Alle drängen durch die engen Gassen einer alten Stadt. Der Abend wird stetig dunkler und die Menschen sind hektisch unterwegs. Sie laufen umher, als wäre etwas hinter ihnen. Wir ziehen uns aus dem Trubel zurück und wundern uns über die plötzliche Aufruhr. In einer Seitenstraße entdecken wir ein kleines Café, in dem noch einige Sitzplätze frei sind. Wir setzen uns auf einige Hocker an einem hohen Tisch in der Ecke des Raums. Es gibt kaum Dekoration und alles ist in schlichten Tönen gehalten. Das Lokal bietet eine traditionell-syrische Küche an und wir bestellen Kibbeh, Teigtaschen mit Hackfleisch und einen Matetee. Eine schlanke Frau in einem schlichten beigen, locker sitzenden Gewandt bedient uns.Wir sitzen mit einer Gruppe junger Männer an einem Tisch. Die Ruhe in dem Café steht zu einem starken Kontrast zu der Menschenmenge außerhalb. Wir fragen die Männer, ob sie etwas darüber wüssten und sie warnen uns vor der kommenden Nacht. Fragend sehen wir uns an. Wir zahlen und verschwinden, so schnell wir nur können. Draußen reihen wir uns in die Masse ein und peilen unser Hotel an, das in der Stadtmitte liegt. In dem Strom ist es unmöglich, dieses zu erreichen. Wir werden zu einem großen Gebäude gedrängt. Erst hier löst sich die Menschenmenge auf und wir können uns in dem tempelartigen Bau frei bewegen. Im Inneren sind viele verschiedene Türen, an denen Schilder mit Regeln stehen. Man darf die Tür erst öffnen, wenn man auf der schmalen steinernen Stufe vor der Tür steht und dreimal geklopft hat. Sobald man den Raum betreten hat, muss man Platz nehmen, die Augen schließen und schlafen. Man darf sich erst wieder bewegen, wenn der Morgen angebrochen ist. Wir sind verwirrt und sehen uns um. Die Anderen scheinen diese Regeln zu befolgen und treten in die Räume ein. Wir versuchen einen Blick zu erhaschen und sehen durch die geöffneten Türen. Die Zimmer haben alle ein eigenes Thema, das zu der Optik der Tür passt. Einige treten auf die Stufe vor der japanischen Schiebetür, klopfen dreimal und treten in einen großen hellen Raum, in dem an den Seiten flache einfarbige Sitzkissen liegen. Die Wände bestehen aus Shoji-Papier und in der Mitte steht eine leere, einfache Säule. Die nächsten gehen zu einer Tür, die an eine Waldhütte erinnert. Auch hier steht wieder eine Säule in der Mitte und an den Seiten stehen Bänke aus Baumstämmen, die in der Mitte geteilt wurden. An den dunkelgrünen Wänden hängen vereinzelt Bilderrahmen mit Moos. Jedes mal, wenn die Tür sich öffnet, strömt der Geruch eines alten, wilden Waldes heraus. Es gibt weitere Türen. Eine Tür, die wie ein Bücherregal aussieht, eine Schlosstür mit eisernen Stäben, eine bunte Regenbogentür, eine schwere schwarze Tür, aus der Nebel aufsteigt und eine gespiegelte Tür. Bei der Wahl der Tür, hallen die Worte der jungen Männer durch unsere Köpfe, sodass wir uns für die schwarze Tür entscheiden, die am robustesten wirkt. Wir wollen gerade die Klinke runter drücken und eintreten, als uns eine alte Frau auf die Regeln aufmerksam macht. Sie sagt nichts, nur ein Tippen auf die Schilder genügt. Ihr Gesicht ist durchzogen von Falten, die nicht von einem glücklichen Leben zeugen. Also stellen wir uns auf die steinerne Stufe und klopfen dreimal an die schwarze Tür. Wir treten einzeln zaghaft ein und schauen uns um. Durch den dichten Nebel ist kaum etwas zu sehen und doch versuchen wir, die Plätze zu finden, auf die wir uns setzen sollen. Es ist alles sehr dunkel, nur die Säule ist beleuchtet. Wir tasten uns unseren Weg Richtung Sitzmöglichkeit. Auch hier scheinen Bänke zu stehen. Wir erfühlen kalten Stein, eine Lehne gibt es nicht und die Bank an sich ist sehr schmal. Kaum zu glauben, dass man auf dieser Bank schlafen soll. Wir nehmen nebeneinander Platz. Der Raum füllt sich immer schneller, bis kein Platz mehr frei ist und alle dicht an dicht gedrängt sitzen. Der Untergrund heizt sich schnell auf und die Luft wird immer stickiger. Wir hören unsere Sitznachbarn tuscheln, überall ist ein Flüstern, sehen kann man durch den dichten Nebel jedoch nichts, nicht mal den direkten Nachbarn. Ein dumpfes Geräusch ertönt – es ist ein