Horst Radmacher

Freifrau von Geyer Muss schweigen

Den meisten Mitgliedern des Adels sieht man ihre Zugehörigkeit zu dieser Spezies auf den ersten Blick nicht an, denn in den letzten Jahrzehnten haben sich die auffälligsten, körperlich sichtbaren genetischen Merkmale, entstanden durch jahrhundertelange strikte Endogamie, abgeschwächt. So wirkt auch Brunhilde von Geyer auf den ersten Blick ziemlich normal, wenn man davon absieht, dass sie auffallend unattraktiv ist - das ist sie schon seit frühester Kindheit. Sie hat aber den gesellschaftlichen Vorteil, als Kind in einer privilegierten Umgebung aufwachsen zu dürfen. Die Familie derer von Geyer gehört zum deutschen Hochadel und eine erbliche Nähe zum englischen Königshaus ist belegbar. Brunhildes Tante Amalie hatte es einmal dynastisch nachgerechnet und kam für Brunhilde auf Rang einhundertundzwölf in der der britischen Thronfolge. Klingt nach weitem Abstand, aber sollten die vorher Gelisteten vor ihr sterben, hätte Brunhilde eine ganz schön große Immobilie zu verwalten. In ihrer Schulzeit fällt das adlige Kind dadurch auf, dass es ausgesprochen schwer von Begriff ist. Doch hat Brunhilde einmal etwas kapiert, verbeißt sie sich darin. Dem Mädchen von hohem Stand sagt man auch eine gewisse Bauernschläue nach. Für jedes andere Kind von einfacherer Herkunft wäre mit solch einem Begriffsvermögen nach der Hauptschule Schluss gewesen, was ja nichts Ehrenrühriges ist, aber für Brunhilde von Geyer kommt so etwas nicht infrage. Ihr Vater, der Großherzog, ist der wohlhabendste und einflussreichste Mann der gesamten Region. Er hat keine Mühe, seine älteste Tochter aufgrund seines Netzwerks und den gezielten Einsatz bedeutender Geldbeträge durchs Abitur zu bringen. Ihr ein Studium an einer der regulären staatlichen Universitäten zu ermöglichen, dafür reicht sein Einfluss dann aber doch nicht. Für das an einer Privat-Uni allemal. Die junge Freifrau studiert Jura und tritt danach in eine Anwaltskanzlei mit dem Schwerpunkt Familien- und Erbrecht ein. Sie arbeitet sich hoch. Ihre Begriffsstutzigkeit ist hierbei von Vorteil. Sie muss häufig nachfragen, aber die so durchs ständige Wiederholen erworbenen Kenntnisse der Sachverhalte sitzen dann fest, irgendwie. So gerät die junge Anwältin nie in die Gefahr, wegen erwiesener Unfähigkeit gefeuert zu werden. Ganz im Gegenteil, die guten Beziehungen ihrer Familie helfen ihr und der Kanzlei weiter. 

Dann kommt der Tag, an dem die Freifrau die Politik für sich entdeckt. Das, was sie in ihrem geliebten Vaterland an gesellschaftlichen Veränderungen erlebt, macht sie zornig, Die einzig Aufrechten in diesem Land, Reichsbürger und andere Demokratieverweigerer, werden in den meisten Presseorganen verhöhnt und wegen ihrer Gesinnung verfolgt. Auch die letzten noch lebenden kaisertreuen Mitbürger und andere aus der Schar nostalgischer Monarchie-Befürworter werden von den Medien in die Kuriositäten-Ecke gedrängt. Das muss anders werden, so das Credo Brunhildes. Eine gute Voraussetzung für politische Ämter, an Fakten vorbei formulieren zu können, bringt Brunhilde mit. Sie schließt sich zunächst einer in weiten Teilen rechtsextremen Partei an. Aber auch hier ist niemand zu finden, mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, in dieser von Geltungsdrang getriebenen und selbstverliebten Truppe. und auch sonst sind diese Rechten in ihren Augen viel zu zimperlich bei der Durchsetzung stramm deutschnationaler Ansprüche. Sie verlässt diesen Verein der überwiegend nur sülzenden Salon-Umstürzler nach kurzer Mitgliedschaft wieder. Sie gründet eine eigene Partei: AgD – Adel gegen Demokratie. Diese Partei macht bald auf sich aufmerksam. Sie wird ein Sammelbecken von Alt- und Neonazis, von Abweichlern der bereits existierenden, rechtsextremen politischen Partei, voll von Reichsbürgern und sonstigen ultrarechten Polit-Desperados. Einige quotengeile Medien bieten der AgD eine öffentliche Plattform, sich über die Präsentation in Talk-Shows und Politmagazinen zu profilieren. Mit Brunhilde von Geyer als ihre Spitzenkandidatin tritt die Partei bei der darauffolgenden Bundestagswahl an.Spät abends am Wahltag wird das vorläufige amtliche Wahlergebnis verkündet: AgD 0,003 %. Das kann nicht sein. Das würde bedeuten, dass sie fast jeden ihrer Wähler persönlich per Handschlag begrüßen könnte. Die Ultrarechten schreien auf. Wahlbetrug! Hier hat jemand das Ergebnis gefälscht, empören sie sich. Ein wütender Protest geht an den Bundeswahlleiter – ohne Erfolg. 

Freifrau Brunhilde von Geyer wird nun höchstpersönlich aktiv und beschimpft die Staatsorgane. Sie wird verklagt und reicht eine Gegenklage ein. Zur Seite steht ihr ein gewiefter Anwalt, der zwar dem völlig entgegengesetzten politischen Spektrum angehört, aber ebenso medienerfahren wie versessen auf öffentliche Aufmerksamkeit ist. Dieser, mit allen Abwässern gewaschene Advokat, konstruiert einen justiziablen Sachverhalt, der letztinstanzlich zwar beim Bundesgerichtshof landet, dort aber unwiderruflich abgelehnt wird. Am Tag nach der Urteilsverkündung erscheint eine der AgD nahestehende große Boulevardzeitung mit der Schlagzeile: FREIFRAU VON GEYER MUSS SCHWEIGEN.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.05.2025. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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