EMUT – Epic Music Tales
Die epischsten, längsten Rock- und Popsongs aller Zeiten!
Legenden besonderer Länge.
"Drei-Minuten-Wunder" nannten DIE TOTEN HOSEN "gewöhnliche", konventionelle Pop- und Rockmusik-Songs in ihrem schlicht "Popmusik" genannten Lied, in dem es heißt: "Du bist zu alt für Popmusik" (erschienen 2005 auf "Nur zu Besuch – Unplugged im Wiener Burgtheater"). Schließlich handelt es sich um eines, das vom Älterwerden handelt, wenn man – theoretisch jedenfalls – beginnt, alte geliebte Lieblingslieder nicht mehr recht zu mögen – und auf "Jazz" oder "Klassik" umzusteigen, so der amüsante Songtext weiter. Wird mir ziemlich wahrscheinlich nicht passieren, doch: Normale Lieder erzählen kürzere Geschichten. Hier dreht sich alles um langwierige Lieder, die weder radiotauglich sind noch dort (meist) gespielt werden. Etwa MEAT LOAFs "I'd Do Anything For Love (But I Won't Do That)" (1993) ist in seiner vollen Albumlänge exakt epische 12 Minuten zeitspannend, und wird deshalb sogar auf Kompilationen und Samplern auf ein erquickliches Maß von etwa 4-5 Minuten gestutzt.
In dieser Datei dreht sich alles um die Art Songs, welche moderne Hörer, insbesondere einer sehr jugendlichen Generation, allein schon aufgrund ihrer Überlänge maximal (über-)fordern. Wenn sie sie nicht geradeheraus triggern, da sie Themen behandeln, die die modernen Dumpfbacken nicht kapieren. Die Aufmerksamkeitsspanne dieser jungen Hüpfer, die selbst für "normale" ca. 3-Minuten-Songs zu gering ist, ähnelt der eines Eichhörnchens – und die geistige Aufnahmekapazität übersteigt die von drei Meter Feldweg keineswegs – von erfrischenden Ausnahmefällen einmal abgesehen. Stubenfliegen sind zudem mit einem besseren Gedächtnis (7 Sekunden Kurzzeitgedächtnis, kein Langzeitgedächtnis) und mehr Kombinationsgabe ausgezeichnet.
Wenden wir uns den erfreulichen Zeitgenossen zu: Euch, liebe Leser, die nicht nur in der Lage sind, einen komplizierten, langen Text zu lesen und verstehen, sondern zudem Musik-Epen zu schätzen wissen, deren Länge mindestens die doppelte eines durchschnittlichen Popsongs beträgt.
Die Einteilung nahm ich nach den folgenden Kriterien vor:
Ein epischer Pop- oder Rocksong dauert mindestens: 5 Minuten. Die Themen sind vielfältig aber beliebig, komplexe Lyrik wechselt sich mit komplizierten Rhythmen, Riffs und Harmonien ab, oftmals kommen Stil- und Tempowechsel in den Songs vor – und/oder sie sind in mehrere Sequenzen mit unterschiedlicher musikalischer und/oder thematischer Schlagrichtung aufgeteilt. Wie üblich, werde ich nicht nur sehr bekannte internationale Musikstücke hier besprechen, sondern auch einige in deutscher Sprache.
1954 – BB KING – "Everyday I Have the Blues" (05:02)
Zu meiner Schande eingestanden: So oft höre ich den schmusigen und versierten Blues-Sänger BB KING nicht mehr, da es so viele andere schöne Musik zu entdecken gibt, jeden Tag mehr. Doch sollte ich eines meiner absoluten Lieblingslieder küren, sollte ich eine Liste mit den hunderten von wunderbaren Songs fast jeden Genres erstellen, die ich über alle Maßen liebe und am liebsten 24/7 in meinen Ohren und gewiss in meinem Herzen hätte, so gehörte ganz gewiss diese Big-Band-Nummer mit jazzigen Elementen dazu, die etwas mehr abgeht als etwa "The Thrill is Gone" (siehe weiter unten). Die Big-Band-Bläsersektion, der Piano-Player, schließlich KINGs voluminös-volle, fett coole Blues-Stimme, das alles, das einen direkt zurückversetzt in eine Retro-Stimmung eines leicht verrauchten aber stilvoll und gemütlich eingerichteten 50er-Jahre-Lounge-Cafés, eines Clubs mit großer Bühne für Auftritte von Comedy-, Country- und Bluesgrößen. Der typische Blues-Text geht mächtig rein, ich schwinge gern mit und versuche, mit der Phrasierung des Südstaaten-Dialekts einzusteigen: "Everyday, everyday, everyday I have the blues – Ooh, everyday, everyday I have the blues – When you see me worryin' baby – yeah, it's you I hate to lose", "…yeah, I gonna pack my suitcase – walk down the line…". Auch wenn sich der Text, der insgesamt etwas sehr kurz für ein 5-Minuten-Lied ist (dieses schafft es ja nur knappe 2 Sekunden über die Linie meiner Kriterien für ein episches, langes Lied), sich stetig wiederholt, zumindest in seinem Refrain, falls ein solcher überhaupt existiert, bleibt es fetzig, mitreißend und stimmungsvoll bis zum Schluss. Es ist ein kleines Meisterwerk, das unter den vielen Rock'n'Roll- und Bluesstandards und allem Rockabilly hervorragt. Pflegen wir unsren täglichen Blues mit Herrn KING. MM
1967 – THE BEATLES – "A Day in the Life" (05:39)
Leicht verhärmt wabern erste, elektronisch verfremdete Gitarrenklänge behutsam über die Szenerie, bauen sie langsam auf, bevor JOHN LENNON mit hallunterlegter Stimme die ersten Zeilen zaghaft anstimmt: "I read the news today, oh boy…" Eine der besten Psychedelic-Rocknummern fängt an, ihren Zauber zu entfalten. In der ersten Strophe des schlaglichtartigen Sittengemäldes, das hier ausgebreitet wird, hört man die kurze tragische Geschichte eines Mannes, "who made the grade", der also zu gewissem Erfolg – und wohl Wohlstand – gekommen war und sich dann später, in seinem Automobil, aus nicht näher spezifizierten Gründen die eigene Rübe mittels einer Wumme wegballerte. Das Bizarre und Traurige liegt in der Gleichgültigkeit der Umstehenden, denn Schaulustige scheinen das Ganze anzusehen und nicht einzugreifen. Schon 1967 war die Welt nicht so in Ordnung, wie man sie im Nachhinein sich ausmalte: Auch in Prä-Smartphone-Ären gab es Leute, die den Selbstmord eines Menschen nicht verhindern. "A crowd of people stood and stared – They'd seen his face before" heißt es – und ja, doch "nobody was really sure if he was from the House of Lords", also: "Niemand war sich wahrlich sicher, ob er aus dem Oberhaus (des britischen Parlaments) stammte" (und man ihn daher kannte)…
Sehr unheimlich. Doch dann entwickelt sich das Lied in Strophe 2 zu einem veritablen Antikriegslied: Nachdem sie gesungen ist, ruhig und besonnen, fast "teilnahmslos" wie die erste, kommt es zur für damalige Verhältnisse revolutionären Idee der BEATLES, der "Pilzköpfe", reale Kriegsmaschinengeräusche wie ein störendes Kakophonie-Element mit einzubauen, gemixt mit einem üblen Getöse, das jäh wieder der cleveren dynamischen Instrumentierung Platz macht: Von verhaltenen Keyboard-Klängen und einem verhaltenen Midtempo-Schlagzeug, das in etwas schwerfällig rumpelnde Epik übergeht, begleitet, kriegt man die dritte Strophe auf die Ohren, in deren weiterem Verlauf man den Alltag irgendeines Arbeitnehmers, dem lyrischen Ich in diesem Fall, geschildert bekommt, wie er jedermann mal vorkommen könnte: Aus dem Bett gefallen, rasch gekämmt, was getrunken, schnell auf die Uhr geguckt, mehr oder minder erschrocken festgestellt, spät dran zu sein, schon geht’s los: Mantel geschnappt, raus, gerade noch den Bus geschnappt (man hört ein leises Keuchen, das die Atmosphäre realistisch wirken lässt), noch eine geraucht, dann ab ins – vermutlich büroartige – Arbeitsumfeld – nicht näher beschrieben. Alles kommt einem unwirklich vor, wie ein – psychedelischer? – mindestens eigenartiger Traum, in Distanz zum Kriegsgeschehen im Kontrast zum Arbeitsalltag eines "normalen" Briten. Der das Kriegsgeschehen nur wie einen "Film" am Rande mitkriegt: "I saw a film today, oh boy – The English Army had just won the war". Alles ist so fern vom normalen Bürger, immer irgendwie.
Die irritierenden, zwischen fast orchestralen aber absichtlich mit Misstönen, allerhand Dissonanzen aufgepeppten Bläser und andere "Wall of Sound"-artige Klangeffekte unterstreichen das Unheilvolle des Songs perfekt, machen ihn jedoch auch zu einer nicht zwangsläufig wohlfühlfähigen Nummer. Wie bei einer hängenden Platte, nach einem vermeintlichen Outfading, wird am Ende noch ein kleines bisschen Kauderwelsch eingefügt, der sich ein paar Sekunden lang immer wieder wiederholt.
Die einzelnen Inhalte der Nummer, die zum großen Teil von LENNON, ein wenig aber auch McCARTNEY geschrieben wurde, beziehen sich auf wahre Begebenheiten. Es gab einen Millionär und "Aristokratensohn" TARA BROWNE, der lose mit der Band, d.h. hauptsächlich mit McCARTNEY, befreundet war und sich suizidiert hatte. Der erwähnte "Kriegsfilm" bezieht sich auf einen Film, in dem LENNON eine Rolle hatte, RICHARD LESTERs "How I Won the War"/"Wie ich den Krieg gewann", 1967), der im Zweiten Weltkrieg spielt. Es ist jedoch nicht überliefert, ob Herr LENNON damals auch den zu der Zeit gerade laufenden Vietnamkrieg kritisieren wollte.
Eine Erwähnung von Schlaglöchern, die allesamt gezählt wurden, in der Ortschaft Blackburn, Lancashire (4000 insgesamt, was ein Loch pro 26 Einwohner bedeutet haben soll), fließt ebenso aus der "Daily Mail" ein wie andere "Banalitäten", die sich ja mit der Kriegsschilderung und dem tragischen Selbstmord kontrastieren. Ein 40-köpfiges Orchester war auch noch dabei… Es ist ein höchst eigenartiges Lied der Superlative und doch ziert es das aus Sicht vieler Musikfans und –Kritiker als "bestes Album aller Zeiten" (u.a. vom ROLLING STONE, WATCHMOJO) "St. Pepper's Lonely Hearts Club Band" sehr, als einer der besten Songs, nebenbei bemerkt auch der längste (das zweitlängste wird in dieser Datei als nächstes Lied direkt erwähnt). Zwar lässt sich über das Gesamtalbum aus meiner Sicht noch lange nicht sagen, dass es automatisch das "beste aller Zeiten" ist (für mich kämen da viel eher "Nevermind" von NIRVANA, 1991 – oder auch "Back in Black" von AC/DC, 1980, infrage, Letzteres ist es im Buch "Best of Rock & Metal – Die 500 stärksten Scheiben aller Zeiten" (HEEL-Verlag, Königswinter, 2007)), doch Songs wie "A Day in the Life" beweisen selbstverständlich die unbestreitbare Genialität der BEATLES. Dass sie mit diesem Songs viele belanglose modernste Werke inhaltlich wie musikalisch weit in den Schatten stellen, liegt natürlich in der Natur der Sache. Längen hat das Lied somit nicht, es lässt sich flüssig hören, mit eigenartigen Empfindungen im Gefolge. MM
1967 – THE BEATLES – "Within You without You" (05:04)
Auf ihrem Konzeptalbum "Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band" (1967 erschienen), auf dem sie als fiktive Band dieses seltsamen Namens spielt, hat die "Pilzköpfe"-Musikgruppe viele Klangexperimente durchgeführt. Unter anderem fließen psychedelisch klingende indische Instrumente und Macharten ein, die wohl auf die Erfahrungen der Band in einem Ashram und dem dortigen Guru zurückzuführen sind. Der psychedelisch-spirituelle, tranceartige Zustand, den dieses Lied vermittelt, ist der musikgewordene LSD-Trip, ein Klangteppich, der schon nach weniger als der Hälfte des Songs gewaltig auf die Nerven geht, wenn man sich nichts eingeschmissen hat oder zumindest nicht bereit ist, sich auf solcherlei mitunter leicht kakophonische Ohrenreize einzulassen. "Within You Without You" (titeltechnisch nicht zu verwechseln mit "With Or Without You" von U2) treibt dies auf die absolute Spitze: Wenig Text und viel Flirren, Tendeln und Schwingen in instrumentaler Form verleihen diesem Lied interessante Aspekte, die zu einem absoluten Hörerlebnis werden. Zugänglich macht das das Lied nicht. Man würde sich solcherlei Songs nicht unbedingt öfter anhören. Wer Psychedelic-Rock mag, ist jedoch richtig bedient. Für ihn sind 5 Minuten nie genug. MM
1968 – STEPPENWOLF – "The Pusher" (05:50)
Die nach einem Roman von HERMANN HESSE ("Der Steppenwolf", 1927) benannte US-amerikanisch-kanadische Hardrock-Band dürfte den meisten Norm-Musikhörern und Radiokonsumenten höchstens durch ihr grandioses, schwerfällig und doch dynamisch rockendes "Born to Be Wild", eine der Eskapismus-Hymnen schlechthin, bekannt sein. Im Wesentlichen ist erwähnter Song ihr mit weitem Abstand bekanntester und womöglich bester. Schaut man sich jedoch genauer um, auch jenseits der deutschen Charts, in denen wohl "Born to Be Wild" am stärksten klebengeblieben ist, entdeckt man nicht nur ihren "Magic Carpet Ride" (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen von den MIGHTY DUB KATS (sic!)), der u.a. im Film "STAR TREK VIII – Der erste Kontakt" (1996) beim "ersten Warpflug der Menschheit" kurz zu hören ist. Nein, es gibt noch mehr: "The Pusher" ("Der Drogendealer/Drogenhändler/Drogenverchecker"), aus demselben Jahr wie "Born to Be Wild", ist ein epischer, zwar softer rockender, aber mitreißender Track, rotzig und anklagend im Gesang. Das eingängige Eingangsgitarrensolo ist mindestens ebenso markant wie das beim großen Hit, wenn nicht gar besser. So beschreibt Sänger JOACHIM FRITZ KRAULEDAT (ja, gebürtig Deutscher) den typischen Drogenverkäufer, dem das Leben, Leiden, Sterben seines Opfers, des Drogensüchtigen, scheißegal ist und der sich – ganz der Kapitalist, wenngleich im Kleinen – nur für seine eigene Bereicherung interessiert. Sicherlich kann man darin auch allgemeine Kapitalismus- und Politikkritik erkennen, wenn man es möchte.
Hat das Lied seine Längen?/Wie ist das Lied auszuhalten?
Man folgt durch den gesamten Titel, der Song verliert sich zwar in komplexen und oft absichtlich disharmonischen Gitarrenlinien und einem wütend zischenden Schlagzeugspiel, ist jedoch von vorn bis hinten gut durchzuhören, ohne nennenswerte Überlänge zu haben. Mit seinen nahezu sechs Minuten Länge allerdings auch weit entfernt von einem Zu-lang. MM
1968 – THE ROLLING STONES – "Sympathy for the Devil" (06:27)
Wem sollte ich das Opus Magnum, einen jener definitiv allerbesten 60er-Jahre-(Rock-)Songs noch vorstellen? Wer es nicht kennt, sollte das Anhören sofort nachholen! Das regelmäßig in Bestenlisten zum Thema Rockmusik oder Musik generell auftauchende Lied ist ein kleines Meisterwerk, nicht nur wegen seines sich stetig verdichtenden Aufbaus, der mit skurrilen Urwaldschreien und rhythmischem Trommelspiel, begleitet von Maracas (Holzrasseln), beginnt und sich mit den berühmtesten "Hu-hu!"-Heullauten der Musikgeschichte samt Chorgesang zum Exzess mit einprägsamem E-Gitarren-Spiel, begleitet von einem flotten Klavier (gespielt von NICKY HOPKINS) steigert. Die Live-Performanz im Musikvideo (selten zu sehen), bei einem vor 60er-Drogenschwangerschaft nur so strotzenden, bunten, etwas überfrachteten Auftritt, bei dem ein schwarzer Begleitmusiker die afrikanischen Buschtrommeln schweißtreibend meisterhaft spielt, während MICK JAGGER wie ein tanzender Derwisch völlig ausrastet und allen anwesenden Mitmusikern die Show stiehlt, ist noch um einiges intensiver als die rein auditive Version. Die aufgepeppte, fürs Coolness-Zeitalter der späten 2000er 2008 mit einem sexy schwülen Beat dynamisch und tanzbar unterlegte Remix-Version ist zwar auch klasse (meine Freundin findet sie sogar noch wesentlich besser als das Original von '68, doch sie hat meines Erachtens echt keine Ahnung), doch der 60er-Spirit ist hier voll gegeben. Der Inhalt ist geradezu klassisch und doch reizvoll: "Der Teufel", der sich hier gern selbst "Luzifer" (was bekanntlich "Der Lichtträger" heißt) nennt und sich sogleich mit der Tür ins Haus fallend aber höflichen Tones vorstellt, erzählt aus seiner Sicht, erklärt sich, versucht, die "Sympathie" – oder das "Mitgefühl", je nachdem, wie man das Englische hier deuten mag ("sympathy" soll ja eher auf "Mitleid" rekurrieren, ein "False friend" sein, wenn es um "Sympathien" geht) des Adressaten (des Hörers?) zu erringen: "Please allow me to introduce myself – I'm a man of wealth and taste" – so beginnt es, und jedem Rockfan und begeisterten Musikhörer muss hier gleich eine Gänsehaut über den Rücken fahren vor knisternder Erregung und Erwartung, ähnlich wie sie vielleicht knarzige Klassikfans bei BACHs berühmter Fuge spüren.
So berichtet der "gute" Teufel aus seinem bewegten Leben als "Seelendieb", wenn man so will – und als Verführer und Prüfer des Menschen, als einer, der den Menschen versteht, diesen aber auch zu dessen ihm wohlbekannten dunklen Seiten und Trieben verleitet/verleiten will. Geradezu naheliegend beginnt er dabei mit JESUS CHRISTUS, den er in der Wüste geprüft und dann PILATUS dazu gebracht habe, dass er "washed his hands and sealed his fate".
Auch seine rege Beteiligung an königlichen Intrigen und Kriegen erzählt er in einem relativ großen thematischen Sprung: Vom Sturz des Zaren in Sankt Petersburg und "Anastasia screamed in vain" und der russischen Revolution bis zum "Blitzkrieg"-Geschehen im Zweiten Weltkrieg, inklusive verwesender, stinkender, verrottender menschlicher Körper, kommt in dieser rasanten Tour durch die blutige, wechselhafte und finstere menschliche Geschichte von "Kennedys Ermordung" bis zum Hundertsten, zum Tausendsten.
Im Refrain offeriert er ja die Chance, seinen Namen zu erraten und gewährt auch das Gefühl der Verwirrung: "Please to meet you, hope you guessed my name – But what's puzzlin' you is the nature of my game", also: "Angenehm, Dich/Sie/euch kennenzulernen, ich hoffe, Du/Sie/Ihr errätst/erraten/erratet meinen Namen – doch was Dich/Sie/Euch verwirrt/durcheinanderbringt, ist die Art/genaue Natur meines Spiels".
Während die verhalten aber effektiv eingesetzte E-Gitarre überspannt und heulend das ständige "Hu-hu", das wilden Buschgesängen ähnelt, begleitet vom flotten und unruhigen Keyboard, zu einem irren Ritt mit zugleich unwiderstehlich eingängigem wie misstönendem Flair macht, stellt der Herr Satan/Luzifer allerdings auch die Bedingung, die Begegnung mit ihm als weiterhin Inhaber einer Seele zu überstehen: "So if you meet me, have some courtesy, have some sympathy and some taste – Use all your well-learned politesse – Or I'll lay your soul to waste" empfiehlt Herr Luzifer feierlich und drohend zugleich – und daran werde ich mich gern halten, sollte er mir jemals seine Aufwartung machen. Ohne nennenswerte Längen führt einen dieses atemlose, wilde, ungestüme Meisterwerk durch die fast noch viel zu kurzen sechseinhalb Minuten Laufzeit und verliert dabei an keiner Stelle seine Intensität. Sobald der obig zitierte Satz in Strophe 4 fällt, ehe das sich musikalisch zuspitzende Finale folgt, der Showdown des Songs, falls man diesen filmischen Begriff verwenden will, hat man es echt geschafft: Man ist – im positivsten Sinne – elektrisiert und begeistert! Was auch immer man von neueren Publikationen der STONES halten will (das aktuelle Album "Hackney Diamonds", erschienen am 20. Oktober 2023, erhielt vielfach besten Zuspruch und positivste Kritiken), ob man "Blue and Lonesome" (2016) geil findet (ich fand es den heißen Shice) oder sie vor 30 Jahren mit "Love is Strong" und dem dazugehörigen Album "Voodoo Lounge" (1994) besser findet oder sich sogar für "Bridges to Babylon" (1998) anfreunden kann: Dieses ist ihr Klassiker! Wenn ich unter Folter gestehen sollte, fände ich das zwar nicht ganz so episch-epochale "Paint it, Black" besser, sicherlich dicht gefolgt von der 1997 erschienen ersten Single von "Bridges to Babylon", "Anybody Seen My Baby?" und einigen anderen wie "Saint of Me" oder auch "(I Can't Get No) Satisfaction", aber "Sympathy For the Devil" ist das Opus Magnum, das Meisterstück als Unikat – und das macht ihnen so schnell kein Schwein nach! Auch nicht die Heroen von GUNS'N'ROSES oder gar die Schmuserocker von BON JOVI! Greetings to the devil, diese Scheibe landet heute in Ihrem CD-Player – oder besser noch: Diese (Schall-)Platte landet heute noch unter Ihrer Plattennadel! – Keine Widerrede! MM
1969 – BLACK SABBATH – "Black Sabbath" (06:20)
Streitfragen, ob nun LED ZEPPELIN oder doch BLACK SABBATH die wahren Erfinder des HEAVY METAL als Subgenre des Rock, aus dem selbst noch etliche spannende Subgenres hervorgingen, gelten können, erübrigen sich. Für mich sind BLACK SABBATH, die Band rund um Sänger OZZI OSBOURNE und Gitarrist TOMMI IOMMI die Götter, die großen Kreatoren eines Musikgenres, das so noch nicht dagewesen ist. 1969 also war der Startschuss für den Heavy Metal – und er war fulminant, grandios, einfach spitze! Der gleich in dreifacher Hinsicht bedeutsame Song (er ist der erste auf dem Debütalbum der Band gleichen Namens auf dem nach ihr selbst betitelten Album, also ein gleich dreifacher "Hexensabbat") ziert die Banddiskografie und ist natürlich einer ihrer besten.
Gleich zu Beginn baut sich eine bedrohliche Klangatmosphäre auf, die sich stetig steigert: Von hörbar rauschenden Regenschauern, zu deren Hall sich das unheilvolle Läuten einer Glocke gesellt, während das dunkle Donnergrollen eines nahenden Gewitters ins akustische Szenario kracht, geht es über in einen düsteren Sound aus einsetzendem, verhaltenen Schlagzeugspiel, inklusive E-Gitarre, in dessen Takt die Glocke weiter schlägt wie zum vorgezogenen Jüngsten Gericht. Das Songkonstrukt nimmt sich beinahe anderthalb Minuten Zeit, ehe OZZI OSBOURNE mit seiner markanten Stimme mit den ersten Worten anfängt, die BLACK SABBATH jemals an potenzielle Hörer gerichtet hat: "What is this, that stands before me? – Figure in black which points at me – Turn 'round quick and start to run…"
Inhaltlich geht's um eine Art "Begegnung" mit dem "Teufel"/Satan, aus Sicht eines Erzählers, der wirklich entsetzt und verängstigt ist und Gott um Hilfe anfleht: "Oh no, no, no, please! – God help me!" Bewusst wird mit den Klischees um Satan gespielt, die gruselige musikalische Atmosphäre bildet das perfekte Szenario für den Text, der von düsteren Dingen erzählt. Einer Gestalt, die der gegruselte Songprotagonist nicht fassen, geschweige denn identifizieren kann. Seine Vermutung ist und bleibt jedoch, dass der "Fürst der Finsternis" (oder auch Satan) ihn holen will. Es bleibt über die gesamte Liedlänge spannend und düster – und die dräuende Frage, ob und wie der Leibhaftige den jungen Protagonisten finden will und wird, bleibt offen. Einer der gruseligsten Songs aller Zeiten, eine Horror-Schauergeschichten-Vertonung, die LOVECRAFT oder POE zur Ehre gereicht hätte.
Wer das Fürchten lernen oder sich im wohligen Grusel schaurig schaudernd kalte Schauer über den Rücken ziehen lassen will, greife zum ersten BLACK-SABBATH-Album, das schlicht den Bandnamen trägt. MM
1969 – BLACK SABBATH – "Warning" (10:28)
Längst nicht so gut wie der Starter und Titelsong des bandnameneigenen Debütalbums, lebt dieser mittelmäßige aber episch ausgewälzte Song mit ständigen Tempowechseln von OZZY OSBOURNEs einmaliger Quak-Stimme, dem hysterischen Krähen und der Verzweiflung, die in jeder Silber seiner Phrasierung steckt. Das Ganze bewegt sich irgendwo zwischen GARAGE, frühem HARDROCK und dem psychedelischen Rockbereich, den auch schon LED ZEPPELIN gut bedienten. Es ist tatsächlich so etwas wie eine Vorstufe zum HEAVY METAL, ehe dieselbe Band dann 1970 endgültig den Sack zumachte und ihren noch typischeren Sound etablierte, der fortan legendär werden sollte. Inhaltlich lässt sich leider wenig mehr ausmachen: Ein fast schon banal klassisches Liebeslied der Richtung "falsche Liebe" und "falschen Partner gefunden und bereut". Ich übersetze einen Teil der ersten Strophe: "Nun, als ich dich das erste Mal traf, schaute ich zum Himmel hinauf – (Das war) als die Sonne zu einem Flecken verschwamm und die Donnerwolken vorüberrollten – die See zu schaudern begann – und der Wind zu heulen anfing – Es hätte ein Zeichen für mich sein sollen, dich tunlichst links liegen zu lassen". Tja, nicht dass man das nicht kennen kann als Mensch, doch es ist nicht viel mehr als das. Schön, dass das Rumpeln, Rauschen, Hämmern und natürlich Kreischen der E-Gitarren ihr Möglichstes tun, um einen formidablen Klangkosmos zu erschaffen. MM
1969 – KING CRIMSON – "21st Century Schizoid Man" (07:23)
Das will schon was heißen: Das zweitkürzeste Lied auf dem lediglich aus fünf dafür monumentalen Meisterwerk-Songs bestehenden Sonderstatus-Goldstandard unter den Epen der Musikgeschichte ist dieses, eine abgründige, nur scheinbar disharmonische, fast kakophonische Farce. In perfekte psychedelische Rockmusik gegossen. Wenn DIRE STRAITS über die "Sultans of Swing" singen sollten, von damals gerechnet 10 Jahre später, so waren die Herren um KING CRIMSON, den "Roten König" so etwas wie die Kaiser oder gar Götter des Psychedelic-Rock! Unheilvoll baut sich eine allmähliche Stimmung auf, ein extrem verzerrter, akustisch kaum zu verstehender Gesang setzt ein, von dem zweifellos APHEX TWIN, einer der späten Pioniere elektronischer Computermusik-Spielereien (ganz im Sinne des Erbes STOCKHAUSENs), zu seinem "Come to Daddy" (1997) inspiriert wurde. In seinen besten Momenten klingt dieser komplex konzipierte und somit nicht sonderlich leicht zugängliche und erst recht nicht wohlklingende Song wie schon die frühen BLACK SABBATH im selben Jahr (siehe oben). Nachdem er in den ersten zweieinhalb Minuten richtig crazy abgerockt hat, wechselt sich die instrumentelle Richtung des Songs abermals: Jäh setzen verfremdete Bläsersektionen ein, die die verzerrten E-Gitarren des Anfangs ablösen. Die Nummer wird zappelig und klingt nach einer feurig-flotten Jazz-Session, der die E-Gitarren und –Bässe wieder beistehen. Obwohl das mehrere Minuten so weitergeht, macht das Lied durchaus Spaß, wenn man sich erst einmal an den etwas sehr, sehr, sehr unkonventionellen Sound gewöhnt hat – und wer tolerante Gehörgänge sein Eigen nennt, wird mehr als positiv überrascht. Während das ganze Songkonstrukt nach 4,5 Minuten in ein Stakkato-artiges Overloading übergeht, das gelegentlich für Sekunden Aussetzer aufweist, läuft alles auf ein Grande Finale hinaus, das wiederum dem psychedelischen Start der BLACK SABBATH ähnelt. In der siebten Minute ist dann alles mit einem heillosen Klangchaos beendet. Auf eine gewisse Art ist das Ganze nicht nur extrem unterhaltsam, sondern regelrecht geil! Selbst heute noch! Experimentelle und Psychedelic-Musik rulez echt! Macht tierisch Bock! MM
1969 – KING CRIMSON – "The Court of Crimson King" (09:22)
Der Titelsong auf dem aus lediglich fünf Songs bestehenden (doch keines davon weniger als sechs Minuten und bis zu 12 bei "Moonchild") Psychedelic-Progressive-Rockalbum wallt, wabert und schwelgt in einer Art unheilvoller Schwebemelodie mit psychedelisch wie unter Drogeneinfluss gewonnenen Synthesizer-Linien dahin, die jedem Gruselfilm alle Ehre machen: Ist das Albumcover schon unheimlich und bizarr, geradezu verzweifelt, wie es einem da aus einem weit aufgerissenen Mund einer zum Glück nur gemalten Figur mit schreckensgeweiteten Augen entgegenzubrüllen scheint, kommt man hier sogleich auf seine Kosten. Orgeln, leichtes Schlagzeugspiel, Synthesizer: Während sich alles mit Flötenspiel und dem anrührenden, mit bibberndem, bebendem, leicht ins Kehlige gehenden Timbre vorgeschmachteten Gesang des (bis 1970) Leadsängers GREK LAKE (vollständig: GREGORY STUART LAKE) zu einer aus mehreren ruhigen und dann wieder ausufernd symphonischen Songsequenzen Tour de Force steigert, entwirft man lyrisch ein ebenso rätselhaftes wie melancholisches Gebilde. Eines, das sich hinter Meisterwerken wie LED ZEPPELINs "Stairway to Heaven" nicht zu verstecken braucht, im Kryptischen sogar an dieses erinnert. Ein metaphorisch wie symbolisch starkes, plastisches Konstrukt entsteht, wenn es in der ersten Strophe heißt: "The rusted chains of prison moons – Are shattered by the sun – I walk a road, horizons change – The tournament's begun – The purple piper plays his tune – The choir softly sing – Threee lullabies in an ancient tongue – For the Court of the Crimson King". So wird das "Königreich" des "Roten Königs" aufgebaut – und außerdem: Was haben die Rockmusiker immer mit diesem "piper" (Flötenspieler)? Ein solcher kommt auch bei bereits erwähntem "Stairway to Heaven" (siehe weiter unten) vor, ebenfalls in einer metaphorischen Weise.
Nach Strophe 2, wenn die Flöte einen größeren Ausbreitungsteil für ihre Möglichkeiten erlangt, entsteht eine friedlich gelöste Stimmung, die bloße Kurz-Ruhe vor dem Sturm ist, sich in den wahnsinnigen Exzess steigert, wieder den Synthesizern und Strophe 3 Platz macht – und während die geheimnisvollen Strophen über etwas Überirdisches, sich in anderen Sphären übergeordnet Abspielendes berichten, als hätte man einen heftigen Fieberalptraum davon gehabt, kann man nur grübeln über die diversen Deutungen, die sich anbieten. "The keeper of the city keys – Put shutters on the dreams – I wait outside the pilgrim's door – With insufficient schemes – The Black Queen chants – The funeral march – The cracked brass bells will ring – To summon back the fire witch – To the Court of the Crimson King" wird in der zweiten Strophe gesungen – und das alles wirkt wie assoziativ Enigmatisches, das man nur schwerlich entschlüsseln kann. In der deutschen Übersetzung, selbst in den poetischeren Ambitionen, wie sie gelegentlich vorkommen, wird das Ganze nicht zwangsläufig verständlicher: "Der Gärtner pflanzt ein "Immergrün" – während er eine Blume zertritt – Ich vertreibe den Wind vom Dreimaster – um das Süße und Saure zu schmecken – Der Dirigent hebt die Hände – das Orchester beginnt – So langsam wie der Mühlstein – am Hof des Purpur-Königs" könnte man die dritte Strophe dieser skurrilen, episodenhaft zwischen einzelnen Sinnsymbolen hin und her springt übersetzen. Die vielen vorkommenden Farben, die unterschiedlichen Klänge, all diese Ebenen, die in diesem epischen Song eine Rolle spielen, sind wohl auf multiple Weise interpretierbar und lassen sich in verschiedenen Kontexten und auf verschiedene möglicherweise reale Persönlichkeiten der menschlichen Geschichte beziehen. Immer wieder taucht dabei ein "römischer Eroberer" namens "Frederick II." auf, von dem ich zu meiner Schande noch nie etwas gehört habe. Es ist und bleibt jedenfalls ein Lied, das man sich angehört haben sollte! Wer es nicht kennt, kennt im Grunde gar nichts, wer diese Hörerfahrung nicht macht, ist um sehr viele Ebenen ärmer – wenn er sich darauf einlässt. Denn für ein solches Stück Progressive-Rock (das Album und sein Titelsong gelten als das erste oder eines der ersten realen Progressive-Rock-Alben, das u.a. Bands wie GENESIS, in ihrer Frühphase, inspiriert hat) muss man sich nicht nur diese Neun-und-ein-Drittel-Minuten reine Zeit nehmen, sondern sich auch auf ein Stück einstellen, das üblichen Hörgewohnheiten klar zuwiderläuft. Das Unheimliche, Psychedelische, ungemein Innovative für 1969, die wechselhaften Sequenzen des Liedes, das Fehlen eines wirklichen Refrains außerhalb ein paar stöhnenden "Ahhh-ahaha"-Lauten und die seltsamen Strophen sind eben etwas anderes als der lockerleichte, radiokonforme Standard-Popsong (ohne diesen abwerten zu wollen), der einen nach drei bis dreieinhalb Minuten mit einem euphorischen Gefühl zurücklässt. Dieses Lied lässt einen mindestens zweigespalten zurück: Möchte man jetzt lachen, weinen oder sich direkt Fröhlicherem, etwaig Oberflächlicherem zuwenden? Will man sich anderen Kunstformen widmen, einem Film, einem Buch, einer Zeitschrift, einer Zeitung, einer Illustrierten oder einem Einkaufskatalog? Schwer zu sagen. Würde ich auch so leichtherzig sagen können, dass dieser Song, ähnlich wie das vielgerühmte "A Whiter Shade of Pale" (von PROCOL HARUM, 1967, ein typischer, ein Signatursong der 60's ist? Nach meinem persönlichen Dafürhalten sicherlich ja. Nach allgemeinen Geschmackspräferenzen eher nein. Ist es ein partytaugliches Lied? Nein, das auf keinen Fall! Man muss sich darauf einlassen, man kann es mögen. MM
1969 – SIMON & GARFUNKEL – "The Boxer" (5:10)
"Lai, la, lai – dosch! – Lai, la, lai, la, lai, la, lai!" – Wer kennt es nicht, wer mag nochmal, wer liebt es nicht wie Käsemakkaroni? Wenn die Liebe zu diesem Song etwas Verkehrtes sein sollte, möchte ich im Unrecht sein. Die wohl bekannteste Musiknummer der beiden sanften, sensiblen Schmusesänger im besten und wohlmeinendsten Sinne, "The Boxer", sogar noch härter als "I Am a Rock" – für die Verhältnisse dieses Duos – knallt in gleich mehrfacher Hinsicht rein: Dies Lied ist ein perfekter Ohrwurm, eines dieser Lieder, die man tausende Male am Stück hören könnte, ohne ernsthaften mentalen Schaden davonzutragen. Das Geschichtenerzählen, die schöne Verarbeitung einer Story, wie eine Kurzgeschichte im Songgewand, wird hier perfektioniert: Mit dem fiktiven "Boxer", dessen "Story seldom told" wurde, haben Herr SIMON und Herr GARFUNKEL ein zeitloses Meisterwerk geschaffen, das in seiner unwiderstehlichen Melodie, dem extrem eingängigen und süchtig machenden Chorus, dem Soundeffekt, der sich wie ein Tusch, wahlweise der "Schlag" eines Boxers anhört, das sich zur Klimax steigernde, die gesamte Tonleiter erkletternde "Lai, la, lai", das sich zum absoluten Exzess entwickelt, ehe dann das Gitarrenspiel, das auch den behutsamen Anfang aufbaut, zum endgültigen Ende anklingt.
Und die Story des jungen Mannes, der auszieht, um das Glück, sich selbst und den American Dream zu finden und doch nur in unterbezahlten, harten Jobs versauert, ist durchaus berührend, in der Ich-Form vorgetragen, ehe es dann zum Gänsehaut-Moment kommt, der jedes Lied besonders macht, dieser eine Augenblick, in dem die Perfektion da ist und Emotionen vermittelt werden. "In the clearing stands the boxer – and a fighter by his trade – And he carries the reminders – of every glove that laid him down" – so angespannt und ein wenig von Bitternis die fünfte Strophe, die dritte lange (es gibt noch zwei kurze in der Songerzählung), wie sie beginnt – und man meint, den Schmerz zu fühlen, aber auch den Triumph des siegeswilligen Boxers, der Höhepunkt folgt textlich dann: "Or cut him till he cried out – in his anger and his shame – 'I am leaving, I am leaving" – But the fighter still remains!". Klassische Superlative sind hinreichend nicht, diesen Song zu beschreiben: Genial, großartig, exzellent, super, überragend, hervorragend, meisterhaft, geil, spitze, top, ausgezeichnet…und mehr. Einfach zu gut! Emotional so packend, dass mir jetzt durchaus ein paar Tränen kommen. Sentimental, wie ich bin… MM
1970 – BLACK SABBATH – "Iron Man" (05:56)
Ein diffuses Klopfen, ein Wummern, ein gruselig tiefgestimmter Bassgitarren-Ton, eine verzerrte Stimme, die den Titel "Iron Man" spricht, eh sich die Story eines Außerirdischen, der sich an Irdischen für ein an ihm begangenes Unrecht (das im Text nur angedeutet wird), beginnt. Das charakteristische Riff baut sich auf, während OZZY O. auf seine unvergleichliche Art zu die Geschichte zu singen beginnt: In einem gewaltigen Magnetfeld wurde er "zu Stahl" (gemacht), ein Unfall? Es geschah dann wohl, als er durch die Zeit reiste, "for the future of mankind". Als sich das "Monster", das aus dem dann "stählernen Mann", eben besagtem IRON MAN geworden ist, in seiner gigantischen Gestalt erhebt, "seine Opfer" mithilfe seiner "schweren Bleistiefel" ("heavy boots of lead") in fürchterliche Furcht versetzt. Wie es dann letztlich ausgeht, wird, soweit mir geläufig, offen gelassen. Jetzt ist die Frage: Wird die Menschheit mit Herrn IRON MAN in diplomatische Verhandlungen einsteigen – oder sich vom überlegenen Gegner final besiegen also vernichten lassen? Im Film, der ja viele Jahre später erschien, ist Herr Stahlmann ein normaler, ganz gewöhnlicher Superheld, der mithilfe seines Spezialanzugs Bösewichte besiegen kann. Herrlich. Dieses Lied ist allerdings die Urfassung, wenn man so will! MM
1970 – BLACK SABBATH – "War Pigs" (07:57)
Die Frühphase von BS war eine der Innovation. Der Sound, der hier kreiert wurde, ähnelte klar dem psychedelischen Oeuvre des KING CRIMSON und anderer früher Recken dieses Genres, LED ZEPPELIN war auch ein Einfluss, sicherlich. Jetzt kommen wir also zu "Kriegsschweinen", in einer schwerfälligen, hart rumpelnden und tiefbassgestimmten METAL-Ballade, einem der ersten konkreten Antikriegssongs, die sich gegen Wahnsinn wie den Vietnam-Krieg und andere Menschenschlachtungsfabriken richteten. In schonungsloser, geradliniger Ehrlichkeit wird dann, ohne lange Umschweife, ohne allzu viele rhetorische Figuren und im weitestgehend Verzichtüben auf mysteriöse Metaphern, auf die Schrecken des Krieges und die Rhetorik und Befehle eingegangen, die vonseiten fieser Generäle, "böser Geister" oder "böser menschlicher Hirne", je nachdem, wie frei man's übersetzen will, kommen, das Klassische: Politiker, die sich hinter ihren Phrasen verstecken, warum sollten sie auch ausgerechnet selbst kämpfen? Man könnte hier schon die inzwischen abgedroschene Weisheit vermuten, der zufolge all die grausamen Kriege gar nicht erst stattfänden, müssten die Politiker selbst höchstpersönlich gegeneinander antreten. Zurzeit sollten PUTIN und SELENSKIJ, beide für sich eitle, feige Schweinehunde, im Ring gegeneinander antreten – und wer verliert, zahlt die Zeche und gibt die jeweiligen Gebiete frei oder eben nicht. Ein freiwilliger Verzicht auf die EU-Mitgliedschaft für das Land Ukraine wäre noch mein Traum, denn dieses korrupte Regime möchte nicht nur ich nicht in dieser eh schon verlorenen EU-Ropa-Gemeinschaft sehen! Nun, aber zurück dazu: "Generals gathered in their masses – Just like witches at black masses – Evil minds that plot destruction – Sorcerer of death's construction" lautet die Losung zu Beginn – und es steckt jede Menge Wahrheit drin. Widerliche Globalstrategen, die inzwischen nicht nur Pandemien (Plandemien) inszenieren, an ihren Flipcharts und vor Strategieberechnungen stehen, i.d.R. vor großen Bildschirmen, auf denen sie die kleinen "Schachfiguren", in dem Falle vielleicht Lichtchen, hin und her schieben. So sieht es leider aus. Weiter geht’s in die Vollen mit dem Szenenwechsel zum Schlachtfeld: "In the fields the bodies burning – as the war machine keeps turning – Death and hatred to mankind – Poisoning their brainwashed minds". Mehr muss man zum Krieg nicht sagen. Am Ende blüht allen – oder vielleicht hoffentlich nur den Kriegstreibern (wie ich hoffe, auch denen einer gewissen ehemaligen Pazifisten-Partei, die jetzt Säbel rasseln lässt und schon über die Wiedereinführung der Wehrpflicht sinniert) das Armageddon droht, vom lieben Herrgott persönlich, der mit diesen Grützbirnen endgültig kurzen Prozess macht: "Day of judgement, God is calling – On their knees, the war pigs crawling – Begging mercy for their sins – Satan laughing, spreads his wings!". Richtig so! Mögen all die Kriegstreiberschweine zur Hölle fahren! Falls es auch nur eine irgendwie geartete Gerechtigkeit gibt, wird das Schicksal – oder Gott? – sie richten! Punktum! MM
1970 – BB KING – "The Thrill is Gone" (05:30)
Eigentlich bereits 1969 auf KINGs damaligem Album "Completely Well" erschienen, machte dieser Song erst ein Jahr später richtig Charts-Furore und rockte die Blues- und Funk-Diskotheken. Nachdem ich KINGs Musik erst gegen 2003 kennengelernt hatte, nachdem meine Eltern eine USA-Reise gemacht und mir eine Art Best-of-Compilation von ihm mitgebracht hatten (danke nochmals an dieser Stelle – ich genieße "The Signature Series" bis heute sehr, wenngleich seltener, da es so viele gute Musik zu hören gilt), war ich gleich "gefesselt", "gethrillt", wenn man meine Elektrisierung so nennen will. Dieses Stück ist unwiderstehlich, wie es in einem langsamen, getragenen und stilvollen Blues beginnt, mit bemüht auf verhalten getrimmten Blasinstrumenten, einer behutsam eingesetzten E-Gitarre, einem noch behutsamer eingesetzten E-Bass und dem Schlagzeug auf solcher Sparflamme, dass man es selbst auf Valium gut zu spielen vermochte – um dann ins nicht total ausgeflippte aber tanzbare Jazz-Funk-Gemisch zu gehen, während B.B. KING mit Moll-Stimme und in vollem Bewusstsein seiner wirkungsvollen Melancholie den schmachtvollen Text singend vorträgt.
Er hat es zu seinem Stück gemacht, wie es wohl einige Sänger, doch nicht viele, vermögen. Das Stück steht selbstverständlich im Buch "1001 Songs – Musik, die Sie hören sollten, bevor das Leben vorbei ist" (EDITION OLMS VERLAG, erste Auflage, 2011), völlig zu Recht, obwohl es bereits zu seiner Entstehungszeit alt und "durch viele Hände gegangen" war. Basierend auf einem bereits 1935 (!) entstandenen Broadway-Musikstück, dessen hiesiger Text 1951 entstand, stammend aus der Feder der beiden West-Coast-Blues-Musikern ROY HAWKINS und RICK DARNELL. Zu einem "Blues-Standard" geworden, wurde es von vielen Künstlern interpretiert, denn bei diesem Stück perfekten Blues ist eben "Die Luft ist raus" nicht zutreffend, ganz im Gegenteil! Bekannte Blues-Größen wie ELLA FITZGERALD, JIMMY ROWLES und ARETHA FRANKLIN versuchten sich daran ebenso wie Country-Sängerinnen (BARBARA MANDRELL) und Rockmusiker wie der Frontmann von GRATEFUL DEAD, JERRY GARCIA. Keiner bringt so intensiv die Magie dieses Stückes in jedes Hörer-Ohr. Insofern lebt BB KING wohl für immer. MM
1970 – CAT STEVENS – "On the Road to Find Out" (05:08)
Seine zuweilen kehlige, manchmal sanfte, immer jedoch sensible Stimme ist das typischste Merkmal an der Musik des Mannes, der sich ausgerechnet der widerlichsten, am moisten misogynen Religion der Welt zuwandte. Seine besondere Souligkeit ist keine des Blues, keine der Singer-Songwriter, sondern sehr eigen, sehr einzigartig. Zu seinen typischen Liedern gehört eine wild kapriolende Akustikgitarre, dazu meist natürliche Trommeln, nicht unbedingt Schlagzeug, auf elektronische Verfremdungen und sonstige Spielereien verzichtet der panislamische Sangesbarde überwiegend, was seine Musik zugänglicher, natürlicher macht. In diesem Lied, das eines seiner enthusiastischsten ist, wirkt er beinah hysterisch, aber nicht auf die manische Weise dicht vorm Vulkanausbruch! Weit gefehlt, in diesem Song ist er ein wahrer Wirbelwind! Es ist ein weniger bekanntes Lied auf seinem berühmtesten Album "Tea For the Tillerman" (wurde 2020 zum 50. Jubiläum komplett neu arrangiert, alle Songs neu eingespielt, wenngleich das Ergebnis gerade bei den Hits grauenhafter als gedacht ausfällt). Zugleich das längste Stück, wohingegen der Titelsong nur eine etwas über eine Minute währende "Fingerübung" ist. Neben den großen Stücken "Father and Son", "Hard Headed Woman", "Sad Lisa", "Where Do the Children Play?" und natürlich "Wild World" wirkt es etwas verloren, doch bringt es einen Schwung mit in das Gesamtwerk, der den anderen Songs mit ernsteren Themen gelegentlich abgeht.
Inhaltlich geht’s klassische, oft ausgetretene Themenpfade, doch da alles schon mal da war, kann man einem dynamischen Song keinen Vorwurf machen, der auch keine Längen aufweist. "Well I left my happy home – To see what I could find out – I left my folk and friends – With the aim to clear my mind out" parallelreimt der lyrische Expresser da, die klassische Geschichte von einem der loszog, um zu lernen und sich selbst zu finden und seine eigene eigentliche Identität und Persönlichkeit. Eben auf der berühmten "Road to find out" – und die geradezu konventionelle Metapher ist umso reizvoller, je gewöhnlicher alles ist, das mit Wegen, Straßen und einem Lebensweg zu tun hat. MM
1970 – DEEP PURPLE – "Child in Time" (10:18 = in der Albumversion)
Fuck, ein verfickter Überhit! Diesem Meisterwerk, diesem zeitlosen Klassiker, diesem, einem der besten Hardrock-Musikstücke aller Zeiten, monumental, fett, episch, opulent und ausladend in seiner Weite, in der einzigen Version, der Albumversion, die zählt – gerecht zu werden, ist praktisch unmöglich! Darf ich es versuchen? Nein! Alles verbietet sich!
Auf jeder Kompilation, auf der es ist, ist es stark gekürzt, dieses aus einem einzigen monolithischen Block reinen Wahnsinns gezimmerte, getaucht in irre Psychedelic und mit Raserei garniert. Nichts wird ihm gerecht, diesem Opus Magnum der Rockmusik, diesem unverzichtbaren Klassiker, den man zwingend in jeder Topliste der besten Rocksongs aller Zeiten erwähnen muss. In Film, Funk, Fernsehen verwendet, fiel es mir erstmalig als sehr jungem Mann positiv auf, als dieser goldene Song-Guss in Parcours-Ritt im Film "23 – nichts ist, wie es scheint" über den Hacker KARL KOCH (Deutschland, 1998) verwendet wurde, in der Anfangssequenz in Teilen.
Die besten Rocksongs bestehen selbstverständlich aus den drei Hauptinstrumenten: E-Gitarre, E-Bass, Schlagzeug – doch ergänzt um mindestens eine Instrumenten-Zutat: Was bei CITYs "Am Fenster" die Geige ist, wohl eines der ersten Male, dass dieses klassische Musikinstrument in diesem Genre verwendet wurde, ist bei "Golden Brown" von THE STRANGLERS das Cembalo – und hier? Die Orgel! Das drei Akkorde umfassende Stück lebt vom Traktat des Orgelspiels, dem geradezu apokalyptischen Hämmern, dem nicht minder hart dreinschlagenden E-Bass, der E-Gitarre und all den Effekten, die den Höreindruck von herabstürzenden Bomben und anderweitigen über Schutzlose hereinbrechende Höllendinge. Tak-tada-ta-tak-tada-ta-tak-tak geht es, während Sänger IAN GILLIAN in einer ekstatischen Mischung aus sanftem Timbre und manischem Abdriften in Fauchen, Heulen, Weinen mehr schwelgt als singt. Dazu gibt es den thematischen Dreh um knallhart-scharfe Kritik am Vietnamkrieg, einhergehend auch mit dem Kalten Krieg. Ein Antikriegslied, das die Stimmung so prägnant vermittelt, fast wie ein Stanzwerk ins Gedächtnis, wirklich tief in den Kopf des Hörers dringend. Eindringlich die nur bedingt kryptischen Lyrics, wiederum Gänsehaut erzeugende Meisterstücke jedes Häppchen, jede weitere Strophe, jede Sentenz, jede einzelne Kadenz: Nachdem einleitend gesungen wird (übersetzt) "Süßes Kind der Zeit – du bemerkst die Grenze – jene Grenze, die zwischen Gut und Böse gezogen ist…", woraufhin schon ein erster Höhepunkt einsetzt: "See the blind man – Shooting at the world – Bullets flying – oh, taking toll…" Doch das Leiden des Sängers hört nicht auf, er verbindet sich mit dem lyrischen Ich – so oder so: "You'd better close your eyes – [hier fängt Herr GILLIAN eher an, in einen A-Laut-Heulgesang zu verfallen, ehe er im darauffolgenden Satzteil wieder "normal" singt] oh, oh, bow your head - Wait for the ricochet" – so, dann wird wieder geheult: "uh-hu-hu", es könnte auch "oh-oh-oh" sein.
Diese sich bis zum Exzess steigernde Farce wird mehrfach wiederholt, das Heulen, Weinen, Jaulen ist stark und macht den Song so unwiderstehlich. Mag sein, dass 10 und eine Drittelminute zu lang sind, doch auch bei diesem Lied nimmt man das Verstreichen von Zeit nur marginal wahr, schließlich ist sie nicht recht da: Man fühlt ja das Lied mit, man fühlt als Hörer. Dem Sänger kann man ohne weitere Umschweife unterstellen, seinen Song wirklich zu fühlen, also das zu tun, was DIETER BOHLEN bei DSDS immer wieder an einigen Kandidaten kritisiert: Sie durchleben und erleben, ja fühlen/spüren den Song nicht, den sie singen sollen, sondern singen ihn nur nach. Hier ist das anders, definitiv, man hört den Sänger den Song episch durchleiden, eine ewige Höllenqual wie ein Krieg eben – man weiß nie, wann er endet, die Qualen wiederholen sich, das Prinzip ebenfalls – man muss den Teufelskreis durchbrechen. "Kriege muss man schwänzen", wie schon PETER GABRIEL in der deutschen Version eines seiner großen Hits in niedlichem gebrochenen Deutsch sang (das war in dem Song, der nach einer 80er-Spielshow im deutschen Öffis-Fernsehen benannt war, "Spiel ohne Grenzen", das englische Original heißt natürlich "Games without Frontiers"). An die jungen "Kinder der Zeit" möge dieser Song immer als stärkste Warnung gelten, selbst wenn er gelegentlich – absichtsvoll – ins Kakophonische wechselt. Krieg ist ja schließlich keine Wohlfühl-Sache. Dieser Song stellenweise auch nicht. Songs, die es einem nicht leicht machen, sind oftmals die besten. MM
1971 – DON McLEAN – "American Pie" (08:42 = in der Album-Version)
Dieser Song – in gewisser Weise ist er alles – und nichts. Er ist ein großangelegtes Stück Musik, wird meistens in zwei Teile geteilt (i.d.R. findet sich "Part 1" oder "Part one" auf einer gutsortierten One-Hit-Wonder- oder 70er-Hits- oder allgemein amerikanischen Kompilation/einem Sampler) – und in der Tat mag die erste Hälfte die insgesamt bessere zu sein.
Doch nur in seiner Vollständigkeit entfaltet das lange und durchgehend hörenswerte Stück seine maximale Magie: MC LEANs nachdenkliche, melancholische und zugleich abgeklärte Stimme führt durch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerika bis hin zu "the day the music died", was ein wenig hypertrophisch ist für das verhängnisvolle Datum, dem 3. Februar 1959, Ende der goldenen Rock'n'Roll-Ära der 1950er, als gleich drei Musikgrößen des berühmten tanzbaren Genres gleichzeitig bei einem tragischen Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Namentlich waren dies der begnadete Rock'n'Roll-Sänger und –Gitarrenspieler BUDDY HOLLY (dessen FAOSA-Hornbrille später, 1985, ein musikalisches Denkmal von DIE ÄRZTE gesetzt wurde, in "Buddy Hollys Brille"), RICHIE VALENS und THE BIG BOPPER. Drei bedeutende Musiker tot – und für Herrn MC LEAN ein Anlass für einen fantastischen Song. Den Ausgangspunkt bildet jenes tragische Unfallereignis im Jahre 1959 – und kulminiert dann in einen historischen Abriss der "Geschichte des Rock'n'Roll" über einen 10-Jahres-Zeitraum (also bis 1969). Gespickt mit zahlreichen Anspielungen und bedeutenden (musikalischen) Persönlichkeiten rund um den Rock'n'Roll, verliert das grandiose Lied nie seine Energie, Elegie und zugleich ermunternde Nummer, die es ist. Die Erwähnung des "Tages, an dem die Musik starb" und BUDDY HOLLYs ist eine der schönsten der vielzähligen Hommagen an den viel zu jung tödlich verunglückten HOLLY (der immerhin nur 22 Jahre, damit noch glatte 5 unterhalb der "Club 27"-Leute) und ehrt einen Teil des – musikalischen – American Way of Life im bestmöglichen Licht. Wer Amerika, wer die amerikanische Musik und das Wesen der US-Nation verstehen möchte, lauscht diesem Song, einer der Folkrock-Hymnen schlechthin.
Nun, weder HOLLY noch seine beiden Mitmusiker, die beim Flugzeugabsturz, vermutlich wegen eines schweren Pilotenfehlers, der diesen auch das Leben kostete, werden rein namentlich erwähnt, doch was soll der Titel "American Pie" bedeuten? Dazu äußerte sich MC LEAN, der gute DON, nie explizit, jedoch scherzte er gern: "Er bedeutet, dass ich nie wieder arbeiten muss". Wohl wahr, ein gut platzierter Song, ein One-Hit-Wonder, konnte einem vor einem halben Jahrhundert und sogar noch einem Vierteljahrhundert ein sorgenfreies, geldüberflutetes Restleben ermöglichen. Heutzutage ist dies wohl nicht mehr möglich: Durch Streaming-Einnahmen lässt sich wenig wirklich fette Kohle generieren, der Verkauf physischer Datenträger geht insgesamt doch eher zurück, wobei ältere Semester – wie ich – den weiteren Verkauf am Leben halten, Internetradio und kostengünstige MP3-Downloadmöglichkeiten ergeben zudem einen Weg für Musikfans, extrem günstig an ihre Musik zu kommen, deren Wert allerdings dadurch insgesamt, nicht nur in der Technik, sinkt.
Wer ein wirklicher Musikfan ist, kauft sich das ganze Lied auf CD oder gleich Schallplatte, solange es diese Datenträger noch gibt – und kauft sich eine ordentliche Stereoanlage dazu. Bei "American Pie" (später auch, Ende der 1990er, auch der Titel eines Coming-of-Age-Teenagerfilms über das Aufwachsen und seltsame Selbstbefriedigungspraktiken bei (amerikanischen) Pubertätsopfern.
Was bliebe mehr zu sagen? Nun, dass keine der bisherigen Coverversionen jemals an das Original heranreichten, allein MADONNAs Neuauflage (2000 erschienen) ist schon richtig weich, schleimig, aalglatt und ersetzbar, wobei sie auch nur einen Teil, den "ersten", neuvertont. Kein Lied für eine Frauenstimme, das sowieso. MM
1971 – GENESIS – "The Musical Box" (10:26)
"ujjjjjjjjjjjjj" tippte mein kleinster Kater gerade ein, als er zum wiederholten Male über die Tastatur lief, direkt unter der Zeile, die ich für die Stellungnahme zu diesem Lied reserviert hatte – und ich stimme ihm insofern zu, dass ich dasselbe dachte, als ich dieses Lied erstmalig hörte! Es ist eines jener Psychedelic-Prog-Rock-Stücke, deren Magie sich nicht in erster Linie durch perfekte Harmonien, die allerschönsten euphonischen Melodien und einen leichtverständlichen Text auszeichnet, sondern sich erst entfaltet, wenn man häufiger und genauer hinhört. Auf eine Empfehlung hin, hörte ich es mir auf YOUTUBE an. Auf einem der ersten GENESIS-Alben ("Nursery Cryme", 1971) war es erschienen, basierte lose auf einer wahren Geschichte eines mörderischen Mädchens.
Die Frühphase von GENESIS, die sich mir als ursprünglich vom Normalpopmusikalischen und Normalrockmusikalischen begeistertem Musikgourmet nicht recht erschließen wollte, wird gemeinhin von der Musikkritik hochgelobt, während die späte Phase, die der weitaus größeren auch kommerziellen Erfolge, von ihr verschmäht, von mir geliebt wird. Zu der Zeit, als PHIL COLLINS noch "nur" Hintergrund-Unterstützungssänger und PETER GABRIEL der Leadsänger war, entstand mit diesem bizarren Stück eins dieser typischen mehrschichtigen, mehrteiligen Lieder, mehrere in einem: Ruhige Sequenzen, aufgebrauste, aufgepeitschte, mitunter disharmonisches, kakophonisches Rauschen, Knacken, Knirschen und Quietschen und dazu der creepige Text.
Wer etwas für ebenso bizarres Bildmaterial übrighat, der schaue sich auf YOUTUBE (bitte auf Vollbild stellen!) den Live-Mitschnitt von THE MIDNIGHT SPECIAL an, datiert auf den 25. Januar 1974, also vor ziemlich genau 50 Jahren: Dort trägt ein zu einem "thin white duke" geschminkter PETER GABRIEL das Lied mit seiner Band live vor, auf die denkbar seltsamste, groteske Weise, androgyn, dürr und mit wilden Verrenkungen, die eher an einen Derwisch erinnern als einen Menschen. Als sei ein nicht zwangsläufig böser als vielmehr eigenartiger Geist in den guten Mann gefahren! Wahrlich waren's die "wilden 70er", in denen alles – wirklich! – bunt und psychedelisch und irgendwie sehr spannend alternativ war. Irgendwie nicht ganz von dieser Welt. MM
1971 – LED ZEPPELIN – "Stairway to Heaven" (08:02)
Es ist so etwas wie das Allerheiligste, der Inbegriff des guten, langen Songs, des epischen Meisterwerks der Melodie und des kryptischen aber irgendwie nachvollziehbaren Textes. Wem Geduld nicht fremd ist, der lässt sich durch ROBERT PLANTs sanfte, behutsam sich aufbauende Stimme verzaubern, durch die Strophen des Songs, der von einer "alten Lady" handelt, die sich "alles kaufen kann", selbst wenn "die Geschäfte alle geschlossen sind" und versucht, sich eine "Treppe zum Himmel" zu erkaufen. Inspiriert von einem alten Buch über keltische Mythen und Sagen, schrieb PLANT diesen Text, in den auch mystische Elemente einfließen, das Ganze zu rätselhaften Lyrics machen. Ehe es nach ca. 6,5 Minuten erst richtig in die Vollen geht und Intensität der Instrumentierung und Dynamik zunehmen, bevor es dann relativ schnell wieder in den Rockballaden-Modus geht, handelt es sich hier um eine lupenreine, typisch 70er-Hardrock-Ballade, einen musikalisch funkelnden Edelstein, der den Test der Zeit übersteht. Zugestanden: Meine liebste Rocknummer. Eine der markantesten Melodien der 70er, der Zeiten überhaupt, zeitlos, melancholisch, geheimnisvoll, episch. Ein Jahrhunderthit, wenn nicht ein Jahrtausendmeisterwerk der Musik der Menschheit, unbedingt in die nächsten Sonden zu packen und ewig zu konservieren. MM
1971 – LEONARD COHEN – "Famous Blue Raincoat" (05:09)
Wem deutlich melodische Ähnlichkeiten auffallen - zu LEO SAYERs "When I Need You", ein auch heute noch häufig verwendetes, vielzitiertes Lied, eine Ballade der 80er, die im guten Kontrast zu zischenden, zirpenden, knirschenden, pochenden, blechern hallenden und wie zerquetschte Orgelpfeifen auftrumpfenden Typisch-80er-Synthesizer-Hits mit weit weniger Pompösem auskommt, dem ist vielleicht zu helfen. Ja, es stimmt: LEO SAYER hat versehentlich eine Art "Neuversion" (gleiche Melodie, anderer Text), kein direktes Cover, zu LEONARD COHENs sanfter Singer-Songwriter-Ballade der frühen 70's geschaffen. Wir befassen uns hier natürlich mit dem Original, einem seichten Schmachten, einer unwiderstehlich säuselnden Stimme eines Virtuosen mit altväterlich-warmer Klangfarbe: Es ist der Kanadier COHEN, der wohl berühmteste Einzelinterpret erwähnten Landes, ein Mann mit besonderen textlichen und musikalischen Qualitäten (was für Singer-Songwriter nicht immer selbstverständlich ist, da es häufig mehr auf den Text ankommt) – und der Inbegriff des fein gekleideten Piano-Mannes (sorry, Herr JOEL) mit Stil, Verve und Pathos. Wie COHEN seine sanfte Schmeichelstimme in sexy Weise modelliert, wie er dieses Liebeslied, geradezu klassisch und doch besonders, mit Wärme vor einem winterlichen Stimmungsbild New Yorks erfüllt. Opulent ist er dabei, und doch spröde in seiner Vortragsweise, halb singend, halb in einer Art meditativem Sprechen. Eine Herzensdame im "berühmten blauen Regenmantel", die zwischen dem Ich-Erzähler im Lied und seinem Nebenbuhler (den er mit "my brother, my killer" knapp deskriptiv umreißt) changiert, sich aber letzterem bald viel intensiver annähert. Im Grunde entspricht das Gesungen-Gesprochene der Wiedergabe eines Briefes an diese Person (des Nebenbuhlers), das Versmaß entspricht einem antiken Versmaß (Amphibrachys) eines einfachen Verses, dreifüßig, kurze Sequenzen, umschließend lange.
Der Song, der wohl bekannteste vom Konzeptalbum "Songs of Love and Hate", auf dem die Ambivalenz der zwei prominentesten menschlichen Grundgefühle, thematisiert und theoretisch durchgespielt wird, bildet ein besonders Stück zwischen Liebe, Verachtung, Eifersucht sowie Loyalität und Freundschaft.
Wer die Magie des LEONARD COHEN erleben möchte, muss nicht auf sein bekanntestes und am häufigsten neuinterpretiertes Lied dieses Künstlers zurückgreifen – "Hallelujah" ist also nicht notwendig. Wer das letzte Album vor COHENs leider unzeitig frühem Tod mit 79 Jahren, das 2016 erschienene "You Want it Darker", insbesondere den Titelsong hört, hat ebenfalls ein musikspirituelles Erlebnis der Sondergüte. Doch diese Melancholie hat Stil, sie hat tiefe, durchdringende Poesie, die man lediglich lieben kann. Wer die düstere Seite mag, projiziere seine Verständnisbemühungen in das Lied "The Future" vom gleichnamigen Album von 1992, doch am besten wird er mir nicht für "Suzanne" (auf "Songs of LEONARD COHEN, 1966), sondern für den "berühmten blauen Regenmangel", der "an den Ärmeln abgenutzt und aufgerissen" ist, in Erinnerung bleiben. Ich ziehe meinen Feodora vor dem Künstler mit dem schicken Anzug und dem Feodora. MM
1971 – THE WHO – "Won't Get Fooled Again" (08:32)
Ein kurzes Krachen, ein diffus unheimlicher Orgelton, mäandernd, wandernd von Seite zu Seite, ehe dann das harte Schlagzeugspiel im fortschrittlichen Tempo einsetzt. So geht ein energetisches, dynamisch-druckvolles Lied vom THE-WHO-Meisterstandardwerk "Who's Next" los und rockt rund! Das Konstrukt steht und fällt mit einem typischen 68er-lastigen Textinhalt, der die naiv-idealistische Weltsicht unter geradezu nüchtern-spießiger Gutbürgerlichkeit aufgewachsenen Jugendlichen der 60's perfekt auf den Punkt bringt: Es wird von einer "new Constitution" gefaselt, die Revolution gefordert, etwas, das jetzt, unter umgekehrten Vorzeichen, unter denen alles zu einem linken Spießertum mutiert und einem paternalistischen Staatskonstrukt mit protosozialistischem Flair in der Politik geworden ist, schon als "verfassungsfeindlich" und gegen die FDGO gerichtet gelten dürfte. Zumindest, wenn es von "rechts" kommt, jenem schwammigen Begriff, unter dem alles subsumiert wird, das nichtlinks und damit eher konservativ ist, wenngleich reformkonservativ. Alles wird verquickt mit "rechtsextrem" und "Rechtsradikalismus" sowie "Rechtspopulismus". Dementsprechend: Was damals mutig und nötig war – ist es heute auch, nur unter anderen Verhältnissen. Die Frischzellenkur, Besinnung auf das Gute, Richtige, das Bewährte und Bewahrenswerte ohne dem Fortschritt feindselig gegenüberzustehen, all das, wofür AfD und Vorfeld stehen, ist dringend nötig. Dieser moderne Geist lässt sich ohne weiteres auf diesen alten Geist in diesem Lied transferieren. "We don't get fooled again" heißt es denn auch im Refrain.
Wir werden sehen, welche Revolutionen noch geschehen werden und ob dieser alte Haudegen-Klassiker des Rock dabei eine Rolle spielen oder als Soundtrack dienen wird. MM
1971 – ALICE COOPER – "Halo of Flies" (08:21)
Musiker-Titel treffen oftmals auch auf andere zu als diejenigen zu zieren, denen sie zugeschrieben werden. MADONNA ist schon lange nicht mehr die "Queen of Pop", die LADY GAGAs und TAYLOR SWIFTs dieses Planeten haben der Grande Dame längst den Rang abgelaufen. Der "Prince of Darkness", OZZY OSBOURNE, wird zwar nach wie vor seinem Namen gerecht, ersinnt stets düstere Musikstücke, kann sich jedoch über Konkurrenz nicht beklagen.
ALICE COOPER zum Beispiel simulierte seine eigene Enthauptung auf der Bühne schon, als es noch nicht cool und gang und gäbe war.
Seine bekanntesten Stücke mögen textinhaltlich, gerade aus heutiger Sicht, nicht so düster und abgründig sein, nicht so provozierend, aber vor 51 Jahren war das alles noch ein Spürchen anders. Mit diesem abgründigen, unheilvollen Song vom Album "Killer" (ursprünglich 1971 erschienen, hier von der extendierten Sonderedition), das ca. ein Jahr vorm großen Durchbruch mit dem Album und Song "School's Out" erschien, setzte COOPER mit seiner Band eine ordentliche musikalische Marke: Ein treibend-ungemütliches, unheimliches Instrumentarium wird von Anfang an aufgefahren, ein vibrierendes Stück wie die Musik zu einem Horrorfilm ist das. Erinnernd an die TWILIGHT-ZONE-Erkennungsmelodie, baut sich gleich eine unheilschwangere Atmosphäre auf.
Man habe einen "progressiven Track à la KING CRIMSON" (siehe weiter oben) schreiben wollen, tönt es aus den Reihen der Band und des Sängers ALICE COOPER, doch in "Halo of Flies" dreht sich's um andere Dinge: "I've got the answers – to all of your questions – If you've got the money – to pay me in gold" heißt es gleich großversprechend zu Anfang, suggerierend, alles sei eine Frage des Preises/Geldes – oder Goldes in diesem Fall. Dann folgt ein immer kryptischer werdender Text, der sich jedoch wohl, geradezu klassisch, den üblichen Themen großer (westlicher) Dekadenz und des schnöden Mammons widmet. Die damals aufkommende Angst vor Chinas wirtschaftlichem Aufschwung (in den 80ern noch viel mehr), bekannt als "Die gelbe Gefahr", wird metaphorisch thematisiert, wie auch die Ausbeutung, die dem vorangeht. Wie bei einer Prostituierten beschreibt COOPER China als eine Art "Frau, die ihre Beine breitmacht", ohne es so zu nennen. Zwar kann "china" auch mit "Porzellan" übersetzt werden, doch in diesem Fall heißt es, doppeldeutig oder nicht: "The elegance of China – They sent her to lie here on her back – But as she deeply moves me – she'd rather shoot me in my tracks", wobei im letzten Abschnitt die Angst des "harten Stechers" aufkommt, die von ihm sexuell "deeply" ("zutiefst") bearbeitete Dame könnte ihm irgendwann ein paar Schüsse verpassen.
Im weiteren Aufbau hat der Lied-Lyrik-Protagonist wieder Oberwasser und macht das Ding klar: "And while a Middle Asian lady – she really came as no surprise – but I still did destroy her – and I will smash – Halo of flies". Wumms! Rumms! Hart! Echt hart! Ein wilder Ritt ist das Lied von Anfang an, man fühlt den Galopp, zu dem es einen mitnimmt, bleibt dynamisch, rockt direkt voran, unheilvolle, psychedelische Sounds bleiben stetiger Begleiter des Unheimlichen hier. Ist das überhaupt noch ein Lied – oder eine Horror-/Gruseloper? MM
1974 – DEEP PURPLE – "Smoke on the Water" (10:12 in der Live-Version)
Falls es ein Paradebeispiel für ausgelassen wilde, affengeile Hammerstimmung und effektive Publikumsbeteiligung durch einen anheizenden Sänger gibt, ist es dieses hier. Diese LIVE gespielte Version des berühmtesten DEEP-PURPLE-Rockriffs, unverwechselbar und eines der markantesten der ganzen Rockmusikhistorie, heizt heftig ein, baut sich ganz allmählich auf, lässt das ohnehin schon epische Lied noch gewaltiger und breit ausgerollt erscheinen. Hier geht der Sänger maximal durch, gibt eine beeindruckende Showqualität: nicht nur rollt er wie eine gigantische Stimmungswoge über sein Publikum, das gar nicht anders kann als mitzusingen, mitzugrölen, eine phantastische Zeit zu haben. Wie könnte das besser gehen als zum wahrscheinlich geilsten Rockriff aller Zeiten?! Könnte man noch besser mitgrölen, mitrocken, mitfeiern? Das Publikum gerät hier so effektiv in Ekstase, dass man es einfach nicht mehr fassen kann, der Sänger der Band ist ein Virtuose im Stimmung-Machen, im positivsten Sinne. Wer das Lied kennt, benötigt dringend eine Ohren-Infusion mit dieser extendierten, schön breit ausgewalzten und dank Publikumsbeteiligung unwiderstehlichen Version, die man nicht genug preisen kann. Nicht immer muss es sein, dass es sich live zwar toll, unterm Strich aber schlechter als die Studiotechniknachbearbeitung eines klassischen Albumsongs anhört – hier kann die Liveversion beweisen, wie cool es sein kann! MM
1975 – CHRIS DE BURGH – "A Spaceman Came Travelling" (Originalversion: 05:10, 1986er-Remix, auch auf dem Best-of vorhanden, bei 05:06 in der Ursprungsversion)
Sinnlich tiefgehend, berührend auf diese ganz besondere Weise ist der erste große Erfolgssong, der Hit-Durchbruch für den Mitte der 70s noch recht unbekannten Herrn DE BURGH, einen Iren mit mal reibeisiger, mal sensibel streichelnder Schmachtstimme. Allmählich baut er sich behutsam auf, wenn die ersten kleinen, zaghaften melodischen Schritte dieses melodisch komplexen und doch einfachen und sich tief ins Schönheitszentrum des menschlichen Gehirns einbrennenden Meisterwerkes in Liedgestalt das Ohr eindringen.
Dann beginnt es gleich mit "A spaceman came travellin' – with his ship from afar – 'Twas light years of time since his mission did start…". Direkt befindet sich der gesegnete Mensch, der in den Hörgenuss kommt, in der ersten Strophe einer Art "außerirdischen" Nacherzählung einer berühmten biblischen Erzählung: Der Geburt des Heilands JESUS CHRISTUS (formally known as JESUS VON NAZARETH). Bis hin zum Refrain wird eine rührende Geschichte erzählt, doch auch die folgenden Strophen sind besonders beeindruckend. Tiefe Emotionen der Ergriffenheit erreichen selbst den abgebrühten Musik-Connaisseur, der Refrain ist, wie in jedem brillanten Song, der wahre "Killer": Er treibt voran, er steigert sich zum Exzess, gerade hin zum Finale eines ordentlichen Liedes. Wäre Herr DE BURGH hier auf Nummer Sicher gegangen und hätte ein sehr glattes, generisches Stück gebaut, hätte er womöglich direkten Karriereschiffbruch erlitten. Doch er konnte überzeugen, rühren, begeistern. Ohne Übertreibung kann man nämlich sagen, dass es sich hierbei um einen funkelnden Musikdiamanten handelt, eine der ewigsten Melodien überhaupt. "And it went lalalalalalalalalala…". Natürlich sollte man auch die anderen Werke vom lieben CHRIS kennen, gerade seine 80er-Jahre-Werke, doch keines geht so positiv in einem auf wie dieses! Selbstverständlich empfehle ich als des weiteren Hörens würdig: "Borderline", "The Getaway", "High on Emotion", ganz besonders "Don't Pay the Ferryman" und nicht zuletzt "Ship to Shore", "Say Goodbye to it all" und, selbstredend, "Missing You". MM
1975 – LED ZEPPELIN – "Kashmir" (08:31)
Auf dem Album "Physical Graffity" erschienen. Trockene Fakten soweit. Doch wow: Das behäbig und gemächlich wie eine alte Schlachtkaravelle kraftvoll rockende Meisterriff, eines der prägnantesten der Rockgeschichte und – siehe auch "Stairway to Heaven" nicht das erste und einzige dieser genialen Rockband, ist so spitze, dass ich es glatt für anderen Ursprungs halte. Der in jüngerer Zeit etwas wegen sexueller Ausschweifungen unerlaubter Art und von geringer bis gar nicht vorhandener Schicklichkeit in die Schlagzeilen geratene SEAN COMBS, besser bekannt unter seinem Ex-Künstlernamen PUFF DADDY, später P. DIDDY, hatte zum durchwachsenen US-Aufguss von GODZILLA (1998) ein Riff! Ein geniales Meisterriff, wie ich dachte. Wäre es nur auf seinem Mist gewachsen! Wie jedoch im Hip-Hop/Rap üblich, wird gern gemopst – oder auch dreist geklaut. Auf das ursprünglich von ROBERT PLANT in seiner üblichen melancholisch-nörgeligen Säusel-Art gesungene "Kashmir" mit seinem einmaligen Bombast rappte er sich die Seele aus dem Leib, um dem GODZILLA-Film einen angemessenen Soundtrack zu verpassen. Seine Version rockt zwar noch mehr als das ursprüngliche Kashmir", doch es ist einfach ein musikalisch auf LED ZEPPELINs "Mist" oder vielmehr wohlriechenden, fruchtbaren Dung gewachsen – und dies muss man anrechnen, kann es in diesen episch-monumentalen 8,5 Minuten nur genießen, es frenetisch jubelnd feiern und dazu leise jauchzen. Zu meiner Schande ist mir das sehr viel später aufgefallen. Nun, mein musikalisches Wissen war gegen Ende der 90er noch relativ dürftig. MM
1975 – QUEEN – "Bohemian Rhapsody" (06:00)
Kunstwerke in Form monumentaler Mammut-Musikstücke sind keine Rarität in der Diskografie der legendären Rockgruppe QUEEN, deren Frontmann FAROQ BULSARA, besser bekannt als FREDDIE MERCURY einer der kreativsten und originellsten Musiker aller Zeiten war. Das wohl bekannteste und theatralischste Stück der Bandgeschichte gab's Mitte der 70er, was jetzt (Stand: März 2025) also bereits ein halbes Jahrhundert her ist, auf die Ohrmuscheln der Allgemeinheit. Wer "Bohemian Rhapsody" noch nicht kennt, hat eine der gigantischsten Bildungslücken überhaupt und – pardon – keine Ahnung von Musik. Der wohl bekannteste Acapella-Chorgesang, beginnend mit dem markig-schrulligen "Mamma mia, mamma mia" und der mehrfach gedoppelten Gesangsspur jedes einzelnen QUEEN-Sangesmitgliedes, die sich in eine formidable, forcierte Rockoper skurriler Art verwandelt – "mit alles": Tempowechsel, Gitarrensoli, exzessiver Gesang, Klangeffekte. Alles drin, das ein geniales QUEEN-Werk ausmachte, und davon können wir genießen. MM
1976 – RAINBOW – "Stargazer" (08:26)
Ist es der "Koloss von Rhodos"? Ach was! Nein, diese gigantische Statue, die in der Antike stand, später aber zerstört wurde, galt als eines der sieben Weltwunder – und wenn man nach gigantischen Maßen sucht, findet man sie hier in Akustik gegossen! Wow! Welch ein Wunderwerk, ein Lied wie ein Berserker! Eines, das derartig intensiv in den Körper geht, das selbst noch von einem Smartphone als Mp3 abgespielt, tief unter die Haut geht, nicht nur auf der Schallplatte oder der CD (letztere besitze ich natürlich). Damals auf dem legendären RAINBOW-Album "Rising" erschienen, diesem mit diesem illustren Umschlagmotiv, das eine gigantische Krallenfaust zeigt, die sich um einen Regenbogen im Bildvordergrund krallt, ist es eines der besten Werke dieser Band. Der physiognomisch kleine aber sehr charismatische Texter, Sänger und Gitarrist RONNIE JAMES DIO, ein viel zu früh verstorbener Musikmeister des HEAVY METAL (vergleichbar mit QUEENs Frontmann FREDDIE MERCURY im Bereich Hardrock), jobbte Mitte der 70er also bei RAINBOW und lieh diesem absolut formidablen, satten, fetten, oberaffengeilen Song seine spezielle Stimme. Wie später bei seinen Solo-Alben (ich empfehle sehr "Holy Diver", DIOs Solodebüt von 1983), vermag Herr DIO in diesem genialen Song nicht nur eine äußerst nachempfindbare, plastische Geschichte eines Hohepriesters zu erzählen, der als salopp übersetzt "Sternenglotzer" (Spaßtatsache: Später wurde das erste Raumschiff, das Captain JEAN-LUC PICARD als Captain befehligte, ebenfalls "Stargazer" genannt – siehe: STAR TREK, THE NEXT GENERATION, Science-Fiction-Serie, 7 Staffeln, 1987-1994) sich einen gewaltigen Turm bauen lässt. Dieser sich zu einer Art Gottheit aufschwingende Protagonist (oder auch: Antagonist) des Liedes hat ein Motiv, das an die biblische Geschichte vom "Turmbau zu Babel" erinnert: Er möchte einen extrem hohen Turm bauen lassen, um nicht nur der Sonne möglichst nah zu sein, sondern auch von diesem zu springen, um als neuer "Gott" zu fliegen.
Ehe es kommt, wie es kommen muss – der großkotzige Kerl, der sich für etwas Übernatürliches hielt und damit auch in diesem als längst nicht einzigen Song zu solch einem Thema (man denke auch an STERN COMBO MEISSENs "Der Kampf um den Südpol", siehe unten), der Hybris des Menschen, jener Selbstüberschätzung, stürzt erwartungsgemäß aufgrund der Schwerkraft zu Boden. Da er vom hohen Turm fällt, bleibt nicht viel mehr als ein Blut-Organ-Knochen-Matsch von ihm übrig.
Das ganze Prozedere, das Geschehen, wird aus Sicht der hart schuftenden Arbeiter geschildert, von einem einzelnen, der hier das lyrische Ich stellt. Dabei wird geradezu körperlich spürbar, unwillkürlich, wie hart es für antike Arbeitskräfte, etwa im alten Ägypten, gewesen sein muss, die Pyramiden und Sphinxen zu errichten. Abgesehen davon, dass es tausende Arbeiter-Menschenleben verschlissen haben dürfte, diese bis heute imposanteste Prachtbauten der Menschheit zu schaffen, litten die Arbeitskräfte wohl unter den aus- und verzehrenden Arbeitsbedingungen. Relativ zu Beginn spricht der Arbeiter davon, wie er ohne Zögern seine Seele für Wasser verkaufen würde, während die sengende Gluthitze der Sonne herniederknallt und wohl extreme Temperaturen herrschen.
Eine wahre Klangwand entsteht, eine gigantische Gitarrenwand, die sich steigert und steigert und dennoch in sich selbst stetig wiederholt, RONNIE JAMES DIO zählt alle Register, seine Stimme wird immer verzweifelter, dreht höher, während er sich in der Lyrischen-Ich-Gestalt des Arbeiters fragt, wofür diese ganze Turmbauaktion überhaupt gut ist. Nicht nur während man körperliche Arbeit verrichtet, ist dieses Lied eine intensive Hörerfahrung, allgemein berührt es auf eine besondere Weise. Mit fast 8,5 Minuten ist es eine Tour de Force, ein wahrer Parcoursritt durch die Stufen toll gestalteter Rockmusik, fetzig und heftig, ein wahres Klanggewitter! MM
1976 – STERN COMBO MEISSEN – "Der Kampf um den Südpol" (08:21)
Dieses Mammut-Monumentalmeistermusikwerk wird meinerseits meistens als "Stairway to Heaven" des (deutschen) Ostens" bezeichnet – und ich denke, dass es diesen Titel berechtigt trägt. Nicht, da es ca. eine Drittelminute länger als das berühmtere erwähnte englischsprachige Lied der genialen LED ZEPPELIN-Band ist, auch nicht, weil es diese unheimliche Mystik verbreitet und dann am Ende in pure, schnelle Energie übergeht. Nein, es liegt an dieser Besonderheit: Es ist ein anstrengendes Lied, es ist eines dieser Lieder, die man sich erarbeiten muss, denen man akustisch etwas abgewinnen können muss. Leichte, simple Popsongs sind ganz nett, verhelfen zu guter Laune oder rühren sentimentale Gefühle hervor, doch die Songs mit einer Erzählung sind oft die spannendsten. Sie haben nicht nur eine Botschaft, sie bewegen etwas! "Stairway to Heaven", in spinnerten Religionsfanatiker-Kreisen mit dem Mythos belegt, sozusagen das Lied mit "Rückwärtsbotschaften" zu sein, ist langwierig aber melodisch, es erzeugt eine Stimmung knisternder Spannung.
Die STERN COMBO MEISSEN, dem dritten Namenswort nach aus der Stadt des guten Porzellans, bespielt ein gänzlich anderes Terrain. Nacherzählt wird, teils in kryptische, in lyrisch sehr ansprechende Worte verpackt, die Geschichte der Eroberung des Südpols, jene Handlung nach wahrer Begebenheit: Ein Wettlauf um die Erreichung des südlichsten Punkt der Erde, jener erwähnte Pol. Der Titel "Der Kampf um den Südpol" macht schon spürbar, worum es geht. Vielleicht macht er auch neugierig, ob es sich um diese Geschichte handelt. Jene vom Wettlauf des Norwegers ROALD AMUNDSEN (ROALD ENGELBREGT GRAVNING AMUNDSEN und des Briten ROBERT SCOTT (ROBERT FALCON SCOTT) hin zu diesem südlichsten Punkt der Erde. Wissend, dass immer nur der Erste eine Rolle spielt und der Zweite leicht in Vergessenheit gerät, traten diese beiden ambitionierten Herren dieses abenteuerliche, potenziell tödliche Unterfangen an.
Der Text wurde dabei von KURT DEMMLER verfasst, einem Mann, der in mehreren DDR-Rockbands jobbte und auch viele bedeutende Texte beisteuerte. Doch der Text setzt viel später ein als beim großen Monument "Stairway to Heaven", eine unheimliche, die polare Kälte geradezu spür- und greifbar machende Atmosphäre durch die akustische Andeutung arktischen Windheulens wird geschickt aufgebaut, psychedelisch fast wie in bester PINK-FLOYD-Manier, doch eigen, doch originell, doch gruselig und perfekt mit den klassischen Rockinstrumenten korrespondierend. Diese halten sich dezent, das Schlagzeug verhalten aber packend, die E-Gitarre, der E-Bass, dazu eine beklemmende Keyboard-Linie, die dräuend im Hintergrund wallt. Wenn ungefähr 2,5 Minuten verstrichen sind, setzt die Bassdynamik des Keyboards so ein, dass man sich auch ein klein wenig an "Shaft" (1971, ISAAC HAYES zum gleichnamigen Film mit RICHARD ROUNDTREE in der Hauptrolle), ferner auch an andere MOTOWN-Musik à la SLY & THE FAMILY STONE ("Papa Was a Rolling Stone"). Das Streben nach Ruhm ist das Thema, doch auch das klägliche Scheitern des armen Norwegers AMUNDSEN und die Überlegenheit des britischen Herrn SCOTT. Ein Lied, das nie langweilt, obwohl es so langwierig ist und einfach bestens unterhält. Eines der besten DDR-Rocklieder, zudem mindestens eines der besten deutschsprachigen Lieder aller Zeiten! Pardon, NENA, aber "99 Luftballons" ist dagegen zwar ein schöner Anti-Kriegssong, aber eben kein Meisterwerk wie dieses! Die NDW hätte sich an sowas hier orientieren sollen! MM
1977 – BOB MARLEY – "Exodus" (07:40)
Neben PETE TOSH ("Legalize it") einer der berühmtesten und profiliertesten, vor allem aber bekannteste und beliebteste Reggae-Musiker, war BOB MARLEY ein begnadetes Talent der rhythmisch entspannten, ruhigen aber hochpolitischen, gesellschaftskritischen, gesellschaftliche Missstände anprangernden Musikrichtung Jamaikas. Ein typisches "Vorzeige"-Lied, wenn man so mag, ist sein langes aber treibend-mitreißendes "Exodus" (erinnernd an den "Exodus" der biblischen Israeliten aus ägyptischer Knechtschaft und die Wanderschaft ins gelobte Land), handelt vom Thema der Wanderung aus Knechtschaft und ins Vaterland, in die eigentliche Heimat, aus der man kommt, zu der man gehört. In woken Zeiten wohl nicht mehr ein allzu beliebtes Thema, ist dieses Lied wie ein klassisches Reggae-Lied angefüllt mit all den schönen Effekten: MARLEY mit dem Leadgesang, ein paar Typen im Hintergrund, die unterstützend im "Frage-Antwort-Gesang" "antworten", dezente Trompetenbläser-Linien, dazu das rhythmische Schlagzeug, die Trommeln, dazu eine eingängige Melodie. Genau, wie es eines typischen MARLEY-Liedes gebührt. MM
1980 – AC/DC – "Hells Bells" (05:12)
Oft kopiert, nie erreicht, was für viele Besonderheiten gilt, ist hier eine Glocke zu Beginn des Stücks. DIE ÄRZTE stellten einen ähnlichen Klangschnipsel her, als sie 2007 für ihr Lied "Allein" (Album: "Jazz ist anders") den Klang einer dumpfen, tiefen Glocke einer bestimmten Kirche aufnahmen. Natürlich durften sie nicht diesen Schnipsel verwenden, den AC/DC in eines der besten Lieder ihres 1980 erschienenen Albums "Back in Black" (auch der Titelsong ist toll!) erzeugt hatten, sonst hätte es Copyright-Querelen mit den berühmten Australiern gegeben. Nein, nein, doch in typischer AC/DC-Manier geht es schwerfällig rumpelnd aber mit ordentlich Kraft auf den Achsen los: Die Glockenklänge, diese besonderen, tiefen Schwingungen sind noch nicht verklungen, da gesellen sich der harte E-Bass sowie seine Freundin dazu, die E-Gitarre. Das Schlagzeug ist mit einigen Highhats dabei, mit ungeheurer Kraft bewegt sich das Lied vorwärts und erzeugt eine "höllische" Atmosphäre, thematisch provokativ, schließlich fand man früher noch in christlichen und anderen strengreligiösen Kreisen Auslöser, wenn man die "richtigen Knöpfe" drückte. So galt alles, in dem "Hölle" und "Satan" erwähnt wurden, automatisch als "böse" und vor allem "satanisch". Dass Rockmusiker wie AC/DC, die einfach nur ihren geradlinigen, schnörkel-kompromisslosen Power-Rock'n'Roll spielen wollten und bis heute wollen, ist eine der simpelsten Wahrheiten des Geschäfts. Wie auch die, dass sich Provokation gut macht und in gewissen Kreisen Verpöntes gut ankommt. Gerade bei jungen Leuten, gerade bei Fans des härtesten Hardrock – zu denen ich mich auch fröhlich und stolz zählen darf.
Das Brett in Liedform, hart aber gekonnt in der harten Gitarrenspielarbeit, ist längst zum Klassiker avanciert, belebt mich in jeder Hör-Lage und weiß immer noch zu begeistern, wenn man mal düsterere Stunden hat. Generell ist "Back in Black", das ungefähr zwei Monate nach dem unerwarteten Tod des Ur-AC-DC-Sängers BON SCOTT herauskam, unter neuer Besetzung am Gesang (würdig übernahm BRIAN JOHNSON den Anteil), ein Spitzenalbum des (Hard-)Rock und Heavy Metal, es steht bei dem 2007 vom Metal-Magazin ROCK HARD herausgebrachten Buch "Die 500 besten Rockscheiben aller Zeiten" sogar auf Platz 1 besagter 500. Nicht umsonst. Ich empfehle auch sehr "Shoot to Thrill" und "You Shook Me All Night Long". MM
1981 – BILLY IDOL – "Mony Mony" (05:04)
War BILLY IDOL noch Punk, war seine Mucke in seiner großen Solo-Phase während des besseren Teils der 1980er jemals sowas wie Punk, geschweige denn Punkrock? Mag sie es gewesen sein oder nicht: Er ist ein Mann, dessen Musik vielfach mit Synthesizern operiert. Das hört sich oftmals überraschend melodisch an. Und obwohl es überaus heftig und penetrant nach 80ern riecht, schreit und sich anhört, kann man es weitaus besser ertragen als so viele andere käsige Klänge aus der Synthesizer-Hölle, die dieses nervtötende Jahrzehnt erschaffen hat! Dieses fünfminütige Synthesizer-Pop-New-Wave-Monstrum von einem radiotauglichen Hit, dem auch die Anzüglichkeit anderer IDOL-Klassiker wie "Rebel Yell" fehlt, ist das beste Beispiel für melodischen, harmonischen 80er-Pop an der Schwelle zum (Hard-)Rock. Mittleres Tempo, Chorweiber im Hintergrund, die ständige Wiederholung dieses Wortes, "Mony, Mony!" – nun, das macht Herrn IDOL wohl aus. Ob es sein größtes Meisterwerk ist oder ob ich nicht doch lieber "Flash For Fantasy", das wohl bekannteste IDOL-Ding "Eyes Without a Face" oder "White Wedding" oder das mit dem IDOL-typisch hochgezogenen Mundwinkel am besten vorgetragene "Sweet Sixteen" oder ein paar andere empfehlen würde, sei man dahingestellt. Ein solides Werk aus besten IDOL-Tagen. MM
1982 – IRON MAIDEN – "The Prisoner" (06:02)
Als Könige der NWOBHM (New Wave of British Heavy Metal) haben IRON MAIDEN ohnehin längst Kultstatus erreicht und beweisen ihr professionelles Können alle paar Jahre, es krönend mit einem weiteren Meisterwerk. Ihr drittes Album, "Die Nummer der Bestie/des Tieres" ("The Number of the Beast" war bereits voller späterer Bandklassiker, ist, wie üblich bei gutem Metal, nicht arm an langen aber präzisen und vor allem hymnenartigen Liedern. Dieses hier enthält zu Beginn einen Ausschnitt aus dem englischen O-Ton einer Szene aus der Serie "The Prisoner" mit PATRICK MC GOOHAN (spielte viermal bei COLUMBO den Mörder, war auch in MEL GIBSONs "Braveheart", 1995, als König LONGSHENK zu sehen) in der Hauptrolle. Dann geht es um im Grunde dasselbe Thema wie in der Serie. Ein ehemaliger Agent, der jetzt zum Gejagten wird, nachdem er eine Zeitlang Gefangener war, ist nun frei und fühlt sich als freier Mann. "Who is the number one?" – "You are number six!" – "I am not a number, I am a free man!" heißt es u.a. im einleitenden Dialog. Dann im Refrain, hart und heavy: "Not a prisoner – I'm a free man – And my blood is my own now – Don't care where the past was – I know where I'm going out!". MM
1983 – NEW ORDER – "Blue Monday" (07:29)
Gleich vorweg: Die "Blue Monday '88"-Version, die fünf Jahre später kam, finde ich noch einen Tacken besser, wobei sie kürzer ist als fünf Minuten und trotzdem zugänglicher. Für dieses Original von 1983, das auf perfekte Weise aufzeigte, wohin elektronisch erzeugte Musik mit Drumcomputern, Synthesizern und anderen programmierbaren Werkzeugen statt Instrumenten noch gehen könnte und wie wenig noch dazugehörte, diese durchaus nicht immer seelenlose Musik in den musikalischen Mainstream, in die Charts und an höchste Erfolge zu führen. Kaum 10 Jahre später nach diesem Stück Meisterschaft in elektronischen Klanglandschaften, die fast unerreicht sind in diesen Zeiten, dominierten elektronische Stücke bereits die internationalen Charts und führten nicht mehr nur ein Schattendasein in (Underground-)Clubs wie im Erscheinungsjahr dieses Werkes. 1993 sind die Charts bereits voll mit EURODANCE, TECHNO und allen Unterkategorien wie TRANCE, RAVE, HOUSE und mehr.
Doch das hier: Wenig Gesang, kühl und nüchtern, fast steril, ein trauriger und teils kryptischer Text, dazu das überstarke programmierte Elektro-Schlagzeug, die synthetischen Melodiebögen flankierend, immer schneller, immer dynamischer, umwoben von einem weiteren Klangteppich atmosphärisch schwebender Harmonien, die sich ins Gehör einschmeicheln und dort streicheln, zum inneren Fliegen bringen, einen neuen Kosmos im Hörer entfaltend. Verfremdete Bläser-Geräusche, andere bewusst irritierende Klangeffekte ebenfalls, sie runden alles ab. Der Siegeszug des Elektronischen war nicht mehr aufzuhalten. NEW ORDER, die Band, die sich aus JOY DIVISION formiert hatte, nachdem sich der ursprüngliche Sänger IAN CURTIS letzterer nach ersten JOY-DIVISION-Erfolgen wie dem grandiosen "Love Will Tear Us Apart" und "Transmission" im Jahr 1980 (am 18. Mai) das Leben nahm, hatte hier einen ihrer größten, wenn nicht den besten Hit. Zwar empfehle ich auch "True Faith", doch das klingt im Vergleich wie eine fast konventionelle 80er-Nummer. MM
1983 – PAT BENATAR – "Love is a Battlefield" (05:22)
Im Radio wird seit jeher der größte Teil des Songs ausgefadet, nach knapp 3 Minuten, als ein menschlich hervorgebrachtes Pfeifen ertönt. Doch wenn man diesem "Mundinstrumentensolo" hört, geht es noch gut und gern dynamisch weiter: Eines der Vorzeige- und Dekade-definierenden Lieder der 1980er, ein typischer Pop- und Wave-Dancepop-Stampfer, dem es dennoch mühelos gelingt, seine Botschaft von der Schwierigkeit und Komplexität der Liebe, die "wie ein Schlachtfeld" ist, durchaus emotional ergreifend zu vermitteln. Was erstaunlich ist, handelt es sich doch um typische kalte Typisch-80er-Keyboard-Synthesizer-Soundmatsch-Soße, dieses käsige, klebrige Zeug, das dieses Jahrzehnt zugleich musikalisch fast ausschließlich dominierte, andererseits aber ziemlich abnervt in heutigen Zeiten. Weit mehr als jegliche 90er-Elektronikspielereien und die in dem Jahrzehnt nervige Hauptmusikrichtung (der Eurodance) nervte dieses New-Wave-Gedudel, von dem fast sämtliche 80er-Retro-Compilations vollgestopft sind. Dennoch ist dieses Musikwerk ein gutes, solides Stück davon, selbst wenn es die musikalische Einzigartigkeit etwa eines "Golden Brown" (THE STRANGLERS, 1981/82) vermissen lässt. Ja, Frau BENATAR hatte einige passable Nummern, die zwischen Pop und Rock changierten, doch diese hier ist ihre mit Abstand beste. Tanzbar, groovy, ein flotter, dynamischer und frischer Beat, die Synthesizer an den richtigen Stellen, das verfremdete Jaulen gewisser Instrumente – alles richtig gemacht. Genießt bitte zwingend die komplette Version, wie sie auf diversen guten 80er-Compilations zu finden ist, u.a. "Kneipenhits – 80er Jahre Party"! MM
1986 – GTR – "When the Heart Rules the Mind" (05:24)
Ein spannender Trend der zweiten 1960er-Dekadenhälfte sowie der frühen bis mittleren 80er war die kurzfristige Gründung sogenannter "Supergroups" im Bereich der Rockmusik. Giganten dieses Genres, die damals schon etliche erfolgreiche Albums und Hits auf dem gewaltigen, schweren Buckel hatten, schlossen sich – temporär – zu neuen Formationen zusammen. Bekannteste Beispiele waren: CREAM und natürlich CROSBY, STILLS & NASH sowie ferner ASIA ("Heat of the Moment"). Natürlich verfolgten große Plattenfirmenmanager bei der teils willigen Zusammenführung der Mitglieder bekannter (Rock-)Bands kommerzielle Interessen – und das Phänomen verblich nach der genannten Zeitspanne recht schnell wieder.
Eine dieser Supergroups, eine der besseren, war GTR, was wohl als Abkürzung für "Guitar" (engl. für "Gitarre") sein soll. Die bewusst auf einer instrumentellen Hervorhebung der Gitarre basierende Band existierte lediglich in einem Zweijahreszeitraum, von 1985 bis 1987 nämlich und setzte sich aus STEWE HOWE (von YES, bekannt am stärksten für ihr "Owner of a Lonely Heart"), STEVE HACKETT (von den Artrock-AOR-Königen GENESIS) und ROBERT BARRY (u.a. HUSH) zusammen. Ihr einziges mir bekanntes Lied heißt "When the Heart Rules the Mind" (ungefähr: "Wenn das Herz den Kopf/Verstand regiert") und ist ein opulentes, sattes und rasantes Rockmanifest, hymnisch und meisterlich gespielt. Es hört auf den Namen Hardrock-Ballade mit fetzigen Sequenzen im Refrain. Es kam mir unter auf einer 1994 erschienenen Rock-Kompilation mit dem Namen "Burning Heart" (benannt nach dem gleichnamigen Lied der Hardrock-Band SURVIVOR, das natürlich auch dort drauf war; SURVIVOR = "Überlebender" war am bekanntesten und galt als One-Hit-Wonder für "Eye of the Tiger"). Dort ziert es als eines der besten Lieder überhaupt und adelt den CD-Spieler, der es abspielt. Das fette Stück Handbang-Material macht richtig Laune und spült die Gehörgänge mit einem episch verlaufenden, vertrackten Gitarrenspiel, kombiniert mit dem richtigen Schlagzeugkrachen! Zusätzlich sind die Ohrwurmqualitäten nicht zu leugnen. "When the heart rules the mind – one look – and love is blind" heißt es weise im Refrain. Damit und mit den dazu passenden Strophen ist alles gesagt, der Hymnus auf das beste und zugleich umstrittenste Gefühle der Welt (neben dem Hass, versteht sich) perfekt inszeniert! Super so! MM
1986 – BON JOVI – "Wanted Dead or Alive" (05:07)
Typische Westerngitarre, ein spannungsreicher Melodiebogen, Kastagnetten-Klappern, verwegenes Heulen im Hintergrund (Wind) - Westernstimmung entsteht. Der Hörer: Auf einmal in einen SERGIO-LEONE-Western inklusive passender Musikuntermalung versetzt, klassische Szene: Das bevorstehende Pistolenduell zwischen dem Sheriff und dem Unhold, jenem Banditen, der bereits steckbrieflich gesucht wird. "Wanted – dead or alive" hieß es auf solchen Steckbriefen, also "Gesucht – tot oder lebendig". Das war im "Wilden Westen", ehe die USA zu einem gesitteten Land von Recht und Ordnung wurden und dahin auch wieder unter neuer Regierung zurückfinden, wo es schiefgegangen war.
BON JOVI, als diese Band des Stadionrock noch cool war, als sie noch ihr Können zeigten, die Mannen um JON BON JOVI und RICHIE SAMBORA (letzterer war bis 2013 dabei), brachte einen guten Hardrock-Kracher nach dem anderen heraus. Aus der Phase ihres Hitalbums "Slippery When Wet" (etwa: "Rutschgefahr bei Nässe") stammt auch dieses Lied, ein geradliniger aber harter Song, voller westernhafter Coolness. Perfekte Gitarrenfiguren, ein schöner Höhepunkt nach der Bridge ("I've seen a million places – and I rocked them all!" krakeelt Herr JON BON JOVI mit seiner kraftvollen Stimme – und man nimmt ihm jedes Bisschen Pathos voll ab! "I'm a cowboy – on a steel horse I ride – I'm wanted – Dead or alive" lautet es im Refrain, womit das Element des Rockers auf seinem "Stahlpferd", also dem Motorrad, mit eingebracht wird. Natürlich auch ein Lied der Einsamkeit des "Banditen", des "Outlaws", eines freien Mannes (siehe auch "The Prisoner" von IRON MAIDEN zum Thema "freier Mensch"), der stetig herumstreift, während auch alle anderen Menschen ihrer höchsteigenen Wege gehen, jeder für sich, manchmal vergeudet man sich dabei, sein Leben, seine Zeit, seine Ressourcen. "Manchmal schlafe ich, manchmal nicht für Tage", heißt es in einer Textzeile. Ja, es ist ein hartes Outlaw-Leben, klar. Ob es über das "Leben auf (Musiker-)Tour" ist, bleibt indes der Hörerinterpretation überlassen. "I've seen a million faces – and I rocked them all!" hört man in der Klimax, und ja, gerockt (oder "gewiegt") hat BON JOVI viele! Herzen bewegt auch! Mein Lieblingssong dieser Band ist dieser harte aber geniale Kracher schon, ich liebe das Lebensgefühl, das er mir vermittelt und kann es nachempfinden. Damit dürfte ich mit Belieben nicht der Einzige sein. Mehr als nur solide abgeliefert, sind diese fünf Minuten fast schon zu kurz für das Meisterwerk. Die Liveversion von 2001 fand ich auch ganz dufte! MM
1987 – DIE ÄRZTE – "Radio brennt" (06:58)
"Sie spielen überall dasselbe: FALCOs neue LP – Ich hör MADONNA und CHRIS DE BURGH – aber DIE ÄRZTE hör ich nie!" beschwert sich FARIN U. nölig, der alte Nörgler, dass DIE ÄRZTE, eine sehr umstrittene Band mit umstrittenen Texten in den spießigen 80ern, eher selten bis nie im Radio gespielt wurden. Schon zu Mitte der 90er, nach der 1993 erfolgten Wiedervereinigung der Band, hatte sich das schnell verändert. "Schrei nach Liebe" war allgegenwärtig, als fünf Jahre später "Ein Schwein namens Männer" kam, war sowieso jede Radiotauglichkeit gebongt, schließlich fand letzteres Lied sogar auf Malle bei Strandsäufern und Feierschweinen Verwendung, was die Band dazu veranlasste, es fortan nicht mehr (oft) auf ihren Konzerten zu spielen. Nun, doch dieses Lied ist ein bunter Mischmasch aus typischem ÄRZTE-Humor: Am Anfang ist akustisch eine seltsame, schwüle Sexszene zu hören, die mit dem Satz "Warte – lass mich das Radio anmachen" endet. Wer dabei heiß wird, muss ein ziemlicher Dödel-Freak sein! Dann kommt "das erste Mal gerappt", wie es im Begleitheftchen des BEST OFs "Das Beste von ganz früher bis jetzte" (sic!) (1994) heißt – eine fremdschamverdächtige Cringe-Veranstaltung, Auszug: "Ene mene Mopel – Wer frisst Popel? – Süß und saftig – eine Mark und 80" und natürlich die inzwischen tabu seiende Benutzung des aus dem Lateinischen für "Schwarz" abgeleiteten Wortes "Neger" für Menschen schwarzer Hautfarbe: "Wir sind Schlager-Futzies und keine Neger – doch rappen kann ein Förster und ein Jäger!".
Erst dann kommt bald die Erlösung und das echte Lied fängt an, wo ziemlich rüde mit dem Radio umgegangen wird: "… und dann schmeiß ich dein Radio an die Wand – und dann zünd ich dein Radio an – und dein Radio brennt!". Das Ganze geht eine Weile so weiter, es wird noch MODERN TALKINGs "Geronimo's Cadillac" (1986) erwähnt, das im Radio läuft, woraufhin der Liedprotagonist "schreiend" wegrennt. Wer die rockige Nummer mag, die auch nicht nur ein wenig an den großen Hit "Westerland" derselben Band (siehe weiter unten) erinnert, findet eine einfach geile Kriegserklärung an die Seichtigkeit des Radios und Radiohörens, weshalb coole Leute sowieso eher Schallplatten und CDs sammeln – oder, in neueren Zeiten, einfach alles (bitte legal!) runterlädt (als Mp3, versteht sich) oder gleich auf DEEZER & Co streamt. Am Ende des Liedes dann ein kleiner Ausschnitt aus der deutschen Synchronisation des Films "Phantom-Kommando" (Originaltitel nur: "Commando") mit ARNOLD SCHWARZENEGGER (ARNIE) in der Hauptrolle, dessen Synchronsprecher THOMAS DANNEBERG dann womöglich das einzige Gute an diesem murksigen Film sagt: "Als ich ein kleiner Junge war und der Rock'n'Roll nach Ostdeutschland kam, haben die Kommunisten gesagt, er sei subversiv. Möglich, dass sie recht hatten." MM
1988 - DIE ÄRZTE – "Schwanz ab" (10:17)
Um es kurz zu machen: Eine ewige Tour de Force, ein regelrechtes Stockcar-Rennen in Musikform, das Lied für "Feministinnen", die DIE ÄRZTE seit jeher hassten, da sie deren subversive, satirische und immer ironisch aufgeladene Texte voller Humor als "frauenfeindlich" einstuften (was mit "Manchmal haben Frauen…", 2000, nicht besser wurde), wo es darum geht, dass einem Manne sein edelstes Stück, sein "drittes Bein" abgesäbelt wird. Wow, das ist hart! Härter als der Pimmel vorher hätte sein können! Radikal auch! Aber hallo! MM
1988 - DIE ÄRZTE – "Westerland (to the Max)" (09:55)
Mehr als ein Lied: Während der Hauptteil des Songs, der erst nach etwa drei Minuten freiem Geplänkel und Abstechern in diverse Musikgenres und einer Parodie typischer 80er-Mucke ("Dr. Insel!") und verschiedener heute noch radiorotierender Hits der 80s, einsetzt, knappe 3,5 Minuten beträgt, ist drum herum noch viel zu hören. Erst die Frage, wann die Insel "Sylt" (zu der Westerland ja gehört) in die Luft gesprengt werde, was angesichts unschöner Bilder und Töne 2023 vielfach gewünscht worden war, in einem "harmonischen" Herrenchor aus den drei Sängern. So, weiter geht’s: Eine Blueseinlage, ein lächerliches Stück über eine kleine Robbe, die von gewissenlosen Robbenjägern so gejagt wird, dass sie "abends Blut" spuckt, der lächerlich überzeichnete, überhallige Synthesizer-Trash, der alle 80er zugleich zerstört – alles dabei. Ein wilder Ritt. Wahnsinn! MM
1988 – HAPPY MONDAYS – "Hallelujah" (05:39)
Quasi so etwas wie das Gegenstück zu "Sadeness – Part I", das 1991 von ENIGMA (MICHAEL KRETU und Sängerin) veröffentlicht wurde, wo nämlich am Anfang Choräle vorkommen. Nun, bei letzterem wird das Ganze weiterhin durchgezogen, wohingegen dieses Lied weitestgehend aus Instrumentalpassagen besteht, unterbrochen vom Titel "Hallelujah", von einer verfremdeten Frauen- oder Männerstimme gekreischt, dazwischen noch ein paarmal von einer Männerstimme, die es ein wenig schwul ausspricht. Aber auch das ist 80er-typisch, kombiniert mit krassen Typisch-80er-Synthesizer-Beats. Im Grunde etwas nervtötend, und das über 5,5 Minuten lang. Ein paar gehauchte Zeilen noch – und so weiter und so fort. MM
1988 – MIKE & THE MECHANICS – "Silent Running" (06:14)
Die von GENESIS-Gitarrist MIKE RUTHERFORD gegründete Band, in der er aber nicht singt. Ein ordentlicher Rocksong mit Popanleihen, für die 80er ausgesprochen gut, zwischen Ballade und Midtempo-Nummer eingängig und radiotauglich poppig vor sich hingehend, hervorragend gesungen von Sänger PAUL YOUNG (nicht der berühmte "Come Back and Stay" und "Love of the Common People"-Sänger!), gelegentlich aus dem Hintergrund mit dem Männerchor der übrigen Bandmitglieder, nach gemächlichem Aufbau. Ein fantastisches Lied, geradezu perfekt, auch erinnernd an PHIL COLLINS in seinen Solo-Phasen, wenngleich die Stimme YOUNGs schon anders war (YOUNG verstarb, im Gegensatz zu COLLINS und dem anderen YOUNG bereits 2000). Zum Träumen und für länge Ruhephasen. MM
1988 – NICK CAVE AND THE BAD SEEDS – "The Mercy Seat" (07:18)
Zuerst ein elektronisch verfremdetes Wispern, eine unheimliche, misstönende Atmosphäre entsteht, derweil jemand etwas vor sich hinredet, doch dann setzt NICK CAVES Stimme ein. Unheimliche Gitarren- und Cembalo-Töne setzten ein, vereinzelt und monoton, ein unheimliches, verhärmtes Heulen baut das akustische Szenario unmittelbarer auf, macht die Dringlichkeit klar: Es geht um einen zum Tode auf dem elektrischen Stuhl Verurteilten, eine Kaskade des lyrischen Ichs und seiner immer verzweifelter werdenden Stimme setzt ein, perfekt inszeniert von CAVE, "…and I think my blood is boiling", "and my head is burning" beschreibt er es eindringlich, gehetzt, getrieben, vor seinem unseligen Ende als Mörder auf dem Stuhl, so kann man sich in das Ganze versetzen.
Doch der schließlich auch von Geigen aufgerissene, dem Abgrund des Wahnsinns frei geöffnete Track ist keine leichte Hör-Kost, scheint keinen Ausweg zu kennen, über sieben Minuten hämmert diese Kakophonie auf einen ein, man gerät in unheimliche, beklommene Stimmung, was sicherlich Absicht ist. Nicht für Fans der feinen, ohrenschmeichelnden Harmonien. So ist generell die Musik von NICK CAVE und seinen BAD SEEDS, wenngleich nicht immer: In "Where the Wild Roses Grow", 1996, vom Album "Murder Ballads" (ja, Herr CAVE befasst sich mit düsteren Themen!) hat man ein Stück, das im Gegensatz zu diesem mit Geigenspiel und sanftem Gesang von Gastsängerin KYLIE MINOGUE eine ganz andere, positivere Richtung, zumindest im Sound, nicht im düsteren Thema, einschlägt. CAVE-Songs sind Kunstwerke, die dunkle, finstere Stimmungen und Abgründe vermitteln. Dieses ist eines der absoluten Meisterwerke dieser Art! MM
1989 – DIE ÄRZTE – "Bitte, bitte" (07:35)
Der lyrische Inhalt des Liedes ist schnell erklärt: Das auch auf dem MTV-UNPLUGGED-Konzert kurz angespielte Lied gewinnt dort allerdings keinen Blumentopf, fehlt doch die professionelle Domina, die sich DIE ÄRZTE Ende der 1980er in ihr (Musik-)Studio eingeladen haben. Die Dame, live und direkt aus dem SM-/Domina-Studio ins Musikstudio "gebeamt", erzählt mit ihrer knisternd kühlen Erotik-Stimme von den verschiedenen Spielarten, mit denen sie in ihrem Berufsalltag als Animierdame des Schmerzes und (fesselnden/gefesselten) Exzesses ihr Geld verdient. Dabei kommt immer wieder der Refrain vor, in welchem ein lyrisches Ich (gesungen von FARIN URLAUB) immer wieder "Bitte, bitte" und "Lass mich dein Sklave sein" fleht. Dazu jede Menge elektronische Effekte, wie in 80er-Liedern leider allzu üblich, fertig ist der Skandalsong. Ein typisches DIE-ÄRZTE-Werk der frühen Phase, eh sich die Band 1988 trennte, doch 1989 dieses Werk noch veröffentlichte. 1993 kam dann – zum Glück – die Wiedervereinigung: Nachdem Deutschland schon wieder drei Jahre glücklich oder mit Schwierigkeiten vereint war, kam dann die Reunion der ÄRZTE. Super. Bis ca. 2019 oder so. Inzwischen könnte sich die Band bitte dringend auflösen! MM
1990 – JUDAS PRIEST – "Painkiller" (06:05)
Die 1990er waren nicht nur eine Abfolge radiofreundlicher Ohrschmeichler in Musikform, die zuweilen etwas platt und nervig war. Es gab auch nicht bloß GRUNGE als Gegengewicht, vertreten durch NIRVANA, SOUNDGARDEN, ALICE IN CHAINS oder SILVERCHAIR, sondern vereinzelt auch noch guten HEAVY METAL, was eine Wohltat war – nach all dem käsigen Hardrock der 80er! Eingeläutet wurde dieses Jahrzehnt eben nicht nur mit SNAP! und ihrem "The Power" (ihr bester Song, "Rhythm is a Dancer" folgte erst etwa ein Jahr später), sondern auch mit dieser Tour de Force. Pure Power, heftig abgehender SPEEDMETAL, memorable Riffs, eine peitschende Pein für die Ohren – "eine Verletzung aller Sinne – im besten Sinne", so schrieb es ein Kommentator unter dem offiziellen Musikvideo auf YOUTUBE – das ist der Titelsong des gleichnamigen Albums der damals schon alteingesessenen Schwermetaller-Legenden aus dem beschaulichen Birmingham.
Weist der Song Längen auf?/Hält man ihn aus?
Das fette Instrumentensolo nach bereits zweieinhalb Minuten lässt den Hörer trügerisch vermuten, das Ende des Songs könne bald, nach erneuter Wiederholung des Refrains (maximal dreimal oder so) enden, was er sich jedoch gar nicht wünscht/wünschen kann. Dann geht es jedoch ebenso feurig weiter, ohne auch nur eine Kilowattminisekunde an Energie und bärenhafter Kraft einzubüßen. Das martialische Covermotiv eines auf einem Kreissägen-Motorrad reitenden Metall-Dämons unterstreicht die knallharte Message, die explodierenden E-Gitarren- und E-Bass-Gewitter. Ein Song für die Ewigkeit. MM
1990 – MEGADETH – "Holy Wars – The Punishment Due" (06:32)
Kennt man ja schon von "Painkiller" (JUDAS PRIEST, siehe oben): Speedmetal vom Feinsten! Das gilt für dieses Lied im Besonderen! Voll auf die Zwölf von Anfang an! Ein melodischer Metal-Song voller großartiger Melodielinien und Gitarrenfiguren! Nicht zum ersten Mal auf dem Album "Rust in Peace" ("Verroste(n) in Frieden") geht es um den Krieg, um die Unheiligkeit und Unheimlichkeit sinnlosen kriegerischen Tötens, mit hart anklagenden Worten grölt und grollt Sänger DAVE MUSTAINE durch den Track, komplizierte E-Gitarren-Gewitter machen die laute Anklage gegen die "heiligen Kriege" deutlich, ehe es in "The Punishment Due" übergeht. Ein fettes Brett für Fans des Thrash- und Speedmetal, auch Hardrock-Liebhaber kommen noch auf ihre Kosten. Einer der besten weniger bekannten Anti-Kriegs-Songs überhaupt! MM
1991 – BRYAN ADAMS – "(Everything I Do) I Do It for you" (06:33 in der Album-Version)
Die 90er waren schlichtweg genial! Für jeden Geschmack hatten sie etwas im Petto: Klassik und Chöre ("Time to Say Goodbye/Con te Patiero", SARAH BRIGHTMAN & ANDREA BOCELLI, "Conquest of Paradise", VANGELIS, "Who Wants to Live Forever" in der Version von DUNE), Hardrock und Metal (JUDAS PRIEST, MEGADETH, AC/DC, METALLICA halfen Interessierten gern weiter), dazu Hip-Hop, Rap und Sprachgesang (von den FANTASTISCHEN VIER bis zum RÖDELHEIM HARTREIM PROJEKT oder international COOLIO, PUFF DADDY (später: P. DIDDY), 2PAC, BIGGY, SNOOP DOGG, NAS, WUTANG CLAN) bis hin zu seichtem Pop und Eurodance war für alle was dabei. Rock-Softies wurden mit schönen Balladen belohnt, die zugleich oft geile Soundtracks zu geilen Filmen darstellten. So auch hier: Die 1991er-Interpretation des alten ROBIN-HOOD-Stoffes mit KEVIN COSTNER, MORGAN FREEMAN und ELISABETH MASTRANTONIO in den Hauptrollen konnte der 1937er-Verlade mit EROL FLYNN locker das Wasser reichen und war eine moderne Adaption des Stoffes, inklusive des humanistischen Ansatzes der 1990er. Nun, ALAN RICKMAN ist aus meiner Sicht immer noch der beste SHERIFF OF NOTTINGHAM, perfekt verkörperte er diese Schurkenrolle.
Doch genug vom sattsam bekannten Film geprahlt, der in Deutschland leider eine leidliche Angelegenheit geworden ist: Aufgrund einiger ursprünglich entfernter Szenen, die erst viele Jahre später eingefügt wurden, entschied man sich zu einer kompletten Neusynchronisation, wobei die alte, ursprüngliche, gute leider nicht mehr auf Bluray, DVD und Co erhältlich ist.
Der Song zum Film war vom kanadischen Fotografen und Schmuserocker BRYAN ADAMS, der eine thematisch perfekt auf die Liebesbeziehung zwischen ROBIN HOOD und MARIAN abgestimmte musikalische Glanzleistung hinlegte. Der Text, der von ewiger, unverbrüchlicher und solider Liebe handelt, dass Herr HOOD (bürgerlich-adelig: ROBIN VON LOCKSLEY) alles, was er tut, nur für seine große Liebe, MARIAN, tut, dass er "Oh, I would fight for you – I'd lied for you – walk the wire for you – yeah – I'd die for you!", ganz klare Kiste! Ein Moment, der zweimal in der normalen Liedlänge von über sechs Minuten vorkommt, in der fürs Musikvideo auf etwa 3,5 Minuten Normlänge gekürzten Musikvideoversion immerhin einmal, am Schluss. Passenderweise, wie öfter üblich, wurden passend einige Filmszenen eingeschnitten. Jedes Mal, wenn ROBIN HOOD durchs Turmfenster geschwungen kommt und vorm SHERIFF VON NOTTINGHAM landet, um diesen zum finalen Kampf um MARIAN zu stellen, kommen mir sentimentale Tränen. Auch der Rest des Liedes handelt textlich immer wieder von der großen Aufopferung für die Liebe: "Take me as I am – take my life – I would give it all – I would sacrifice". Rührend wie es ist, so kitschig ist es auch. Das macht natürlich nichts, denn Kenner des Sentimentalen, Emotionalen, die sensiblen Touches im Leben werden es mögen – und allgemein hat das Herz sowieso immer recht! MM
1991 – GENESIS – "No Son of Mine" (06:40 = in der Albumversion, sonst gekürzt auf ca. 5,5 Min.)
Schade nur, dass das Lied, das in der Ich-Form gesungen wird, um es nahbarer zu machen, um sich hineinversetzen zu können in die Figur und mit ihr sympathisieren zu können, nicht PHIL COLLINS' Kindheit wiedergibt. Er hatte keine traurige, traumatisierende Kindheit mit missbräuchlichen Eltern, insbesondere einem tyrannischen Vater, der durch sein Verhalten den Sohn aus dem Haus vertrieb. Der Sohn musste Reißaus nehmen… Nein, COLLINS hat diesen anrührenden und betrübt stimmenden Song zwar geschrieben und komponiert, aber er gibt damit ebenso wenig etwas Autobiografisches wieder wie in "Jesus He Knows Me", schließlich ist er ja auch kein seine Ehefrau betrügender TV-Evangelist. Doch dieser Song ist bestens arrangiert, von vornherein baut sich eine bedrückende Stimmung auf: Ein Uhrenpendel-artiges Klacken und Ticken eröffnet den Song, dann setzt ein schnarrendes Geräusch ein, das mithilfe einiger gesampelter Gitarrenakkorde in Kombination mit einem Keyboard erzeugt wurde.
Die unwiderstehlich ohrwurmige Melodie, die tiefen Molltöne, dann COLLINS' einfühlsamer Gesang faszinierten mich seit jeher, seitdem ich als kleiner Junge von neun Jahren das erste Mal dieses Lied auf Audiokassette hörte (später legte ich mir alles schön digital auf CD zu). Es zählt zu meinen absoluten Favoriten, auch wenn viele Altfans von GENESIS die Radiotauglichkeit (ja, auch dieses Lied wird heutzutage noch gern im Radio gespielt) und die nicht mehr so AOR-artigen und kaum noch Artrock zu nennenden Arrangements kritisierten. Den Text kann ich selbstredend auswendig, inklusive aller Phrasierungen, könnte ihn im Schlaf aufsagen. Wenn PHIL COLLINS die ersten Textzeilen singt, bin ich mit Gänsehaut gesegnet und elektrisiert: "Well, the key to my survival – was never in much doubt – the question was how – I could keep sane – tryin' to find a way out". Auch das Inhaltliche rührt immer wieder, die Wiederbegegnung des aus dem traumatisierenden Elternhaus geflohenen Sohnes mit dem Vater, die Konfrontation, nachdem der gereifte Mann nun glaubt, sich mit seinem Vater aussprechen zu können, das alles ist großes Musikkino und eine ergreifende Songgeschichte: "Soon I had to face the facts – We've had to sit down and talk it over" – später dann: "They say, that time is a healer – and now my wounds are not the same – I rang the bell with my heart and my mouth – I had to hear, what he said…". Doch dann der Bruch, das Zerbrechen des Inneren, als der Vater zum Verstoßer wird, der die gefühlsmäßige Vaterschaft mit dem titelgebenden Satz aufkündigt und damit tiefe (neue) Verletzungen auslöst: "He sat me down to talk to me – he looked me straight in the eyes – (And) He said: - You're nos on, you're no son of mine – You're no son – you're no son of mine! – When you walked out – you left us behind!". Das lyrische Ich des Sohnes kommentiert dies entsprechend, den Hörer adressierend: "Oh, his words how they hurt me – I'll never forget it – And as the time – it went by – I lived to regret it".
Zur Conclusio des Liedes hin steigert sich alles zum großen Finale, die Synthesizer funkeln, sie verleihen der ganzen trüben Stimmung den passenden Schliff, während der Refrain wiederholt wird, COLLINS regelrecht bölkt: "You're no son of mine! – Mine! Mine! Mine! – You're no son of mine!!!", hilflos erwidert vom armen Sohn: "But where should I go – and what should I do?" Auf den wiederum schreienden Vater, der das "No Son of Mine!" erneut stark betont: "But I came here for help – oh, I was looking for you!". Alles endet in einem "oho! Oho, oho!" der Bandmitglieder, die COLLINS' Gesang jetzt alle unterstützen. Nicht einfach nur ein Ohrwurm, sondern ein Lied zu einem ernsten Thema, ein dramatisches Lied immer noch, was im sepiafarbenen Musikvideo auch nochmal gut adäquat dargestellt wird. Im Radio wird die letzte Minute des Songs und ein Teil der zweiten Strophe immer weggeschnitten, weshalb man sich tunlichst befleißigen sollte, die Albumversion zu hören. Das Album lohnt sich durchaus, es zu kaufen ist keine üble Idee. Dieses Lied ist der Anfang des grandiosen Albums. MM
1991 – GUNS'N'ROSES – "November Rain" (08:57)
Wenn es eine epische Mammut-Rockballade aus den 1990ern gibt, die es musikalisch mit der Grandezza von "Stairway to Heaven" aufnehmen kann, ist es diese hier. Obgleich es inhaltlich eine pathetische, übertrieben kitschige Liebes- und Liebeskummerballade voller Sentimentalität ist, die allerdings auch gerade dort ihre emotionalen Stärken entfaltet, wo es bei STH eher mangelt (dafür ist dort die Mystik stärker ausgeprägt), hält sie mit. Sie ist zwar sogar fast eine Minute länger als STH, und fährt das volle Programm auf: Streicher (Geigen), Piano, ein richtiges Orchester, auch mit Flöten, dazu natürlich E-Gitarre und E-Bass, dazu gibt Gitarrist SLASH (SAUL HUDSON) gleich zweimal dem Süßen Saures, zwei exzellente Gitarrensoli sind enthalten, auch das Musikvideo mit einer in einem Brachland stehenden Kapelle, einer Hochzeitsfeier und später einer Beerdigung und einen Sarg, auf den der "Novemberregen" plätschert, während sich SLASH maximal ins Zeug legt und Sänger AXL ROSE auf dem Piano alles gibt, eh sich alles im Finale der letzten 2,5 Minuten zum absolut opulenten Klangexzess steigert, sich E-Gitarre, Schlagzeug und Piano, jetzt gespielt wie ein Derwisch, in einer nie dagewesenen Vereinigung zu einem der besten Rocksongs aller Zeiten steigern.
Bis dahin baut sich alles allmählich, gemächlich auf, Grillenzirpen zu Anfang, Grillenzirpen ganz am Ende, aber nach dem Anfangszirpen zunächst ein langsamer, leiser Aufbau, ehe AXL ROSE mit seiner krächzenden Rockröhre beginnt: "When I look into your eyes – I can see a love restrained – But darling, when I hold you – Don't you know I feel the same?"
Und zugegeben: "Nothin' lasts forever – and we both know, hearts can change – And it's hard to hold a candle – in the cold November Rain". MM
1991 – METALLICA – "Nothing Else Matters" (06:28)
Man kann der US-Metal-Musikkapelle METALLICA eine Menge vorwerfen, etwa, dass sie ab ihrem "schwarzen Album" (oder das selbstbetitelte "Metallica" von METALLICA), das mit dem pechschwarzen Cover mit einer kleinen sich ringelnden Schlange in einem dunklen Violett drauf, sehr mit dem Mainstream geliebäugelt hätten. Ihre Musik wurde weniger hart und dafür umso zugänglicher, leichter zu konsumieren, besser zu verstehen. Es war immer noch Metal, wenngleich nicht mehr Thrash, aber mehr wie Hardrock, mit sehr eingängigen Melodien und einfacheren Arrangements. Daraus gingen durchaus auch radiotaugliche Hits hervor. Nicht unbedingt das gruselige "Gutenachtlied" "Enter Sandman", eine eher makabre Monsterballade (ohne Weiteres mit dem "Schlaflied" von DIE ÄRZTE, 1984, vergleichbar), sondern sowas wie die berühmteste ELSE mit Nachnamen MATTERS, erster Vorname NOTHING. "Nothing Else Matters", für die des Englischen mächtige Hausfrau natürlich nichts mit irgendeiner "Else", sondern "Nichts sonst zählt". Die romantische Liebesballade mit Powerakkorden avancierte zu METALLICAs berühmtestem Lied, womöglich auch einem der beliebtesten. So erschlossen METALLICA sich Fans aus bisher kaum für Metal erreichbaren Zielgruppen. Auf einmal rockte die Großmutter (selbst meine Oma musste zugeben, dass es sich um ein fantastisches Lied handelt, auch wenn sie der englischsprachigen Musik seit jeher eher abgeneigt war, da sie zu ihrer Zeit niemals Englisch gelernt hatte und infolge dessen inhaltlich nichts verstand), auf einmal war Rockmusik zugänglicher, von Interesse auch für notorische Rockmuffel.
Doch was macht's, schließlich ist es ein perfekt arrangiertes Lied, mit der Akustikgitarre, die das Ganze einleitet, dezent wird gesungen, JAMES HETFIELD beweist als Sänger, dass er nicht nur affig brüllen kann wie ein typischer "Shouter" beim Heavy Metal, sondern auch artikuliert singen. So mit Melodie und so. Gern tanzte ich mit allen möglichen Leuten dazu, mit Onkel und Tante, mit Cousinen, mit meiner Freundin, mit Freunden. Der Zusammenhalt als Paar, der im Lied thematisiert wird, gerade gegenüber einer eher ablehnenden, abweisenden Welt, einem Umfeld, das verstößt, als Außenseiter, die zusammengehören, ist etwas, von dem sich viele Menschen angesprochen fühlen dürften. Es ist keine Schande, massentaugliche Metal-Musik zu machen, auch wenn man sonst gern der Harte wäre. MM
1991 – METALLICA – "The Unforgiven" (06:27)
Auch auf dem "Black Album"/"Metallica" enthalten, ist dies der erste Teil der tragischen Fiktionsgeschichte eines Jungen, der immer in sich selbst, seiner eigenen Höhle gewissermaßen, gefangen ist, in seinem eigenen Geist und all das. Es wurde ein Meisterwerk, dieses Lied, einfach gut: Melodisch, tolle Instrumentierung, Effekte und alles. MM
1991 – QUEEN – "Innuendo" (06:30)
Eines der letzten Lieder vor FREDDIE MERCURYs traurigem frühen Tod. Was hätte aus QUEEN noch werden können, hätte dieser Ausnahmekünstler länger gelebt, welche Meisterwerke hätten die 1990er und 2000er und vielleicht sogar 2010er und 2020er bereichert und die Musik gerettet – vor allem vor dem Schrott, den die letzten 20 Jahre bis 2025 hervorgebracht haben! Ein typisches QUEEN-Lied: monumental, episch, kraftvolle Klangwände, krachend, megapräsente Stimme, zwischendrin leise Töne durch Akustikgitarren. Ehe alles in eine Art stierkampfmusikartige Melange aus feinsten Flamenco-Tönen übergeht, ist dieses Stück wahrlich, neben dem zur selben Zeit entstandenen "The Show Must Go on" (leider etwas zu kurz für diese Liste), eine wahre Großtat! Das Mäandern zwischen tollen E-Gitarren-Kaskaden, ständigen Tempowechseln und dem genialen Gesang ist etwas Bewegendes, man hat das Gefühl, in einer gewaltigen Arena einem der besten Schauspiele der Welt beizuwohnen. Kurz vor Ende setzen auch noch vereinzelte Queen-typische Chöre ein, die ein wenig an "Bohemian Rhapsody" erinnern. Grandios! MM
1992 – BON JOVI – "Keep the Faith" (05:44)
Ein paar angedeutete Gitarrenfetzen, dann setzt der fast 2-step-artige Schlagzeugbeat ein, der das Lied weitestgehend dominiert: Hier kommt JON BON JOVIs kräftige Stimme zum perfekten Einsatz, in einem hymnischen Geilomat-Song über das Festhalten am Guten, am Sicheren, am Vertrauten und dem "Glauben" halt. Eines der stärksten BJ-Lieder. MM
1992 – LEONARD COHEN – "The Future" (06:41)
Der gepflegte Herr mit dem Feodora-Hut war ein Ausnahmekünstler, ein tiefschürfender, verkopfter Intellektueller, ein Liedermacher der gehobenen Art, mit Stil und Charme. Es war Herr LEONARD COHEN, bestens bekannt für sein "Suzanne", "Famous Blue Raincoat" und für das vielfach gecoverte "Hallelujah" (nicht identisch mit dem weiter oben behandelten von den HAPPY MONDAYS). Doch auch das Düstere ließ er gern in sein musikalisches Leben einfließen: Ehe er 2016 sein letztes Album zu Lebzeiten aufzeichnete, dessen Titelsong "You Want it Darker" mir durch die HONIGWABE bekannt wurde und das ich in meine Liste meiner absoluten Evergreens aufnahm, kannte er auch schon kritische Töne über künftige Dinge: "I've seen the future, Baby – It is murder!" haucht er hier, und "sinner, repent!" wird immer wieder angemahnt. In einem mittelschnellen Track mit Pop- und Jazzelementen, stellt er eine der zahlreichen Zukunftsvisionen auf. Das war 1992 durchaus nichts Neues, schließlich boomte die (Post-)Apokalypse- und Science-Fiction-/Dystopie-Filmkunst wie selten zuvor, doch COHENs Art des Vortrags ist schon etwas Spezielles. Das Düstere, flüsternd und wispernd vorgetragen, kommt perfekt zum Tragen. Zukunftsvisionen mögen umstritten sein, nicht immer sind Prognosen akkurat, man denke nur an das tolle aber teils lächerliche "In the Year 2525" von ZAGER & EVANS (1969). Alles kann man nicht vorhersehen, doch vielfach reichen Warnungen vor Zukunftsszenarien ja aus, um diese zu verhindern. Ob 1992 die Globalisierungstendenzen heutiger Tage, die Exzesse der Mächtigen vorhersehbar waren, ist fraglich. Doch "1984" war schon sehr lange Zeit auf dem Markt.
Der Anfang fordert etwas Vertrautes zurück: "Give me back my broken night – my mirrored room – my secret life – it's lonely here – there's no one left to torture" – In dieser ersten Zeile bringt COHEN vieles auf den Punkt, das schon in den 90ern schiefgelaufen sein mag: totale Überwachung, weshalb er "mein geheimes Leben" zurückwill, die Vereinsamung des Individuums in einer Massenwelt (massenpsychotisch) ("it's lonely here").
Dann die Gegenforderung des übermächtigen Apparats (eines Staates?): "Give me absolute control – over every living soul – And lie beside me, baby – that's an order!" heißt es streng. Auch die Degeneration durch all-überall verfügbaren Sex und die Ausschweifungen, die sich sicherlich schon damals andeuteten, die wir heute noch viel stärker haben, werden angedeutet: "Give me crack and anal sex – Take the only tree that's left – Stuff it up the hole – in your Culture" geht es weiter, sodass alle drei Eingangsstrophen aus jeweils einer anderen Lyrik-Ich-Perspektive unterschiedlicher Personen geschrieben sind: Die erste ist der sich nach der vergangenen Normalität sehnende Mensch, der zweite ist der überkontrollierende Staat(svertreter), der dritte der Hedonist, der allen Spaß haben will – ohne Tabus und Schranken. Ein Spaß, der längst vielfach unsere Freiheiten im persönlichen und politischen Bereich sowie in der Entfaltung getilgt und ersetzt hat.
Der beinharte Neo-Kommunist spricht aus Strophe 4: "Give me back the Berlin Wall – Give me STALIN and SAINT PAUL", ehe dann der Refrain mit dem lakonischen Kommentar: "I've seen the future, Brother, it is murder!" folgt. Ein Song wie ein Menetekel, dräuend aber relevant. Die Warner vor der Zukunft hatten übrigens recht! MM
1993 – BON JOVI – "Bed of Roses" (06:35)
Eine Powerballade in der Tat, doch hier lässt es die Band BON JOVI viel seichter, sanfter und weicher angehen. Man präsentiert sich von der besten Seite: Tolle Melodie, gute Instrumenten-Korrespondenz: Ein Piano, eine dezent aufheulende E-Gitarre zeichnen die Harmonien vor, es kommt zu einem starken, packenden Song, kitschig aber feierlich, "I wanna lay you down on a bed of roses", das ist doch das Klischee des Oberromantischen, doch sicherlich etwas, das ich auch verinnerlicht habe: Man(n) sollte einfach tierisch romantisch sein, seiner Liebe auf besondere Weise, mit besonderen Arrangements und Gesten Aus- und Nachdruck verleihen, so kann man es interpretieren. Der zurückhaltende Anfang kulminiert dann aber in einem meisterlichen, eher harten Refrain, der aber immer noch musikalisch so zugänglich bleibt, dass man es mögen kann. Auch dies ist ein Beispiel für massentaugliche Rockmusik, doch keineswegs schlechte. Im Gegenteil: Unter meinen und sicherlich nicht nur meinen Top10 der besten Rockballaden aller Zeiten dürfte dieses Lied zu finden sein! Exzellente Powerballade, die ans Herz geht. MM
1993 – ACE OF BASE – "Waiting For Magic" (05:21)
Das weltberühmte Märchen der Schneewittchen ist auch im gar nicht so fernen Skandinavien, speziell Schweden bekannt. Auch die Eurodance- und Slowdance-Combo ACE OF BASE, verantwortlich für viele großartige Tunes, unter anderem "Happy Nation", "All That She Wants", "Wheel of Fortune", "Lucky Love", "Beautiful Life" und das Cover von BANANARAMA, "Cruel Summer" und das von TINA TURNERs "Don't Turn Around", hat einen langen Song. Auf dem Debütalbum "Happy Nation" waren noch weitere gute Songs versteckt, die auch Hitpotenzial gehabt hätten, etwa "Münchhausen – Just Chaos" (die Schweden kennen sie wirklich gut mit deutschen Sagen aus) oder eben dieses hier, wo es heißt: "Kiss me Baby, I am Snow White – Sleeping in a coffin – waiting for you – Sleeping in a coffin (waiting for magic)" lautet es dann, zu einem flotten Beat, dynamisch, nicht zu kräftig, nicht zu aufdringlich. Und mal ehrlich: Kann man die Geschichte um das gute Schneewittchen wirklich noch besser erzählen? Die Vorgeschichte wird natürlich auch beleuchtet werden. MM
1993 – DIE ÄRZTE – "Wenn es Abend wird" (06:36)
Beim vom rein musikalisch beackerten Genre in diesem Lied handelt es sich wohl um den seltsamsten Ausflug in andere Musikrichtungen als die des Deutschrock, dem sich diese Band zuordnen lässt, den diese Musikertruppe je unternommen hat. Das musikalische "Mediziner"-Duo ist für derbe Zoten und sexistische bis hin zu anderen ironischen Anzüglichen in Gags berühmt-berüchtigt, doch dieser irre Trip in Gefilde der Volksmusik ist bemerkenswert. Von Bandseite hatte man sich mit dem Management einer berühmten Volksmusik-Gruppe in Verbindung gesetzt. Im Booklet des 1993er-Comeback-Albums "Die Bestie in Menschengestalt" (die Band hatte sich 1988 getrennt, 1993 beschlossen, unter leicht veränderter Besetzung – der Deutsch-Chilene RODRIGO GONZALEZ stieß anstelle des unbedarften SAHNIE, bürgerlich HANS RUNGE als Neubesetzung zu den beiden anderen) ist im Kleinstformat ein Brief des Managements besagter Volksmusik-Macher abgedruckt, in dem das Ansinnen der Band, mit diesen Volksmusikern zu spielen, abschlägig beschieden wurde – Begründung: Der textliche Inhalt entspreche nicht dem, das man gern zu singen bereit ist und vertrage sich nicht mit der Image-Ausrichtung der Gruppe, so ungefähr.
In der Tat dringen wir damit bereits zum Kern der Problematik vor: Während der reine Sound, die typische Volksmusik (aus Bayern) Instrumentierungen mit Bläsersektion und Akkordeon geradezu peinlich ist, laut aufzudrehen (selbst in der heimischen Anlage), da man als Nicht-Volksmusik-Fan wohl nicht mit diesem Zeug assoziiert werden möchte. Peinlich! Doch der Text strotzt nur so vor Tabubrüchen, politischer Unkorrektheit, die in woken Scheißzeiten wie heutigen nicht Stein, sondern ganze Lawine des Anstoßes wäre! Kein Wunder also, dass sich die Volksmusikkapelle nicht zur Zusammenarbeit bereiterklärte! In einem vermeintlich "idyllischen" und "friedlichen" Alpental, in einem fiktiven und wohl kleinen Ort, einer verschworenen Dorfgemeinschaft, läuft eben nicht alles harmonisch ab. Wie in vielen US-amerikanischen Songs, Filmen, Büchern und anderen Kulturerzeugnissen der "American Dream" ständig demontiert, zumindest in Frage gestellt wird, haben wir es hier mit dem vermeintlich "spießigen", "hinterwäldlerischen" und dafür konservativ hochmoralischen Bayern zu tun, in dem insgeheim die Post abgeht. Hier werden Gesetze gebrochen, zumindest verletzt, Ressentiments gepflegt und deviante sexuelle Praktiken betrieben, selbst der Ordnungshüter ist kein unbeschriebenes, sauberes Blatt!
Fängt alles harmlos an, mit "Wenn es Abend wird – drunt am Alpensee – und die Nacht rückt langsam her – wenn die Lerche steigt – und ihr Lied erklingt – ja, da wird mir dann mein kleines Herzerl schwer!", trällert Sänger FARIN URLAUB mit einem gefakten bayrischen Dialekt süffisant und melodramatisch, eh er dann ins Detail geht über all die "offenen" 'Geheimnisse', die er von den Dorfmitbürgern weiß: "Der WEICHLINGER in seinem BMW", der auch im volltrunkenen Zustand fährt, da er als Dorfpolizist nicht um seinen Führerschein fürchten muss, die "Frau Wirtin", die ihrem bäuerlichen Mann "Zyankali einschenkte", weil er "mit seiner schönsten Kuh" fremdgegangen war, der Sohn des "Franzen", der nach dem Tod des Vaters vor 7 Jahren (unausgesprochen aber angedeutet, dass der Sohnemann sehr wohl für dessen Tod selbst verantwortlich ist) immer noch dessen "dicken Rentenscheck" einstreicht, "die Heidelind", die "schon ihr drittes Kind" mit gerade einmal 17 Jahren hat, geschwängert jeweils von ihrem eigenen Vater, weshalb "die Kleinen sind alle mongolid". Auch die traurigste und übelste zeitgeschichtliche Verwerfung der Zeit Mitte der 90er, als echte Neonazis als glatzköpfige Schweinebacken loszogen und wirklich gezielt Jagd auf Ausländer aller Art machten, kommt vor, hier jedoch in der vermeintlich harmlosen Gestalt einer Lehrerin: "Da is' ma Lehrerin – der ich so dankbar bin – weil ich heute schreim und lesen kann – und in den Ferien – da fährt sie nach Schwerin – und da zünd't sie Asylantenheime an". Eine damals leider mehrfach wirklich geschehene Schandtat (nicht unbedingt von irgendeiner "Lehrerin"), im Gegensatz zu heute, wo sich gewisse Innenministerinnen "80 Angriffe gegen Asylheime" aus dem Arsch ziehen, von denen sich dann die deutliche Mehrzahl als irgendwelche fern der Asylunterkunft vorgekommenen Streitereien oder ein harmloser AfD-Flyer im Briefkasten des Asylheims und eine Schlägerei in einer Kneipe in Rufweite des Etablissements sowie Werbung einer de facto rechtsradikalen Partei (Der III. Weg) unweit des Asylheims in einem Park an einer Schautafel aufgebracht war.
Nun, das war schon der grausamste Teil des Songs. Doch auch der Rest der Strophen, die trotz der enormen Länge des Liedes im Verlauf niemals langweilig werden, hat es in sich, wenngleich einem die Praktik mit "gottgeweihten Kerzen", die vom stets "fromm und froh" lächelnden Herrn Pfarrer, der "steht bei der Annegret", einem "braven Buam in den Po" anal eingebracht werden. Wenn dann am Schluss in der Conclusio nochmal auf die erste, noch harmlose Strophe referenziert wird und das Instrumental in typischster Volksmusik-Manier und –Phrasierung immer weiter und weitergeht, bis es einen ordentlichen Tusch zum Ende gibt – und einen langgezogenen, heftigen Rülpser (Fachsprache: "Bäuerchen"), wenige Sekunden nach Verklingen des letzten Tons, ist das Lied Geschichte. Und man fühlt sich angenehm beschwingt aber auch verulkt und verwirrt zugleich: Wow, was war das denn? So viele Volksmusikklischees nach weidmännischer Sitte aufgebrochen und zerstört – und das in einem Jahr, als man noch nichts vom "Horrorhaus in Höxter" und erst recht nicht von der Kellerhaltung des JOSEF FRITZL wusste – und viele andere Schweinereien noch nicht kannte. Die Welt war damals auch schon krank, wie das Lied jedenfalls illustriert, doch Heilung hätte bestehen können, wäre es nicht zum Wokeness-Virus gekommen – und zum wahnhaft Religiösen des Klimawandels. Wer sich rein musikalisch in eine idyllische Volksmusik- oder Schlagerstimmung der "Heilen Welt" versetzen lassen will, ist hier natürlich goldrichtig, solange ihn der echt krasse Text nicht dabei stört. MM
1993 – MEAT LOAF – "I'd Do Anything for Love (But I Won't Do That)" (12:00 = in der Albumversion, ca. 5 Min. = in gekürzten Radio-/Kompilationsfassungen)
Der bürgerlich MICHAEL LEE ADAY geheißen habende MEAT LOAF (zu Deutsch ungefähr: "Fleischklops") war ur-amerikanisch: Breit, beleibt, massig – und mit einer "fetten" Mega-Stimme ausgezeichnet, voller Volumen und purer Kraft. Die Leidenschaft für opulente Rockstücke, die man, in kulinarische Maßstäbe umgewandelt, wohl nur mit der Sendung "MAN VS. FOOD" und den dort kredenzten Riesenportionen vergleichen kann, verkörperte der Sänger im wahrsten wie übertragenden Sinne des Wortes. Zwar wurden alle seine Musikstücke in ihrem orchestralen Sound, der das Beste aus Rockmusik und Klassik verschmelzen ließ, von JIM STEINMAN komponiert und geschrieben – sie lebten jedoch durch Herrn ADAYs Präsenz in Stimme und – bei Bewegtbildern – Auftreten. Einer der letzten Musiker, die sich voll in die Sache hängen, war er. Doch jetzt ist er seit Jahren tot. Leider. Er hinterlässt ein phantastisches Gesamtwerk aus lauter genialen Hits, angefangen mit seinem 1977er-Debütalbum "Bat Out of Hell" (mit dem brillanten Titelsong), dem er 1993 eine Fortsetzung mit "Bat Out of Hell II" folgen ließ. Auf ihm befindet sich das epische "I'd Do Anything for Love (But I Won't Do That)". Einzig auf diesem Album allerdings in der schwelgerischen 12-Minuten-Version. Verständlicherweise wurde für die Verwendung auf diversen Rock- und 90er- und sonstigen Musikzusammenstellungen mit diversen Interpreten das Lied auf die wesentliche Länge von viereinhalb oder fünf Minuten heruntergekürzt. Dort kommt dann nur der Gesang des Meister vor, unterstützt von einer Dame namens PATTI RUSSO (zunächst als "Mrs. Loud" vorgestellt), die aus Nordwestengland stammt. Ihren souligen Gesangspart kann man nur als unverzichtbares unterstützendes Moment des Liedes bezeichnen. Die Kraft dieser Powerballade ist und bleibt ein Klassiker, JIM STEINMANs Meisterschaft im Komponieren echt fetter, opulenter Rockopern wie dieser kommt einfach der dickste Haufen Respekt zu, den ich zu vergeben habe! Grandios! MM
1993 – BLUMFELD – "L'etat et moi (mein Vorgehen in 4-5 Sätzen)" (05:27)
Die sehr verkopfte, intellektuell höchstanspruchsvolle Seite der (deutschen) 1990er Jahre dürfte zwar Wohlbewanderten bekannt sein, doch die "Hamburger Schule" um Musikgruppen des deutschsprachigen Alternative- und Progressive-Rock sowie Psychedelic-Rock wie DIE STERNE, TOCOTRONIC, SELIG und natürlich BLUMFELD ist eben ein Randphänomen. Nicht dass es keine Charterfolge gab, nur schaffte es keines der erstklassigen aber schwerer zugänglichen Lieder auf Platz 1 der Toplisten. Es ist ja auch nicht der Fall, dass man nicht ein paar Sachen von TOCOTRONIC gehört haben kann, auch DIE STERNE dürften durchaus wenigstens mit "Was hat dich bloß so ruiniert?" bekannt sein. Auch BLUMFELDs "Tausend Tränen tief" (wird weiter unten auch besprochen) könnte schon einigen begeisterten 1LIVE-Radiohörern bekannt geworden sein. Nein, doch dieses Lied ist im Prinzip nicht einmal ein Lied, sondern ein episches Gedicht, eine Art Ballade, das sich jedoch nicht reimt. Es weist die lyrische Struktur auf, doch ist nicht sklavisch der Reimtechnik unterworfen. Auf schwerverständliche Weise beschreibt das lyrische Ich, der Erzähler des Liedes (ob er mit dem Sänger und Texter JOCHEN DISTELMEYER identisch ist, bleibt offen) das Leben gegen Mitte der 90er in Deutschland. Die Schattenseiten waren damals durchaus beklemmend greifbar. Neonazis (echte Nazis, nicht diejenigen Nichtlinken, Selbstdenker und Querdenker, die man heutzutage so nennt) zündeten Asylantenheime an, es gab einige unschöne Übergriffe auf Ausländer. Das als spießig und verquast empfundene Deutschland, frisch wiedervereinigt, militaristisch, militärisch aufgerüstet, ein "wiedererstarktes" Land unter einer quasi-konservativen Regierung (HELMUT KOHL führte das Land noch solide mit einer CDU, die den Namen und das Prädikat KONSERVATIV durchaus noch verdiente), was für eher linksveranlagte Leute höllisch gewesen sein muss. So könnte man die verklausulierte inhaltliche Richtung betrachten, in die der Text geht, die verkopfte Sprache, die Botschaft. Womöglich war es für manche Zeitgenossen damals etwas unerträglich, zu leben. Vielleicht war es langweilig für sie, unangenehm, einengend. Die Frage ist, ob man es noch so sehen kann, vergleicht man die meinerseits völlig zurecht als absolut freies Jahrzehnt (ich bin nicht allein mit dieser Einschätzung, was ich einer jüngst erschienenen Sendung entnehmen konnte: "Popgiganten – die 90er", RTL II, 2025) bezeichneten 90er mit den 2010ern und 2020ern. Doch darüber will ich nicht weiterhin meckern. Es gibt noch so viel Gutes über Vergangenes zu sagen, an das ich mich gern erinnere. MM
1993 – DAGOBERT – "Achtung, hier spricht der Erpresser!" (5:32)
Was auch immer man über die 1990er Jahre sagen kann, es war ein buntes Jahrzehnt! Nicht "bunt" und "divers" oder "vielfältig", wie man diese Begriffe im heutigen Sinne für eine woke Globalagenda missbraucht und ihre Bedeutung verdreht, in den Dreck zieht, sondern im wörtlichen Sinne! Nie wieder davor und nie wieder danach war die musikalische Menschheit so kreativ, nie vorher lagen Trash und Kult, Coolness und Intellektualität so dicht beieinander, niemals wieder feierte man Popmusik mit sinnfreien Texten, minimalistische, kaum text- als vielmehr basslastige Elektronikmusik und hart gesellschaftskritischen Grunge und (Neo-)Punkrock so sehr wie in dieser Dekade. Einem Jahrzehnt des Aufbruchs, der Digitalisierung, vor Social Media, vor YOUTUBE, vor Wikipedia, aber immer voller Optimismus, dass die Technologie uns in eine glorreiche neue Zeit bringen werde! Natürlich gab es auch Schattenseiten: Neben extrem anspruchsvollen, wenig leicht zugänglichen Liedern wie dem obigen "L'etat et moi" (BLUMFELD), wurden auch üble Verbrechen und dennoch charismatische oder kultige Verbrecher in Musik (oder etwas Ähnlichem) verarbeitet. Dieses Lied ist im Prinzip eine Midtempo-Technonummer, eine relativ stumpfe Aneinanderreihung weniger Sätze. Die Besonderheit, wie bei vielen Zeitdokumenten: Es handelt sich um den Originalton eines von der Polizei veröffentlichten anonymen Telefonats des zu der Zeit längst als "DAGOBERT" berühmt-berüchtigt gewordenen Kaufhaus-Erpressers, der damals bereits seit fast drei Jahren die deutsche Polizei an der Nase herumführte. Über ARNO FUNKE, wie sich später herausstellte, als der gewiefte Mann, der sich mittels allerhand technisch aufwändiger Kniffe und Tricks in eine Lage jenseits aller Geldsorgen bringen wollte, gibt es viele Filme, Serien-Episoden und Dokumentationen, dazu Verarbeitungen in fiktiven Handlungen von Hörspielen, Hörbüchern und jeder Menge Kriminalfallbücher. Das Lied, das ich erst im Rahmen einer 30 Jahre später im Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk ausgestrahlten, damals, 2023, neuen Dokumentation kennenlernte und tatsächlich eines der wenigen Musikstücke überhaupt ist, das mir aus den von mir sonst in- und auswendiggelernten 1990er nicht bekannt war, ist zwar simpel aber effektiv: Der Telefon-Originalmitschnitt wird mit einem Beat unterlegt, einem langsamen, monotonen aber irgendwie spannenden. Das Lied "hat was", wie man so schön zu sagen pflegt! Wer sich noch an eine besondere kriminalistische Schnitzeljagd erinnern möchte, wer sich wohlig gruselt oder einfach nur sensationslüstern ist (oder einfach alles der 1990er haben und inhalieren möchte wie ich), wer sich an eine der größten Verbrechensserien und bekanntesten Erpressung der bundesdeutschen Kriminalgeschichte erinnern will, ist bei diesem Lied goldrichtig. Ich besorgte es mir, nachträglich, billig und gebraucht, über EBAY, als gebrauchte Maxi-CD. Der Ex-Verbrecher ARNO FUNKE wurde 1994 geschnappt, bei einer missglückten Geldübergabe bzw. an ein paar Telefonzellen, da die Polizei zu schnell vor Ort war. Er wurde zu einer 10-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt, von der er ca. ¾ absaß. Danach machte der durchaus sympathische Gentleman-Exverbrecher Karriere, schrieb und zeichnete u.a. für diverse Satire-Zeitschriften, vornehmlich für das Magazin EULENSPIEGEL, schrieb über seine Geschichte, vermarktete sie gut – und trat im Zusammenhang mit der bereits Mitte der 2000er einsetzenden ersten 90er-Nostalgiewelle in der RTL-Samstagabendshow "Die 90er Show" auf, saß neben der großen deutschen Techno-Deejane MARUSHA auf dem Show-Sofa. Das war 2003. Nun, in den neueren Dokus tauchte er zum Teil auf, zum Teil wurde auch nur über ihn und seinen Fall berichtet. Der ehemalige Hauptkommissar, der ihn suchte und dabei relativ glücklos war, kam auch mehrfach zu Wort. Dieses Lied ist ein besonderes Zeitdokument. Wenn man mal Kinder hat, kann man ihnen von dieser verrückten Dekade erzählen, die bunt, ausgeflippt und ungemein frei war, voller Selbstverwirklichung, Individualität, Kreativität und Originalität. Dies Lied gibt Zeugnis davon! MM
1993 – CULTURE BEAT – "Mr. Vain" (05:36)
Wenn ich dies schreibe, ist der affengeile Supersong, der definierende Eurodance-Track überhaupt – und einer der besten und groovigsten, bereits 30 Lenze alt – und hat meines Erachtens dennoch kein Körnchen Staub angesetzt. Die einfache, extrem eingängige Melodie, der soulig-ausdrucksstarke Gesang der Sängerin TINA COUSINS, der Kontrast des Rappers JAY SUPREME in den Strophen, die wohlplatzierten Synthesizer und Klänge aus dem Drumcomputer, selbst der simple Text im Frage-Antwort-Gesangswechsel zwischen der Sängerin (als Anklägerin) und des Gemeinten (Angeklagten) "Herrn Eitel" ist bis heute einmalig. Ein zwar nicht an jeder Stelle originelles, aber gut von seiner Dynamik und seiner Ohrwurm-Melodie bekömmlich auskommendes Vorzeige-Eurodance-Lied. Zudem, bei aller Liebe zum tollen Alternative-Rock, Hardrock, Metal, Punkrock, Hip Hop und Rap, den poppigen Softballaden der 1990er Jahre und all den anderen vielfältigen Musikgenres dieses originellen und wirklich vielfältigen Jahrzehnts, einer der Decade-defining-Songs dieser Epoche. Kein Wunder also, dass er in jüngeren Jahren auch Werbespots wieder prominent mit musikalischem Leben erfüllt, u.a. den zum Streaming-Dienst DEEZER (und wo würde solch ein Song besser passen?), dort allerdings konterkariert durch einen skurrilen, semigepflegten Typen, der dazu einen Presslufthammer (!) schwingt! Ganz so arg ist es mit diesem Lied mit kräftig-entschlossenem Beat allerdings nicht! Die abgeschwächte Form des Techno, die jetzt, 1993, charttauglich wurde, ist hiermit gut vertreten.
Eine meiner großen Lieben ist und bleibt es freilich immer noch! Für alle Zeit! MM
1994 – BON JOVI – "Always" (05:44)
Im Jahre 1994 gab es zwei wundervolle Lieder mit dem schlichten Namen "Always": Zum einen eine Elektropop-Nummer voller Intensität, deren Synthesizer-Arrangement an 80er-Pop-Wave erinnerte, aber dennoch klar erkennbar aus den 90ern kam, eine sehr emotionale und tief bewegende Nummer eines schwulen Pop-Duos. Zum anderen die der Schmuserocker-Band um JON BON JOVI, den attraktiven Frauenschwarm der Band, dessen schmachtende doch kraftvolle Stimme unglaublich cool rüberkommt: Ein opulentes Klanggewand baut sich auf, das markante Riff geht, begleitet von einem Klavier, mit perfekter Komposition von Bass- und E-Gitarre nebenher. Dann die passenden Gänsehaut-Erzeuger-Zeilen: "This romeo is bleeding – But you can see his blood…", ehe es fast banal mit "It's nothing but some feelings – That this old dog kicked up", bevor wir uns endgültig ins Reich des gefühlvollen Kitsches begeben, mit: "It's been raining since you left me – Now I'm drowning in the flood – You see, I've always been a fighter – But without you, I give up". Dann tauchen wir durch alle Gefühlsebenen, einer echt ergreifenden, starken Mega-Powerballade, ein fettes Brett, satt und saftig, wie ein gutes T-Bone-Steak! Durch fast fünfdreiviertel Minuten, strebend zu einem epischen Finale voller leidenschaftlicher Energie werden wir weitergeführt, beschwingt fühlen wir uns im Anschluss. Wie sich JON BON JOVI als meisterlicher Sänger abkämpft, wie er sich so in sein Lied hineinsteigert, dass man ihm jede Regung abnimmt, bis zum Höhepunkt am Ende, dem langsamen Outfading. Man freut sich, das genossen haben zu dürfen. Richtig geniale Hardrock-Nummer! Scheiß' drauf, ob "Stadionrock", also etwas, das man in einem monumentalen Raum-Zusammenklang haben kann, pfeift auf die ganze "Schmuserock"-Unterstellungskaskade von Flachköpfen, denen es nicht "hart" genug sein kann oder einfach doofe Ignoranten: Das hier ist BON JOVI, diese Band, auf ihrem Höhepunkt! Viel geiler wurde es danach nicht mehr, mit Ausnahme vielleicht von "It's My Life" (2000, nicht zu verwechseln mit zwei ganz unterschiedlichen Liedern gleichen Namens) und "Have a Nice Day"… MM
1994 – BRYAN ADAMS – "Please Forgive Me" (05:55)
Mag BON JOVI für Softies sein, so ist BRYAN ADAMS erst recht für Hochsensible: Seine Rockballaden, immer glatt, immer perfekt arrangiert, niemandem wehtuend und doch so wohltuend wegen ihres Wohlklangs, finden immer neue Höhepunkte – und ehrlich erzählt: Wer "Everything I Do (I Do it For You)" aus einer der besten ROBIN-HOOD-Verfilmungen, "Robin Hood – King of Thieves"/"Robin Hood – König der Diebe", 1991 nicht mag und beim wunderschönen Liebestext sowie dem dazu passenden Musikvideo (das natürlich einige starke und emotional ergreifende Szenen aus dem Film enthält) nicht wenigstens ein wenig "Pippi" in den Augen hat, hat kaum ein Herz.