Pochen, wie ein Klopfen auf morsches Holz. Plötzlich stoppt das Getuschel. Eine bekannte Stimme, wir glauben, es ist die von der alten Frau, befiehlt uns, unsere Augen zu schließen und uns schlafend zu stellen. Keiner dürfe sich bewegen oder einen Mucks von sich geben. Ein kalter Schauer läuft unsere Rücken hinunter, die Person neben uns zittert unkontrolliert und alles ist still. Nochmal hören wir das Klopfen. Es wird immer lauter und kommt näher und näher. Das Zittern der Person wird stärker, ihre Zähne klappern, was uns immer nervöser macht. Jemand springt auf und rennt Richtung Tür. Wir hören nur ein verzweifeltes Hämmern und Schreien. Es ist ein Mann, der da versucht, zu entkommen, aber die Tür öffnet sich nicht. Sein Schreien wir immer weinerlicher und seine Fingernägel kratzen an dem robusten Holz der Tür, was ein fieses Kreischen erzeugt. Schlagartig gibt es einen lärmenden Knall, die Tür wird so fest aufgestoßen, dass der Mann, der vorher noch versucht hat, zu fliehen, hinter der Tür zerquetscht wird. Der metallische Geruch von Blut liegt in der Luft, aber niemand traut sich, zu schreien. Wir senken schnell den Kopf und schließen die Augen, rühren keinen Muskel, so wie es die Frau gesagt hatte. Schritte, die nur von einem riesigen und gewichtigen Menschen kommen können, schallen durch den Raum. Dieses hallende Geräusch macht uns erst begreiflich, wie groß der Raum eigentlich sein muss. Ein tiefes Summen kommt aus der Richtung des Menschen, das auf einen Mann schließen lässt. Es ist auf einem deutlich höheren Level als wir und nährt sich. Wir spüren, wie etwas mächtiges direkt vor uns steht und das Summen stoppt. Wir öffnen einen schmalen Spalt unsere Augen und versuchen, einen vorsichtigen Blick zu erhaschen. Die Gestalt beugt sich zu uns runter und seufzt mit tiefer Stimme. Wir schließen wieder ganz fest unsere Augen, doch spüren schier unendlich lange Minuten den warmen Atem des Mannes. Dieser hat einen süß-säuerlichen Geruch, der uns penetrant in die Nase steigt. Er wechselt zwischen uns hin und her, bleibt nah an unseren Gesichtern, bis er einem von uns mit seinen langen Krallen über die Wange kratzt, trotzdem bewegen wir uns keinen Millimeter. Gerettet werden wir von dem Schluchzen eines Kindes. Wir sind völlig irritiert, sogar das Zittern des schmächtigen Menschen neben uns stoppt abrupt. Das beängstigende, vermutlich humane Wesen blickt auf und stampft zügig in Richtung des Schluchzen. Das Kind bringt einen furchtbaren, das markdurchdringenden Schrei heraus. Man hört Knochen brechen und das Reißen von Fleisch, während der Raum von einer Welle stiller Unruhe und Angst erfüllt ist. Dies dauert nur einen kurzen Moment. Wieder steigt der Geruch von Metall in die Luft und es wird noch wärmer, noch stickiger. Von der Decke tropft das Kondenswasser im Sekundentakt auf unsere Stirn. Der Mann geht langsamen Schrittes weiter und dreht dabei seine Runde, um die beleuchtete Säule. Bedacht versuchen wir, nochmal einen Blick auf ihn zu werfen und öffnen unsere Augen einen Spalt weit. Unser Kopf ist noch immer gesenkt und wir blicken auf den Boden. Er trägt schwarze Lackschuhe von hoher Qualität. Nur von ein paar Tropfen Blut besprenkelt glänzen sie und reflektieren das Licht in der Mitte des Raums. Seine Beine sind schmal und lang, gehüllt in einer schwarzen Anzughose, die bis zum Boden reicht. Einige Minuten später verlässt er das dunkle Zimmer durch die schwarze Tür. Alles bleibt still, es ist kein Atem, kein Seufzen, kein Knacken zu hören. Weder wir noch unsere Sitznachbarn bewegen sich, jeder ist wie versteinert. Die Minuten ziehen wie Wimpernschläge vorbei. Nachdem auch kein Geräusch mehr von draußen zu hören ist, kehrt allmählich Bewegung in den Raum ein. Einer nach dem Anderen steht auf, bleibt zunächst stehen und schleicht Richtung Tür. Etwas zaghaft versucht der Erste, die Tür zu öffnen, was diesmal leicht von statten geht. Von draußen scheint ein grelles Licht durch die Tür. Es ist wieder Tag – die Nacht ist überstanden...
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.04.2025.
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