Das leicht raue Papier raschelt leise zwischen deinen Fingern, als du
umblätterst. Deine Augen gleiten über die ersten Zeilen, und für
einen kurzen Augenblick hast du das seltsame Gefühl, dass etwas daran
vertraut wirkt. Du blinzelst, versuchst es abzuschütteln, doch der Gedanke
bleibt wie ein Schatten in deinem Hinterkopf, flüchtig, aber spürbar.
Und während du weiterliest, verstärkt sich dieses leise Unbehagen
– als ob das, was auf der Seite steht, nicht mehr bloß Worte
wären. Die Welt um dich herum wird dumpfer, als wäre sie durch Watte
gedämpft, während das Knistern und Rauschen des Papiers lauter wird.
Die Konturen schwinden, und vor dir breiten sich neue
Sinneseindrücke aus wie eine riesige Decke, die vom Wind in wellenartige
Bewegung gesetzt wird. Eine Bewegung, die du nicht unterbinden kannst. Etwas
mulmig wird dir zu Mute, während das Wissen von etwas Altem, Bedrohlichem,
das dich beobachtet, sich wie ein schwerer Umhang über deine Schultern legt.
Ein Kribbeln auf deiner Haut, das du nicht genau zuordnen kannst,
flutet deine Sinne. Ein Flüstern, ein Hauchen, als hätte sich ein
Schatten über die Zeilen gelegt. War da ein Schatten? Eine Regung in den
Ecken der Buchstaben? Du bist dir nicht mehr sicher.
„Lass die
Maske auf!“, flüstert eine raue Stimme, so nah, dass du spürst,
wie der Atem über dein Ohr streift. Ein Instinkt lässt dich fast den
Kopf drehen, doch du weißt es besser. Dort wird nichts sein. Nichts, was du
sehen kannst. Der Kältehauch, der plötzlich deine Finger streift,
lässt dich schaudern. „Sie dürfen nicht wissen, dass du noch
lebendig bist.“ Die Worte klingen, als wären sie Teil des Textes
selbst, aber sie sind für dich bestimmt. Dieser Text wird das Einzige sein,
das zwischen dir und den Schatten steht – es ist der einzige Schutz, den du
hast.
Das kalte Grauen schleicht sich in deine Glieder, macht sie
schwer und langsam. Das Blut rauscht in deinen Ohren.
‚Es ist
nur ein Buch,‘ sagst du dir? Doch warum pocht dein Herz unruhig, und warum
fühlst du dich beobachtet? Woher kommt das leise Atmen in der Stille? Das
Flüstern neben deinem Ohr?
Ein Knacken – scharf und nah
– durchdringt die Stille, und etwas in dir sagt, dass es kein Mensch war,
zumindest kein Lebender. Das Summen und Knurren wird lauter, als hätte sie
jemand hereingelassen, und die Buchstaben auf der Seite dehnen sich, wirken
verzerrt, bis sie zu Schatten werden. Schemen, die längst vergessen haben,
wer sie einmal waren. Ihre eisigen Blicke bohren sich tief in deinen Rücken.
Ein kaum sichtbarer Umriss huscht über die Seite, und du
hältst unwillkürlich den Atem an. Die andere Welt kommt dir immer
näher, macht dich empfänglich für all das Geisterhafte um dich
herum. Das Knarzen und Knacken. Das Necken und Keckern. Verzerrte Gesichter vor
deinem inneren Auge. Hohnlachende Fratzen. Lange, dunkle Striche, die nur
Erinnerungen sein sollten. Wispern und Raunen. Der beißende Geruch von
Moder und Verwesung dringt in deine Nase, treibt dir Tränen in die Augen. Es
gibt nun kein Zurück mehr. Tobend und jaulend wirbeln sie um dich herum,
wollen, dass du ein Teil von ihnen wirst. Ein Kichern leise und durchdringend
hinter dir, neben dir, dann aus dir!
Dein Blut gefriert in den
Adern, als lange, schmale Finger sich um deine Schulter schlingen. Der jauchzende
Kreis aus Geistern, Ungeziefer und Spukgestalten verstummte jäh.
Ohrenbetäubende Stille breitet sich aus. Ein tiefer Seufzer fährt dir
durch Mark und Bein.
Nein! Schau dich nicht um! Sieh nicht auf! Du
wirst nichts sehen. Es wird nicht da sein, aber es wird dich begleiten, wann
immer du dich in Sicherheit wiegst und nicht hinschaust. Dann wird es das Knacken
hinter dir sein, die Klinge, die langsam heruntergedrückt wird, und die
Tür, die quietschend aufschwingt, nur um ein gähnendes Nichts zu
offenbaren. Es wird das unheimliche Raunen sein, sobald es still geworden ist.
Der Schatten, den du siehst, wird nicht länger der deine sein! Dein Nacken
wird steif? Egal! Du spürst die Hand immer schwerer auf dir ruhen, wie sie
sich fester um dich schlingt. Fast fühlst du schon den stechenden Schmerz,
wenn sich die Finger in deine Haut bohren. Du bildest dir ein, bereits die
Wärme deines Blutes auf der Schulter zu spüren, die taub vor Kälte
war.
Erst als du beginnst die letzten Zeilen zu lesen, spürst
du, wie die Wärme langsam in deinen Körper zurückkehren. Doch die
Stille, die zurückbleibt, ist von einer merkwürdigen Schwere
erfüllt. Du redest dir ein, dass es vorbei ist, aber du wirst es nie wissen
– bis zum nächsten Mal, wenn die Schatten aus dem Nebel steigen und
leise hinter dir flüstern, wenn das Knacken in der Dunkelheit ertönt
und du dich wieder fragst, ob sie wirklich gegangen sind?!
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Phio Asral).
Der Beitrag wurde von Phio Asral auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.10.2024.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Phio Asral als Lieblingsautorin markieren
Mein Weihnachten
von Eveline Dächer
Geschichten und Gedichte zur Weihnachtszeit.
Geschichten, im milden Kerzenlicht zu lesen,
in denen man sich wieder findet, weil sie erlebt wurden,
Geschichten von gestern und heute
Gedichte, die zum Besinnen und Nachdenken anregen,
einfach ein Büchlein, das man nicht wieder aus der Hand legen möchte.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: