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Es riecht in der ganzen Wohnung nach Pizza. Ich öffne den Backofen, ziehe das Blech heraus, gebe die marinierten Gambas auf die fast fertige Pizza und schiebe das Blech wieder hinein. Jetzt dauert es nur noch ein paar Minuten. Mein enges weißes Kleid habe ich mittlerweile gegen bequemere Sachen getauscht.
Das ist ein seltsamer Samstag, es ist ja fast so, als wäre ich mit einem Mann verheiratet, der gerade die Sportschau guckt, und ich bin die Ehefrau, die gerade kocht. Ist schon irre, aber nicht unangenehm.
Dann fällt mir noch etwas ein: Im vorderen Kofferraum vom Karmann liegt nämlich seit Wochen eine riesige Flasche Rosé, sie stammt noch von Madames Geburtstagparty am Fluss. Ich hatte sie glatt vergessen, nein, nicht die Party, die kann man so leicht nicht vergessen, sondern die Flasche mit dem Rosé.
Ich gehe mit dem Fünfliter-Gebinde ins Wohnzimmer. Ist ganz schön schwer, ich muss es mit beiden Händen tragen, denn die linke Hand tut immer noch etwas weh. Ich reiche die Flasche Hardy zum Entkorken. Kiddie liegt auf seinem Schoß, und Hardy wird bald mit Katzenhaaren übersät sein, aber es scheint ihm nichts auszumachen.
Im Geiste sehe ich ihn vor mir, wie er sich angewidert ein Kiddiehaar von der Jacke zupfte, damals, als wir uns gerade ‚kennengelernt’ hatten. Es war schon schlimm. Und jetzt ist er hier und wird bald meine Pizza essen.
Ich decke den Tisch auf der Terrasse. Es ist immer noch schwülwarm, aber das schöne Wetter wird bald vorbei sein, der Herbst kommt unaufhaltsam und damit auch der Winter. Ich habe schon mit meinem Vermieter gesprochen. Ich kann ausziehen, wann immer ich will, Hauptsache ich stelle einen Nachmieter. Und das kann ich: Die Gegend ist gut, Uniklinikum in der Nähe, Wäldchen in der Nähe, Großpark in der Nähe, also für angehende Ärzte oder Krankenschwestern hervorragend geeignet. Und ich habe schon eine andere Wohnung in Aussicht, nämlich in dem Haus, in dem meine Schwester Donni wohnt. Kleiner ist sie und mitten in der Stadt, aber günstig. Sie hat sogar einen Balkon, leider an der Nordostseite. Schade für mich - und auch für die Katzen, denn sie können nicht mehr hinaus ins Freie. Aber damit müssen sie klarkommen, sind ja schon etwas älter und nicht mehr so wild wie früher, die Süßen.
Wir sitzen auf der Terrasse, und Hardy probiert meine Pizza. „Die ist fantastisch!“, sagt er. „Ich muss mehr davon essen.“
„War ein guter Tag für dich“, sage ich, „zuerst die Krabbenbrötchen, und jetzt die Pizza ...“
„Ja, das stimmt, aber es war nicht nur essensmäßig gut.“
Nicht nur essensmäßig? Was meint er damit?
Ich fange an zu träumen ... Später werden wir vielleicht irgendwelche Freunde besuchen oder ins Kino gehen und dort Händchen halten - oder mehr. Auch nicht unangenehm ... Bin ich jetzt total bescheuert? Vermutlich. ‚Pass auf, Mädel’, Hirn lässt sich hören. ‚Mit Robert wolltest du das alles nicht ...’ Hirn hat recht. Aber Körper hat auch recht. Unentschieden! Aber es gibt bestimmt noch eine andere Ebene, auf der alles stattfindet. Ich kenne diese Ebene nicht und möchte mich auch nicht mit der vertraut machen, denn sie könnte gefährlich werden. Trotzdem ist es verlockend, sich einfach in die dritte Ebene fallen zu lassen. Das sind dann wohl die Gefühle. Und davor habe ich Angst.
Um uns herum breitet sich gerade spätsamstägliche Stille aus. Diese Stille wird seltsamerweise nicht gestört durch den uralten Schlager, der von irgendwoher erklingt und der etwas mit einem Puppenspieler von Mexiko zu tun hat, der einmal traurig und einmal froh war. Und über den wir beide lachen müssen.
Aber als das Lied zu Ende ist, hört man nur noch Kirchenglocken in der Ferne läuten. Es klingt so friedlich.
Ich fühle mich ein wenig verlegen, weil ich Hardy so in meine Tagträume eingesponnen habe und hoffe, dass er es nicht bemerkt hat. Er ist ja unglaublich scharfsinnig. Und scharfsinnlich auch ... Ich fühle wieder dieses Verlangen nach ihm, aber diesmal soll er es nicht spüren. Es war genug für heute, zu viel Intimität! Wie konnte ich ihm nur meine geheimen Plätze zeigen? Das geht keinen was an. Und wieso überrumpelt er mich immer wieder. Das ging los mit seiner Freundschaft zu Ralf und setzte sich fort mit dem Magazine-Konzert in der Zeche Bo. Natürlich hatte es auch Gutes ...
