Michael Schendel

Katzensprung

Es war schon dunkel und der Mond stand rund am Himmel.
Eine lange Arbeitswoche lag hinter ihm als er das Ortsausgangsschild von Aston passierte. Er schaltete zügig den alten Ford hoch. Schon ein paar Sekunden später hatte er seine Reisegeschwindigkeit erreicht. In Richtung Boulder. Ein langes Wochenende stand ihm mit seiner Freundin Sally bevor, und er freute sich darauf.
Die einstündige Fahrt, die er jeden Morgen und Abend durch diese öde, leicht hügelige und mit vielen Dornenbüschen bewachsene Landschaft machte, ließ ihn wie immer schläfrig werden. Keine Gegend für mich, dachte er, er wollte Abwechslung und brauchte seine Stadt.
Um der Schläfrigkeit vorzubeugen, kurbelte er sein Fenster einen Spalt breit herunter und ließ den kühlen Fahrtwind ins Fahrzeug strömen. Noch mit seiner rechten Hand den Radiosender suchend, bemerkte er einen huschenden Schatten vom rechten Straßenrand her in den, mit der Zeit schon trüb gewordenen, Lichtkegel seines Scheinwerfers.
Scheiß Katze, dachte er und riss im gleichen Augenblick, ohne den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, das Steuer nach links. Ein Anschlagen und Rumpeln unter dem Ford ließ ihn hoffen, dass er sie erlegt hatte.
"Mistige Dinger, elende", schrie er und war schlagartig wach.
Er hielt nicht an. Mußte sich die Katze, oder das was von ihr übrig geblieben war, nicht anschauen. Er hatte jedoch auch die Erfahrung gemacht, dass er anschließend nichts vorgefunden hatte.
Katzen haben ja bekanntlich sieben Leben!
Das war hier die richtige Landschaft für Katzen. Unübersichtlich und menschenleer. Schon vor einem Jahr hatte er das festgestellt und seit dem keine sich ihm bietende Gelegenheit ausgelassen, auf seinen Fahrten den Jäger zu spielen. Er hasste Katzen!