Doch auch dieses drei Jahre spätere Lied des Kanadiers mit den sanften Liebesballaden ist eines, das man nicht hassen kann. Wer liebte es nicht, hörte er es, diesem lieben Jungen zu vergeben: "Bitte vergib mir", so schmachtet er mit seiner halbheiseren, halb rauchigen Stimme, die einen dennoch durch das Ohr streichelt. Die Frauenwelt vergibt solchen Typen wie Herrn ADAMS, jedenfalls als er in den 90ern noch so knackig aussah – zumindest relativ. Schönes, solides Ballädchen, man muss es mögen, sonst gibt’s Ärger. Vergebung geben und finden, das gehört zusammen. Wer eine "eingedeutschte" Version will, die allerdings differenzierter mit beziehungstechnischen Einzelheiten im ständigen Spannungsfeld steht, wer also etwas rein thematisch ähnliches will, der lausche ergriffen "Dass es Dir leidtut" von PUR aus dem Jahre 1996. MM
1994 – BUSH – "Alien" (06:34)
Jaja, Stoner-Rock. Irgendwie wie Alternative-Rock mit mehr Psychedelik. Schön, schön. BUSH war eine dieser tollen Bands solcher Art, ALICE IN CHAINS war noch viel krasser. Doch ich mag BUSH ja, mehr als diese beiden Ami-Präsidenten, Vater und Sohn, in gewissem Abstand zueinander. Nun, bei diesem hier handelt es sich um ein nettes Liedchen, das sich langsam lichtet, aus einem diffusen Klangmix zu Anfang, wonach die Stimme des Sängers zunächst hysterisch schreiend (aber verhärmt, nicht direkt und laut) und dann melancholisch singend herausschält. Unheimliche, verzerrte Gitarrenlinien, ehe dann der hardrockige Teil einsetzt, um wieder dem Beklemmenden zu weichen. Toll. MM
1994 – MEAT LOAF – "Life Is a Lemon and I Want My Money Back" (08:00)
Ein schwerer Stadion-Rockstampfer ist das hier, "I want my money back!" brüllt "Der Fleischklops" aus Leibeskräften am Anfang, dann setzt es hymnisch ein, der Gesang kommt zur Strophe, "It's a neverending attack!" heißt es, es bleibt bei einem schwerfälligen Tempo, behäbig geht es durch den Track – und trotzdem voller schierer Übermacht in der Stimme des Herrn ADAY, im Hintergrund ein paar Grunzer und ein Grummeln der unterstützenden Hintergrundsänger. Macht Spaß, ist fett und opulent, wie man es gewohnt war von dem Manne! JIM STEINMAN hat man die geilen Arrangements zu verdanken. Auf dem zweiten Teil von "Bat out of Hell", "Bat out of Hell – Part II" (1994) veröffentlicht, stinkt dies Lied zwar gegenüber dem 1993 vorab veröffentlichten, das Album als 12-minütige (!) Vollversion krönenden "I'd Do Anything For Love (But I Won't Do That)" ab, kann sich aber als ähnlich stimmungsvolle, alle musikalischen Register ziehende Powerballade nur wenig davon entfernt platzieren! Perfekt! MM
1994 – SOUNDGARDEN – "Black Hole Sun" (05:18)
Die Düsternis, die sich im Nachhinein aus der Tatsache ergibt, dass sich CHRIS CORNELL im Jahre 2017 in einem Detroiter Nobelhotel das Leben nahm, strahlte von diesem Lied her. Der wohl bekannteste Song dieser Hauptband des mit markanter Stimme gesegneten Rocksängers (in den 2000ern hatte er auch einige musikalische Erfolge mit seinem Zweitprojekt AUDIOSLAVE) ist ein kryptischer, zwischen Melancholie und Abgeklärtheit wechselnder Rockbrecher, der beweist, dass es gegen Ende des 20. Jahrhunderts längst noch nicht Essig war mit perfekt komponierter, fetziger und genialer Rockmusik! Wie verschiedenen Interpretationen und in den letzten Jahren modernen Online-Songdeutungsportalen zu entnehmen ist, könnte die "Schwarzes-Loch-Sonne" dem Inneren eines Pistolen- oder Gewehrlaufes im Augenblick des Schusses entsprechen, bei dem es aussieht, als befinde sich ein Lichtring rund um die darin befindliche, schussbereite Patrone, die sich dunkel im Kontrast abzeichnet, während sie auf ihr Ziel zugleitet... Mit anderen Worten eine Art "schwarze Sonne" bei etwas, das visuell entfernt an eine Sonnenfinsternis erinnert. Vielleicht heißt es deswegen, sehr verworren und per Metapher ins Gegenteil verkehrt: "Black hole sun – won't you come – and wash away the rain" = "Schwarzes-Loch-Sonne, magste nicht kommen – und den Regen hinwegspülen?" Auch die "Beendigung" des (Lebens-)Schmerzens im Moment, in dem sich der Liedprotagonist – rein hypothetisch – eine Knarre an die Schläfe hält oder in den Mund steckt, um seinem Leben ein für alle Mal ein Ende zu machen, ist eine logische Annahme, wenn man sich den Text vergegenwärtigt und ihn zu verstehen versucht. Der "Rain", der eigentlich für den "Pain", also die "Pein" oder den "Schmerz" steht, wäre ja durch diese Schwarze-Loch-Sonne hinweggewaschen, selbst wenn es formal unlogisch klingt. Im aus epochalen Meisterrock-Soundwänden, die einen nicht erschlagen, aber hervorragen, bestehenden, mit einem leichten Southern Einschlag glänzenden, ansatzweise psychedelischen, zum großen Teil aber hart gerockten Rockbrocken ist keine Sekunde falsch gewählt, kein Moment zu viel, alles fließt logisch bis zu einem grandiosen Höhepunkt, eh es ein ersterbendes Stück wird. Die Intensität des wirklich verzweifelt klingenden CHRIS CORNELL, der hier eine seiner allerbesten Leistungen abliefert (auf ähnlich hohem Niveau wie bei seinem Solo-Stück "You Know My Name" zum ersten JAMES-BOND-Film mit DANIEL CRAIG, 2006) und seine Musik wohl wirklich, wirklich lebt, scheint vorwegzunehmen, was diesen zeit seines Lebens mit Depressionen gekämpft habenden Mann schließlich zum Äußersten trieb. Ein schönes Stück GRUNGE ist es, falls es noch GRUNGE-Charakteristika entspricht, doch SOUNDGARDEN waren eine GRUNGE-Band, die wohl beste neben NIRVANA, SILVERCHAIR und ALICE IN CHAINS.
Die Dynamik zwischen vergleichsweise ruhigen, gesetzten, schwerfälligen Strophen und der Kulmination in einen satten, fett geilen Refrain ist definitiv gegeben, die weiterhin rätselhaft verschlüsselten Zeilen lyrisch höchsten Niveaus tun das Ihrige dazu: "In my eyes – indisposed – In disguises no one knows – Hides the face – Lies the snake – And the sun in my disgrace…" heißt es gleich zu Beginn der ersten Strophe, die zweie fängt an mit "Stuttering – Cold and damp – Steal the warm wind, tired friend…" Sehr rätselhaft. Die entscheidende Stelle "In my shoes – walking sleep – In my youth, I pray to keep…" Ist es eine Sinnkrise? Geht es hier tatsächlich um jemanden (CORNELL selbst?), der gern "wieder Kind" wäre oder "nicht erwachsen" werden möchte, womit die Weise gemeint ist, die so abgeklärt, leidenschaftslos und ohne Staunen durch die Welt gehen ist? Eine Art MOMO-Effekt? Eine Art "Identitätsverlust", wenn man – zu weit? – seine Schritte lenkt? Angst also statt vor (Weiter-)Entwicklung vor dem Fehl schräger Wege, in die man hineingedrängt wird, vom Leben und anderen Menschen? Den armen CHRIS CORNELL kann man nicht mehr fragen, er nimmt die genauere Bedeutung seiner Zeilen mit ins Grab. Schade. Doch was er mit seiner Band hinterlassen hat, ist dieser Song, einer der markantesten, einzigartigsten dieser Band, der sich noch weit über das meiste andere Material abhebt, obgleich Lieder wie "Spoonman" oder "Outshined" ebenfalls ordentliche, ehrlich-erdige Rocksongs sind! Bleibt nur, die geniale Rifftechnik zu bewundern, beide Ohren verwöhnen zu lassen von diesem herrlichen Superspitzen-Musikstück! MM
1994 – THE CRANBERRIES – "Zombie" (05:07)
Wie bei so vielen der mollgeschwängert traurigen und zugleich anklagenden Songs sind sie nur in der ungekürzten Version gut, die man im Radio oft aus Bequemlichkeitsgründen niemals zu hören bekommt! Radiostationen sind Arschlöcher, das ist schon lange bekannt – und in Zeiten immer günstiger werdender CDs und wiedergekehrtem Vinyl und erst recht, für die Jüngeren, Streamingdiensten ist es ohnehin obsolet geworden.
Das gilt wohl wie für kaum ein anderes Lied so sehr wie für "Zombie" von THE CRANBERRIES mit ihrer Ausnahmestimme am Mikro, Frau DOLORES O'RIORDAN (leider 2018, mit nur 46 Jahren verstorben) und ihr vibrierendes Vibrato, ihr hysterisch heulende und mit sarkastischem, passiv aggressivem Ton ausgestattetes Organ. Wo man bei MEAT LOAF (siehe ein Jahr vorher, 1993) und seinem epischen Schmachtfetzen, der Powerballade schlechthin, "I'd Do Anything For Love (But I Won't Do That)" sicherlich angemessen auf 4-5 Minuten durchschnittliche Länge herunterkürzen kann, in denen jedoch die wesentlichen Dinge, wie etwa der Gesangspart der versierten, talentierten Sängerin PATRICIA "PATTI" RUSSO (*1964) enthalten sein sollte. Dennoch sollte man auch diesem Lied in der längsten Version (der Albumversion) eine Chance geben, abgesehen vom Musikvideo, in der es immerhin 07:48 Minuten lang ist. Nun, bei den CRANBERRIES kürzen wir vorsichtshalber gar nichts raus!
Ein dräuendes, dunkel gestimmtes Riff, ein nach wenigen Takten einsetzender schwerfälliger Schlagzeug-Rhythmus, eine wahre massive Betonwand drückt die Stimmung gleich in angemessene Melancholie und eine allgemeine Bedeutungsschwere, ohne ins Melodramatische oder gar Sentimentale abzugleiten. Zwar ist der Song, der dann seinen zauberhaften Anfang nimmt, mit einer zwar unwiderstehlichen, unter Tausenden leicht wiedererkennbaren Melodie (typisch 90er: eingängige Ohrwürmer und Wohlfühlnummern, doch nicht ausschließlich), nicht der erste Antikriegssong, bei weitem nicht (!), nein, nicht einmal der erste, der den kriegerischen, zu dem Zeitpunkt seit vielen Jahrzehnten anhaltenden Nordirland-Konflikt behandelt (man denke nur U2 und ihr "Sunday, Bloody Sunday", mit 04:40 Minuten leider etwas zu kurz für die hiesige Sammlung), doch die Herangehensweise ist einzigartig: Eindringlicher, anklagender, wütender, verzweifelter hat wohl niemals ein Lied – speziell zu diesem Konflikt – geklungen! Man merkt: Hier ist eine Band, die möchte, dass der ganze Scheißdreck sofort aufhört! Ähnlich wie ich es bezüglich der katastrophalen Einwanderungs- und Islamisierungsbegünstigungspolitik der Arschgeigen-AMPEL halte: Das muss sofort aufhören! – dies dringt aus jeder Zeile wie ein dreifach donnerndes, grollendes "J'accuse!". Der Text startet dann auch mit dem Abgefucktesten am Krieg: "Another head hangs lowly – Child is slowly taken – And the violence caused such silence – Who are we mistaken?" Das Töten, dem die Totenstille folgt, wird hier geradezu erfahrbar, Gänsehaut garantiert. Auch die Fragestellung "Who are we mistaken?", die sich in der zweiten Strophe in einem der stärksten Momente dieses an ihnen nicht armen Songs zu "We must be mistaken!" in Variation steigert! Ja, "Wir müssen falschliegen!", im Krieg tut es jede der i.d.R. zwei Konfliktseiten! Keiner ist der Gewinner! Die Eindringlichkeit wird in jeder der beiden Strophen deutlich, mit den Aufzählungen des Kriegsgeräts: "With their tanks and their bombs and their bombs and their guns…". Kickt dann die zweite Strophe im ruhigen Kontrast zur zunächst "nur" im Refrain, in dem Sängerin O'RIORDAN ihre volle Breitseite an all den negativen Emotionen durch ihre kippende, überschnappende, hysterisch heulende Stimmlage gibt, richtig rein, mit "Another mother's breaking – heart is taking over – When the violence causes silence…" – woraufhin bereits weiter oben erwähntes "We must be mistaken!" folgt. Der Überdruss dieses langanhaltenden Konflikts mit unzähligen Toten und so viel Blutvergießen kulminiert dann auch noch in "It's the same old theme – since 1916…". Woraufhin das Entscheidende kommt: Als sei der bis dahin nicht schon exzellente und völlig ausreichend das ganze Dilemma, Drama und Grauenhafte des Krieges beschreibende Text nicht genug, gibt DOLORES O'RIORDAN noch einmal alles, ehe sie "aufgibt" und die mächtige Soundwand "allein" lässt. Dann jedoch, nach ca. 3,5 Minuten, hat der Song eben noch lange nicht seine ganze Energie ausgehaucht, im Gegenteil: Jetzt fängt es erst richtig an: Nach einem scheinbar niedergehenden Abflauen der gewaltigen Wand des Klanges, sägen die E-Gitarren, die dumpf-dunkel grollenden E-Bässe und das Schlagzeug in einem wilden Sturm derartig ins ungemein Harte, dass man die Schrecken des Krieges in einer Art akustischer Version zu erfahren glaubt. Es bedarf keiner krassen, wie eine Mischung aus Luftschutzsirenen und heranbrausenden Bombergeschwadern klingenden Virtuosität an der E-Gitarre, die wohl niemand aus JIMMY HENDRIX' "Star Spangled Banner" (1969, Woodstock-Festival) reproduzieren kann! Nein, aber dies Antikriegslied in einer Art Klanggewitter, das erst wenige Sekunden vor der 5-Minuten-Marke auf einer ruhigen Note aber keineswegs versöhnlich endet, kommt am nächsten heran! Was bleibt noch an vielen Worten über eines der sowieso besten Lieder aller Zeiten zu sagen, aus einem Jahr, in dem einige der musikalischen Highlights der 1990er zur vollen Blüte kamen und selbst der auf zu der Zeit seinem Höhepunkt entgegenstürmenden Eurodance durch so viele gute Rockwerke (die STONES hatten "Love is Strong", WESTERNHAGEN "Es geht mir gut", "Cryin'" von AEROSMITH rockte mit seinem affenstarken Riff alles weg, "Black Hole Sun" von SOUNDGARDEN war einfach genial, STILTSKIN gaben ihr weitestgehend unterschätztes "Inside" zum Besten…) gekontert wurde? Nur noch, dass es jeder kennt, kennen sollte und es immer noch rockt. Seine Botschaft verfehlt es nie – und die arme DOLORES O'RIORDAN, die leider viel zu früh starb, hatte einfach ihre beste Performanz, selbst wenn sie in vielen weiteren guten bis sehr guten THE-CRANBERRIES-Songs fast ebenso spitze war. Ich empfehle – die meistens viel kürzeren Werke – "Salvation", ein kurzes aber abhottendes Meisterstück gegen Drogenkonsum, das wütende Liebesabgesangs-Brett "Promises", das melancholisch-deutliche "Free to Decide", das traurige "Linger" (wer es mag, wird es auch mehrfach im Film "Klick" hören, sogar von der Sängerin im Cameo gesungen) und natürlich das sehnsüchtige "Ode to My Family". Und sagen Sie mir bitte nicht, dass Sie "Hollywood", "Empty", "I Can't Be With You" und "When You're Gone" nicht kennen! MM
1995 – OASIS – "Champagne Supernova" (07:27)
Im Buch "1001 Songs – Musik, die Sie hören sollten, bevor das Leben vorbei ist", wird dieser Song ebenfalls aufgeführt, neben vielen anderen überraschenden. "Wonderwall", das wohl harmonischste und eingängigste Lied der Band OASIS (Britpop-Pioniere) wird mit keinem Wort erwähnt. Ist wohl durchaus erstaunlich. Dieses hier ist anders: Es ist zwar auch melodisch und NOEL GALLAGHER und sein Bruder machen nicht viel falsch hiermit. Der Anfang irritiert, hört man doch ein Plätschern, als badete die Band gerade auszeitnehmend im Pool. Dann setzt der Gesang zögerlich ein, eh sich alles nach einem Drittel in einen brachialen, sehr rockigen Refrain ergießt, zuvor schon ein wenig mit Mundharmonika begleitet. Der E-Bass dröhnt, die E-Gitarre wird bewusst schieftönig gespielt, doch dank des exzellenten Gesangs wird das Gesamtkonstrukt zusammengehalten. Inhaltlich dreht es sich um das Großherauskommen, um Ruhm, Ehre und Geld, um den schnellen Aufstieg, der gelegentlich überfordern kann, kulminierend nicht selten in einer "Champagner-Supernova am Himmel". Wer mehr von OASIS als nur das gefällige, beatleske "Wonderwall" kennenlernen will, höre sich dieses Lied bevorzugt an. Zu finden ist es sicherlich auf Streamingplattformen. Wer es jedoch ursprünglicher mag und auf das Format des Albums steht, das leider im Aussterben begriffen ist, kaufe sich (gebraucht?) das Album "What's the Story – Morning Glory" von OASIS, erschienen 1995, auf dem nicht nur dieses Lied drauf ist, sondern auch die härteren Kracher wie der Titelsong "Morning Glory" oder "Roll With it" oder auch "Some Might Say". MM
1995 – ZUCCHERO – "My Love" (05:24)
Der überaus gefühlvolle, leicht pejorativ als "Schmusesänger" (nicht ganz zu Unrecht, allerdings in einem äußerst positive Sinne) abgestempelte Italiener ZUCCHERO (Italienisch für "Zucker") ist eines dieser männlichen menschlichen Ausnahmetalente, die geniale Meisterwerke in Balladenform kreieren können, die nicht nur in jedem noch so strengen Ohr hängenbleiben, sondern derartig euphonisch gestaltet sind, dass sie sämtliche relevanten Sinne, insbesondere Seele respektive Herz, anregen. Lieder, die einen in einer gelöst-beschwingten und zugleich liebevollen Stimmung zurücklassen.
Häufig in seiner Muttersprache singend, kann der bürgerlich ADELMO FORNACIARI heißende Multiinstrumentalist, der von weltweiten Musikfachkreisen der Beiname "Vater des italienischen Blues" jedoch auch – und international gerade mit seinen zarten, sahnig wie leckere Sahnetorte im Gehörgang "schmeckenden" Balladen – auch auf Englisch überzeugen, mit einem nur leichten Akzent.
Dieses kraftvolle Meisterstück, das Favorit jeder Playlist begeisterungsfähiger Musik-Aficionados sein sollte, rührt nicht nur die Herzen, sondern kann mit einer unwiderstehlichen, sich im harmonischen Melodieverlauf stetig steigernden Eingängigkeit aufwarten. Für einen Popsong beinahe zu schön, künstlerisch wertvoll mit Geigenspiel und anderen Instrumenten fast in die Weihen klassischer Musik erhoben, ist der Suchtfaktor des in genau der richtigen Relation zwischen Strophen, Refrain sowie Instrumentensolo und Überleitung zum Grande Finale extrem hoch. Der Refrain = Killer, der Rest ebenfalls sehr zu Herzen gehend. Wenn das zwar episch schwelgende aber doch ob seiner Grandezza zu kurze Lied dann nach rund fünfeinhalb Minuten zum Ende kommt, ist man einfach nur noch glücklich, es zu kennen. MM
1996 – BECK – "Where It's at" (05:30)
Eine urige Gitarrenmelodie leitet dies ein, dies psychedelische Werk, das durchaus auch in die 70er gepasst hätte. Doch es ist funkig wie die 90er, frischer, frecher, fröhlicher. "Where it's at!" brüllt man im Chor im Quasi-Refrain, ein paar elektronische Effekte, Verfremdung, Stimmverzerrer verwandeln das Ding in einen seltsamen Soundmatsch, der sich allerdings trotzdem noch nach einem ordentlichen Lied anhört und anfühlt. Changieren zwischen verschiedenen Passagen, zwischendurch "spoken word" lyrics mehr als Gesang, übersteuerte Psychedelik, sowas ist fast schon ein Experiment, als mischte man viele Flüssigkeiten zusammen und es dennoch nicht zur Explosion käme. Hat was. Schwer zu begreifen, was es genau ausmacht. MM
1996 – BJÖRK – "Hyperballad" (05:23)
Ähnlich wie der in dieser Reihe bestehende Vorgänger BECK geht es auch BJÖRK nicht zwangsläufig darum, gefällige, wohlklingende, stringent komponierte Musik mit Struktur zu machen. Nein, im Gegensatz zu anderen Solo-Frauen im Gesangsbereich (SUZANNE VEGA, TORI AMOS, ALANIS MORISSETTE, GWEN STEFANI, SHANIA TWAIN, SHERYL CROW, um nur einige zu nennen) kann die Isländerin ziemlich biestig sein. Sympathisch ist sie selbst vielen Frauen, wie meiner Freundin, nicht, obgleich sie eine selbsterklärte Feministin ohnegleichen ist.
Ihr hektisch-gehetzter Gesang, häufig in der Stimme überkippend, das Hysterische, das bewusst unmelodische Timbre in der Stimme macht jeden ihrer Titel zauberhaft, so auch diesen. Zwar ist "Army of Me", ein Lied, das sie als Ansage an ihren weinerlichen Bruder geschrieben hat, besser und leichter akustisch zu konsumieren als dieses sperrige Stück, aber es hat beides was. So kann sie es nicht anders. Eigenartige Echolot-Geräusche treffen auf einen Technobeat, der wiederum durch einen weiteren unterschwelligen unterfüttert wird. MM
1996 – BÖHSE ONKELZ – "Regen" (08:41)
Über den tragisch-traurigen Zustand der Welt, die Imperfektion des ganzen Lebens und selbst in den erfolgreichsten Industrienationen und demokratischsten Staaten Ungerechtigkeiten sangen schon viele. Viele kritisierten "unsere" Dekadenz und "unsere" Waffenlieferungen in die Dritte Welt, womit wir an deren Leid schuld seien. Nein, und nicht mal der Regen ist als Symbol des Niedergangs durch Niederschlag nicht neu, auch DIE FANTASTISCHEN VIER hatten schon in "Es wird Regen geben" die "Dekadenz" der Welt thematisiert. Es könnte wesentlich schlimmer sein, aber besser auch, deshalb gibt es immer wieder Musik über menschliche Makel. Ach, dies hier ist eines, ein düsteres, dunkles, sehr, sehr mollartiges. Unbedingt hörenswert, in aller Ernsthaftigkeit in einer Ballade, hart aber balladesk, rockig aber schonend, es geht um die Botschaft. Die haben die BÖHSE(N) ONKELZ gut getroffen, ein anspruchsvolles Lied dieser Band, die mehr kann als immer nur stänkern. MM
1996 – DIE ÄRZTE – "Medusa Man (Serienmörder Ralf)" (05:58)
Das längste Lied auf dem komischen Konzeptalbum der Berliner Band, das menschliche Behaarung zum Thema hat, vom Kopf bis zum Gesicht und von da aus zum Scham, handelt von einem fiktiven Serienmörder namens RALF. Musikalisch hat man hier eine mit Akustikgitarre und normalem Schlagzeugspiel im mittleren Tempo gemachte Pop-Rock-Ballade, inhaltlich ist es krass: "Ralfi hatte langes Haar – viel länger, als es üblich war – Sein Haar, das war kein Mode-Gag – es diente einem andern Zweck", macht Songschreiber und Songsänger BELA B (DIRK FELSENHEIMER) klar, fährt fort: "Zum Peitschen und zum Strangulier'n – und manchmal auch zum Masturbier'n – hat er sein langes Haar trainiert…" So wird die Geschichte in Liedform gegossen, die eines Außenseiters und Schulversagers (nicht, dass einen das automatisch zum Serienkiller macht): "In der Schule eher schwach – nur Geschichte war sein Lieblingsfach – Die griechische Mythologie – beflügelte die Phantasie: - Einmal wie Medusa sein – mit Haaren, tödlich und gemein – ein Hippie namens Schmerz & Pein". Somit wurde der fiktive Ralf durch einen Teil griechischer Götter-, Helden- und Dämonensagen zum Serienkillersein inspiriert. Das für ÄRZTE-Verhältnisse ernste Lied hat immer zum Refrain: "Er wollte Tod und Unglück säen – mit sein'm Haar – mit sein'm Haar – ein'n Mord nach dem anderen begeh'n – mit sein'm Haar…" Makaber, zumal auch die Ermittlungsbehörden im Dunkeln tappen: "Und die Polizei sucht nach dem Tatwerkzeug", lautet es in der Überleitung, "doch das trägt Ralfi auf dem Kopf – Schon 120 Menschen brachte er um – die letzten 13 mit 'nem Zopf". Da es offensichtlich keinen Ausweg gibt und "Ralfi" nicht geschnappt wird, heißt es gegen Ende dann: "Irgendwann wird Ralfi sein Haar verlier'n – das wird seine Mordlust mächtig reduzier'n". Doch selbst in diesem ernsten und überhaupt nicht schönen Lied (die Melodie ist schon schön, aber mehr ist es nicht) geht es nicht ohne den augenzwinkernden ÄRZTE-Humor, besonders makaber geht es weiter: "Doch Serienmord ist populär – und irgendwann kommt irgendwer – und der mordet dann wie er", was immerhin die vage Perspektive eines Ausweges durch natürlichen Haarverlust beim Serienkiller offeriert. Toi, toi, toi, dass das klappt – oder dass sich "Ralfi" freiwillig selbst der Polizei stellt und sich für seine Taten bestrafen und in einer geschlossenen Anstalt für immer therapieren lässt. Zumindest muss er seine Mordlust in den Griff bekommen, denn sowas geht ja gar nicht! MM
1996 – FETTES BROT – "Die Einsamkeit der Klofrau" (08:11)
Auch im deutschsprachigen Hip-Hop/Rap ging es von Anfang an um vieles, vor allem aber Selbstbeweihräucherung: Wir haben die besten Reime, wir sind die Geilsten, wir sind die Größten, wir sind so super, dass alle anderen gehörig abstinken gegen uns, wir sind true, echt, real, straight, authentisch, keine Faker etc.
Sowas wurde genauso langweilig wie späterer Rap, der stark migrantisch geprägt war, was auch diese Musikrichtung zunehmend zu einem homophoben, sexistischen Quark machte. Erfreuliche Ausnahmen von Themeneinseitigkeit boten DIE FANTASTISCHEN VIER und natürlich FETTES BROT. Ja, FETTES BROT bewiesen u.a. mit diesem Titel, dass der Rap auch in Deutschland jenseits heiterer "Die da?!"-Pfeifereien und lustige Posen mehr zu bieten hatte, auch traurig sein kann. Molltöne, Baby. Obwohl hier im Grunde die drei BROTE nicht alle gemeinsam, sondern jeder eine Strophe DR RENZ rappen, erzählt man hier eindringlich in drei unterschiedlichen Strophen vom Alltag, von melancholisch stimmenden Erlebnissen oder Beobachtungen. In Strophe 1 ist das lyrische Ich auf dem Weg von einer miesen Party mit miesen Leuten nach Hause, als es eine Heißhungerattacke erleidet und in eine Imbissbude einkehrt, die es zwar schon häufiger gesehen hatte, die aber nie geöffnet war um die späte Stunde, gegen Mitternacht. Dort drin ist ein "komisch wirkender" Wirt, der ein typisches Fastfood-Gericht vorsetzt, dann dem lyrischen Ich noch eine spezielle, "selbstgemachte", Soße andrehen will, die angeblich sensationell schmecke und von der es, wenn es sie einmal probiert habe, "sicher noch 'nen Nachschlach" haben wollen würde. Doch das lyrische Ich lehnt ab, der Liedprotagonist traut dem Braten nicht, der Wirt ist geknickt, der Protagonist geht fort – und bringt mit dem Grusel die Strophe zu Ende, dass diese Imbissbude nie wieder geöffnet hatte: "Denn da jemals wieder was zu essen, muss keiner von euch hoffen - diese Imbissbude hatte nie wieder offen".
Das alles wird unterlegt mit gespenstischen Tönen und einem zurückhaltenden Beat. Kein Battlerap. Nun, in Strophe 2 dreht sich alles um einen Jungen, der am Beckenrand sitzt und seiner Klasse beim Schwimmtraining zusehen muss, denn er hat auf der Brust ein stark juckendes Ekzem, darf deshalb nicht teilnehmen. Von Liedprotagonist 2 wird er dabei beobachtet, wie er sich "ganz unauffällig" "an seinen Piller griff", während er dem "Kommandoengel" zusieht, wie er "in die Triller pfiff". Er ist also verliebt in die Schwimmlehrerin, der liebe junge Teenager-Schüler-Junge – und diese Liebe wird nicht erwidert: "Er war so verliebt in sie – aber sie nicht in ihn… - wie mir schien". Schließlich schließt Strophe 3 das Werk ab, in der es um Liedprotagonist 3 geht, der "in einer dieser irischen Spelunken" sitzt und sich "mindestens mein siebzehntes Guinness" reinzieht, mit dem ulkigen, lakonischen Spruch kommentiert: "Ich schätze, dass da wohl Alkohol drin ist". Dann erblickt es ein seltsames Paar, eine Frau, einen Mann: "Sonderbares Paar an der Bar, beide vielleicht 50 Jahr – Mit Verlaub, ich glaub, er war 'n Clochard – sah verwegen aus – Sie dagegen mausgrau – 'ne Hausfrau mit ihrem heimlichen Liebhaber – unnahbar aber innig – Nichts hätte sie gestört, denn sie flirten wie LIZ TAYLOR und RICHARD BURTON". Der Liedprotagonist, der diese zwei Turteltäubchen fasziniert beobachtet, "schreibt" daraufhin in Gedanken die Story zu ihrem "Liebesfilm": Beide vielfach vom Schicksal "ausgetrickst", über die Frau: "Ihr Gatte hatte sie verlassen – sie hatte keinen blassen Schimmer, warum – und lief immer im Zimmer herum – Das entbehrte jeder Logik – schließlich hatte sie studiert: Pädagogik".
Sonst noch was? Nun, das in den nichtgerappten Zwischenpassagen eingefügte Sätzchen "Komik ist Tragik in Spiegelschrift" stammt von MAX HERRE, dem Mastermind der Hip-Hop-Combo FREUNDESKREIS, er sagt es hier, mit Hall unterlegt. Später, etwa ein Jahr darauf, verwendete er diese kluge Textzeile auch in FREUNDESKREIS' größtem Hit "A-N-N-A-". So schließt sich der Kreis. MM
1997 – MADONNA – "Frozen" (06:16 = in der Albumversion 05:30 = in Radioversionen)
Dieser Song ist natürlich so etwas wie ein Überhit für mich, eine Gottheit, eine göttliche Erfahrung bei jedem Hören, einer meiner privaten Evergreens, die ich super gerne immer und immer wieder am Stück hören könnte, ohne psychische Probleme zu erleiden. Definitiv in meinen Top10.
Womöglich halte ich dieses Lied für das beste von Madonna, zudem muss ich das Album "Ray of Light", 1997, auf dem es enthalten ist, über den grünsten Klee loben!
Das mystische Lied, bestehend aus schön arrangierten Keyboard-Filmmusikartigkeitstönen mit einem markanten 2-Stufen-Beat kräftiger Couleur darauf, wird von MADONNAs wohl bester Gesangsleistung auf einer mollartigen Tonart performt, transportiert wird eine klassische Geschichte von Liebe und Herzensöffnung im spirituellen Sinne: "You only see what your eyes want to see – How can life be what you want it to be – you're frozen – when your heart 's not open". Liebe bringt die Erlösung: "Love is a bird – she needs to fly", doch der Schlüssel liegt beim Angesprochenen: "You hold the key!". Eindringlich, schmachtend, in der epischen Form genau richtig. Es ist perfekt konzipierte, brillant komponierte Popmusik, bei der nichts dem Zufall überlassen wird. Fernöstliche Klangeinflüsse, perfekte Produktion, dazu ein aufwändiges, arschteures Musikvideo, in Schwarz-Weiß gedreht, in dem die damals modernsten Morphing-Effekte (Verwandlungs-CGI) angewendet wurden, mit allerhand schwarzen Tieren (schwarzer "Höllenhund", pechschwarze Krähen), MADONNA in imposanten Tanzposen und in wallendem schwarzem Umhang, der sich wiederum in Tiere verwandelt, über einem trockenen, aufgerissenen Wüstenboden. Auf der Hand der Sängerin dabei die damals gerade in Mode kommenden "Henna"-Tattoos. Es ist fantastisch. Unbedingt hören! MM
1997 – METALLICA – "The Unforgiven II" (06:38)
Auf dem Album "ReLoad" erschienen, war dies der doch noch viel bessere zweite Teil des Liedes "Unforgiven", jetzt mit dem Wortspiel "two/too", eine andere Melodie, noch besser in der Ausführung. JAMES HETFIELD auf dem Höhepunkt seiner Grummelei, mit starker Stimmperformanz. Ganz großartig. MM
1998 – BÖHSE ONKELZ – "Ohne mich" (05:48)
Das Jahr 1998 – die Elektronisierung der Musik, die zum Teil einsetzte, ging auch an den BÖHSEN ONKELZ, der umstrittensten deutschsprachigen Band bis RAMMSTEIN und später FREIWILD aus Tirol kamen, nicht vorbei: Man wird elektronischer, Keyboard-artige Klänge werden in den gewohnt sperrigen Gitarren-Hardrock-Sound der Band eingearbeitet, schwer rumpelnd setzt sich das Werk in Gang, das sich politisch in der gesunden Mitte positionierte. Hier distanziert sich die Band, die sich aufgrund einiger deftiger Werke ihrer Frühphase immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sah, eine "Nazi-Band" zu sein, von beiden Extremseiten des politischen Spektrums, zunächst in Strophe 1 natürlich von dem ganzen linksextremen Gesocks, das stärker denn je unsere Straßen unsicher macht, das sich zu gewalttätigen Mobs zusammenschließt, um jetzt sogar gegen die CDU (!) als vermeintlicher Nazi-Partei vorzugehen, sowie gegen jeden Nichtlinken, der in den Augen dieser Arschbande natürlich automatisch "Nazi" sein muss. Besonders bei den ersten Zeilen der Kampfansage an die sozialistischen, kommunistischen Schweinebacken, die jetzt zu unseren Systemherrschern geworden sind, kriege ich gleich Gänsehaut: "Antifa – ihr könnt mich mal – ich lache über euch und ihr merkt es nicht mal! – Ihr kämpft gegen mich – wie lächerlich! – denn euren wahren Feind, den seht ihr nicht!". Auch der Rest der ersten Strophe des kämpferisch mit der typischen heiser-angriffslustigen Aggressionsstimme von Sänger KEVIN RUSSELL vorgetragenen Songs ist überraschend aktuell: "Ihr denunziert – ihr seid schlecht informiert – moralisch bankrott – dass ihr das nicht kapiert! – Ihr seid blinder als blind – Pseudomoralisten – Dumm und intrigant – nicht besser als Faschisten!" trifft es voll ins Schwarze.
Auch Strophe 2 – "Und hier ein paar Worte an die rechte Adresse: - Leckt uns am Arsch – sonst gibt’s auf die Fresse! – Ich hasse euch und eure blinden Parolen! – Fickt euch ins Knie! – Euch soll der Teufel holen!", stellt RUSSELL oder das lyrische Ich zumindest klar. Wie auch ich mich immer vom hartrechten Rand distanziere aber durchaus konservativ geworden bin, kann ich auch diese Distanzierung glaubwürdig finden. Ob die Drohung mit Gewalt passend ist oder nicht, mag der Hörer jeweils individuell selbst entscheiden. Übrigens wurde die Glaubwürdigkeit natürlich vielfach angezweifelt: Die Mainstream-, speziell Boulevardpresse, RTL und andere, die eh stets ein misstrauisches und ablehnendes Auge auf die Band mit dem provokanten Namen und Liederrepertoire warfen, die Antifa sowieso, hielten das Lied für ein "Ablenkungsmanöver" oder einfach einen Versuch, sich in den Mainstream zu wanzen. Tja, es gibt immer Gehässige…
Das tat dem Erfolg keinen Abbruch. Das Album "Viva los Tioz" (falsches Spanisch für: "Es leben die Onkelz"), auf dem dieser Song für mich der beste ist, wurde ein Riesenerfolg, die ONKELZ hatten sich längst in eine Art "Mainstream" hineinentwickelt. Viele Millionen Fans im gesamten deutschsprachigen Raum Europas helfen der Band zu großem Ruhm und pekuniärem Erfolg. Ich mag viele der Texte, bin erst später Fan geworden, kannte aber 1998 das Album vom Hörensagen und vom Ausleihen aus der Bücherei. Die Musikgruppe hat sich selbstverständlich längst mehr dem Mainstream angenähert, in relevantesten politischen Fragen unserer Zeit ist sie inzwischen relativ stark auf Linie. Vielleicht weniger als DIE ÄRZTE oder DIE TOTEN HOSEN. Dennoch gibt es etliche Läden, in denen niemals ein ONKELZ-Werk landen würde. In meinem Lieblingsmusikgeschäft, ANDRÄ in Münster, gibt es keinerlei ONKELZ-Zeug, auch in einigen einschlägig linken Läden ist nichts von dieser Band zu finden. Schade, denn viele dieser Lieder sind vollkommen in Ordnung. Dieses ist für die Verhältnisse der Band nicht sonderlich hart. MM
1998 – MANIC STREET PREACHERS – "The Everlasting" (06:11 = in der Albumversion)
Die "wahnsinnigen Straßenprediger", Waliser mit soliden, extrem eingängigen Melodien, nicht nur Virtuosen im Britpop und Alternative-Rock, sondern auch inhaltlich vielfach viel zu sagend habende Typen, können oft melancholisch! Das könnte man schon längst konstatieren, hört man sich ihre Alben und Songs an. Neben meinem Lieblingshit "If You Tolerate This Then Your Children Will Be Next" trumpfen sie auch mit anderen Klassikern britischer Populärmusik auf: "The Everlasting" ist eine epische Rockballade, die tiefe Schwermut atmet und von Mollakkorden durchdrungen ist. Unwiderstehlich, ohrwurmig auch im tristen Klang. Sowas muss man hören! Nicht immer dieses oberflächliche fröhliche Gewäsch! MM
1998 – PUFF DADDY – "Come With Me" (06:09 = in der Album-Version)
Wohlan, die 90er lassen ihren Geist immer noch in unsere Breiten wehen. Es gab da eine peinliche, 1998 publizierte Variante des berühmtesten japanischen Filmmonsters aller Zeiten. In etlichen Filmen, dem ersten 1954, in Japan produziert, stampfte, stolperte, trat ein Monster (gespielt natürlich von einem japanischen Mann in einem extrem großen Latex-Kostüm, das innen künstlich mit vielen Eiswürfeln gekühlt werden musste) durch (oft sichtbar) Miniaturbauten, die das Ballungszentrum Tokio, Japans Hauptstadt, darstellen sollten, zusammengeschnitten mit panisch schreienden, fliehenden Menschenmassen. Kultig und cool, trashig aber auch. So trat GODZILLA gegen allerhand andere Monster an, von Riesenmotten bis Riesenaffen (der relativ miserable aber voller trashigem Charme steckende Film mit KING KONG als Widerpart ist echt genial: "Die Rückkehr des King Kong", 1962, 2018 bei SCHLEFAZ gezeigt) – und natürlich auch Roboterversionen (!) wie "Mecha-Godzilla".
Wie es in den USA Usus ist, wird vieles, das aus anderen Ländern stammt, neuverfilmt. Nicht immer besonders gut, häufig aber doch ganz sehenswert. Doch wenn es um japanische Produktionen geht, ist wohl am ehesten das US-Remake von "The Ring" erträglich.
1998 also schlug die Stunde des CGI-Godzilla: Die USA nahmen ein Riesenbudget in die Hand, besetzten mit "Ferris macht blau"-Star MATTHEW BRODERICK und als Quoten-Franzosen natürlich JEAN RENO und schufen, ein Jahr nach "Jurassic Park 2" (1997) und fünf nach dem Dino-Kracher, dem ersten Teil der inzwischen unter dem Titel "Jurassic World" totgerittenen Filmreihe, einen neuen Godzilla-Film. Mit meinem Vater ging ich damals ins Kino, den Film konnten wir allerdings höchstens passabel finden. Der seltsam deformierte, mit dem kultigen Trash-Monster nur wenig gemeinsam habende "Godzilla", der so aussah wie ein Drache-Dino-Hybrid mit Rückenproblemen, kam einfach nicht gut an, die Schauspieler lieferten nicht gerade die besten Leistungen ihrer Karriere ab.
Das einzig Gute, das dieser Film hervorbrachte, war der exzellente Soundtrack: Mit Funk-Sänger JAMIROQUAI und seinem "Deeper Underground" fand sich ein zugleich treibender Track mit eingängigen Bass- und Hooklines mit düsterem Flair im Portfolio, ferner noch dieses Hip-Hop-Gewitter mit Anleihen und Flirt mit dem Hardrock vor beeindruckender Gitarrenwand und für P. DIDDY ungewöhnlich harten Bässen. Wie im Hip-Hop leider meist üblich, werden schöne Melodien und/oder Harmonien aus alten Liedern geklaut, das Sampling und Neumischen ist allgegenwärtig, so auch hier. Meine Freundin und ich hatten früher immer gedacht, das eingängige, schwere Rockmotiv, das perfekt zum Thema des Films passte und in dessen Musikvideo P. DIDDY wirklich alles und die härtesten Raps mit einbringt, sei auf seinem Mist gewachsen. Doch wie man sich täuschen kann: Das einprägsame Rock-Riff stammt aus "Kashmir" (1975, Album: "Physical Grafiti") von LED ZEPPELIN. Andererseits tut dies dem Song keinen Abbruch. Seine Intensität ist gegeben, der Text ist ein eigener, quasi ist es eine "Neuversion", etwas in der Art. Man fühlt sich in den Film versetzt, das eindringliche Rock-Riff ist auch intensiver als beim Original, es ist richtig schön eingearbeitet. Im Gegensatz zu seinen Sexkapaden der jüngeren Zeit (oder dem, das über ihn herauskam) könnte man P. DIDDY (alias früher: PUFF DADDY) dies noch verzeihen. Es ist ein grandioses Lied, das wiedermal etwas beweist, das in den 90ern ein durchaus gelegentlich vorkommendes Phänomen war: Die Soundtracks zu manchen Filmen waren besser als die Filme selbst. Etwa für "Gangsta's Paradise" von COOLIO, 1995 zum Film "Dangerous Minds" erschienen, ist um Klassen besser. Anders bei "Philadelphia": Sowohl der Film als auch der sehr einfach gehaltene aber wunderschöne Hit "Streets of Philadelphia" zum Film (von "THE BOSS" BRUCE SPRINGSTEEN) sind meisterhaft. Hier werde ich das Monster vergessen, aber das Lied dazu weiterhin gehörig abfeiern! MM
1998 – RADIOHEAD – "Paranoid Android" (06:27)
Die Musik von RADIOHEAD ist eine äußerst kreative, äußerst vielseitige, meist originelle. Wird sie dem Britpop zugerechnet oder dem Alternative-Rock, progressiv ist sie allemal! Auch handelt es sich um anspruchsvolle Musik, die an den potenziellen Hörer Anforderungen kognitiver Art stellt, die man bei einfacher Easy-Listening-Chartware nicht finden kann. Nicht jedermanns Sache sind die dabei nicht immer eingängigen, nicht immer sehr radiofreundlichen Melodien, Harmonien und (elektronischen) Effekte der Songs. Der vorliegende Track, inspiriert von der Figur des depressiv-zynischen Roboters MARVIN aus dem brillanten Science-Fiction-Satire-Romans "Per Anhalter durch die Galaxis" (DOUGLAS ADAMS), ist eine kakophonische Disharmonie, eine einzige Tortur für die Ohren, so negativ, so depressiv, dass man sich das Ganze kaum über fast 6,5 Minuten durchgängig anhören kann! Ob so etwas besonders übel ist, lässt sich kaum beurteilen, da diese Hörerfahrung jeder individuell machen sollte. Wer es aushält, wie sich Sänger THOM YORKEs Stimme durch diesen Titel quält, wie auch hier, wie bei so vielen Musikstücken, mehr als nur ein oberflächliches Euphorie-Gefühl zurückbleibt, sondern eher Abgründe der menschlichen Seele bespielt werden, der höre gern mal rein. MM
1999 – BLUMFELD – "Tausend Tränen tief" (06:04)
Im Gegensatz zum weiter oben besprochenen "L'etat et moi" ist dieses Lied ungemein hörerfreundlich: Sanfter, regelrecht sensibler Schmeichelgesang des Sängers JOCHEN DISTELMEYER, gut gereimt, perfekte Arrangements und eine wunderschöne, eingängige Melodie. Wie so viele Lieder der Menschheit geht es um das geradezu klassischste Gefühl des Menschen: die Liebe. Auch um Nähe, Kuscheln, Beisammensein, Leidenschaft. In einfachen Worten. Unheimlich radiotauglich, euphonisch, einfach aber genial. Wie ein perfekt vertontes Gedicht. Kann es schönere Texte und Songs geben? Wer sich entspannen will, wer träumen will und sich dabei ruhig und sicher fühlen, wer geborgen sein will, hört dieses Lied, das sich wie eine wärmende Wolldecke um einen schmiegt. Wem stilistische Ähnlichkeiten zu "Tag am Meer" von den FANTASTISCHEN VIER erkennen mag, soll sie behalten. Das noch effektivere Entspannungslied ist dies allemal! MM
1999 – BLUR – "Coffee & TV" (05:58)
Seit jeher pflegen die Britpop-Jungs, eine der Vorzeigebands dieses 90er-typischen Genres um Frontmann und Sänger DAMON ALBARN einen Hang zu perfekten Harmonien, eingängigen Melodien und gefühlvollen Hooks, was hier nicht anders ist. Das Lied, auf ihrem sechsten, 1999 erschienenen Album "13" (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen von DIE ÄRZTE, ein Jahr vorher), ist keine klare Britpop-Nummer, eher eine Art netter, freundlich vor sich hin plätschernder Alternative-Rock. Mit unwiderstehlicher Melodie. Besonders positiv fällt dabei das niedliche, originelle Musikvideo auf, das, durchaus passend, stimmungsvoll und heiter eine lebendige Milchtüte mit einem ausgelassenen Lachgesicht zeigt, die nach anderen Milchtüten sucht, nach dem passenden Pendant zu sich selbst. Sie erlebt allerhand Abenteuer (wie das kleine "Ich bin ich" aus der gleichnamigen Kindergeschichte) und erleidet am Ende ein trauriges Schicksal: Sie wird überfahren. Dann schwebt der "Geist" dieser Milchtüte gen Himmel, als Engelchen in TETRAPAK-Form. Der beste und rührende Werbespot, den TETRAPAK niemals hatte. Ein insgesamt unwiderstehliches Lied, obwohl es nicht spektakulär ausfällt, selbst für Verhältnisse dieser vielseitigen Band, die, ähnlich wie RADIOHEAD, zu experimentellen kleinen Ausfälligen fähig ist. Einfälle sind eben das Beste – und vermittelte Gefühle eines lauen Morgens, an dem man es langsam mit "Kaffee und Milch" (zusammen ergäben sie Milchkaffee, wenn man sie gern ließe – und eine "Morgenlatte" wäre es nur im Italienischen: "Latte Macchiato". MM
1999 – DAVID BOWIE – "Thursday's Child" (05:23)
Sein Leben lang war der letztlich doch überraschend früh verstorbene BOWIE eines jener schwer zu kategorisierenden Chamäleons der Populärmusik schlechthin. Die einzige Konstante seines Schaffens war wohl die Veränderung, die Wandlung seines Sounds, die ihm von den frühen 70ern bis in die mittleren 2010er Jahre, also bis zu seinem Tod im Januar Anno 2016, eine sagenhafte, selten erreichbare Karriere beschied, eine der bedeutendsten und sowohl künstlerisch als auch kommerziell tiefschürfenden und nachhaltigsten überhaupt. Tausende Sänger weltweit, unter ihnen kleine Nobodys und nationale oder internationale Stars profitierten von seinem Ausnahmekönnen, seinen Ideen, ließen sich inspirieren. Auch in den 90ern reüssierte er mit seinem besonderen Sound: "Hello Spaceboy", das er 1996 mit den PET SHOP BOYS gemeinsam als seichten Dancepop sang, das Industrial-Rockige Monster "I'm Afraid of Americans", in dessen Musikvideo TRENT REZNOR von den NINE INCH NAILS, einer ebenfalls sehr brillanten, erfolgreichen Industrial-Rockband hinter dem paranoiden Freak, gespielt von BOWIE, herläuft und diesen unerbittlich wie ein Psycho – mit Psychoblick – verfolgt. Auch dieses vorliegende Werk, eine schwelgerische, melancholische und melodisch unwiderstehlich eingängige Popballade, bildet keine Ausnahme von der Genialität des Genies BOWIE: Mit seine ausdrucksstarken, mal überkippenden, mal verzweifelten, sehr kehligen Stimmlage badet der Songprotagonist in seiner eigenen Elegie wie in schwerem Sirup, gemischt mit Chanel No.5. Gedankenversunken heißt es dabei versonnen: "Now that I've really got a chance – (throw me tomorrow, oh, oh-oh – Everything's falling into place…" Dann wird in den Strophen episch-elegisch referiert, dabei bilanziert – über ein Leben voller Versuch und Irrtum, voller Fallstricke und dem stetigen Bemühen, das uns Menschen wohl allen zu eigen ist. Somit wiederum ziemlich klassisch. Eines der melancholischsten Lieder von DAVID BOWIE, der ohnehin nicht derartig bekannt für fröhliche Ausgelassenheit in seiner Musik bekannt war. Selbstverständlich gab es auch fröhliche Songs, doch dieser hier zählt nicht dazu. Unwiderstehlich ist er dennoch! MM
1999 – DIE FANTASTISCHEN VIER – "Millionen Legionen" (06:14 = in der Unplugged-Version)
Gerade in der stromlosen Version ein Bringer! Langsam erklingen ein paar kleine Tönfragmente aus der Ferne, ein dumpfes Dröhnen, das an Hörtests beim HNO-Doktor erinnert, ehe THOMAS DÜRR einsetzt, sein meditatives Lied zu rappen, eins über Identität, Selbstfindung, falsche Propheten etc. Ein wenig wie "Tag am Meer" von der Entspannungslastigkeit her, nimmt es die musikalische Stoßrichtung späterer Solo-Alben des THOMAS D. vorweg. 1998 hatte Herr DÜRR sein erstes Soloalbum "Solo" aufgenommen, da noch mit zum Teil heftigen, schnellen Raps wie "Rückenwind", doch auch mit poppigen Anleihen wie bei "Frisör" (sic!, neue Rechtschreibung). Hier kommt das geradezu Betuliche, Übersichtliche, trotz des komplexen, vielschichtigen Textes, zur Meditation und inneren Einkehr per Musik, ähnlich wie später auf "Lektionen in Demut" (2001). Hier wird das Ganze schön umgesetzt, die Tropfsteinhöhle, die sich DIE FANTASTISCHEN VIER für ihr erstes MTV-UNPLUGGED-Konzert ausgesucht hatten (später gab es noch ein weiteres Konzert dieser Art von der Band), verleiht durch ihre besondere Akustik noch viel mehr bemerkenswerte Klangeffekte. Genial. MM
1999 – JAN DELAY AKA EIßFELDT FEATURING DENNIS DUBPLATE – "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" (05:32)
Immer ein Streitthema bleiben wird wohl, ob Coverversionen eine Existenzberechtigung haben, ob sie besser sind oder ob das Original immer besser ist (natürlich ist oftmals das Gegenteil der Fall). Bei dieser Neuversion würde ich, aus Liebe zum Original und dieser Coverversion ebenso, ein deutliches Unentschieden aussprechen.
In meinen späten Teenager-Jahren, in meiner Party- und Feten-Zeit, habe ich viele Lieder gehört, häufig aus 10.000-Watt-Boxen, die groß in riesigen Zelten (auf sog. "Zeltpartys") aufgestellt waren. Auch diese beiden Versionen des romantischen Liebesliedes mit trotzdem typischer 80er-Instrumentierung durch zischelnde, krachende, wummernde Synthesizer und andere dynamisierende Effekte beim Original und einem blästergestützten Hip-Hop-Reggae-Mischstück haben mich genau in derselben Weise begeistert. Ja, in der Tat fand ich beide supergut und freute mich immer, wenn der DJ dieses Lied anspielte. Die Coverversion ist länger als das Original, was auch an einem – womöglich unnötigen – eingefügten Rap-Part (einer zusätzlichen Strophe mit einem gerappten Text) liegen mag. Doch JAN DELAY (JAN PHILIP EIßFELDT) toastet gemütlich durch die Strophen, dezente Trommeln, zurückgenommenes Schlagzeug, verhärmte Bläser machen die Melodie noch schöner, kehren ihre Schönheiten weiter hervor. Die einzigartig krächzende, sehr sonore Stimme DELAYs ist dabei eines der tragenden Elemente. Instrumentell wird das Gesamtkonstrukt, das Gesamtkonzept des Liedes dabei zu einem Sommersong, der in etwa im Frühjahr 1999 ordentlich einschlug: Wenn das Wetter wärmer wird, ist es ein perfekter Liebessong für Stunden am Strand. Romantik ist eben eine vielschichtige Angelegenheit – an vielen Orten genießbar, auch an der Strandbar und beim Tanzen im wilden Feuer oder auf heißem Sand. Der Soundtrack sei hiermit gegeben. MM
1999 – WEIRD AL YANKOVIC – "The Saga Begins" (05:32)
Weiter oben, bei meiner Besprechung zu "American Pie" von DON MC LEAN, das dieser progressiven Parodie die Melodie leiht, meinte ich, dass keine Coverversion und keine Parodie an dessen Original heranreichen.
Das stimmt vielleicht nach wie vor, doch bei diesem Lied ist es nicht nur das ulkige, STAR WARS parodierende Video, das funktioniert, sondern der Song an sich ebenfalls. In diesem "Die Legende beginnt" fasst der berühmt-berüchtigte amerikanische Parodist und Satire-Musiker YANKOVIC (der leider vor 10 Jahren überraschend aufgehört hat) den neuen Anfang der STAR-WARS-Saga zusammen, jenes Weltraum-Schlacht- und Fantasy-Epos, jenes Rittertums in Space, der märchenhaften klassischen Dichotomie in Film-Form, zwischen dem Guten und dem Bösen. Wir schreiben das Jahr 1999: GEORGE LUCAS hat mit seiner epischen Science-Fiction-Story, jenem meisterhaften Franchise, das nur noch vom viel besseren STAR TREK des GENE RODDENBERRY an diversen Stellen übertroffen wird (wenngleich einzig nicht im rein visuellen Stil) Milliarden gemacht und ist zu einem der reichsten Menschen der Welt aufgestiegen. Das Merchandising boomt immer noch, 1997, also 20 Jahre nach dem Beginn seiner Saga, damals in Deutschland noch unter dem Titel "Krieg der Sterne" firmierend, gab's kurzzeitig die digital aufgemöbelte, rebrezelte Version seiner ursprünglich als Trilogie angelegten Filmreihe. Nach den drei Filmen von 1977 (später benannt als "Star Wars – Eine neue Hoffnung"), 1980 ("Star Wars – Das Imperium schlägt zurück") und 1983 ("Star Wars – Die Rückkehr der Jedi-Ritter") wurde schon '97 überraschend angekündigt, man werde eine weitere Trilogie schaffen, eine Prequel-Trilogie, also die Vorgeschichte dessen, was in den alten drei Filmen thematisiert wurde. Mit dem im Vergleich zu den bisherigen drei Filmwerken doch recht dürftigen "Star Wars – Die dunkle Bedrohung", damals nach neuer Nummerierung "Episode I" der Filmreihe, begann dann alles von neuem, der Hype erreichte ungeahnte Höhen.
WEIRD AL YANKOVICs Beitrag war dann, die Story, den Plot des Films in einem langen, mehrstrophigen Song zu verarbeiten, auf humoristische Weise, inklusive "Foreshadowing", also dem lyrischen Vorgriff auf das Schicksal des kleinen Helden ANAKIN SKYWALKER, später Vater von LUKE und LEIA, jedoch dann als DARTH VADER, der oberste Diener des dunklen Lords der SITH, auf die "Dunkle Seite der Macht" gewechselt: "My, my, my this here ANAKIN guy – maybe VADER some day later – now he's just a small fry" heißt es urkomisch im Refrain, also "Oh, oh, oh, dieser ANAKIN-Kerl hier – mag sein, dass er später (DARTH) VADER wird, doch jetzt ist er noch ein kleiner Dreikäsehoch". Dann wird die Filmhandlung beschrieben, die eben typisch STAR WARS ist, das spätere: eine unlogische Story voller Lücken und im Grunde alles andere als genial, sondern eher platt, dafür mit vielen Schauwerten und damals bahnbrechenden Effekten. Wer sich noch an das oberaffengeile Podrennen entsinnen kann, wer den Kampf mit einem Bösewicht-Handlanger mit einem Doppelklingen-Lichtschwert mag, sich ergötzt an den (großenteils computeranimierten) Kulissen, der beeindruckenden Endschlacht des Films gegen die Kampfandroiden-Armeen der sog. galaktischen Handelsföderation und sogar den Kampf der GUNGANS gegen dieselben Androiden-Maschinen, wird auf seine Kosten kommen. Wie schon SHELDON COOPER in der Sitcom "The Big Bang Theory" erwähnte, wäre "STAR WARS – Episode I – Die dunkle Bedrohung" in einem Paralleluniversum "ein zeitloser Klassiker", in unserem ist dieser Film im Nachhinein sehr kindisch bis kindgerecht – und aus heutiger Sicht ziemlich cringe.
Nichtsdestoweniger war er der (erfolgreichste) Film des Jahres 1999 und lieferte damit filmisch einen bescheideneren Abschied für die 1990er als es etwa "Titanic" (1997) getan hätte – oder der erste Teil der "Matrix"-Trilogie aus demselben Jahr wie jener STAR-WARS-Flachfilm.
WEIRD ALs tolle Neuversion und Parodie von DON MC LEANs amerikanischem Folkrock-Songbook-Klassiker ist jedoch so etwas wie das inoffizielle Vermächtnis dieses Films, das unterhaltsamer, kürzer und weit weniger cringe als der Filmstoff ist. Was natürlich niemals bedeutet, dass er absolut schlecht wäre! Unter die "Schlechtesten Filme aller Zeiten" kann jene "Episode I" niemals zählen, wie auch dieses schöne Liedchen, das meiner Freundin sogar noch besser gefällt als das Original (obwohl sie gar kein STAR-WARS-Fan ist), niemals unter den miserabelsten auftauchen kann. Man muss es einfach lieben. MM
2000 – NO DOUBT – "Big Distraction" (8:28 = Nettospielzeit am Ende des Tracks)
Entfernt erinnert der Beginn von "Big Distraction" an "Just a Girl", doch das Ska-artige Anfangsriff geht dann in eine Mischung aus solcherlei und Reggae-Artigem über, GWEN STEFANI singt, mal rotzig, mal heulend, mal hart über das säuselnde, leichte Lied mit einem dräuenden Einzel-Unterton. Zwischendurch kommt das Instrumentensolo, begleitet von schönen Trompetentönen. So gibt sich STEFANI dem hin, das sie am besten besingt: Komplikationen in Beziehungen, Beziehungsprobleme, Liebeskummer, Scheitern des Zusammenseins und allgemein (enttäuschte) Liebe. Wunderbar und wundersam. Ein ganz besonderer Track. MM
2001 – STEFAN RAAB (und Crew) – "Wir kiffen!" (16:46)
Stimmengewirr, Geräusche vom Anzünden des Rauchwerks, ein Ausruf: "gesunde Mischung!" – und dann kommt ein spaßiges, spannendes Lied, eine Art sanfter Reggae-artiges Stück, in dem über quasi alle damals bekannten politischen, sportlichen, musikalischen, filmischen und Show-Prominenten hergezogen wird, jeder kriegt eine Strophe, RAAB und seine Showkonsorten singen in "breitem" Ton, als seien sie wirklich bekifft und/oder besoffen, jede zweizeilige Strophe beendet mit dem Sample einer Frauenstimme, die "Wir kieffen" spricht (mit besonderer Betonung auf dem Vokal i). Dazwischen auch einzelne Samples wie aus der berühmten KLAUS-WOWEREIT-Rede "(ich bin schwul) und das ist auch gut so, liebe Genossinnen und Genossen". Alle kriegen ihr Fett weg: WOWEREIT, CHRISTIANSEN, (RENZO) SCHLAUCH, STOIBER, MERKEL (damals noch nicht dies Todeskanzlerin), BORIS BECKER, STEFFI GRAF und viele weitere Bekannte werden durch den Kakao gezogen, RUDOLF SCHARPING wird in seiner ruhigen Art nachgeahmt, zwischendurch ist ein E-Gitarrensolo zu hören, bewusst verzerrt und falsch, von "BRUNO SANTANA". Ab und zu dann auch nochmal der Spruch: "Na, begriffen? Wir kiffen!", dann ein "Helium-Ballon-Effekt", die Tierwelt wird zu Kiffern erklärt, RUDI CARELL ("ist Chef vom Coffee-Shop-Kartell") kommt vor, Haie "an den Riffen", dazu jede Menge dummes Zeug, das im Hintergrund getrieben wird. Drum eins der vergnüglichsten und längsten Lieder aller Zeiten, das schon recht genial doof und zugleich humoristisch locker ist! Nun, dieses Lied und das spätere "Gebt das Hanf frei!" (nach einem Ausspruch von H-C-STRÖBELE) erregten wegen (vermeintlicher?) Hanf-Verherrlichung HELGE SCHNEIDERs humoristischen Zorn – und er schuf ein Gegenlied mit seinem "Möhrchen-Lied" ("Tu mal lieber die Möhrchen – ausm Glas!"), Hawaii-Orgeln, TONY MARSHALL, der ganze Bundestag, dazu immer dieses "da-da-da-da-da-dada-dau!". Muss man sich echt mal angehört haben, von vorne bis hinten. Auch nichtbekifft ein Hörgenuss sondergleichen! Am Ende gibt’s auch 'ne Runde Tischtennis und kalte Ravioli vom Vortag! Vamos! MM
2002 – WESTERNHAGEN – "Why Don't You Say Your Name" (07:46)
Ob sich der Grandseigneur unserer modernen Rock'n'Roll- und Deutschrock-Musik in Deutschland, der legendäre MARIUS MÜLLER WESTERNHAGEN, der Mann mit der mal reibeisigen, mal emotional ergreifenden Stimme, der mit den teils kryptischen, teils einfachen eigenen Texten in Liedermacher-Manier gelegentlich was Drogenartiges reinpfeift (also etwas außer Alkohol und normale Zigaretten/Zigarren oder sonstiges legales Rauchwerk), ist nicht weiter bekannt. Bei diesem in Charts und Musikwerken und selbst beinharten Fans weniger bekannten und wohl kaum beliebten Song mit einem gewissen skurrilen, bizarren Etwas vom 2002 erschienen Album "In den Wahnsinn" ist es wohl so: Er wird dem Albumtitel als Abschlusslied am ehesten gerecht. Als hätte sich Herr WESTERNHAGEN vorgenommen, etwas besonders Verstörendes zu vertonen, etwas, das einem Drogenrausch-Böserwachen oder alkoholinduzierten Kater nach einer durchzechten Nacht entspricht – oder schlicht einem Alptraum mit versauten bis seltsamen Elementen. Da sitzt die betende "Mutter" des lyrischen Ich auf dem Schrank, da liegt die Frau mit "Brüsten so groß wie Basket-Bälle", das Messer noch in der Hand – und ein "Mann, der aussieht wie ein Polizist" fragt unangenehme Fragen, die der Ich-Erzähler "Ich lieg in meiner Kotze – keine Ahnung wo ich bin" nicht beantworten kann. Ein unwirkliches, unwirtliches Szenario, das immer wieder mit der manisch und psychotisch vorgetragenen englischen Refrain-Textzeile "Why don't you say your name?" aufgemischt wird. Das zutiefst aufwühlt. Bis zum bitteren Ende der Tour de Force, dieses Parcours-Ritts der härtesten Sorte über spitze Stöcke und Steine, immer wieder: "Why don't you say your name", bis nach sieben dreiviertel Minuten, also nur eine Viertelminute vorm epischen berühmten "Stairway to Heaven" entfernt, in resignativen, immer leiser werdenden, dann ersterbenden Heiserkeitslauten des Ausnahmesängers vergehen. Schwerer, rumpelnder Rock-Beat, leicht übersteuert, manisch, womöglich depressiv aber immer auf der bizarrsten Dur – oder ist es gar eine Moll? "Hat mich der Wahnsinn endlich eingeholt?" fragt WESTERNHAGEN am Ende jeder Strophe, eh das ständig repetierte "Why don't you say your name?" die Frage an jemand Unbekannten stellt – und es scheint nur rhetorisch zu sein. Aber natürlich hat der Wahnsinn ihn endgültig eingeholt, wenngleich der gute alte Musiker wieder Boden gutgemacht hat, jedoch nicht mit seinem bisher aktuellsten Alterswerk "Das eine Leben" (2022). Ein Album, das sowieso vor Seltsamkeiten auch im Textlichen reichlich aufwarten kann – man lausche nur "Lichterloh", "NUREJEV" oder "Ein Blatt im Wind" – und so auch endet, nach dem wesentlich zugänglicheren Quasi-Titelsong "Es ist an der Zeit", der immerhin akzeptable Chartregionen erklimmen konnte. "Why Don't You Say Your Name" ist nicht nur gruselig (vielleicht nicht so wie BLACK SABBATHs gleichnamiger Starter vom Debütalbum "Black Sabbath"), sondern auch eine Art "Drogenerfahrung" ohne selbst welche einnehmen zu müssen. Ein Drogenrausch gewordenes Lied, das höchstens noch von "Pictures of Matchstick Men" (STATUS QUO, 1968) übertroffen wird – jedenfalls musikalisch, nicht textlich! Der wilde Parforce-Ritt in ein verrücktes Musikstück verpackt, ist immer wieder ein Hören wert. Das lange Nachhallen der ersterbenden Stimme WESTERNHAGENs, "Why – don't – you – say – your name!" (wobei das YOUR NAME gebrüllt oder geröhrt wird) verleiht einen nachhaltigen Grusel, doch das Gesamte ist einfach nur geilomat. Nicht unbedingt langweilig, sehr kurzweilig und bizarr bis skurril. Wow! MM
2003 - METALLICA – "St. Anger" (07:21)
Der Titelsong des gleichnamigen Albums aus dem Jahre 2003 bringt in seiner Symptomatik exakt die Bandkrise auf den hörbaren Punkt, den die Top-Thrashmetal-Band zum Ende der ersten 2000er-Hälfte hatte.
Fans wie Kritiker warfen der Band und ihrem Werk, dem immerhin achten Studioalbum vor, es mangele ihm an Gitarrensoli, die Übersteuerung des Klangs infolge der sog. "Loudness-Wars" wurde kritisiert, blecherner Nachhall und teils sinnlos erscheinendes Kloppen auf die Schlagzeugbestandteile, die praktisch jedes Lied durchziehen, machen das Hören zu einer Tortur, zu einem Parcours durch kakophonische Schroff-Felsen. Obwohl praktisch alle Songs peinigende Dissonanzen für Gehörgänge sind und man sich den Soundmatsch nachher aus den Lauschlappen herausspülen muss (Ohrendusche), kann ich nicht leugnen, dem Album auch etwas abzugewinnen. Der Titelsong über den "heiligen Ärger/heiligen Zorn" (oder die heilige Wut/Sankt Zorn) ist in der gebrüllten Eindringlichkeit unübertrefflich, Sänger JAMES HETFIELD verleiht im von ihm verfassten Text eine eindringliche Verzweiflung, die man fast physisch spüren kann. Die seelischen Abgründe, die tiefe Verletzlichkeit des semi-depressiven Frontmanns der METALLICA-Recken scheinen durch, obgleich man lyrisches Ich niemals mit Sänger-Ich in Übereinstimmung bringen soll, sonst wäre GENESIS-Sänger PHIL COLLINS ein gequälter Ex-Sohn, der mit seinem Vater brechen musste. Wenn HETFIELD brüllt, kreischt, krakeelt, seinen ganzen Frust rausschreit, "I'm madly in anger with you!" und "Fuck it all and no regrets! – I hit the lights on these dark sets", ist das überaus intensiv. So versetzt einen der Song in eine durchaus depressive Stimmung, man kann mitfühlen. Die Turbo-Sequenzen, unterbrochen von dem manisch-eindringlichen Langsamkeits-Part, das heftige Schlagzeug mit Hall und teils so, als klopfte man auf ein Bataillon Blechdosen ein, auch die tiefgestimmten Bassgitarren sind eine Sondererfahrung des Musikgenusses. Auf einer ordentlichen Anlage stehen einem Gänsehaut-Kaskaden bevor: "I feel all my world shake – like an earthquake – Hard to see clear: Is it me, is it fear?!" Schon was Besonderes.
