Philo Poesie

Ein philosophischer Brief aus Rhodos an Marie


.

Liebe Marie,

diese Zeilen schreibe ich Dir aus unserem Urlaub in Rhodos
und ich hoffe, daß es Dir etwas geht besser, als vor unserer Abreise.
Wir waren gestern den ganzen Tag am Tsambika-Strand, wo wir eine der letzten Liegen ergattern konnten
und abends sind wir mit unseren neuen, netten Urlaubsbekannten in einer höher gelegenen Taverne essen gegangen.
Von dort hatten wir einen wunderschönen Blick auf die Strandbucht von unserem Urlaubsort,
es war Vollmond und mir schien, als ob der Mond mit seinem silbernem Licht das Meer und die Bucht küsste,
es war, als ob sie sich vereinten und als ob sie mir die Hand reichten,
um mich in dieses mystische Bild zu ziehen, damit auch ich ein Teil davon würde.
Ich dachte an Marcus Aurelius, wie er sagte, alles ist wie mit einem heiligen Band verwoben,
langsam konnte ich meine Verbundenheit, die „Sympatheia“ mit der Welt spüren.
Ich fühlte mich zugehörig zu dieser zauberhaften Kulisse, deren Betrachter ich war, was ja nicht unerheblich ist,
denn was wäre eine schöne Melodie, wenn sie von niemanden gehört wird
und vielleicht ist dies ja auch der Grund warum es uns gibt.

Die freundliche Kellnerin, holte mich aus dem Reich der Mystik zurück in die gesellige Runde,
wo ich plötzlich entscheiden sollte, was ich denn essen wolle.
Die Antwort konnte ich ohne ein Studium der Speisekarte geben:
„Bitte einmal Bifteki gefüllt mit Schafskäse, Pommes und einen griechischen Salat“
Das andere Pärchen war verblüfft von meiner schnellen Bestellung,
waren sie doch gerade noch in einer kleinen Diskussion, ob sie noch extra Brot zum Salat nehmen sollten.
Während wir nun auf unser Essen warteten,
erzählte uns der überaus muskulöse und tätowierte Urlaubsbekannte von seinen harten Jahren bei der Bundeswehr,
wie er einmal bei einer Übung aufgrund seiner Statur in einer Röhre steckenblieb
und seine Kameraden ihn dort gerade so wieder herauszogen.
Da wurde mir bewusst, dass ich im Rückblick froh bin,
auch schwierige Zeiten erlebt und gemeistert zu haben,
womöglich wäre ich sonst verwöhnt und undankbar
und könnte die schönen Dinge des Lebens nicht richtig wertschätzen.

Liebe Marie,

wie sollte ich versuchen Dich zu trösten,
wenn ich selbst nicht auch schon dunklere Tage erlebt hätte?
Und sei versichert, manches habe ich vor Dir verschwiegen,
weil mir bis vor kurzem noch die Stimme dabei stockte.
Aber lass mich Dir noch eine andere Geschichte erzählen
um Dich ein wenig von Deinem Kummer abzulenken

Wir waren in einem kleinen Supermarkt, um Mineralwasser einzukaufen,
und unser Mietwagen stand mit offenem Kofferraum direkt vor dem Geschäft im Halteverbot,
niemand hat gehupt oder geschimpft, die Menschen hier sind so freundlich, hilfsbereit,
irgendwie leidensfähiger und gleichmütiger wie in Deutschland.
Wie dem auch sei, wir haben ziemlich viel eingekauft
und selbst die zierliche Tochter vom älteren Ladenbesitzer
schleppte Wasserflaschen zu unserem Auto,
da zog ihr Vater, wie zu seiner Entschuldigung
dass er nicht helfen konnte, sein T-Shirt nach oben
und zeigte uns seine frische Operationsnaht quer über die Brust.

Jeder von uns hat Narben der Vergangenheit
auch wenn man sie auf den ersten Blick nicht sehen kann
aber viele verdrängen und verstecken ihre Verletzungen
um nach außen immer perfekt und stark zu scheinen,
wie aber wollen sie so Heilung finden
wenn sie sich ihrer Wunden nicht bewußt sind ?

Liebe Marie,
ich weiß, wie Liebeskummer sich anfühlen kann
als ob das Herz in zwei Hälften gebrochen ist.
In Japan gibt es eine Kunst, Kintsugi genannt,
in der die Bruchstücke einer zerbrochenen Vase oder Schale
mit Gold glänzenden Zement wieder zusammen gefügt werden
um durch die goldenen Fugen schöner und lebendiger zu wirken wie je zuvor
Du darfst vom Leben nicht erwarten
daß eine neue Liebe Dein Herz wieder zusammenfügt
Du mußt es selbst tun
denn nur die Zeit und Du selbst
können es wieder zusammensetzen
Dann wird Dein Herz
zwar eine Narbe haben,
aber sie wird golden sein

Bis bald,

Dein Andreas

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Philo Poesie).
Der Beitrag wurde von Philo Poesie auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.04.2025. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Philo Poesie als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Auch auf Leichen liegt man weich - Kurzgeschichten von Michael Mews



"Auch auf Leichen liegt man weich" ist eine Sammlung schaurig schöner und manchmal surrealer Kurzgeschichten, in denen Alltagsbegebenheiten beängstigend werden können und Schrecken auf einmal keine mehr sind - vielleicht!

Wir begegnen Lupa, der ein kleines Schlagenproblem zu haben scheint und sich auch schon einmal verläuft, stellen fest, dass Morde ungesund sind, und werden Toilettentüren in Flugzeug in Zukunft mit ganz anderen Augen betrachten.

Und immer wieder begleiten den Erzähler seine beiden guten Freunde: die Gänsehaut und das leichte Grauen ...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Besinnliches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Philo Poesie

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Eine philosophische Kurzgeschichte 1 von Philo Poesie (Besinnliches)
Welttag der Lyrik von Paul Rudolf Uhl (Besinnliches)
Der schwarze Ritter von Bernd Mühlbacher (Fantasy)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen