Ingrid Grote

Schwarze Schwäne-Weiße Schwäne, Teil 38 - FATALE BEGEGNUNGEN


Der Nürburgring ... Es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich ohne Parker am Ring sein werde. Trotzdem fühle ich mich nicht gut, etwas nagt an mir, doch ich verdränge es fürs Erste.
Alles liegt bereit: Ein schwarzes T-Shirt, meine geflochtenen Lederschuhe, die Tarnhose aus dem Army-Shop und als Krönung die Fliegerjacke aus dem Ersten Weltkrieg, die mit dem Rückenriss, den ich mittlerweile kaschiert habe. Ich werde ganz gut aussehen, vielleicht sogar ein bisschen punkig.
Rupert und Betty kommen pünktlich um neun Uhr morgens. Wir brauchen etwas unter zwei Stunden bis zum Nürburgring. Drei Kilometer vorher kann man schon ein gewaltiges Röhren hören. Ein alter Mercedes-Bolide zieht gerade seine Bahn auf der Nordschleife. Ich finde es immer wieder faszinierend, wenn man sich dem Ring nähert. Und wenn man dann endlich da ist, sind schon die Parkplätze überwältigend, was da an prachtvollen alten Automobilen herumsteht, ist einfach irre, und man braucht mehrere Stunden, um sich alle anzusehen und zu bestaunen.
Und dann die Rennen, es ist göttlich, wie diese teilweise doch sehr alten Dinger da rumrasen. Die aus den 60er Jahren sind natürlich richtig schnell, die Lister-Jaguare, Aston Martins, Maseratis, Ferraris und so weiter. Aber am liebsten mag ich die Morgan Threewheeler. Die sind flott unterwegs und und sehen aus wie ein Motorrad mit drei Rädern, wobei zwei davon vorne sind.
Es ist einer dieser goldenen Oktobertage, an denen der Himmel so sagenhaft blau ist, dass man durch ihn schier geblendet wird. Alle Bäume leuchten in bunten Farben. Und die Luft ist still, als atmete man kaum ... Das ist aus einem Gedicht, weiß aber jetzt nicht von wem. Jedenfalls ist es ein überaus schöner Tag, in der Sonne angenehm warm - und im Schatten schon empfindlich kühl.
Später gehen wir in das Restaurant unter der Zuschauertribüne und essen dort. Sehr gemütlich ist es da, und es finden auch gerade keine Rennen statt, die man verpassen könnte.
Danach spazieren wir durch das Fahrerlager. Dort kann man alle Autos von Nahem sehen und ihre Besitzer auch. Die Besitzer grillen sich was oder schrauben an ihren Oldtimern herum. Mehrere Sprachen werden gesprochen - hauptsächlich englisch - und ich kann kaum was davon verstehen, denn es handelt sich wohl um Technik und Motoren.
„Hey Ruppy!“ ruft jemand.
Oh, es ist Parker, er ist alleine da ohne Cornelia, aber zu meinem Erschrecken geht hinter ihm jemand, den ich nur allzu gut kenne in gewisser Hinsicht, nämlich Bruce. Verflixt und zugenäht! Wie ist das möglich?
Bruce will mich vertraulich besitzergreifend in seine Arme nehmen und küssen, aber ich weiche instinktiv vor ihm zurück. Hat Bruce mich nicht verstanden? War er noch zu besoffen dafür? Nicht gut, gar nicht gut ...
Also geselle ich mich zu Parker. „Was soll das?“, frage ich ihn leise. „Wieso ist Bruce hier?“
„Er konnte dich telefonisch nicht erreichen.“ Ich höre aus seinem Tonfall ein Bedauern heraus. Hat er Angst davor, dass ich in andere Hände übergehe? Ich war ja lange Zeit sein Besitz gewesen.