Seine Großmutter, bei der er aufgewachsen war, liebte Katzen. So sehr, dass sie in Scharen das kleine Haus im Süden von Boulder bevölkerten. Sie waren morgens, mittags und abends da gewesen. In der Küche beim Essen, im Wohnzimmer auf dem Sofa, in seinem Zimmer auf und unter dem Bett. Sie wurden gehegt und gepflegt.
Als er sich den Katzen gegenüber zu Wehr setzte, zog er den kürzeren, bei seiner Großmutter und bei den Katzen. Scheiß Viecher!
Nur noch eine halbe Stunde, dachte er und konzentrierte sich eine Weile auf die schlechte Fahrbahn. Da, schon wieder, ein Schatten im Voraus auf der Straße. War es eine Katze? Es war ein Felsbrocken. Er riss das Steuer nach links. Noch einer! Wieder nach links. Er vernahm ein erneutes Rumpel unter dem Wagen. Der Ford brach hinten aus. Er geriet ins Schleudern und rutschte mit dem Heck über das linke Bankett der Fahrbahn in die öde Landschaft.
Der Motor würgte ab. Er fluchte.
Hoffentlich hatte der zweite Felsbrocken nichts unter dem Wagen leck geschlagen. Gepresst stieß er den Atem aus. Seine Hand ergriff den Zündschlüssel und drehte ihn. Nichts geschah. Er drehte den Schlüssel noch einmal. Stille. Statt dessen leuchtete im Armaturenbrett das Zeichen für den Öldruck auf. Wütend entnahm er dem Handschuhfach eine Taschenlampe und stieg aus. Er öffnete die Motorhaube in der Hoffnung etwas Auffälliges zu finden, das er gleich hier reparieren konnte.
Gebeugt im schwachen Schein der Lampe, die er auf den Batteriekasten legte, sah er auf den Motor.
"Nichts zu finden?" Eine gurrende Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Mit einem Aufschrei des Schreckens, seine Lampe fiel in den Motorraum, wandte er sich um. Sah aber nichts und niemanden.
"Es ist euer Problem, nur das zu hören und zu sehen, was euch euer Verstand als wahr eingibt", ertönte die Stimme nun ein zweites Mal.
***
Irritiert und panisch, starrte er in das ihn umlagernde Dunkel.
"Hier, rechts von dir. Neben deinem Wagen!"
Schweiß brach ihm aus. Seine groß aufgerissenen Augen folgten der beschriebenen Richtung und sahen eine Katze.
Groß wie ein ausgewachsener Hund. Sie sass auf ihren Hinterläufen und schaute ihn mit funkelnden Augen an. Festgewurzelt, starrte er sie an. Mein Gott, dachte er, lass das nicht wahr sein.
"Sprichst du nicht mit mir?", schnurrte sie.
"Ja klar doch, logo", stotterte er , und in der Hoffnung dieses Spukbild zu vertreiben, schrie er:
"Also gut Leute, es wird eine tolle Sendung werden. Kommt jetzt raus, ich habe den Scheiß satt!"
Seine Worte verhallten ereignislos in der Nacht. - Stille -.
Kein plötzliches Scheinwerferlicht. Keine Menschen, kein Lachen und kein Regisseur der ruft, wir haben alles im Kasten. Statt dessen streckte sich die Katze lang und fragte fast gelangweilt:
"Was hast du für ein Problem?"
"Mein Wagen springt nicht mehr an ", flüsterte er. "Ich brauche wohl Hilfe um ihn wieder flott ...", und sein Flüstern wurde zu einem zornigen Gebrüll. "Mein Gott, ich knalle gleich durch . Ich rede mit einer Katze!"
Unberührt von seinem Gefühlsausbruch wisperte sie:
"Komm` mit, ich zeige dir etwas!"
Sie ging, das bemerkte er, selbstbewusst und grazil um den Wagen, an ihm vorbei, zur anderen Straßenseite. Er folgte ihr wie in Trance, und blickte wie sie in das Dunkel der anderen Seite.
"Siehst du da hinten die Lichter?"
"Nein". Seine Stimme klang abweisend.
"Verzeih, ich vergaß, dass Deine Augen nicht für die Nacht gemacht
sind. Ich gebe dir aber eine Empfehlung. Richte Deine Augen auf Dein Ziel, kneife dann beide Augenlider für einige Augenblicke fest zusammen und öffne sie dann. Du wirst nun für einen kurzen Moment dein Ziel klar erkennen können. Versuche es!"
Was höre ich auf eine Katze, dachte er.
Er spürte jetzt ganz deutlich die Wärme, die der Katzenkörper ausstrahlte, da sie ganz nahe bei ihm stand.
"In Ordnung, was habe ich zu verlieren? Ich versuche es", und tat wie ihm geraten.
"Erkennst du jetzt die Lichter?", fragte sie. Erstaunt antwortete er:
"Ja, tatsächlich. Ich sehe die Lichter! " Stille Hoffnung keimte auf.
"Es ist eine Farm. Dort wirst du Hilfe bekommen, falls du es bis dorthin schaffst!"
Er spürte den leicht ironischen Ton im Hinweis.
Die Katze setze sich auf ihre Hinterläufe und leckte ein paar mal über ihre rechte Vorderpfote. Dann stand sie auf und streckte sich. Er sah, wie ihr Schwanz fast senkrecht in die Höhe fuhr.
Sie machte ein, zwei Schritte in die Dunkelheit und wandte ihren Kopf zu ihm. Wie ihre Augen leuchten, dachte er, als er ihr Schnurren vernahm.
"Es ist nicht weit. Etwa eine Meile. Ist es nicht ein schönes Spielfeld?"
Ohne seine Antwort abzuwarten, verschwand sie im Dunkel.

***
Endlich, sie war fort. Der Spuk sollte für ihn vorbei sein. Er hastete zum Wagen zurück um die Lampe zu holen. Fand sie aber leergebrannt vor. Was sollte es, der Mond war ja da.
Hastig überquerte er die Fahrbahn, überprüfte noch einmal mit der Empfehlung der Katze sein Ziel und stolperte die leichte Böschung abwärts. Mehr tappend als gehend verhakte er sich schon einige Yards weiter im Gezweig eines Dornenbusches und zog sich schmerzende Kratzer im Gesicht und an den Händen zu. Ich muß achtsam sein, überlegte er, und ihm wurden die Bilder der letzten Minuten bewusst. Er fing an zu rennen, stürzte jedoch erneut und blieb für einen Augenblick benommen liegen. Seine Hände brannten vom Saft der Dornen und seine Augen schweiften ziellos, nichts klar erkennend, durch die Dunkelheit.Ein leises Geräusch ließ ihn herumfahren. Ein Scharren. Er nahm einen Schatten wahr. Rechts von ihm an einem Busch glimmten Lichter auf. Er richtete seine Augen auf den Busch, kniff die Augen fest zusammen, öffnete sie und erkannte einen Körper mit Schwanz. Eine Katze.
Angst stieg in ihm hoch. Er vernahm hinterrücks ein leises Fauchen. Ein plötzlicher Aufprall eines geschmeidigen Körpers auf seinem Rücken ließ ihn torkeln. Katze Nummer zwei.
Mein Gott, sie greifen mich an, dachte er. Jetzt trieb ihn seine Angst zur Flucht gnadenlos weiter. Seine Hände als Schutz vor sein Gesicht haltend versuchte er den immer wieder aus der Dunkelheit auftauchenden Dornenzweigen zu entgehen.
Ihn erfasste Grauen und Hilflosigkeit. Er blieb atemlos einen Augenblick stehen.
Das volle Mondlicht ließ ihn plötzlich weitere Schatten erkennen, die aus einer kleinen Mulde vor ihm auftauchten und in langen Sätzen auf ihn zu sprangen. Eine schwarze und eine weiße Katze.
Nummer drei und vier.


