Angelika Musche

Eine wundersame Bescherung

Langsam wird es schummrig. Die Zeit der Bescherung ist gekommen. Mutti, Vati und die Großeltern sitzen festlich gekleidet und mit feierlicher Mine am Kamin. Auch Paul musste heute seine beste Hose und den neuen Pullover anziehen.
Dabei mochte er das eigentlich gar nicht. Da musste er sich immer so vorsehen, dass auch ja kein Flecken an die Hose kommt. Wie sagt Mutti immer? "Paul du bist doch schon ein großer Junge, kannst du dich nicht auch einmal so benehmen?" Wie benimmt sich ein großer Junge?
Vati kleckert doch auch manchmal auf seinen guten Anzug. Das finde ich gar nicht fair, dachte sich Paul. Doch das war jetzt nicht wichtig. Die Kerzen am Baum wurden angezündet und die Spannung stieg. Vater verkündete, dass der Weihnachtsmann dieses Jahr sehr in Eile war und deshalb schon letzte Nacht die Geschenke vor die Tür gepackt hat. Vater habe sie am Morgen gefunden und ins Haus geholt. Nach dem Schmücken des Baumes habe er sie dann unter den Baum gelegt.
Paul musste schmunzeln, schließlich wusste er längst das es keinen Weihnachtsmann und keinen Nikolaus gab. Aber das war ihm ja egal, Hauptsache er bekam seine Geschenke. Schließlich hatte er sich viel Mühe beim Schreiben des Wunschzettels gegeben. Nun war es endlich so weit. Paul fing an seine Pakete auszupacken. Seine Bäckchen glühten vor Aufregung.
Im ersten Karton waren Farben, Pinsel und Papier. Was soll das denn, dass hatte er sich doch nicht gewünscht. Er stellte den Karton beiseite und griff schnell zum nächsten Päckchen. Darin waren ein neuer Füllfederhalter und ein dickes Buch auf dem "Mein Tagebuch" stand.
Paul ging zwar in die 2. Klasse, konnte auch schon gut lesen und schreiben, aber Spaß machte ihm das nicht. Was sollte er da mit einem solchen Geschenk? Hatte denn keiner seinen Wunschzettel gelesen? Paul wurde langsam mürrisch und die Tränen standen ihm in den Augen. Doch da war ja noch dieses große Paket, er hatte es sich extra bis zuletzt aufgehoben. Vielleicht waren ja da alle seine Wünsche gemeinsam verpackt.

In dem Karton waren Bausteine aus Holz und Plastik, sogar ein paar Schraubenschlüssel, ein kleiner Hammer, Klebstoff, ein kleiner Schraubstock und was sonst noch alles im Karton war, nahm Paul nicht mehr wahr. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Er ließ den Karton fallen und lief wütend in sein Zimmer. Dort warf er sich auf sein Bett und weinte bitterlich.
Kein Handy, keine Playstation, kein Videorekorder, kein CD Player, nichts von dem was auf seinem Wunschzettel stand hatte er bekommen. Dabei hatte er allen seinen Freunden schon erzählt was er zu Weihnachten bekommen wird. Was soll er ihnen jetzt sagen? Sie werden ihn auslachen. Mutti und Vati kamen ins Zimmer und versuchten zu erklären, dass sie keine Ahnung hatten wie die Sachen in die Kartons kamen. Doch Paul hörte gar nicht zu. Lasst mich alleine, ich will euch gar nicht mehr sehen, schrie er ihnen hinterher.

Nun fingen auch die Eltern noch an zu weinen. Sie gingen wieder ins Wohnzimmer und diskutierten mit den Großeltern, was man denn machen könnte, damit Paul wieder glücklich ist.

Inzwischen war Paul vom vielen Weinen total erschöpft. Er wurde ruhiger und sah plötzlich eine Fee, so eine wie aus seinem Märchenbuch, an seinem Bett stehen. Sie fragte Paul, warum er denn so traurig ist. Paul erzählte von seinem Schmerz und seltsamerweise tat es gar nicht mehr so weh. Die Fee nahm Paul an die Hand und versprach ihm: "ich mache dir das schönste Geschenk, wenn du mit mir kommst." Paul war überglücklich, hatte keine Angst. Und obwohl seine Eltern ihm verboten hatten mit Fremden mitzugehen, hatte er Vertrauen zu dieser Fee.