„Oh je!“, sage ich. Aber irgendwie bin ich stolz. Ich habe zwei Männer bei mir, die attraktiv sind, Bruce ähnelt einem Rocksänger, er hat das gleiche Aussehen. Und Parker ist punkmäßig geschoren. Bruce trägt eine wunderbar genarbte Lederjacke, die bestimmt sehr teuer war - und Parker eine kurze Motorradlederjacke, obwohl er gar nicht Motorrad fährt. Dabei fällt mir Susanne ein, die liebt ja das Motorradfahren, und Bruce fährt eine dicke Maschine. Und vielleicht wird's ja noch was mit ihnen. Wäre schön wegen des Kindes, ich glaube aber, dass Susanne auf Dauer mit keinem Mann klarkommen kann.
Egal ... Und ich mit meiner Wahnsinnsfliegerjacke aus dem Ersten Weltkrieg. Parker schaut mich respektvoll an. Er lässt sich von solchen Äußerlichkeiten leicht beeindrucken. Als ob ich irgendwie besser wäre. Und dann auf einmal kommt's mir: Bruce ist ein Spitzname, und der stammt von Bruce Springsteen, wieso bin ich vorher nie drauf gekommen? Er hat in der Band meines Exmanns nämlich Blues gemischt mit Rock gesungen. Was ist wohl sein wahrer Name? Auf seinem Türschild stand als Vorname nur ein B mit einem Punkt dahinter. B. wie Bert, B. wie Bruno. B. wie Baltasar? Und dann erinnere ich mich - oder Hirn gräbt es aus: Bela heißt er in Wirklichkeit. Ein schöner Name, ungarisch irgendwie.
Ich wende mich wieder Bruce zu. Oder Bela. ich mag ihn zwar gern, aber ich muss ihm jetzt beibringen, dass ich nicht die richtige Frau für ihn bin.
„Es geht nicht, glaub es mir endlich, Bela! Du wirst vielleicht ein Kind mit Susanne haben, und auch wenn es nicht dazu kommt, werde ich nie mit dir zusammen sein können!“
Bruce sagt nichts dazu, schaut mich aber verlangend an. So ein Mist, nur eine Nacht hab ich richtig reinhalten lassen, und jetzt hab ich den ganzen Schlamassel dafür am Hals. Und Bela liebt mich nicht, sondern braucht mich nur als Rettungsanker, denn er hat Angst davor, Vater zu werden.
Er versteht es endlich und zieht sich zurück. Natürlich tut er mir leid, aber ich kann nicht anders.
Alles ist wieder normal, und wir wenden uns den alten Rennwagen zu. Ich habe gerade einen Lister Jaguar entdeckt, was für runde Formen außen und innen hat er einen explosiven Motor ... Ich schaue den Lister fasziniert an. Er hat die gleiche Farbe wie mein Karmann, nämlich british racing green. Ich springe auf ein Mäuerchen, um ihn noch besser sehen zu können.
„Kommt hoch zu mir!“, fordere ich die Männer auf. Und tatsächlich steigen sie hoch zu mir aufs Mäuerchen.
„Der sieht so was von geil aus, der Lister Jaguar!“, sage ich zu Parker, der rechts von mir steht. Er lächelt mich an und legt einen Arm um mich, und kurz darauf will ich weg von ihm und wende mich Bruce-Bela zu. Er steht links von mir.
Es ist ein so wunderbarer Augenblick, dass ich es zulasse, dass Bela mich umarmt. Und ich umarme ihn auch, küsse ihn auf seine linke Wange, wobei er mich noch enger an sich zieht, aber das will ich nicht. „Es ist trotzdem vorbei, Bela“, sage ich, befreie mich von seinen Armen, streichele über sein dunkles kurzes Haar, küsse ihn auf seine rechte Wange. Und springe vom Mäuerchen herab. -
Im gleichen Augenblick spüre ich, dass uns jemand intensiv anschaut. Was zum Teufel ...
Ich blicke an Bruce-Bela vorbei und sehe ... Oh nein!
Ich sehe direkt in Hardys Gesicht. Und zwar in seine Augen, diese wunderbaren grauen Augen, die aber jetzt aussehen, als wäre er gerade im Begriff, mich umzubringen.
Entnervt schaue ich zu Boden und hoffe, diese sonderbare Erscheinung würde von alleine verschwinden, denn Hardy hat hier am Nürburgring nichts zu suchen. Der Nürburgring ist einzig und alleine mein Revier! Gut, von Parker mal abgesehen.
„Hallo Tony!“, höre ich. Es ist nicht die Stimme von Hardy – dem Himmel sei Dank, ich habe wohl eine Fata Morgana gesehen, aber die Stimme kommt mir trotzdem bekannt vor.
Oh, es ist die Stimme von Hardys Freund Clem, und der schaut mich gerade so unglaublich zufrieden an wie jemand, dessen arroganter Freund gerade fürchterlich einen draufgekriegt hat. Denn Hardy ist wirklich da. Oh nein!
Ich traue mich nicht, ihm in die Augen zu schauen, aber ich weiß, dass er lächelt. Geradezu wölfisch lächelt. Und das ist ein Zeichen, dass er fürchterlich sauer ist.
Verdammt, das gibt Ärger, großen Ärger ...
Hardy hier am Nürburgring? Das ist unvorstellbar. Was kann er hier wollen? Und hinter ihm erscheinen noch ein paar andere Leute, die wohl zu seinem Mob gehören. Drei Frauen sind dabei, wie ich kurz feststelle. Könnte ich auch dabei sein? Nein, er hat mich ja nie gefragt,. Ob es nun um die Oper ging, um die Zeche Bo, um den Mob oder um den Nürburgring.
Übrigens schaut Cobber Clem immer noch sehr erfreut drein. Ist ja auch verständlich: Die Frau, mit der sein Freund Hardy wohl ab und zu schläft, turnt hier am Nürburgring mit zwei anderen Kerlen rum, die wirklich nicht schlecht aussehen. Ich kann förmlich spüren, wie Cobber Clem aufblüht.
Aber ich? Ich bin erledigt. Das wird Hardy mir nie verzeihen können.
Ich spüre irgendwie, dass sie an uns vorbeigehen, ohne uns weiter zu beachten, außer Clem, der den Kopf zurückwendet und mir zuzwinkert, was ich fassungslos registriere.
Hardy hat kein einziges Wort zu mir gesagt. So, als ob er mich überhaupt nicht kennen würde. Warum muss ausgerechnet der hier den Gerechten spielen?
Doch trotz dieses aufmunternden Gedankens ist der Tag für mich gelaufen. Die Sonne scheint nicht mehr so hell und warm wie noch vor ein paar Augenblicken. Mir ist eiskalt geworden. Kurz gesagt, ich bin geknickt wie eine Blüte im ersten Frost.
Die Gegenwart dieser beiden wunderschönen Männer – der eine ist mein Exmann und mir immer noch ein bisschen zugetan, der andere ist sein Freund, mit dem ich vor einer Woche eine wilde, aber unbefriedigende Nacht verbrachte – all das ist überhaupt nicht tröstlich. Denn ich habe das unbestimmte Gefühl, etwas Kostbares verloren zu haben.
Warum muss ich auch auf einem Mäuerchen rumturnen und das auch noch weithin sichtbar. Das war unübertroffen blöde! Aber so bin ich nun mal. Unübertroffen blöde!
Zwei Stunden später fahre ich schweigend mit Ruppy und Betty nach Hause. Die beiden machen sich auch so ihre Gedanken. „Was ist denn los mit dir? Und war das nicht dieser Mathelehrer, der von deiner Grillparty?“
„Ja, das war er“, gebe ich zögerlich zu, „aber mit dem ist es wohl aus.“
Sie fragen nicht weiter nach und das ist gut so.
Ich will nur noch in mein Bett, um mich dort zu verkriechen, um zu schlafen und um zu vergessen. Beides gelingt mir nicht.
     

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.09.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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