch ein Tor“, dachte der Maharadscha, „nach einem Maultier verlangt er, wo doch ein Pferd viel größer und wertvoller ist.“
Gundrum bekam das bestellte sein Maultier.
Zu spät bemerkte der Maharadscha die Klugheit des Fremden, denn das Maultier, halb Pferd, halb Esel, war das schwere Tragen von Lasten gewohnt, ihm machte es nichts aus, dass man ihm gleich vier volle Säcke mit kostbarsten Juwelen und Edelsteinen auf den breiten Rücken lud.
Was aber blieb dem Maharadscha anders übrig, als den Fremden in Frieden mit all den Schätzen fortziehen zu lassen.
Die Wahl des Maultiers erwies sich auch auf der weiten Rückreise des Prinzen als sehr dienlich.
Kein Mensch machte ihm das Maultier streitig, und wann immer er gefragt wurde, was er denn auf dem Rücken des Lasttieres befördere, erzählte Gundrum von Salz und Kieselsteinen.
Nachts schlief er mit dem Kopf auf den groben Säcken.
So blieb er ungeschoren, bis er im Spätherbst des Jahres wieder im Reich des Vaters ankam.
„Arm und unzufrieden sind die Menschen im Reich meines Vaters“, sagte er sich, und so zog er von Stadt zu Stadt und verteilte seine Reichtümer unter das Volk, das ihm mit großer Herzlichkeit huldigte.
Doch, noch bevor der Prinz wieder zu seinem Vater auf die Burg stieg, und diesem als Geschenk wohlhabende und zufriedene Bürger bescheren wollte, war unter dem Volke ein starker Wandel eingekehrt.
Man möchte es nicht für möglich halten, aber wo gestern noch Eintracht in Armut geherrscht hatte, waren über Nacht mit dem Reichtum Habgier, Missgunst und Neid erwacht.
Manch einer erschlug den Nachbarn, um dessen Hab und Gut zu erhaschen.
Kein Mensch kümmerte sich noch um den anderen, sondern schirmte sich und seine Habe ab.
Die Menschen vereinsamten und waren trotz ihres Wohlstandes in ihren Herzen tief traurig.
Gerade wollte der Vater darüber nachdenken, dem Wunsch seiner Frau nachzukommen und Gundrum als den würdigsten Thronfolger benennen, da erfuhr er von dem Unglück seines Volkes.
Nachdem er bereits zuvor über vertraute Bedienstete erfahren hatte, dass Eckhard nur mit Gewalt dem Volk Hab und Gut abgenommen hatte, wollte er jetzt auch erst einmal sichergehen, dass Gundrums Geschenk wirklich Segen über sein ganzes Land gebracht hatte.
Die Erlebnisse des Prinzen Nikolaus
Nikolaus hatte es nicht weit außer Landes gebracht.
Kaum, dass er die ersten Dörfer des Königreiches zu Fuß durchquert hatte, bemerkte er, dass fast unter jedem Dach ein „Ach“ wohnte.
„Wenn ich diesen Menschen nur helfen könnte“, dachte er bei sich, und ging traurig seines Weges.
So lange sein vorher praller Geldbeutel es hergab, half er wo er nur konnte.
Doch mit einem Taler, den er dort mit praktischer Hilfe erhalten konnte, in dem er bei der schweren Tagesfron half, wenn der Bauer erkrankt war.
Doch leider wuchs das Geld in seinem Beutel nicht nach, und so war er selbst bald auf die Hilfe anderer angewiesen, wollte er nicht verhungern.
Er erreichte schließlich ein Kloster, pochte an das schwere Eisentor, und wurde schließlich gnädig aufgenommen.
Nach einigen Wochen hatte sich Nikolaus gut in das Klosterleben eingewöhnt, ohne selbst zu verraten, dass er einer der Prinzen des benachbarten Königreiches sei.
