Klaus-Peter Behrens

Der Kater und der wilde Norden, 25

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Sie waren gut vorangekommen. Seit sie die Schlucht verlassen hatten waren mehrere Tage vergangen, ohne dass sie ihre Verfolger zu sehen bekommen hatten. Das war gut. Weniger gut war, dass sie keine Ahnung hatten, wo sie einen Zauberer finden sollten, geschweige denn, wie sie ihn überreden sollten, ihnen in den Norden zu folgen, genauer gesagt in die Tiefe der Zwergenmine, wo die leichtfertigen, Gold gierigen Zwerge das Tor zum Dämonenreich aufgestoßen hatten.

Betrübt stocherte Brax in dem glimmenden Lagerfeuer und beobachtete die tanzenden Schatten an den Höhlenwänden. Die Höhle hatte Kala mit ihren guten Augen entdeckt. Sie lag gut verborgen hinter stacheligen Büschen in einem felsigen Abschnitt der bedrohlich aufragenden Berge. Verließ man die Höhle, betrat man ein kleines Felsplateau, von dem man eine gute Aussicht auf ihren nächsten Reiseabschnitt hatte.

Das vergessene Land.

So hatte es ein alter Zwerg genannt, der in einem seit langem aufgegebenem Bergwerk noch immer nach Edelmetallen schürfte und ihnen auf ihrer Flucht Unterschlupf gewährt hatte. Der Kobold schauderte, wenn er daran dachte, was der Alte über dieses Stück Land erzählt hatte.

Und dort mussten sie mitten hindurch.

„Hör auf, dir Sorgen zu machen“, erklang die typisch miauende Stimme seiner Begleiterin, die seine Gedanken wie so oft zu erraten schien. „Wir haben schon Schlimmeres überstanden.“

Brax neigte zustimmend den Kopf, wobei es ihm jedoch nicht ganz gelang, ein altes Sprichwort seines Volkes zu verdrängen, das sich gerne unter Tage aufhielt. Auch der sicherste Gang in den Schoss der Erde stürzt irgendwann ein.

„Vielleicht sollten wir uns in Murksheim umhören?“, wandte er sich an die schläfrig darliegende Katze. Brax war allerdings bewusst, dass der Eindruck täuschte. Katzen waren immer auf der Hut. So manch leichtfertiger Wegelagerer hatte das schon schmerzhaft erfahren müssen, wenn er dummdreist versuchte, eine dösende Katze zu berauben.

„Katzen sind dort nicht willkommen. Das ist ein übler Ort.“

„Aber nicht weit weg. Vielleicht erfahren wir dort etwas Nützliches.“

„Ich halte nichts von Murksheim. Nachdem, was der Zwerg erzählt hat, ist es da auch nicht viel besser als im vergessenen Land.“

Brax ersparte sich eine Erwiderung. Er kannte Kala lange genug, um zu wissen, dass sie eine Entscheidung nur dann ändern würde, wenn die Umstände sie davon überzeugen würden. Das Gerede eines Kobolds fiel dabei nicht in diese Kategorie. Seufzend rollte er sich unter der mitgenommenen Decke zusammen und versuchte einzuschlafen. Seine innere Stimme sagte ihm dabei, dass ihm der morgige Tag nicht gefallen würde.

 

Elisal war zum ersten Mal in ihrem Leben ratlos. Hilflos hatte sie mit ansehen müssen, wie die Gefährten abgeführt worden waren. Im Prinzip wunderte sie das nicht. Was konnte anderes als Chaos herauskommen, wenn sich ein Kater und ein Goblin zusammentaten?

Und was ging sie das Ganze an?

OK, sie hatte ihre Hilfe angeboten, aber auch die hatte Grenzen.

Warum hatte sie dann ein so verdammt mieses Gefühl in der Magengegend?

Die Antwort gefiel ihr nicht. Die ganze Nacht hatte sie über die Antwort und die sich daraus ergebenen Folgen gegrübelt, und nun, als der Tag anbrach, konnte sie sich der Wahrheit nicht mehr verschließen.

Sie hatte begonnen, diesen verrückten Haufen von Chaoten zu mögen.

Und nun waren die Gefährten in Gefahr, und sie war ihre einzige Chance.

Sie zirpte ungehalten angesichts der Optionen, die sich daraus ergaben. Aber kommt Zeit, kommt der Tag, tröstete sie sich und folgte seufzend der unübersehbaren Spur der Gefährten und des Zwergentrupps im frühen Licht der aufgehenden Sonne.

Zumindest begann der Tag warm und hell. Sacht wehte der Wind von Süden und erleichterte ihr das Vorwärtskommen. Vogelgezwitscher erfüllte die Luft, und das Rauschen der Blätter des nahen Waldes hatte etwas anheimelndes. Fast hätte es ein unbeschwerter Tag sein können, fast.

Die Sonne hatte bereits ein gutes Stück ihres Tageswerks zurückgelegt, als Elisal beunruhigt innehielt und die Spuren musterte. Eine andere Spur kreuzte diese diagonal. Und diese Spur hatte etwas hinterlassen, das deutlich gefährlicher war als ein ganzer Zwergentrupp.

Es war die Spur eines Jägers der Nacht aus dem hohen Norden.

Deutlich waren die tiefen Eindrücke der gewaltigen Tatzen und Klauen zu sehen. Elisal trillerte anerkennend, während sie sich gleichzeitig wachsam umsah.

Kein Zweifel, die Spur gehörte einer der wilden Artgenossen des Katers.

Was hatte das zu bedeuten?

Ihre Gedanken überschlugen sich, so dass sie erst verspätet bemerkte, das etwas anders geworden war. Das Zwitschern der Vögel war verstummt. Schweigen senkte sich über den Wald, als wüssten die Tiere, dass es gerade besser war, den Atem anzuhalten und unerkannt zu bleiben. Gleichzeitig spürte Elisal, dass sie beobachtet wurde. Etwas war hinter ihr, daran gab es keinen Zweifel.

Mit Bedacht sah sie sich um und erschrak bis ins Mark.

Es stimmte, was man über die Jäger aus dem Norden erzählte. Sie waren so lautlos wie ein Gespenst in finsterer Nacht. Keine zwei Meter entfernt stand sprungbereit eine riesige, kräftige Raubkatze, die zu Elisals Verwunderung einen Kobold als Reiter trug.

„Versuch es gar nicht erst“, warnte der Kobold, der offenbar Elisals Fluchtgedanken erraten hatte.

„Wir wollen nur Antworten. Du hast nichts zu befürchten“, ließ sich die Jägerin mit seidenweicher Stimme vernehmen. Trotzdem lief es Elisal kalt den Rücken hinunter. In dem vermeintlich freundlichen Tonfall klang eine unterschwellige Drohung mit, die jede Option an Flucht im Keim erstickte. Optisch erinnerte die Katze zwar an eine deutlich kräftigere Ausgabe von Mikesch. Damit endete die Ähnlichkeit aber auch schon. Elisal war sich nicht sicher, woran es lag. Während der Kater zwar großmäulig auftrat, war ihm trotzdem anzumerken, dass er kein gefährlicher Jäger war. Das war bei diesem Exemplar deutlich anders. Es strahlte Bedrohung aus wie ein Leuchtfeuer.

„Ich habe gehört, dass ihr Elfen oft als Boten arbeitet und viel herumkommt. Bist du ein Bote?“, fragte die Katze mit wachsamem Blick. Elisal nickte, während sie ihre Flügel vorsorglich zusammenklappte und sich auf einem Kiesel niederließ. Die Jägerin quittierte das Verhalten wohlwollend und entspannte sich merklich. Trotzdem war Elisal bewusst, dass sie keine Chance hatte, ihr zu entkommen, sollte sie es versuchen.

„Wir wollen durch das vergessene Land und könnten Informationen aus erster Hand gebrauchen. Bist du in letzter Zeit dort durchgekommen?“, fragte der Kobold, der geschmeidig von dem Katzenrücken geglitten war. Offenbar waren sie ein eingespieltes Team, das sich im Fragen abwechselte. Die Katze begann indes Elisal langsam zu umkreisen, wobei sie die Elfe auf eine Weise musterte, die dieser gar nicht behagte. Elisal, die nicht wusste, wem sie ihre Aufmerksamkeit schenken sollte, nickte erneut, und beeilte sich, eine geraffte Zusammenfassung ihrer Erlebnisse abzuliefern.