Wer's freilich intensiver braucht, ist mit anderen Songs des Albums besser aufgehoben. Das genial-geisteskranke "Frantic" schlägt dies hier um Längen! Empfehlung für beide. MM
2003 - METALLICA – "The Unnamed Feeling" (07:09)
Wenn man davon überhaupt reden kann, ist "The Unnamed Feeling" ("Das unbenannte/namenlose Gefühl") ein eher "sanftes" Lied auf einem konfus-wilden und psychisch gestörten Album, kaum kürzer als der Titeltrack. Ohnehin ist auf erwähntem Album "St. Anger" jedes Lied ein fetter Schinken, ein monumentales Werk: Keines ist kürzer als fünf (!) Minuten, die längsten (drei an der Zahl, "Some Kind of Monster", "Invisible Kid", "All Within My Hands") sind über acht (!) Minuten lang, eines, "All Within My Hands", knackt knapp an den neun Minuten (08:48). Das "unbenannte Gefühl" plätschert herum, stapft aber auch, bleibt schwerfällig, ist von verzweifelter Kraft, wie ein fettes Monster, das sich behäbig vorwärtsbewegt. Unter lauter halbwegs konfus bestehenden Liedpassagen dringt dann der Refrain hervor, schält sich an die Oberfläche als wahrer Ohrwurm, transportiert das Gefühl, es ist eines von tiefer Zerrissenheit, Verzweiflung, wie bei fast allen Liedern auf "St. Anger". Textauszüge: "Been here before – couldn't say, I like it – Do I start writing all this down? – Just let me plug you into my world – Can't you help me be uncrazy?" – Name this for me – heat the cold air – Take the chill off of my life – And if I could I'd turn my eyes – to look inside to see what's comin'". Im Refrain taucht die Bestie namens "namenloses Gefühl" auf, ruhiger, schwerfälliger als der Rest des Songs, nur um gegen Ende auch diese friedlichere Wand einzureißen und im Exzess seinen Gefühlsablass zu suchen: "Then the unnamed feeling – it comes alive – then the unnamed feeling – takes me away". Ist es nicht einfach die berühmte Angst? Angst, das unangenehmste Gefühl. Womöglich eine Angststörung, die hier geschildert wird. Kann man sich anhören, wenn man selbst gerade in guter Stimmung ist, nicht selbst gerade mitten in der Panik ist. MM
2003 – WITHIN TEMPTATION – "Ice Queen" (05:18)
Nein, ich schmälere die Güte des Musikmaterials von WITHIN TEMPTATION, dieser niederländischen Symphonic-Metal-Band keineswegs, wenn ich sage: Das Album "Mother Earth", erschienen 2003, enthalte im Wesentlichen zwei supergute Titel – und der Rest ist allenfalls Mittelmaß. Das reicht manchmal schon, um sich ein Album zu kaufen. Bei "We Can't Dance" (GENESIS, 1992), einem der meistverkauften Alben aller Zeiten in Deutschland, gefallen mir, den Quasi-Titelsong "I Can't Dance" inbegriffen, nur drei Lieder, nämlich "No Son of Mine" (siehe weiter oben) und "Jesus He Knows Me". Das kann ja genügen. Nun, ich will nicht undankbar sein. Diese zwei symphonischen Tracks haben es in sich: Die "Eiskönigin" ist da und friert nichts ein, sondern erhitzt, erregt mit diesem erfrischenden Sound, der ein wenig Klassik küsst Metal (das war 2003 nicht zwangsläufig sehr neu, ist aber dennoch ein Meisterwerk in dieser Kategorie) bedeutet! MM
2003 – WITHIN TEMPTATION – "Mother Earth" (05:30)
Der Titelsong des 2003 erschienenen Albums von "Inmitten der Verführung" ist einer über die Urmutter, die Mutter Erde, die in vielen Mythen und Sagen vieler alter Völker/Völker des Altertums eine wichtige Rolle spielt, als Beschützerin, aber auch harte Herrscherin, rigoros und unerbittlich, rachedurstig, wenn sie es muss, böse und strafend zu denen, die ihr und ihrer Natur/Umwelt Unrecht tun. So hat man hier ein Symphonic-Metal-Werk vom allerbesten Schlage: Chöre, eine harte, hohe und vielschichtige Gitarrenwand, auch Geigen und andere Instrumente, zudem erklingt anfänglich ein Klavier. Ein Klavier, ein Klavier! – So möchte ich ausrufen. Dazu der glockengleiche, engelshafte Gesang der Sängerin SHARON (JANNY) DEN ADEL, die voller Pathos und Power in Szene setzt, was thematisch angesagt ist: "Sie rules – until the end of time – She gives and she takes – She rules – until the end of time – She goes her way", so singt sie im Refrain, die gute Dame aus Südholland. "Birds and butterflies – Rivers and mountains she creates – But you'll never know – The next move she'll make – You can try – But it is useless to ask why – Cannot control her – She goes her own way". So wird "Mutter Erde" auch zur Göttin erhoben, der Glaube an die Natur als Gottheit und den Planeten Erde selbst angesprochen. Wunderbar und wundersam. MM
2004 – GREEN DAY – "Homecoming" (09:18)
"American Idiot" als eines der letzten relevanten Rockoper-/Konzeptalben der Rockmusikgeschichte zu bezeichnen, ist angemessen. Es wurde und wird viel über es gesprochen – es ist GREEN DAYs Opus Magnum, es markiert die politische Erwachsenwerdung der vormals überwiegend als Funpunk-Band bekannten Musikgruppe, die eher über (soziale) Probleme amerikanischer Jugendlicher sang und stänkerte. Ähnlich wie MATTHIAS REIM immer wieder versucht, an seinen einzigen absoluten Spitzenhit "Verdammt, ich lieb' dich!" von 1990 anzuknüpfen und dabei kläglich bis cringe versagt, versucht die immer mehr in der musikalischen Banalität versinkende Punkband (eher harter Alternative-Rock, würde ich sagen) seit 2004 nur noch, ihr "American Idiot" zu erreichen oder gar zu toppen. Das mündet dann in armseligen Stümperwerken wie "Revolution Radio" (2016), die auch noch albern vergeblich versuchten, die Verbindung zwischen dem jugendlich verspielten Frühwerk "Dookie" (1994) und diesem wunderbaren Album herzustellen. GREEN DAY waren hier auf der Höhe ihres Schaffens, wie das unten erwähnte "Jesus of Suburbia" handelt es sich um eine epische Rockoper, bestehend aus mehreren Teilen, die diesmal mit "The Death of St. Jimmy", "East 12th St.", "Nobody Likes You", "Rock and Roll Girlfriend" und "We're Coming Home Again" betitelt ist. Eine reizvolle Mischung und ein tolles Lied. Darin wechselt man zwischen ska-artigem Punkrock, schnellem, hartem Rock'n'Roll und ein bisschen Speedmetal-Flachs. Super, oder?! MM
2004 – GREEN DAY – "Jesus of Suburbia" (09:08 = in der Albumversion)
Im Grunde genommen besteht diese Rockoper aus fünf Teilen: "Jesus of Suburbia", "City of the Damned", "I Don't Care", "Dear Beloved" und "Tales of Another Broken Home". Sie gehen alle ineinander über, Tempowechsel und leichte thematische Schwerpunktsetzungen unterschiedlicher Art inbegriffen. Im Grunde geht es, wie auf dem gesamten Konzeptalbum "American Idiot", das zu der Hochphase des neuentfachten Irakkrieges erschien und die Wut der gesamten US-Punkszene auf die Zustände nicht nur im Inneren Amerikas anprangerte, wo das ganze Volk zum willigen Klatschaffen erzogen wurde. Zum Klatschaffen für den Irakkrieg, den der Kriegstreiber-Präsident GEORGE W. BUSH, der ein wesentlich kriegerischerer Kerl war als es TRUMP jemals planen würde, angezettelt hatte, unter lauter Lügen, SADAMM HUSSEIN verfüge über "Massenvernichtungswaffen" und unterstütze Islamisten (was, gelinde gesagt, unwahr war). Wer gegen den Krieg war und dessen unter der US-Führung propagierte vorgeblich noble Motive anzweifelte, galt sowieso als verdächtig. Einfache US-Bürger wurden damals durchaus wegen solcherlei Ansichten kritischer Art verfolgt, zumindest aber bespitzelt, wie sich u.a. in "Fahrenheit 9/11" herausstellte. Die Hysterie, unter der die USA und vor allem ihre fadenscheinige Heuchler-Führung litten, war spür- und greifbar, was in diesem Soundgewitter an vielen Stellen klar wird. Im Grunde war die Stimmung vergleichbar mit der heutigen im Deutschland der Jahre 2023-2025: Wer nicht für die Ukraine ist und eine neutrale Position einnimmt, ist automatisch ein "PUTIN-Troll" und will Russland unterstützen. Der Ersatzpatriotismus, der sich jetzt nicht mehr auf das EU-Europa bezog, sondern zur Ukraine überschwappte, trat sich gewaltsam einen Pfad frei – und es war nicht zum Aushalten. Damals war das in den USA ganz ähnlich. In diesem Lied ist es durchaus spürbar – und es ist eines der besten zum Thema. Wobei natürlich die beiden absoluten Meisterwerke des Albums "American Idiot" zu kurz waren, um hier aufgelistet zu werden, doch sollen sie nicht zu kurz kommen, hier erwähnt zu werden: "American Idiot", der Titelsong – und "Holiday" waren die absoluten Spitzenwerke, "Boulevard of Broken Dreams" ist ebenfalls nicht zu verachten. MM
2006 – MUSE – "Knights of Cydonia" (06:07 = in der Albumversion)
Asche auf mein Haupt, Schande über mich Ungedämpften! Während die mit elektronischen Elementen genial gemixte solide Industrial- und Alternative-Rock erfolgreich experimentierende Band von Mainstream, Musik-Aficionados und meine Freundin, Liebe meines Lebens, die tollen Tüftler aus TEIGHNMOUTH, England, abfeierten, mochte ich sie nicht. En contraire: Ich erklärte diese Band zu einer meiner "Feinde"-Musikgruppen, zu den von mir meistgehassten. Die unsäglichen ONEREPUBLIC, die seltsame Boygroup aus Soyboys (ONE DIRECTION), BRUNO MARS, JUSTIN BIEBER, MICKY NIMAJ oder wie die Schrulle heißt, TAYLOR SWIFT und all diesen modernen Musikmüll fand ich ja schon immer zum Kotzen. Auch die meisten 2000er-Rockbands haben wenig mehr zu bieten gehabt, das man nicht schon ein Jahrzehnt oder gleich mehrere zuvor schon besser gehört hat. So dachte ich in meiner vorübergehenden Verstocktheit auch: "Undisclosed Desires", ein von meiner Freundin geliebter Song, war eigentlich super, doch dies Faktum wollte ich partout nicht anerkennen! Auch "Supermassive Blackhole", ein bei meiner besseren Hälfte ebenfalls saubeliebter Song, ging mir eher am Gemächt-Gesäß-Gemenge vorüber. Doch eijeijei, wie hatte ich mich getäuscht! Wer kann es sagen, warum dies passierte? Irgendwann im Jahre 2021, mitten im fiesen Corontopia-Dystopia, saß ich ohne besondere Vorhaben vor meinem Computer. Obwohl ich sicherlich der Mensch mit den meisten CDs, Musikkassetten und Schallplatten und ein Hasser von Streaming-Plattformen bin, schaue ich mir auf YOUTUBE nicht nur politische Podcast-Formate oder irgendwelche Rezensionskanäle an, sondern auch Musikvideos, häufig zu älteren Songs der 1980er und 1990er (in den 1970ern wurde das Konzept des Musikvideos überhaupt erst erfunden). Dieser Song wurde mir vom YT-Algorithmus vorgeschlagen, ich klickte aus Neugier – und nicht nur der im Westernstil gestaltete Videoclip begeisterte mich vom Fleck weg, wenngleich die Wirkung sogar noch größer wurde als sie's ohne Bildmaterial gewesen wäre.
Das Lied mit den "Rittern von Cydonia", im Video über 7 Minuten, in der Albumversion immerhin noch rund 6 Minuten lang, ist schon ein Unikat, gerade in den an musikalischer Kraft schon stark nachlassenden mittleren 2000ern. Immer weniger gute Songs, auf die man abfahren konnte – doch dieses rockte mein Herz so sehr, bewegte mich mit seiner pathetischen, epischen Meistermelodie, dem Erhabenen in der Instrumentierung, die sich auf E-Gitarren- und Synthesizer-Kompositionen gleichermaßen verlässt, die einfach extrem eingängig sind, ferner dem leicht kryptischen, bloß etwas kurzgeratenen Text, dass ich mir schließlich als erstes Album dieser Band das Werk "Blackholes and Revelations", 2006 erschienen, zulegte. Zwar mag es nicht das einzige emotional ergreifende Lied auf dem Album sein, das einen in eine Neowestern mit sehr modernistischen Anklängen geschwängerte Atmosphäre versetzt (das Musikvideo passt wie nur wenige perfekt zum Liedinhalt), aber es ist ein Unikat. Zumal in einer Zeit, in der man es zunehmend mit einem kulturellen Niedergang zu tun bekommt. Ich bekenne mich nun dazu, MUSE-Fan zu werden…
Wenn zu bewusst überzeichneten Westerntypen im Musikvideo, die mit Laserwaffen, einige mit "normalen" Western-Wummen ausgestattet, aufeinander schießen, während das elektronische Fiepen, Quäken, das Verzerrte und Verzahnte zu einem Parforceritt ausholt, das E in E-Gitarre wieder betont wird, ist man hier richtig aufgehoben, bei diesem feinen Spätmeisterwerk der Rockmusik. Rock rulez – immer noch! MM
2006 – YUSUF – "I Think I See The Light" (05:34)
Besonders klugscheißerische Zeitgenossen (zu denen ich mich auch gern zählen mag) und Musikkenner finden jetzt wahrscheinlich das kleine Haarriss-Bärtchen in der Suppe und mäkeln doof rum: "Bäh, bäh, bäh, das Lied ist nicht von 2006, sondern 1970 und stammt vom Album "Mona Bone Jakon". Ach, liebe Greise und Kids, Ihr habe keine Ahnung beide nicht! Nämlich so: Herr CAT STEVENS alias zypriotischer Name, der schwer auszusprechen ist alias YUSUF (→ISLAM) ist nämlich ein großer Schummler vor dem Herrn Allah oder Jahwe oder Zeus oder so! Er stibitzt mit Vorliebe und gewitzt bei sich selbst: Diese Version, die "Neufassung" seines eigenen Liedes, des schwungvollen und hoffnungsfrohen mit religiösem Touch, ist nämlich auf seinem ersten Album seit 1978, 28 Jahre später, 2006 also, erschienen. Es heißt "An Other Cup" und besteht aus dem, für das man Herrn STEVENS/ISLAM seit jeher kennt: Liebliche, unpolitische und sensible Sanft-Gemüt-Lieder, die den hippiesken Überall-und-alle-Frieden indirekt propagieren, auf die beste und edelmütigste vorstellbare Weise. So, sich selbst "covernd", hat Herr ISLAM also gesungen. Der Mann, der in der Zwischenzeit zwischen 1978 und 2006 auch gern mal mit Aussagen auffiel, die leicht fragwürdig erscheinen lassen, wie weit es mit der in seinen Liedern gepriesenen Friedfertigkeit bei seiner Persönlichkeit geht. Zum Beispiel war er für die →Fatwa (ein sich an alle Muslime weltweit richtender Mordaufruf, sowas wie "Vogelfreiheit" im europäischen Mittelalter), die ein gewisser iranischer Ajatollah 1979 gegen SALMAN RUSHDIE ausgerufen hatte.
Doch vergeben und vergessen: Er ist ein Mann voller Widersprüche und als Mensch voller Fehler – ja, wie wir alle. "Ich glaub, ich werde des Lichtes ansichtig" ist eines der mitreißendsten und melodisch ohrwurmverdächtigsten Lieder des Herrn STEVENS/ISLAM, das man ob seiner konsequent hoffnungsvollen Message bewundern kann und sollte. Eine Friedensbotschaft, an die er sich wohl halten darf, zugleich die Beschreibung einer jedem Menschen theoretisch offenen spirituellen Erfahrung in Gottesbegegnung – sofern man sich drauf einlässt. MM
2013 – DIE ÄRZTE – "Tittenmaus" (Live) (06:41)
Zu einer Zeit, als "Die beste Band der Welt" (laut selbstbewusst selbstironischer Eigenbezeichnung) noch jung, unverbraucht, dazu überaus verspielt war, etwa 1982, als die drei Herren noch mittlere Teenager waren, in jener Urbesetzung mit Bassist HANS RUNGE (alias "SAHNIE"), schrieb der damals schon verschmitzt-gewitzte BELA B. (DIRK FELSENHEIMER) diesen Text. Einen, der nicht gut altern kann, denn schon damals gab es ein paar unlustige, spaßfeindliche Feministinnen, die gegen dieses (und andere) angeblich "sexistische" Lieder der ÄRZTE sturmliefen. "Tittenmaus" ist natürlich unter die Gürtellinie, sexuell primitiv und durchaus nicht angetan, ein Klassiker zu werden. Wurde es aber. Der extrem witzige Text, ursprünglich tatsächlich von einem Jugendlichen für Jugendliche geschrieben (es geht um seltsame Anmache- bzw. Beziehungsanbahnungssprüche gegenüber jungen Frauen, um sie "rumzukriegen"). Dabei ist das Leitmotiv immer das, mit dem die junge Dame angesprochen wird: "Hey, du kleine Tittenmaus – kommst du heut zu mir nach Haus? – Ich geb dir auch einen JACK DANIELS aus…", so die streitbaren Zeilen, von denen nach der Überleitung in Strophe 3 behauptet wird: "Diese Worte – klappen immer!" Worte, die als "goldene Worte" bezeichnet werden.
Die schwierige Aufgabe einer Band ist es stets, bei Livekonzerten in jüngerer Zeit, ihre alten Texte anzubringen. Wie macht man es? Lässt man sie so, auch wenn sie thematisch vielleicht unzeitgemäß geworden sind? Modernisiert man sie? Wenn ja: komplett oder nur dezent? Es liegt in der typischen Haltung der Band DIE ÄRZTE, letztere Vorgehensweise anzuwenden. In der etwas ausufernden Live-Version tut BELA B. getrost das, worin die Gruppe schon immer ihr Heil suchte: Die Texte, die ohnehin schon witzig sind, noch witziger zu verändern. Manche Fans werfen ihnen dies vor, dass sie sich, im Gegensatz zu fast allen Bands – gerade auch den deutschsprachigen – nie an ihre eigenen Texte halten. Ich finde es so lustiger. Schon bei "Langweilig" wird das auf erfrischende Weise klar. Auf dem Album "Planet Punk" (1995), wo es in der Studioversion enthalten ist, heißt es in einer Textpassage: "und ich wünsche dir die Pest an den Hals" – geradezu klassisch in der Redewendung. Auf dem Livealbum "Wir wollen nur deine Seele" (1999) heißt es beispielsweise: "und ich wünsche dir die Post an den Hals", wohingegen beim MTV-UNPLUGGED-Konzert "Rock'n'Roll-Realschule" (2002) "und ich wünsche dir den Papst an den Hals" heißt.
Bestens aufgelegt schreiten wir von 1982 ins knapp 31 Jahre spätere 2013 – und zum auf drei CDs aufgezeichneten Live-Zeug von der "Die Nacht der Dämonen"-Tour. Auf CD 3, Song Nummer 3, erwartet uns ein ausgedehntes Lied-Fest mit einem glänzend aufgelegten BELA B. Aus seiner schönen alten "Jugendsünde" namens "Tittenmaus" schafft er ein an die Zeit angepasstes "Sittengemälde" mit sehr raffiniert komischen Einfällen im typischen ÄRZTE-Humor. Wer jetzt noch von "Sexismus" bei ÄRZTE-Texten quatschen mag, sinniert in die absolut falsche Richtung: Als es noch möglich war, in einer noch nicht völlig linksversifften Dreckswelt, massiv zu provozieren mit selbst kleinsten Entgleisungen lyrischer Art tief unter die Gürtellinie und über jede Grenze zu gelangen, als Protest gegen das "miefige Establishment", waren gerade die Texte dieser Band voll von sexuellen Inhalten, mitunter sexistisch. Aber immer mit dem nötigen ironischen Augenzwinkern. So ist ja auch der viel spätere ÄRZTE-Song "Manchmal haben Frauen…" (2000) weder Aufforderung noch Verherrlichung des Frauenschlagens, sondern eine klare Verurteilung von miesen Macho-Arschloch-Männern, denen ständig gewalttätig die Hand ausrutscht. Nun, die provokativste deutschsprachige Band aller Zeiten bis dahin war noch lange nicht fertig, ist es aber heute. All die – kalkulierte und auch spontane – Provokation, der augenzwinkernde Spitzensinn für Humor sind gewichen. Jetzt, in den Jahren 2023 und 2024, fangen die saftlosen "Musikdoktoren" an, ihre alten Lieder nicht mehr zu singen. So ist "Elke" (über eine extrem übergewichtige, nervige Fan-Frau) in ihren Augen inzwischen "Fatshaming" – und vermutlich wird "Tittenmaus", der genial lustige, skurrile Song, bald auch der ÄRZTE-eigenen Schere im Kopf zum Opfer fallen. Würde die Band allerdings sämtliche Songs aus ihrer Frühphase in den 1980ern und auch noch einige aus ihrer goldenen Ära, den 1990ern, streichen, blieben nur wenige Lieder übrig, nämlich die eher belanglosen und romantischen, die so konventionell sind, dass man sie auch von irgendwelchen Schlagerstars (nach-)gesungen bekommen könnte – oder von einer KI. Schade drum, doch "Tittenmaus" ist in dieser aufpolierten und textlich spontan aktualisierten (ohne den Inhalt zu entschärfen) Live-Version von 2013 einfach ein Knaller, den niemand der Band mehr nehmen kann! MM
2013 – SIDO – "30-11-80" (10:18)
Als SIDO (Kürzel für "Superintelligentes Drogenopfer") noch relevant war, aber schon mit dem Mainstream zu flirten begann, gelang ihm zum im Jahr seines 33. Geburtstags (wie das Lebensalter, indem JESUS VON NAZARETH ans Kreuz genagelt worden sein soll) ein respektables Album, dessen thematische Vielfalt zwar ansprechend, die fehlenden Tabubrüche und Provokationen jedoch arg fehlten. Schon damals hatte man der Raubkatze mit der Halbmaske in Form eines silbermetallenen "Chrome"-Totenkopfes also die Zähne gezogen – oder sie sich selbst. Gut, erst nachdem Herr PAUL HARTMUT WÜRDIG, wie der Rapper und Reimkünstler mit bürgerlichem Vollnamen heißt, in der Jury von THE VOICE OF GERMANY (PRO7) auftauchte, war er endgültig arriviert im tödlich umarmenden Mainstream, der jegliche rebellische Attitüde unter sich zermalmt. 2013 hatte er sich noch nicht so verdächtig gemacht, obwohl sein Duett mit Deutschrock-Altmeister MARIUS MÜLLER WESTERNHAGEN, "Grenzenlos", schon grenzwertig war.
Nachdem auf dem 2013 erschienenen Album "30-11-80", von dem dieser epische Track der Titelsong ist (referenziert auf WÜRDIGs tatsächliches Geburtsdatum = jetzt ist das auch gedoxxt) über verleumderische Journalisten (die sind in der Tat eine Pest!) und die Reaktion auf sie vor dem Hintergrund der Vorbildfunktionalität gegenüber dem eigenen jungen Sohnemann ("Papa, was machst du da?"), schwierige "Scheißjobs", die von tapferen Arbeitnehmern dennoch tagtäglich ausgeübt werden ("Einer muss es machen"), talentierte Straßenmusiker mit dem Traum vom großen Erfolg + Geld ("Enrico") und die Einstellung zur Arbeit ("Arbeit") gerappt wurde, lädt sich der ehemals beim AGGRO-BERLIN-Hip-Hop-Label Angestellte die ganze Rapper-Bagage als Gaststars für seinen treibenden, schnellen und fetten Titeltrack ein – und baut damit auch eine Brücke zwischen dem "alten" deutschen Rap/Hip-Hop, wie er erst Anfang der 1990er von Bands wie BLUMENTOPF, DIE FANTASTISCHEN VIER, ABSOLUTE BEGINNER, ADVANCED CHEMISTRY und DIE COOLEN SÄUE, den wahren Pionieren, ins Leben gerufen wurde – allesamt Rapper aus eher (bildungs-)bürgerlichen Schichten, studentischen Umfeldern usf. – und den erst später, ab Mitte der 90er und dann verstärkte ab Mitte der 2000er hinzugekommenen "Aggro"-Rappern mit Migrationshintergrund, die dann auf Namen wie RÖDELHEIM HARTREIM PROJEKT (in den mittleren 90s, vom 3P-Label, aus dem Ausnahmetalent des Soul XAVIER NAIDOO hervorging), BUSHIDO, MASSIV, HAFTBEFEHL, FLER und andere.
Hier sind die "alten Recken" mit den jetzt längst das Feld übernommen habenden Arab-Machos und anderen krassen Typen gemeinsam am Start, das Who-is-Who gibt sich hier die sprichwörtliche Klinke in die Hand: Für die "Altherren"-Fraktion treten DR. RENZ (bürgerlich: MARTIN VANDREIER) von FETTES BROT, AFROB (eigentlich: ROBERT ZEMICHIEL), SMUDO (bürgerlich: MICHAEL BERND SCHMIDT) von DIE FANTASTISCHEN VIER an. Die eher Spaß- und Breakbeat-Rap zum Mitgrölen und Mitsaufen, also partytaugliche, Mallorca-taugliche kreierende Zunft ist mit FRAUENARZT und MANNY MARC sowie BASS SULTAN HENGZT (sic!) prominent vertreten. Ein amerikanischer Gastrapper darf auch – auf Englisch – mitmischen: ERICK SERMON ist mit von der Partie.
Aus Österreich gibt’s eine Beteiligung an dieser "Collabo" (Kollaboration, im Sinne von Zusammenarbeit) mit dem Austro-Iraner NAZAR. Zu den weiteren Aggro-Migra-Rappern zählen natürlich BUSHIDO, B-TIGHT (beide alte Freunde von SIDO), MOSES PELHAM (Ex-Boss vom RÖDELHEIM HARTREIM PROJEKT), MOTRIP (ein Libanese) und TAREK (TAREK ÉBÉNE), der das Aggro-Rap-Trio K.I.Z. vervollständigt. Für die eher poppige, launige Spaßsektion im Sinne von "Rap/Hip-Hop mit Humor" gibt’s den guten EKO FRESH (EKREM BORA). Deutschrapper mit griechischen Wurzeln ist ferner noch EVANGELOS POLICHRONIDIS, besser bekannt unter seinem Alias LAKMANN oder auch LAKMANN ONE. Zu guter Letzt ergänzen das Team: BK, OLI BANJO und LAAS UNLTD. Nach SIDOs eigenen Angaben hatte er im Lied die verschiedenen Rap-Szenen und Schwerpunkte vereinen wollen, den Beef, der viele Jahre lang zwischen einigen verfeindeten Rap-Combos bestanden hatte, beilegen bzw. verdeutlichen, dass dieser inzwischen, 2013, beigelegt sei und sich die Szene gut verstehe, eng zusammenstehe.
Inhaltlich dreht sich alles, wie könnte es anders sein, um das große Poser-Ding, um das Posen und sich selbst Preisen, wie es in der Sprachgesangszene sowieso seit jeher gang und gäbe ist. Auch auf SIDOs Karriere und Erfolge wird verschiedentlich – mitunter augenzwinkernd ironisch – Bezug genommen. LAAS UNLTD beispielsweise rappte in seinem Part fast ausschließlich einige Songtitel von SIDO, spielte auf "Steh wieder auf", "Schlechtes Vorbild", "Fuffies im Club" und "Der Himmel soll warten". Neben vielen Vergleichen und anderen ebenfalls genretypischen Referenzen wird, wie könnte es erneut anders sein, auf prominente Personen des damals aktuellen Zeitgeschehens angespielt. Erwähnt wird unter anderem LENA MEYER-LANDRUT, die damals auf dem Zenit ihrer Musikkarriere war, nachdem sie 2010 den zweiten ESC-Gewinn für Deutschland (nach NICOLE im Jahre 1982) einheimste. DONATELLA VERSACE, MICHAEL PHELPS und CESAR MILAN finden weitere Erwähnung. Natürlich wird auch auf popkulturelle Phänomene angespielt, "Klingonisch" wird als Kunstsprache aus dem STAR-TREK-Kanon erwähnt, die freche Figur des "CARTMAN" aus der politisch unkorrekten Zeichentrickserie SOUTH PARK wird ebenfalls namegedropt.
Das alles ist so vollgeladen, dass man zwar nicht immer mitkommt, doch die fantasiereichen Anspielungen, Assoziationen und exzellenten Reime, bei jedem Rapper anders und sehr divers (im positivsten Sinne) in der Reimtechnik, sind ein Garant, dass man regelrecht süchtig wird. Wenn das Lied nach schwindelerregenden 10 Minuten und 18 Sekunden vorüber ist, wünscht man sich noch mehr! Eine der geilsten, wenn nicht die beste Kollaboration diverser Rapper, die auf Deutsch jemals stattgefunden hat. Der Song kann nicht nur für Rap-Fans interessant sein. Man lasse sich drauf ein und ergötze sich eventuell am einen oder anderen Part. Definitiv eines der besten SIDO-Lieder. Bravo, Junge! "Mama ist stolz", Du! MM
2022 – RAMMSTEIN – "Zeit" (05:21)
An anderer Stelle habe ich bereits über dieses Lied geschrieben. Dort hieß es meinerseits unter anderem: "Was der ehemalige Bundespräsident und Bundesgrüßaugust JOACHIM GAUCK abfällig in seinen höchsten Weihen der Arroganz als ein "Fremdeln mit der Moderne" bezeichnete (und damit alle Deutschen meinte, die mit dem linksgrünen, woken Kurs der aktuellen Regierung nicht einverstanden und brav auf Linie sind und deshalb AfD wählen oder sonstigen geistigen oder rhetorischen Widerstand leisten), wird hier weder angeprangert noch verklärt, sondern vielmehr erklärt. Natürlich ist die Sehnsucht nach ewigem Glück und einer gleichmäßig-überschaubaren, regelrecht berechenbaren Zeit und einem sich am besten nie wandelnden Zeitgeist nicht auf Deutschland und Deutsche beschränkt. Doch ist diese Ansicht, diese Lebensphilosophie, in diesem Lied deutlich. Unwiderstehlich fasst es die Band in zugleich simplen wie tiefschürfenden Textelementen zusammen: "Nach uns wird es vorher geben – aus der Jugend wird schon Not – wir sterben weiter, bis wir leben – sterben lebend in den Tod" heißt es sogleich kryptisch nach einem kleinen Präludium weniger Zeilen, "Dem Ende treiben wir entgegen – keine Rast, nur vorwärtsstreben – Am Ufer winkt Unendlichkeit – gefangen so im Fluss der Zeit" wird ergänzt. Besser wird deutschsprachige Lyrik kaum werden können, manch Dichter der Romantik hätte es nicht schöner, melancholischer und zugleich hoffnungsvoller formulieren können.
"Augenblick, verweile doch" ist eine weitere Textzeile, die dies bestätigt."
Nun, heute mehr denn je trifft dies zu, auf diese episch schwelgende, langsame Ballade, die voller wehmütiger Nachdenklichkeit und einer unglaublichen Sanftmut in Sänger TILL LINDEMANNs Stimme, die auch seichtere Töne anzuschlagen in der Lage ist, ist.
Die Melancholie scheint aus jeder Zeile, jeder Note zu triefen, Schwere und Schwerfälligkeit vereinen sich, eh der kraftvolle Berserker-Teil losgeht. Ja, die Zeit möge doch bitte stehenbleiben, so fleht der doch wohl sensible TILL regelrecht. Das über die ganze Zeit von über fünf Minuten, die einem doch länger vorkommt, zugleich aber eine angemessene Länge hat, nach der man sich anschließend zurücksehnt. "Sehnsucht", so hieß das damals zweite RAMMSTEIN-Album von 1997, mit dem erst der kommerzielle Durchbruch (mit Singles wie "Engel", "Du hast") gelang (das Debüt "Herzeleid" floppte 1995 relativ).
Ein Song wie ein gigantischer Abschied, musikalisch vollmundig und süffig zugleich – und einfach zutiefst bewegend, gerade aus der Perspektive eines modernen Urdeutschen, der ohnmächtig zusehen muss, wie sich sein geliebtes Mutterland und Heimatland in einen Schutthaufen chaotischster Zustände verwandelt. Wie so oft sind RAMMSTEIN mit diesem Song ganz nah am Puls der Zeit, der Befindlichkeit der Deutschen – ja, wahrlich haben sie verstanden, was es heißt, deutsch zu sein. MM
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.04.2025.
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