Hardy sieht aus, als wolle er noch etwas sagen, aber dann schweigt er und schaut abwesend vor sich hin.
Ich kann nicht anders und fange wieder an zu träumen. Ich sehe Hardy wie durch einen Nebelschleier hindurch. Er wird mir gleich sagen, wie sehr er mich liebt, das tut er öfter. Er setzt sich neben mich und legt seinen Arm um mich. Er schaut mich mit diesem ganz besonderen Blick an, von dem mir ganz heiß wird und von dem ich weiche Knie bekomme. Er nimmt meine Hand und führt sie an seine Lippen. Dann beugt er sich vor und küsst mich zart auf meinen Mund und dann nicht mehr ganz so zart, mehr verlangend... Irgendwas klingelt hartnäckig in meinem Traum.
„Tony?“
Mühsam wache ich auf und schaue Hardy verwirrt an. „Was ist denn?“ Ich spüre, dass ich rot im Gesicht werde.
„Das Telefon klingelt.“
„Oh!“, sage ich und begebe mich schnell in die Küche, um den Anruf entgegen zu nehmen.
Aus dem Hörer ertönt eine dunkle melodische Frauenstimme „Hier ist Bettina, kann ich bitte Hardy sprechen?“
Ich bin so verblüfft, dass ich der Anruferin keine Antwort gebe. Ich gehe auf die Terrasse, reiche Hardy wortlos den Hörer und ziehe mich dann unauffällig ins Wohnzimmer zurück. Er soll nicht denken, ich wäre neugierig. Aber ich bin verdammt noch mal neugierig! Was zum Teufel soll das? Wieso gibt er anderen Frauen meine Telefonnummer? Und woher wissen andere Frauen, dass er hier ist?
Ich werde allmählich sauer. Bis jetzt habe ich nicht viel mitbekommen von dem, was er sonst noch treibt. Ha, bis auf die überaus hübsche und geile Cousine, mit der er in der Oper war. Ich habe die Gedanken daran genial verdrängt. Habe mich ja selber auch ein bisschen vergnügt mit anderen Männern. Mit Betonung auf ‚ein bisschen’. Das war aber wohl ‚ein bisschen’ zu wenig im Nachhinein. Und vor allem habe ich mich nicht von anderen Männern bei ihm anrufen lassen. Aber mit mir kann er es ja machen!
Und ich dumme Nuss habe ihn in mein Leben gelassen, ihn mit Ralf bekannt gemacht. Und was habe ich dafür gekriegt? NICHTS, nur einen Anruf von einer Frau. Ich werde ihn gleich rausschmeißen, genauso wie ich ihn nach der ersten Nacht rausgeschmissen habe. Es gibt Grenzen! Ich habe in einer Traumwelt gelebt.
Kurz darauf kommt Hardy ins Wohnzimmer. Und teilt mir mit: „Es ist ein Notfall. Ich muss weg. Tut mir so leid, meine Süße.“
Ein Notfall? Was mag das für ein Notfall sein? Ist wieder eine sexuelle Tröstung fällig mit hinterheriger Armumlegung, während die Frau ihm von ihren Problemen erzählt? Ich könnte kotzen! Und ach, es tut ihm leid? Na warte nur ab, wie leid es dir noch tun wird!
„Okay“, sage ich gelassen. Ich werde ihm nicht zeigen, wie sauer ich bin.
„Ich komm nachher wieder, wenn es geht ...“, seine Stimme klingt unschlüssig bei diesen Worten.
„Brauchst du nicht. Ich wollte sowieso noch ausgehen.“ Wollte ich zwar nicht, aber jetzt muss ich ausgehen, denn der Gedanke daran, hier rumzusitzen und darauf zu warten, dass Hardy zurückkommt ... Nein danke! Das haben wir nicht nötig! Wir haben sowas wie ihn nicht nötig! Er ist so überflüssig wie ein Kropf. Kann er überhaupt noch fahren? Himmel, darüber sollte ich mir wirklich keine Gedanken machen!
„Nimm dir doch ein Stück Pizza mit!“, sage ich. Es ist eher hämisch gemeint, aber tatsächlich greift er sich ein Stück Pizza, küsst mich auf die Stirn - und weg ist er.
Na fantastisch!!! Ich weiß nicht, wie ich mich fühle. Jedenfalls schaut die große Flasche mit dem Rosé mich freundlich an - und ich schaue freundlich zurück. Wie viel hat er überhaupt getrunken Er hat bestimmt nur ein Glas getrunken, er ist ja so maßvoll ... Obwohl er in letzter Zeit gar nicht mehr maßvoll war, zumindest nicht in sexueller Hinsicht. Und wieso mache ich mir überhaupt Gedanken über diesen Sack?
Was könnte ich heute Abend noch anstellen? Alles Mögliche und Unmögliche werde ich anstellen.
Gut, erst einmal werde ich mir ein paar Gläser Rosé reinziehen so zum Einstimmen, und dann rufe ich ein paar Leute an. Irgendwie habe ich in Erinnerung, dass jeden zweiten Samstag im Monat in der Zeche Franz eine Art Disco stattfindet, mit gemischter Rockmusik und Tanzen und Saufen und so weiter. Und heute ist der zweite Samstag im Monat, und ich werde dort hingehen und ich werde dort tanzen und saufen und so weiter. Und vielleicht noch viel mehr. Mal gucken ... Und die gemischte Rockmusik könnte ich durch den Alkohol kompensieren.
Ich bin bereit für alles. Von wegen träumen von einer anderen Welt, in der Hardy und ich... Hahaha! Mit Hardy!
Der hat mich nur aufgehalten und behindert, einen richtig guten Mann zu finden, einen Mann, der meine Qualitäten - da fallen mir gerade keine ein - zu würdigen weiß. Ich hasse ihn!
Als Erstes rufe ich Andrea an. Sie ist - oh Wunder - zu Hause und hat Lust mitzugehen. War da nicht was mit einem Trip auf dem Ijsselmeer? Ist mir egal. Dann rufe ich Ralf an. Der will auch mitgehen. Das ist gut, er hat immer so was Beruhigendes.
Danach rufe ich Fredo an, der ist zwar zu Hause, hat aber keine Lust, noch auszugehen. Stimmt ja, ich habe ihn vergrault, bin einfach weggepennt unter seinen Händen. Den kann ich vergessen. Ich versuche Susanne zu erreichen, lasse das Telefon lange klingeln. Keiner da? Also gehe ich kurz bei ihr vorbei. Keiner macht auf. Wo steckt das Mädel? Ich laufe zu Ralfs Wohnung, das dauert eine Viertelstunde und die läuft sich sehr beschwingt, denn der Rosé, ja ... das ist ein ganz besonderer Wein.
Ich trinke bei Ralf noch ein Glas Rotwein und bin sehr schweigsam. Er schaut mich verwundert an, wagt es aber nicht, mich nach dem Grund meiner Schweigsamkeit zu fragen. Ist auch besser so.
„Wir müssen Andrea gleich abholen. Du kennst die ja noch gar nicht. Die ist toll! Hast du noch was zu trinken da, irgendwas Härteres?“
„Ich bin gespannt auf Andrea“, sagt Ralf, es hört sich zwar nicht so an, als wäre er gespannt auf sie, aber er schenkt mir einen Whisky ein, den ich ohne zu zögern hinunterkippe.
„Tony, pass auf!“, sagt er. „Was ist denn los mit dir?“
Ich pruste vor mich hin. „Nichts ist los mit mir, ich will mich nur amüsieren!“ Ralf gibt sich anscheinend damit zufrieden.
Also auf zu Andreas Wohnung, ist nicht allzu weit. Ich gehe neben Ralf her und sehe ihn gar nicht. Bin in üble Gefühle verstrickt.
„Was ist denn los, Tony?“, fragt Ralf mich wieder.
Ich pruste vor mich hin. „Gar nichts ist los, nur der übliche Scheiß, und ich habe die Nase voll!“
Ich merke zwar, wie Ralf mich von der Seite her skeptisch anschaut, aber es ist mir egal. Ich werde mich heute amüsieren!
Bei Andrea trinke ich noch ein Glas Rotwein und es zieht sich hin. Ich achte nicht auf Ralf und Andrea, bin zu versunken in meine Rachegefühle. Dir werde ich's zeigen, du kannst mich doch mal! Also trinke ich noch ein Glas Rotwein. Mittlerweile ist es mir egal, ob Rosé, Rot- oder Weißwein. Schnaps wäre auch nicht schlecht.
Endlich sitzen wir dann im Taxi, es ist halb zwölf - also noch ziemlich früh - und fahren in Richtung Zeche Franz. Ich zahle die Zeche. Zeche, wie sinnig, wieder eine Zeche, in der letzten fand ich es ja supergut - Hardy hinter mir mit seinem Mund auf meinem Nacken und seinen Fingern an meinen Brüsten und dann ...
Nein, ich will nicht dran denken. Ich muss diesen Mist endlich loswerden, ich muss diesen Mann endlich loswerden! Er ist so trügerisch, ich kann ihm verdammt noch mal nicht trauen. Immer wenn es besser wird mit ihm, dann kommt ein gewaltiger Rückschlag auf mich zu. Ich kann das nicht mehr ertragen. Da bleibe ich doch besser alleine für den Rest meines Lebens!
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ingrid Grote).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.09.2024.
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