Sein Zögern genügte den Tieren. Er spürte wieder einen Aufprall eines Körpers auf seinem Rücken, und es folgte ein Hieb an sein Ohr. Hart und messerscharf.
Er ging in die Hocke, heulte auf und fühlte mit seiner Hand an Wange und Ohr Feuchtigkeit. Blut. Jetzt verstand er. Das hatte sie mit Spielfeld gemeint, und mit - wenn du es schaffst.
Ein hartnäckiges Miauen deutete auf die Ungeduld der Katzen. Sie waren jetzt überall um ihn und rückten immer näher. Seine Augen, die sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt hatten, zählten acht Augenpaare in einem Radius von vielleicht zehn Yards. Fieberhaft suchte sein Verstand nach einem Ausweg. Überrasche sie, dachte er, springe auf und renne bis zum nächsten Busch. Der wird dir dann erst einmal Deckung geben. Lasse dich nicht einkreisen! Bleibe nicht im offenen Gelände!
Mit dem Mut der Verzweiflung sprang er auf und rannte los. In der Hoffnung, diesen Albtraum hinter sich zu lassen.
Es ging jetzt bergab. Mit großen Schritten hastete er weiter auf einen
Busch zu. Aus dem Dunkel tauchte ein Katzenkörper neben ihm auf. Mitten in seinem Lauf huschte der Körper durch seinen Schritt. Er strauchelte und stürzte. Zwei, drei andere Katzen waren sofort bei ihm und hieben ihm ihre Krallen in Oberschenkel und Waden. Sich aufraffend, wie ein Derwisch sich im Kreise drehend, schlug er mit seinen Armen zügellos um sich und schrie aus Leibeskräften.
Die Schatten zogen sich zurück. Sie mögen kein Geschrei!
Diese Erfahrung aus seiner Kindheit tauchte plötzlich in ihm auf und machte ihm Hoffnung. Er stolperte weiter. Zweige peitschten sein Gesicht. Ein großer Busch. Endlich. Hier hatte er etwas Schutz, konnte ein wenig ausruhen und sich orientieren. Wieder wandte er das Zielsehen an und erkannte jetzt in einiger Entfernung klar die Farm und das Licht.
Ein Geräusch hinter seinem Rücken ließ ihn herumfahren.
Eine Katze stand aufrecht auf der einen Seite des Busches und angelte mit ihren Pfoten durch die Zweige nach ihm, während eine andere ihn von unten krallenscharf attackierte. Den Schmerz nahm er schon nicht mehr wahr. Er ließ sich fallen und rollte sich zusammen. Kein Angriff erfolgte. Statt dessen versuchten sie ihn, mit hektischen Bewegungen und mit ihren Pfoten zu kratzen, zu rollen, ja fast zum Weglaufen zu bewegen. Sie spielten mit ihm. Wie die Katze mit der Maus spielt!
Lust am Spiel. Er verharrte noch einige Sekunden, um sich zu konzentrieren, sprang dann plötzlich hoch und rannte in dieser Erkenntnis auf das Farmlicht zu.