Auf einmal wurde ihm ganz warm, die Sonne schien und Paul schwitzte. Was war das? Wo war er? Er befand sich auf einem kahlen Platz. Ringsherum spielten Kinder, sie hatten eine schokoladenbraune Hautfarbe. Sie hatten kaum Kleider an, aber alle lachten und waren recht lustig. Sie lachten so, dass Paul davon angesteckt wurde. Die Kinder nahmen Paul an die Hand und wollten mit ihm spielen. Doch Paul verstand ihre Spiele nicht.
Der eine hatte einen alten Autoreifen, den er mit den Händen anschuppste. Der rollte über den Platz und der Junge lief lachend hinterher. Ein paar andere Kinder hockten an einem kleinen Wasserloch. Sie hatten aus Stöckchen und Blättern ein kleines Floß gebaut und versuchten, es von einem Ufer zum anderen zu geleiten. Auch sie waren fröhlich. Paul dachte plötzlich wieder an seinen Schmerz über die misslungene Bescherung. Hätte ich jetzt ein Handy könnte ich wenigstens Mutti und Vati anrufen und ihnen von meinen Erlebnissen hier erzählen. Paul dazu brauchst du kein Handy, sagte die Fee, es wird für immer in deinem Gedächtnis bleiben. Was du einmal erlebt hast kann dir keiner nehmen. Du kannst es erzählen, wann immer du willst.

Die Kinder warfen inzwischen mit kleinen runden Steinchen auf eine Vertiefung im Boden. Noch nie hatte Paul so etwas gesehen. Wie kann man sich über ein paar Steinchen so freuen? Das erinnerte Paul an die Murmeln die er vor längerer Zeit von Oma bekommen hatte. Doch die lagen ganz hinten in seinem Schrank. Keiner von seinen Freunden wollte mit ihm und den Murmeln spielen. Paul zog nun endlich die lange Hose und den dicken Pullover aus. Sie waren ihm viel zu warm. Achtlos warf er die Sachen weg. Doch seine neuen Freunde wussten sofort etwas damit anzufangen.

Mit einer alten Glasscherbe trennten sie die Hosenbeine ab. Aus dem einen Bein machten sie kleine Segel für ihr Floß. Das andere Bein banden sie mit einem Stoffstreifen unten zu und benutzten es als Tasche, zum Sammeln von Stöckchen und Steinen. Das Oberteil zog sich ein Junge als kurze Hose an. Die anderen Kinder bogen sich vor Lachen bei dem Anblick des Jungen mit der ungewöhnlichen Hose. Paul lachte aus vollem Herzen mit. Er ging weiter und sah vor einer Hütte zwei Mädchen sitzen. Sie spielten mit ihren Puppen. Doch die Puppen sahen ganz anders aus, als Paul sie kannte. Der Kopf war eine Kugel aus Gras oder Stroh oder irgendein Lappen. Auch der Körper war aus Tüchern geformt. Die Mädchen spielten innig mit ihren kleinen Püppchen, es machte Paul Spaß zuzusehen.
Sie hatten aus Blättern kleine Betten gemacht. Plötzlich fiel Paul sein Pullover wieder ein. Er rannte zurück und holte ihn. Dann gab er ihn den Mädchen. Sie verstanden sofort. Sie legten ihre Puppen darauf und deckten sie mit den Ärmeln zu. Paul war begeistert von den Ideen der Kinder. Seine Augen strahlten und er hatte längst vergessen das Weihnachten war.

Gern wäre Paul noch bei seinen neuen Freunden geblieben. Noch nie hatte er soviel Wärme gespürt, soviel Freude empfunden und soviel gelacht. Doch die Fee nahm ihn an die Hand und ehe er sich versah, lag Paul wieder in seinem Bett.

Die Tränen waren getrocknet. Er stand auf und zog seinen Jogginganzug an. Dann ging er ins Wohnzimmer wo die Erwachsenen noch immer rege diskutierten. Mutti fragte Paul nach seiner guten Hose und dem neuen Pullover. Paul antwortete ganz kurz: 2da spielen die Kinder in Afrika mit."
Paul umarmte Mutti, Vati und die Großeltern und sagte ganz einfach, "ich habe euch lieb."

Die Erwachsenen verstanden nicht was geschehen war. Paul nahm seine Farben und sein Papier und malte auf was er erlebt hatte. Er malte und malte bis er erschöpft war. Vater trug ihn ins Bett. Morgen werde ich aus den Bausteinen ein Floß bauen. Vati gehst du mit mir an den kleinen Teich und lässt das Floß schwimmen? Der Vater nahm Paul in den Arm und war unendlich glücklich. Vati und wenn wir dann zurückkommen, schreibe ich alles in mein Tagebuch ein. Im Halbschlaf murmelte Paul noch, dass die Fee ihm versprochen hat, dass er sie rufen kann, wann immer er will. Und das sie ihn dann wieder mitnimmt zu den fröhlichen Kindern dieser Welt.

Der Vater ging wieder ins Wohnzimmer zu den Anderen und erzählte von seinem Gespräch mit Paul. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Opa Maximilian sich die ganze Zeit nicht an ihrer Diskussion beteiligt hatte. Er saß in einer Ecke und rauchte genüsslich sein Pfeifchen, dabei schmunzelte er ab und zu.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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