In einem tausend Jahre alten persischen Volksmärchen wird erzählt, wie sich drei Wanderer Zugang durch ein verschlossenes Stadttor verschaffen wollen. Der Erste, ein Weintrinker, poltert lautstark am Tor und fängt zu fluchen an. Der Zweite, ein Opiumesser, empfiehlt, zu warten, bis wieder geöffnet sei. Der Dritte, ein Haschischraucher, schlägt vor, durch das Schlüsselloch des Stadttors zu schlüpfen.
Was lernt man daraus? Der Erzähler dieser Geschichte hatte offensichtlich keine Vorbehalte gegen die damals verbreiteten Rauschdrogen; deren Wirkungen schienen bekannt zu sein. Einschränkende Vorschriften durch Religion oder Gesellschaft gab es diesbezüglich noch nicht. Die damalige Menschheit folgte einfach dem Verlangen nach Genuss; man lebte von den Ressourcen seiner Umgebung. Von bewährten Angewohnheiten zu lassen, ergab keinen Sinn, und eventuell auftretende Nebenerscheinungen, durch einen überhöhten Konsum verursacht, betrachtete man als Einzelschicksal.
Auf dem Weg von den traumhaften Zuständen von Tausendundeiner Nacht bis in unsere modernen Zeiten hat sich vieles verändert. Ohne jegliche Konventionen lustbetont darauf los zu leben, das würde die komplexe Welt unserer Tage noch weiter ins Chaos stürzen. Es gibt inzwischen viele Gründe, nicht maßzuhalten. Allerdings, die offenen und versteckten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwänge überfordern viele Menschen. Kommt Frust hinzu, ist der Weg frei zu ungehemmtem Konsum, man braucht ein Ventil. Sollten dann noch Gesetze und Erlasse an tatsächlichen Bedürfnissen vorbeiformuliert werden, wird es noch schwieriger. Hedonismus und ein modisches Wunschdenken, auf einen vorgegaukelten körperlichen Idealzustand hinzuarbeiten, lassen die Menschen ihre natürliche Lebensart vergessen. Ihrer Orientierung beraubt, folgen viele den Versprechungen von Ratgebern. Allein die Anzahl an Veröffentlichungen zu einer Diät, immer die aktuelle ist auch die wirksamste, ist unüberschaubar. Ein Leben zu führen, wie zu märchenhaften Zeiten aus Tausendundeiner Nacht, das geht also nicht mehr, das will aber auch niemand ernsthaft. So fing die Menschheit irgendwann an, Geist und Körper durch veränderte Ernährungsgewohnheiten optimieren zu wollen.
Die Maßnahmen eines früheren englischen Herrschers, drei Verurteilte, statt mit dem Tod, mit einer extrem einseitigen Nahrungszufuhr zu bestrafen, klingt absonderlich, soll aber so stattgefunden haben. Der Erste, sollte ein Jahr lang nur mit Tee ernährt werden, der Zweite mit Kaffee und der Dritte erhielt nur Kakao. Wie lange genau diese unglücklichen Menschen durchgehalten haben, ist nicht bekannt. Man weiß nur, der eine verfaulte innerlich, der mit dem Tee wurde fast durchsichtig und der zum Kaffee Verurteilte überlebte das Jahr auch nicht. Es wäre zynisch, dieses als Diät zu bezeichnen, zeigt aber, was am Ende einer extremen Maßnahme stehen kann.
Wenn man zu den gängigsten bekannten Drogen eine eigentlich sympathische Substanz hinzufügt, den Zucker, kommt man zu einer der am weitesten verbreiteten und gesundheitsschädlichsten Drogen überhaupt – natürlich immer nach Paracelsus, Die Dosis macht das Gift. Man stelle sich ein Genuss- oder Arzneimittel vor, das als zu erwartende Nebenwirkungen im Pflichttext auf dem Beipackzettel aufführt:
HEISSHUNGER-ATTACKEN
ADIPOSITAS
MÜDIGKEIT
ANTRIEBSSCHWÄCHE
KONZENTRATIONSSTÖRUNGEN
GESTÖRTE DARMFLORA
PILZINFEKTIONEN
UNREINE HAUT
CELLULITIS
DEPRESSIONEN
ANGSTSTÖRUNGEN
KARIES
Welcher normal denkende Mensch würde sich sehenden Auges mit solch einem Zeug vergiften? Wohl kaum jemand. Und doch geschieht es, jeden Tag, oft bis zum Exzess. In Deutschland nimmt jeder statistisch etwa 40 kg reinen Zucker im Jahr zu sich. Rein rechnerisch bedeutet das, jeder Deutsche ernährt sich in dieser Zeit etwa sechs Wochen lang ausschließlich von isoliertem Zucker.
Eine erforderliche, deutliche Reduzierung dieses süßen Gifts wird selten vorgenommen. Lieber werden optische Mängel, die durch Überernährung entstanden sind, mit irgendwelchen Diät-Programmen der illustren Ratgeberszene bekämpft - immer ohne nachhaltigen Erfolg. Die gesundheitlichen Folgeschäden bügeln dann Mediziner und die Pharmaindustrie wieder aus, falls noch möglich. Eine artgerechte Lebensweise, wie zu Zeiten der Urahnen, die sich an natürliche Ernährungs- und Genussgewohnheiten anlehnt, würde derartige Diäten überflüssig machen. Und zur Belohnung gäbe es ab und an etwas Süßes obendrauf, für das Gemüt. Natürlich immer nach Paracelsus, Die Dosis macht das Gift.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Horst Radmacher).
Der Beitrag wurde von Horst Radmacher auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.09.2024.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Horst Radmacher als Lieblingsautor markieren
Schwarzer Horizont
von Baphomet Marduk
Die Kurzgeschichten Anthologie der etwas anderen Art. Die Palette der Storyinhalte reicht vom Psychothriller über mysteriöse Momentaufnahmen bis hin zu Episoden, in welchen selbst die Liebe ein ausloten der Abgründe des Todes wird.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: