Petra Schwarz-Gerlach

Nachtflugverbot zur Walpurgisnacht?

Hexen!

Hexen, wohin man sah.

Kleine … große … in Lumpen … in lila ... auf Besen und Postkarten … zwischen Schinken und Wurst … an Hauswänden …

Selbst der Typ mit der roten Haut und dem schwarzen Zottelfell lugte immer wieder heimlich um die Ecken.

Verwundert schlenderten wir bei schönstem Frühlingswetter durch den Kurort Braunlage.

„Es ist doch gar nicht Halloween.“

„Aber Walpurgisnacht ist bald.“

„Ah, deshalb versammeln sie sich schon mal in der Nähe des Brockens.“

Wir schmunzelten über die vielen Figuren, die abflugbereit auf ihren Besen hockten, konnten uns aber nicht entscheiden, eine von ihnen mit nach Hause zu nehmen.

Langsam wurde es dunkel.

Auf der Suche nach einem Bier und einer Sportsbar, die hoffentlich Fußball-Bundesliga-Spiele zeigen würde, durchstreiften wir den Ort.

Plötzlich spürte ich ein merkwürdiges Kribbeln im Nacken, als wenn mich jemand beobachtet. Suchend schaute ich mich um.

Irgendein Bekannter, der ebenfalls in Braunlage Urlaub macht?

Ich konnte aber niemanden entdecken.

Nur die Augen der Hexen schienen mich anzufunkeln.

Das Kribbeln blieb.

 

... / …

 

Mit Anbruch der Nacht kletterte der volle Mond über den Wurmberg.

Leben kam in die vielen Holz- und Plastikhexen. Selbst die uralten Figuren an den Häusern räkelten sich.

„Heute Nacht“, flüsterten sie sich zu, „bei der Hexenbuche am Kreuzweg!“

Wispern und boshaftes Kichern kroch durch den Herbstabend.

 

Früher als üblich - lange vor Mitternacht - verließen die Hexen den ihnen zugewiesenen Platz in den Läden der Menschen.

Nur ihr Schattenbild und ihre Besen blieben zurück.

Zu Fuß machten sie sich auf den weiten Weg zu ihrem Treffpunkt.

 

Vieles mussten sie sich im Laufe der Jahrhunderte von den Menschen gefallen lassen, aber das ging nun entschieden zu weit!

Aufgeregtes Keifen hallte bald durch den nächtlichen Wald.

„Das lassen wir uns nicht bieten!“

„Wie sollen wir nur unsere Bosheit verbreiten?“

„Schließlich können wir uns doch nur nachts in die Luft erheben!“

 

Dumpf polterte es in den Tiefen des Berges, als das Nachtgestirn sich gerade in den Ästen der alten Bäume verfing.

Das aufgeregte Stimmengewirr erstarb. Kaum ein Atemhauch war noch zu vernehmen.

 

Aus dem Spalt der geborstenen Hexenbuche quoll gelblicher Dunst hervor. Ein fürchterlicher Gestank nach faulen Eiern durchzog durch die Nacht. Feurige Augen und zottiges Fell folgten.

 

„Meister! …“

„Gebieter! …“

Kreischend warfen sich die Hexen in das tote Laub der Bäume, das die Erde bedeckte.

 

„Hallo meine Hübschen.“

Der Nebel formte sich zu einem schlanken Mann in knackengen Lederhosen.

Das dunkelrote Hemd stand weit offen. Nur sein starkes, leicht angesengtes Brusthaar verriet seine Herkunft.

 

Breitbeinig baute er sich vor ihnen auf und ließ seine stechenden Augen über die zahlreich versammelten Frauen jeden Alters schweifen.

„Ihr habt mich gerufen. Nun kommt zu mir.“

Einer seiner Gehilfsdämonen überbrachte ihm vor kurzen eine merkwürdige, aber dringende Nachricht der Brockenhexen. Nun war er neugierig, was so wichtig wäre, dass sie um sein persönliches Erscheinen baten.

 

Auf dem Boden kriechend näherten sich die Hexen vorsichtig.

 

„Erhebt euch und erzählt.“

Sie setzten sich dicht an dicht in einem Kreis zu seinen Füßen.

„Was hat euch denn in solch große Aufregung versetzt?“

 

„Die garstigen Menschen!“

„… neue Gesetze …“

„Verbote!“

Gellend prasselten die Wortfetzen auf ihn ein.

 

Der Teufel hielt sich die Ohren zu.

„Halt!“, donnerte er und stieß seine Gabel kräftig in Buche.

„Nicht alle auf einmal!“

Erschrocken schwiegen die Hexen.

„Du!“ Er zog die Gabel wieder aus dem Baum und zeigte nun auf eine junge Rothaarige.

„Orthilda, du wirst mir berichten.“

Stolz, von ihrem Meister auserwählt worden zu sein, erhob sie sich und reckte ihm ihre üppige Brust entgegen.

 

„Warte!“, unterbrach er sie, bevor auch nur ein Wort über ihre Lippen kam.

„Schscht! Da schleicht jemand durchs Unterholz!“

Alle Augen wandten ihren giftigen Blick in die Richtung der verdächtigen Geräusche.

 

Rascheln …

Knackende Zweige …

Ächzen …

 

Die alte Berta bannte sich keuchend auf ihren Krücken einen Weg durch das Gestrüpp.

Der Teufel atmete ärgerlich auf.

„Aber Bertel, du bist spät!“, tadelte er sie.

„Ach, mein Höllenfürst, ich bin halt nicht mehr die Jüngste“, schniefte sie. Lautstark schnäuzte sie in ein rot kariertes Taschentuch.

„Meine Knochen brauchen länger für den Weg.“

Erschöpft ließ sie sich auf einen bemoosten Baumstamm plumpsen.

 

„Warum kommst du nicht geflogen? Wo ist dein Besen?“

Der Teufel trat näher zu ihr. In seinen Augen glühte drohend das Höllenfeuer.

 

Orthilda trat schnell zu der Alten und legte ihren Arm um sie.

„Das ist ja das Problem. Wir dürfen nicht mehr fliegen!“

„Wie bitte? Ihr dürft nicht fliegen?“

Es verschlug ihm für einen Moment die Sprache.

„Welcher meiner Möchtegern-Teufel hat es euch verboten?“

Er schäumte vor Wut über diese Anmaßung.

 

„Nein, nein. Keiner deiner Unterstellten. Die Menschen waren es!“

Wieder erhob sich ein empörtes Gekreisch.

Der Höllenfürst kratzte sich nachdenklich seinen Ziegenbart.

‚Welche meiner gekauften Seelen sitzt in der Position, solch ein Verbot für meine Hexen zu erlassen?’

 

„Ruhe!“, donnerte er. „Orthilda, was ist hier los!“

Die Rothaarige trat zu ihrem Chef, strich sich mit einem wollüstigen Lächeln die Locken aus der Stirn und begann:

„Also, die Menschen haben beschlossen, dass nachts nicht mehr geflogen darf. Nachtflugverbot nennen sie es. Sie wollen in ihrem Schlaf nicht gestört werden.“

„So was von egoistisch!“

„Unerhört!“

„Rücksichtslos!“

 

Entnervt vom Durcheinander bohrte sich der Teufel in der Nase.

„Ein Nachtflugverbot?“, vergewisserte er sich ungläubig.

„Ja, ja, ja …!

„Auf wessen Mist wächst solch eine Teufelei?“

Er dachte nach.

„Sie meinen doch sicher nur ihre seltsamen Flugmaschinen, die wahrlich einen Höllenlärm machen, sehr zu meiner Freude.“

Er grinste.

 

Orthilda versuchte sich wieder Gehör zu verschaffen.

„Schon möglich, aber sie haben das böse Bannwort benutzt!“

Bei dieser Bemerkung jaulten die Hexen entsetzt auf und hielten sich die Ohren zu.

 

‚Dann kann es nur ein Insider gewesen sein!’

Ratlosigkeit überfiel den Oberteufel.

‚Oder sollte ganz rein zufällig irgendjemand diese Worte ausgesprochen haben?’

Wieder kratzte er sich am Kopf.

Er musste der Sache auf den Grund gehen und gewissenhafte Nachforschungen anstellen.

‚Die Folgen wären ja unabsehbar …’

„Bei allen räudigen Dämonenschwänzen der Unterwelt! So haben wir nicht gewettet!“, fluchte er leise.

Schon wandte er sich wieder dem Spalt in der Buche zu, um sich auf den Rückweg in die Hölle zu machen. Er würde den Laden erst mal gründlich aufmischen müssen, um den Übeltäter zu finden.

 

„Was sollen wir nur tun?“, wollten die Hexen jedoch lautstark von ihm wissen und griffen nach ihm.

„Fordern wir ein Hexenbegehren!”

„Papperlapapp! Was soll das sein?”

„Na, eine Abstimmung oder so was.“

„Unfug!“

Der Teufel wurde ungeduldig.

„Ihr seid doch Hexen – oder kriegt ihr das nicht mehr hin?“

„Doch …

„Na klar … „

„So eine Frage …“

 

„Überschüttet sie für’s Erste mit Wetterplagen! Rührt in euren Kesseln einen starken Regen an …”

 

…/…

 

Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf auf.

„Was für ein seltsamer Traum“, dachte ich kopfschüttelnd.

Das Volksbegehren gegen Nachtflug in Brandenburg fiel mir ein, das ich noch nicht unterschrieben hatte.

 

Ich trat ans Fenster.

Draußen regnete es in Strömen.

Schöne Aussicht auf drei Tage Wanderurlaub im Harz!

 

P.S.

Bevor Fragen aufkommen, was denn das Bannwort ist – ich weiß es auch nicht. Aber ich bin dankbar für sachdienliche Hinweise.

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