***
Er schmiss sich gegen ein Gatter, das ächzend nachgab und aufflog. Er torkelte auf eine Veranda zu, über der das Licht brannte.
"Hilfe, helft mir!", keuchte er und blickte sich gehetzt um.
Außerhalb des diffusen Lichtkegels der Laterne, sah er die dunklen Schatten mit ihren glühenden Augen. Noch bevor er die Stufen der Veranda erreicht hatte, wurde die Türe geöffnet.
Ein Gewehrlauf erschien und eine harte Stimme rief ihm zu.
"Bleib stehen, Mann. Geh ins Licht!"
Widerwillig, von Angst gezeichnet, folgte er der Anordnung.
"Was willst du? Du machst ja ein mächtiges Spektakel! "
Seine Stimme überschlug sich fast als er antwortete:
" Ich hatte eine Panne mit meinem Wagen. Dann habe ich die Lichter ihrer Farm gesehen. Auf dem Weg hierher bin ich dann von Katzen angegriffen worden. Von riesigen Viechern. Helfen Sie mir bitte!"
"Ich kann dir nicht helfen, aber die da" und sein Gewehrlauf machte eine Bewegung in eine Richtung, "werden sich mit Sicherheit um dich kümmern".
Er wandte seinen Blick in die Richtung und sah ein Scheinwerferpaar auf sie zukommen. Auch ein blinkendes Top-Licht erkannte er.
Polizei, Gott sei Dank.
Der Wagen folgte einer Straße. Wieso hatte er sie nicht gesehen? Egal. Der Albtraum hatte ein Ende. Das Fahrzeug hielt vor dem Gatter, zwei Uniformierte stiegen aus und kamen auf den Hof.
"Hey George, gibt es Probleme?", fragte der Ältere, während der andere, der Jüngere, still im großem Bogen zur Veranda kam.
"Ich habe hier keine Probleme, aber der da hat welche. Nehmt ihn mit und lasst mir jetzt meine Ruhe!" Wieder machte der Gewehrlauf eine zwingende Bewegung.
Die Beamten kamen auf ihn zu. "Sie sehen ja ganz schön zugerichtet aus. Was ist ihr Problem?" Der Ältere taxierte ihn dabei von oben bis unten.
"Ich hatte eine Panne und wollte von hier aus Hilfe holen", stammelte er. "Dann bin ich von riesigen Katzen angegriffen worden. Sie hätten mich fast getötet ".
"So, von riesigen Katzen!", wiederholte der Jüngere. "So groß wie diese dort?", und zeigte fragend zur gegenüberliegenden Scheune. Dort sass eine weiße Katze am Rand des Lichtscheins auf den Hinterläufen und leckte sich die Pfoten.
"Ja, ist halt nicht jeden Mannes Sache in der Nacht so durch diese Gegend zu streifen. Man sieht dann vielleicht schon mal was, was gar nicht so groß und so schrecklich ist", dabei dehnte der Ältere die Worte groß und schrecklich genüsslich.
" Kommen Sie, wir nehmen Sie bis zu Ihrem Fahrzeug mit." Konfus und resigniert ging er mit den Beamten.
Die Fahrt dauerte nur kurz. Er konnte jedoch seine Blicke nicht von der mondhellen Landschaft nehmen. Er fühlte sich von dort beobachtet und hatte ein beklemmendes Gefühl.

Oben auf der Hauptstraße angekommen, parkten die Beamten ihr Fahrzeug mit brennenden Scheinwerfern vor seinem Wagen. Sie stiegen gemeinsam aus.
"Wir fanden ihren Wagen so hier vor. Mit offener Fahrertür und eingestecktem Zündschlüssel - aber ohne Sie. Wir haben das Fahrzeug dann über Funk überprüfen lassen. Sie wissen schon. Diebstahl, Fluchtfahrzeug u.s.w. War aber alles OK. Ich habe dann auch probiert ihn zu starten. Komische Sache!"
Der Ältere kratzte sich dabei sein stoppeliges Kinn.
"Der Motor sprang aber sofort an. Tadellos. Was hat Sie von der Straße abkommen lassen? Zu schnell gefahren? Waren Sie müde?
"Nein, es waren Felsbrocken, große Felsbrocken, die ich umfahren wollte. Dabei bin ich ins Schleudern geraten und...", er zeigte dabei mit einer hilflosen Geste auf den Wagen.
"So Felsbrocken, große Felsbrocken? Wir sind aus ihrer Richtung, aus Aston, gekommen und haben aber nichts dergleichen auf der Straße vorgefunden. Bis auf eine tote Katze, die war aber auch nicht riesig ", und wieder dehnte er das Wort riesig.
"Ich glaube eher, dass Sie vielleicht ein klein wenig eingeschlafen sind. Kann in so einer Gegend ja schon mal vorkommen, und dann im Schock Gespenster gesehen haben, nachdem Sie im Graben gelandet sind". Und mit väterlichem Ton schlug er vor:
"Nachdem Sie jetzt einen Spaziergang gemacht haben und wieder frisch geworden sind, und nichts außergewöhnliches passiert ist, unsererseits versteht sich, setzen Sie sich am besten in Ihren Wagen und fahren nach Hause. Alles klar?"
Er wandte sich zu seinem jüngeren Kollegen und machte ihm ein Zeichen. Beide stiegen dann in ihr Fahrzeug und fuhren davon.
Eine Minute später war er wieder allein im Dunkel.

***

Er fühlte sich elend. Die Angst klopfte wieder an. Er hastete zum Wagen und ließ sich hinter das Steuer fallen. Hektisch drehte er den Zündschlüssel und rief: "Spring an, spring jetzt bloß an"!
Der Motor sprang an.
Langsam legte er den ersten Gang ein und fuhr auf den Fahrdamm.
Gab Gas, schaltete hoch, und langsam mit der Geschwindigkeit kam Erleichterung - so etwas wie Entspannung.
Im Wagen war es schwül und es roch nach Katze! Ein Schauer überkam ihn. Er versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren, aber seine Gedanken kreisten immer wieder um das Geschehene. Die Katzen hätten ihn töten können, das stand fest. Warum hatten sie es nicht getan? Statt dessen hatten sie mit ihm gespielt. Ein grausames Spiel. Warum nur?
Ihm war übel. Er würgte und schluckte. Sein Mund war gänzlich ausgetrocknet. Während seine linke Hand den Wagen auf der Straße hielt, griff seine Rechte, suchend nach seinem Montagekoffer, in den Fond des Wagens. Dort war eine Flasche Wasser.
Seine Hand glitt über den rauen Stoff der Rückbank und spürte Feuchtigkeit. Er tastete weiter und berührte etwas Warmes, feuchtes Haariges. Angewidert riss er seine Hand zurück und trat gleichzeitig voll in die Bremse. Der Wagen kam nach wenigen Yards mit quietschenden Reifen zum Stehen. In einem Anfall von Abscheu riss er die Türe auf und sprang aus dem Fahrzeug. Im Schein der Innenbeleuchtung sah er auf seine Hand. Sie war mit klebriger Flüssigkeit und Blut verschmiert. Angeekelt wischte er sich die Hände an seiner Hose ab.
Hektisch folgte sein Blick der Straße und er sah die Lichter von Boulder. Doch den Gedanken zu Fuß dorthin zu gehen verwarf er sofort. Hilflos aber innerlich getrieben, näherte er sich der hinteren Türe des Wagens und versuchte durch die staubige Scheibe ins Innere zu sehen. Konnte jedoch nichts erkennen.
Achtsam öffnete er die Türe, und sein Blick drang in das spärlich beleuchtete Hintere des Wagens.
Auf der Rückbank lag, in einer Lache aus Flüssigkeit, ein schwarzes Knäuel. Als er seinen Kopf etwas tiefer in den Fond hineinschob, bewegte sich das Knäuel und ein Kopf, Ohren und Pfoten kamen zum Vorschein. Eine neugeborene Katze.
"Um alles in der Welt woher", stammelte er, doch seine wirr kreisenden Gedanken versagten ihm diese Klarheit.
Durch seine Laute angeregt, entfuhr dem Knäuel ein kaum hörbares Wimmern. Es machte ihn, trotz seiner noch geschlossenen Augen, ausfindig und versuchte sich auf ihn zuzubewegen.
Kontakt aufzunehmen.
Während er dem Bemühen des Tieres zusah, brach mit einem Mal sein Gerüst aus Angst, Schrecken und Hilflosigkeit zusammen und fiel von ihm ab. Ihn überkam Schwäche. Er fror und zitterte zugleich.
Automatisch, fast instinktiv, griff er nach dem kleinen Knäuel und setze sich mit ihm an den Böschungsrand.
Die Katze suchte seine Wärme und begann tief in seine Arme zu kriechen. Er, der Katzenjäger, spürte ihr Verlangen. Sie wollte Schutz und Geborgenheit - so wie er jetzt ihre Anwesenheit als warm und tröstend empfand.
Nach einiger Zeit stand er auf, immer noch die kleine Katze tief in seiner Armbeuge, ging zum Wagen und fischte seinen Arbeitskoffer aus dem Fond. Er leerte ihn aus, legte die kleine Katze behutsam hinein, und platzierte den Koffer auf dem Beifahrersitz
So leise wie möglich schloss er die Tür, startete den Motor und fuhr in Richtung Boulder.
Es wurde langsam Tag.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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