Seine Demut und Gottesfurcht beeindruckten selbst den Abt, und der Fleiß des Burschen machte ihm viele Freunde, besonders die Bienenzucht und ihre Pflege interessierten Nikolaus, und er sah mit Erstaunen, wie die Mönche des Klosters aus dem Wachs der Bienen wunderschöne große Kerzen machten, mit deren Licht das Kloster erhellt und seine Räume erwärmt wurden.
Schnell erlernte er die Fähigkeit, selbst aus dem Wachs der Bienen schöne Kerzen zu drehen, und ihm kam eine Idee.
Als es Herbst wurde, bat Nikolaus den Abt um Entlassung und dessen Segen.
Statt eines Lohns in Heller und Taler erbat sich Nikolaus lediglich das nötige Taschengeld für die Heimreise, und eine ordentliche Portion Bienenwachs, die er zusätzlich zu den vielen selbst von ihm gedrehten kleinen Kerzen auf dem Rücken eines Esels mit auf den Weg nehmen wollte.
„Eine bescheidene Bitte“, dachte der Abt und entließ ihn mit diesen Gaben und seinem göttlichen Segen.
Wieder im Königreich seines Vaters angekommen, widmete sich Nikolaus ganz dem Zuspruch und der Unterstützung der Bedürftigen, die es nach wie vor reichlich gab.
Er ging fast von Haus zu Haus, und die Kunde von seinen Diensten und guten Taten eilte ihm schon weit voraus.
In jedem Heim, das Nikolaus Hilfe erreicht hatte, ließ der Prinz nicht nur glückliche und dankbare Menschen zurück, sondern auch eine jener schönen Bienenwachs-kerzen.
Er lehrte die Bauern, selbst Bienen zu züchten, Honig zu ernten und aus den Bienenwaben schöne Wachskerzen herzustellen.
Die Menschen bekamen eine Aufgabe, lernten ein gutes Nahrungsmittel und Wachskerzen zu erzeugen, mit deren Verkauf in den Städten auf ehrliche Weise etwas Zubrot zu verdienen war, und da langsam aber stetig die Zeit des Jahres so weit fortgeschritten war, dass man bereits in den Tagen des Advents lebte, stellte er jedem Kranken eine seiner Kerzen in die Kammer und erzählte vom Licht und der Kraft der Liebe, das aus jeder Kerze in die Herzen der Menschen strahlen würde.
Und er sang ein Lied mit einer wunderschönen Melodie zu den Worten:
Du Weihnachtszeit im Glanz der Kerzen, wie strahlt sie warm uns ins Gemüt.
Erwärmt selbst die erstarrten Herzen, dass in uns wieder Liebe glüht.
Im Glanz der Sterne und der Lichter, da kehrt Besinnung auch zurück.
Die Menschen rücken wieder dichter an sich heran und spüren Glück.
In ihre Herzen zieht ein Frieden, den übers Jahr man kaum verspürt, die Liebe Gottes herrscht hernieden, manch kaltes Auge wirkt gerührt.
Könnt uns das Licht doch ganz durchdringen, dass Liebe uns umfangen hält, sie würde uns die Heilung bringen, und damit eine bessere Welt.
Die Menschen hörten ihm schweigend und nachdenklich zu, ja, man versammelte sich, zumindest an den arbeitsfreien Sonntagen des Advents, und zündete Kerzen an, erst eine, dann zwei und schließlich drei.
Nun wusste man, dass die Heilige Nacht vor der Tür stand.
Liebe durchflutete das Land, und selbst in der Burg war die Kunde vom Wohltäter Prinz Nikolaus schon eingetroffen.
Als Nikolaus den Burghof betrat, sah er schon von Weitem Kerzen in den Fenstern strahlen, die Bedienstete am Markt erworben hatten.
Ehrerbietig verneigten sich die Höflinge, als sie den heim-kehrenden Prinzen gewahrten.
Nikolaus ging noch nicht gleich zum Vater, so sehr er es auch wünschte, dem geliebten Vater zu begegnen, doch er hatte sein Geschenk noch vorzubereiten.
