Horst Radmacher

Affe, Vogel, Pfeil und Kreis

Dr. Patrick Burger hatte nur schwache Erinnerungen an diesen Ort. Er war gerade fünf Jahre alt gewesen, als er mit seinen Eltern einige Tage in Tacna, am Nordrand der Atacama-Wüste in Peru, verbracht hatte. Der kleine Junge hatte mit seiner Mutter hier auf den Vater, Jonas Burger, gewartet, der als einer der ersten Läufer überhaupt, die trockenste Wüste der Welt, die Atacama, durchquert hatte. Die klarsten Erinnerung hatte Patrick an Eindrücke aus großer Höhe: In dieser Gegend konnte man die mysteriösen Geoglyphen von Tacna aus Flughöhe am besten wahrnehmen. Von den riesigen Scharrzeichnungen im Stil steinerner Piktogramme hatte er heute noch besonders die Symbole Affe, Vogel, Pfeil und Kreis klar und deutlich vor seinem inneren Auge.

Jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, überflog er wieder diese sogenannten Nazca-Linien. Er war auf dem Weg zu einem archäologischen Kongress an der Universidad Nacional in Tacna. Hier sollte ein internationaler Erfahrungsaustausch über neuste Erkenntnisse stattfinden. Auf der Basis von aktuellen Forschungsergebnissen amerikanischer Wissenschaftler galt es nun, eine exakte Deutung des archäologischen Status' zu bestimmen. Erkenntnisse früherer Jahrzehnte, aufgezeichnet von der deutschen Forscherin Maria Reiche sowie des esoterisch überlagerten Erich von Däniken, waren widerlegt worden. Das Symposium endete mit einem Eklat, die Vertreter der esoterischen Seite hatten lautstark und fast schon übergriffig die Veranstaltung dominiert. Der Geomorphologe Dr. Patrick Burger teilte dieses seinem Auftraggeber, Deutsches Archäologisches Institut in Berlin, mit. Er reiste aus Tacna ab. Allerdings nicht auf direktem Weg nach Deutschland, sondern er folgte Aufzeichnungen seines verstorbenen Vaters in Richtung San Pedro de Atcama, im Norden Chiles. Dieses Oasendorf mit einem hier in dieser Wüste selten vorkommenden unterirdischem Wasserzulauf, inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung gelegen, ist zu einem Ausgangspunkt verschiedenartiger Expeditionen geworden. San Pedro ist zum Basislager, zur Versorgungsstation und inzwischen auch zum Vergnügungsort für Abenteurer jeglicher Couleur mutiert. Um den Ort herum, eine Landschaft wie auf dem Mond. Gebiete, in denen es seit Jahrzehnten nicht mehr geregnet hat. Riesige, in der Hitze flirrende Salzseen reichen bis an die Grenze zu Bolivien, überthront von Fünftausender-Gipfeln der Anden und mehreren Vulkanen. Eine ebenso unwirkliche wie faszinierende Kulisse.

Von hier aus startete Patrick in Richtung des ca. 80 km entfernten Geysirfelds, El Tatio. Für diese Strecke auf dem Altiplano benötigt ein ortskundiger Fahrer mit einem Allradfahrzeug etwa zwei Stunden. Dort endet die befahrbare Piste. Patrick Burger verabschiedete sich hier vom Guide und hatte nun eine Trekkingstrecke von zwei Tagesmärschen vor sich. Die dampfenden Säulen der hoch aufschießenden Fumerolen der Geysire hatte er bald hinter sich gelassen. Hier, auf knapp 3800 m Höhe, gab es bis zu seinem Ziel, die Höhle Ollagüe, keine nennenswerte Ansiedlung mehr. Einzig eine windschiefe Hüttenansammlung andiner Alpaka-Hirten waren die letzten Anzeichen menschlichen Lebens. Auch für Bergwanderer mit guter Kondition bedeutet solch ein Marsch in sauerstoffarmer Gebirgsluft eine enorme Anstrengung. Dr. Burger erreichte den Höhleneingang am frühen Morgen des dritten Tages. Die Weg-Beschreibung seines Vaters hatten exakt den realen Gegebenheiten entsprochen.

Durch einen versteckt liegenden Eingang zwängte er sich ins Innere der Kaverne. Der zitternde Strahl seiner Stablampe wies ihm den Weg, tief in den Untergrund dieses gewaltigen Bergmassivs hinein. Durch eine Art Tunnel erreichte er eine große, fast runde Höhle von beträchtlicher Höhe. Er leuchtete sie aus. Und was er im Lichtkegel seiner Lampe erblickte, verschlug ihm den Atem. Er schaute auf rundum glatte Wände, die eindeutig Bearbeitungsspuren aufwiesen. Vor der Stirnwand lagen quadratische Steinblöcke, wie zu einer Sitzformation angeordnet, alle völlig glatt und eben. Und davor, schräg über dieser 'Sitzgruppe', ein Tableau voller Zeichen und Symbole. Maßstabgerecht, im verkleinerten Format der riesigen überirdischen Nazca-Linien, sah er neben vielen anderen, 'seine' Symbole vor sich: Affe, Vogel, Pfeil und KreisDas alles war nicht im Stil frühsteinzeitlicher Höhlenmalerei der Cro-Magnon-Menschen wie im französischen Lascaux dargestellt. Diese Zeichnungen hier, waren entweder sehr viel älter, oder von einer anderen Spezies als der menschlichen geschaffen worden. Sie wirkten auf ihn wie eine technische Anleitung oder ein Periodensystem. Erich von Däniken, mit seinem esotherischen Geschwurbel, konnte und durfte eigentlich nicht recht haben. Aber falls doch? Oder stand der deutsche Forscher hier vor einer Darstellung unserer Vorläufer in der Evolutionskette, die die Menschheit wiederum als vorläufiges Medium zur Steuerung ihres Systems benutzt hatten? Unvorstellbar.

Patrick Burger spürte jetzt die Erschöpfung. Sauerstoffarme Gebirgsluft und abgestandene Höhlenluft raubten allmählich seine Kräfte. Er schaffte es noch, Proben von den Zeichnungen abzukratzen und einige kleinere der anscheinend sortierten Steinbrocken an sich zu nehmen.Der Weg zurück zum Höhlenausgang wurde zur Qual. Mit großer Mühe kroch er ans Freie. Die Luft war hier klarer, aber viel sauerstoffreicher war sie in dieser Höhe auch nicht. Es war kein geordnetes Gehen mehr für ihn möglich, mehr ein Stolpern, Fallen und Kriechen. Er stürzte und rollte den letzten Hang bis zu den Hütten der Lama-Hirten. Hier verlor er das Bewusstsein. Drei Wochen später erwachte Patrick im Centro Medico Antofagasta an der chilenischen Pazifikküste aus dem Koma. Er wies noch erhebliche Defizite auf, und die Neurologen konnten aktuell keine genaue Prognose über seine Wiederherstellung abgeben. Der deutsche Forscher redete wirr. Begriffe wie, Affe, Vogel Pfeil und Kreis, auf Deutsch gestammelt, waren das einzig Vernehmbare.

Die bei ihm gefundenen Gegenstände wurden nach Deutschland geschickt. Darunter befand sich auch eine Gesteinsprobe, die seine Chefin, Professorin Can Tho, in ihrem Institut nicht identifizieren konnte. Erst eine Begutachtung bei der NASA in Houston brachte ein Ergebnis. Die Proben stimmten zu einhundert Prozent mit denen überein, die die amerikanische Marssonde 'Preseverance' aus dem Jezero-Krater auf dem Mars entnommen hatte. Mögliche Abweichung: none.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.04.2025. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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