Die älteren Herrschaften sehen recht jung aus und begrüßen mich gar nicht verwundert. Hat Georg schon Vorarbeit geleistet? Ich bin ihm dankbar dafür. Das alles behagt mir zwar nicht, aber allmählich sollte ich mich daran gewöhnen. Wegen Georg und weil ich ihn liebe. Obwohl ich es ihm noch nie gesagt habe. Na gut, er es mir aber auch nicht.
Meine Orchidee kommt gut an. Ich gestehe aber nebenbei meiner zukünftigen Schwiegermutter, dass ich ganz andere Blumen mag, nämlich leichte Sommerblumen - und vor allem Flieder.
Sie lächelt. „Ich auch“, sagt sie. Und ich fühle mich erleichtert. Die Frau teilt meinen Geschmack und das ist doch schon mal was.
Wir gehen gemeinsam in die Küche. Dort steht Kuchen bereit und Kaffee wird gerade aufgebrüht.
„Ich kenne dich doch, trotz der jetzt dunklen Haare. Du bist während der Ferien immer in Daarau gewesen.“
„Ja, das stimmt. Ich habe als Kind all meine Ferien bei meiner Oma verbracht und ich fand es wunderbar!“
„Jetzt weiß ich es wieder: Du bist die Tochter vom Karl Lundberg! Ich bin mit dem zur Schule gegangen. Das ist ja erstaunlich! Und ich war mit deiner Tante Lisa befreundet, bevor sie in die Stadt gegangen ist. Nein, das stimmt so nicht, sie kommt mich immer noch besuchen. Mindestens einmal in Jahr macht sie eine Tour, die fängt an in Heilbronn, geht dann über Hannover und endet in Daarau.“
„Tante Lisa reist ja gerne. Und sie hat mich zum Lesen gebracht, sie hat ja all ihre Bücher in Daarau gelassen, und ich habe sie alle verschlungen. Hoffentlich hat es keinen Schaden an meiner kindlichen Seele angerichtet.“ Ich muss lachen. „Und ihr Mann, mein Onkel Nobby, der ist einfach nur toll!“
„Oh ja, Norbert ist wirklich ein wundervoller Mann“, schwärmt Georgs Mutter. Sie zieht mich kurz an sich und sagt: „Du kannst mich gerne Hilde nennen.“
„Ich kann es versuchen. Himmel, wenn ich gewusst hätte, dass Georg mich zu euch schleppen will, hätte ich mich respektabler angezogen und hätte Zuckerkuchen und wunderschöne Blumen besorgt.“
„Du siehst entzückend aus, mein Kind! Diese an sich männliche Army-Hose macht dich sehr weiblich, macht dich verletzlich - und das mögen die Männer.“
„Echt jetzt? So habe ich das noch nie gesehen. Ich finde sie einfach nur praktisch.“ Die Frau ist gut und ich mag sie, obwohl mir bestimmt noch weitere Prüfungen bevorstehen.
Wir gehen zusammen ins Wohnzimmer, dort sitzen die Männer und schauen uns gespannt an. Haben die Angst, dass Hilde und ich uns in die Haare geraten sind?
„Weißt du, wer das ist, Heinz?“, fragt Hilde ihren Ehemann. Heinz schüttelt seinen noch gut behaarten Kopf. Georg wird also keine Glatze kriegen, obwohl mir das egal wäre.
„Das ist die Tochter vom Karl Lundberg - und somit auch die Nichte meiner Freundin Lisa!“
Heinz nickt zustimmend. Er hat bestimmt keine Ahnung, von wem ich abstamme, aber ich glaube, er wird mich mögen.
Ich setze mich neben Georg auf das Sofa, es ist zwar modern, aber auch komfortabel. Und das gefällt mir.
Hilde fragt mich, wie ich den Abschied aus der Großstadt verkraften könnte.
Ich sage: „Ist nicht so schlimm, nur die großen Kaufhäuser werden mir fehlen.“
„Ach das! Stimmt ja, in Daarau und Umgebung kann man kaum gute Sachen kaufen, aber du kannst ja öfter hierhin kommen, ich zeige dir dann die großen Kaufhäuser.“
Ich schaue sie dankbar an und lächele ihr zu. Sie hat kleidungsmäßig einen guten Geschmack, dezent ist er, sportlich und trotzdem elegant. Himmel, sie müsste doch schon über fünfzig sein, hat aber immer noch eine gute Figur.
„Und die kulturellen Sachen? Wird dir da nicht etwas fehlen?“
Ich wusste doch, dass da noch was kommt. Nämlich Kultur ...
Also sage ich: „Die Kinos werde ich kein bisschen vermissen, aber die Leihbüchereien schon. Davon gibt es im Umkreis von Daarau nicht viele.“ Dann fällt mir noch ein: „Und ich würde liebend gern mal eine Opernaufführung sehen, das habe ich bisher versäumt. Ich habe andere Musik bevorzugt, neuere ...“
„Das ist ja interessant. Und schwebt dir eine bestimmte Oper vor?“
„Ich glaube“, sage ich nach einiger Bedenkzeit, „es ist ‚Lucia di Lammermoor’. Mein Vater hatte eine gewisse Arie auf einer Schallplatte und ich konnte diese Arie nie vergessen.“
Hilde schaut mich erfreut an. „Falls es jemals hier im Programm kommt, dann wirst du diese Oper sehen. Hast du sonst noch klassische Vorlieben?“
„Ich hab noch nicht viel kennengelernt. Aber Schubert liebe ich und Vivaldi und Händel auch. Und Meister Bach natürlich. Und alle italienischen Komponisten mit ihren Opern. Beethoven? Weiß ich noch nicht.“ Wie gut, dass ich alles im Radio hören konnte, Klassik, sowie auch John Peel's Musik mit wirklich irren neuen Sachen. Hoffentlich gibt es im NDR ähnliches.
Hilde schaut mich daraufhin beeindruckt an. Woran liegt das? Vielleicht weil ich mich hilfesuchend an Georg schmiege?
Später in der Küche - ich habe darauf bestanden, das Geschirr abzutrocknen - fragt Hilde mich unerwartet: „Wirst du mir Enkel schenken? Meine Tochter Dagmar ist ja zu faul dazu, die fährt lieber mit ihrem Mann in Urlaub.“
Stimmt ja, Georgs jüngere Schwester lebt im Nachbardorf - und ich werde sie bald kennenlernen bei diesem Fußballspiel.
Oh je, auf diese Frage bin ich nun gar nicht vorbereitet, da kann ich mir mein musikalisches Halbwissen an den Popo stecken, denn jetzt kommt die Realität auf den Verwandtschaftstisch. Was soll ich sagen? Und was will ich überhaupt?
Zögernd fange ich an: „Noch nicht sofort vielleicht, aber Georg ist der erste Mann, mit dem ich mir das vorstellen kann. Ich glaube, ich bin bereit dazu. Aber will er das auch? Himmel, er war doch der totale Junggeselle ...“ Ich glaube, mir steigen Tränen in die Augen, aber ich kann sie gerade noch unterdrücken.
„Mach dir keine Sorgen deswegen, meine Tony! Ich habe gesehen, wie Georg dich angeschaut hat. Und ich glaube, ich werde dich sehr lieb gewinnen, mein zukünftiges Töchterchen.“
„Mein Stern, du tust dich mit meiner Mutter zusammen?“
„Warum auch nicht? Du hast mich ja hineingeworfen in den Familienkrempel. Aber deine Mutter ist schon toll, sie interessiert sich für Literatur und Musik genauso wie ich. Wo also ist das Problem?“
„Du wirst mich alleine lassen, wenn du mit ihr in die Oper gehst!“
„Quatsch, du willst doch lieber in der Kneipe mit deinen Kumpels Karten spielen und saufen.“
„Stimmt, mein Stern, ich werde von meiner Frau nicht in kulturelle Veranstaltungen geschleppt, ich darf stattdessen in einer verräucherten Kneipe Karten spielen und saufen. Weißt du was: Ich bin verrückt nach dir, Tony!“
„Und ich bin verrückt nach dir, mein King. Ich will aber keinen unzufriedenen Mann, der nur mir zuliebe eine Oper anschaut. Und du willst sicher keine Frau haben, die dir bei deinen Männerabenden in die Schnapsgläser guckt ...“
„Ich will nicht, dass dich jemand anbaggert!“
„Warum bin ich überhaupt in Discos gegangen, um Männer abzugreifen? Die Oper wäre doch viel besser gewesen.“ Ich muss bei diesen Worten lachen.
„Verarsch mich nicht, es ist mir ernst damit!“
„Gut, beim ersten Mal darfst du mitkommen und danach gucken wir mal.“
Ich streichele seine Hand, er schaut kurz zu mir hin und sein Blick ist so liebevoll, dass ich einfach nur glücklich bin.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.04.2025.
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Mittagsläuten
von Maike Opaska
Weil ich das Verschwenderische des Lebens begriffen habe, die Extreme erkannte und über den Weg von einem zum anderen nachzudenken anfing, weil ich verstand wie elend es ist, wußte ich auch, wie schön es ist und weil ich erkannte, wie ernst es auch ist wußte ich auch wie fröhlich es ist.
Und weil ich begriff wie lang und wie kurz der Weg zwischen beiden ist, nahm ich ihn auch wahr und so ist mir heute jeder Schritt es wert eingehalten zu werden, weil hinter jedem Ereignis sich ein anderes verbirgt und sichtbar wird.
Und deshalb schrieb ich diesen Gedichtband.
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