In der Mitte des großen Rittersaals hatte er eine prächtige Tanne aufstellen lassen, auf deren Zweigen er viele kleine Wachskerzen befestigte, die er aus dem Kloster mitgebracht hatte.
Äpfel und Nüsse sowie kleine Schleifen zierten den Rest des schönen Baumes, erst, nachdem alle Kerzen am Tannenbaum brannten, lief er zu seinem Vater und führte ihn nach herzlicher Begrüßung mit den Brüdern in den Rittersaal.
„Dies ist mein Geschenk, lieber Vater, nicht viel und nicht sehr wertvoll, es ist ein Weihnachts-baum mit selbst geformten Kerzen, selbst gepflückten Äpfeln und von mir selbst gesammelten Nüssen.
Auf diesem Baum ruht Gottes Segen, der Dich noch lange begleiten möge!“
So einen festlich geschmückten Baum hatten weder der König, noch Eckhard oder Gundrum je zuvor gesehen, so weit, wie sie auch in der Welt herumgekommen waren.
Es war der erste Christbaum, der je ein Menschenauge erfreuen konnte.
Gerührt und sehr besonnen setzte sich der alte König auf seinen Thron und sprach zu seinen Söhnen vor vielen Bediensteten, die voller Ehrfurcht und Erstaunen einen Blick in den festlich geschmückten Rittersaal werfen wollten:
„Hört denn, was ich zu sagen habe!
Jeder von Euch hat sich bemüht, mir Freude nach seinen Möglichkeiten zu machen.
Du, Eckhard hast mit Waffengewalt für die Niederschlagung von Unruhen in meinem Reich gesorgt.
Doch, was blieb?
Armut, Verzweiflung und Not! Wie also könnte ich mich über die vollen Truhen meiner Schatzkammer freuen?
Du, Gundrum, brachtest Reichtum und Wohlstand in mein Land.
Doch was erwuchs daraus?
Neid, Missgunst und Streit.
Wie also soll ich mich über den Wohlstand meines Volkes freuen, wenn Zwietracht und Streit die Frucht wurden, welche aus dieser Saat entspringt?
Du aber, lieber Nikolaus, brachtest das Licht der Liebe ins Land, brachtest Eintracht, Zufriedenheit und stilles Glück in viele Menschenherzen meines Volkes.
Schaut auf die Kerzen in diesem Raume, spürt die Wärme dieses Lichts, das selbst die dunkelsten Ecken unseres Daseins mit Wärme erfüllt.
Das Licht der Weihnacht, das ist mein schönstes Geschenk, und darum soll Prinz Nikolaus König „Nikolaus der Erste“ sein, dem ich hiermit Krone und Zepter meines Reiches übergebe.“
Von diesem Tage an herrschte Frieden im Lande, Bürger und Bauern waren ihres Lebens froh, und jedes Jahr, wenn die ersten Schneeflocken das Land weiß überdeckten, gedachten die Menschen im Königreich der Taten des wohltätigen „Nikolaus I“, der sich zu einem weisen und großzügigen Wohltäter eines ganzen Volkes entwickelte.
Das Brauchtum, zur Weihnachts-zeit einen Christbaum mit vielen kleinen Wachskerzen auf-zustellen, verbreitete sich über das ganze Land und kündet noch heute von der Liebe Gottes, die wie das Licht der Weihnacht tief in alle Herzen dringt, so die Herzen der Menschen denn geöffnet sind.
© 12.09.2024
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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Artur Hüttemann).
Der Beitrag wurde von Artur Hüttemann auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.09.2024.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Artur Hüttemann als Lieblingsautor markieren
An schean Tog
von Franz Supersberger
Eine gewisse Schwermut durchzieht wie ein roter Faden die Gedichte von Franz Supersberger. Verwurzelt im Land Kärnten, schreibt er über Tradition, Alltag, Einsamkeit, Sein und Schein in seiner Umgebung. Die Gedichte enden bisweilen unerwartet lapidar. Eurojournal
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