„Momentan würde ich euch nicht raten, da durchzumarschieren. Jedenfalls nicht in der Nacht. Die Kreaturen dürften sehr ungehalten sein, zumal der Zauberer den Dämon...“

Sagtest du Zauberer?“, unterbrach die Katze sie zischend. Mit einem Satz stand sie plötzlich unmittelbar vor Elisal und ragte drohend vor ihr auf. Die erschrockene Elfe beeilte sich, dies zu bestätigen.

„Das ändert einiges“, meinte der Kobold daraufhin.

„Wir haben das Zwergenlager und dieses Gefährt gesehen. Kaum zu glauben, dass ein Goblin es gelenkt hat. Es sah ziemlich ramponiert aus“, überlegte die Katze. „Ein mächtiger Zauberer hätte wohl kaum einen Gnom das Gefährt lenken lassen.“

„Er ist in der Tat ein wenig ungeschickt. Man weiß nie, was einem in seiner Gegenwart passieren kann, wenn man den Erzählungen dieses Katers glauben kann. Aber darin ähneln sie sich. Jeder ist auf seine Weise chaotisch, aber gemeinsam schaffen sie Erstaunliches“, resümierte Elisal.

„Kennst du noch andere Zauberer? Wir sind auf der Suche nach einem erfahrenen Mann oder Frau.“

Elisal überlegte. Dann erinnerte sie sich an die Geschichte des Meisters von Finsterburg, der so plötzlich verschwunden war und das sein Lehrling und der Kater darin nicht ganz unschuldig sein sollten. Zudem erzählte man sich eine abenteuerliche Geschichte über die Rettung der Fürstentochter durch die Gefährten. Aufmerksam hörten Katze und Kobold der Schilderung zu.

„Spricht für ihn. Man lässt den Mann an der Spitze verschwinden, wenn man selbst den Platz will. Ganz nach Koboldart. Gefällt mir“, lobte der Kobold.

„Sonst ist dir kein Zauberer bekannt?“, hakte die Katze nach, die einen weniger begeisterten Eindruck machte. Die Schilderung der Elfin entsprach nicht dem, was sie sich unter einem erfahrenen Zauberer der Menschen vorgestellt hatte. Irgendwie hatten die Legenden anders geklungen. Resigniert nahm sie das Kopfschütteln zur Kenntnis.

„Und wo finden wir diesen Zauberer?“

„Ich fürchte im Verlies der Zwerge, da wo es am dunkelsten ist. Die Trottel haben immerhin eine ganze Kompanie Zwerge über den Haufen gefahren. Das hat für ein wenig Unmut gesorgt.“

„Dieser Kater.... was kannst du mir über ihn sagen?“

Elisal beäugte die Katze misstrauisch. Ihr fielen so einige Bezeichnungen für ihren Artgenossen ein, die der Katze möglicherweise nicht gefallen hätten. Also beschloss sie, diplomatisch zu sein.

„Er ist nicht wie du. Angeblich kommt er aus einer fremden Welt. Dementsprechend … anders verhält er sich.“

Interessant... vielleicht sollten wir sie befreien, was meinst du?“, wandte sie sich an ihren Begleiter. Der Kobold machte daraufhin ein Gesicht, als würde er besonders saure Zitronen kauen und dabei entdecken, dass er Karies hat. Offenbar gefiel ihm die Vorstellung, in ein schwer bewachtes Zwergengefängnis einzubrechen, nicht sonderlich.

„Wenn die Zwerge ihn nicht hätten, wäre es in der Tat interessant, ihn kennenzulernen, aber so.... Trotzdem könnten wir nach Murksheim gehen und uns mal umhören. Schaden könnte es nicht, aber eine Befreiungsaktion wäre Wahnsinn“, brummte er. Die Begeisterung, Murksheim aufzusuchen, war deutlich abgeflaut.

„Denke ich auch. Wir werden dich also begleiten. Aber wir können erst in der Dunkelheit die Stadtgrenze überschreiten. Katzen sind hier selten. Man begegnet uns daher mit Misstrauen und Ablehnung. Hinzu kommt, was ich über Murksheim gehört habe.“...

„Ein gefährlicher Ort“, räumte Elisal ein.

„Darum fliegst du als Kundschafter voraus. Aber komm nicht auf dumme Ideen. Du würdest es nicht überleben“, knurrte der Kobold grimmig. Elisal schluckte. Ihre schnippische Art war ihr in Gegenwart dieser beiden abhandengekommen. Instinktiv spürte sie, dass Kooperation der bessere Weg war. Dabei blieb ihr nicht unbemerkt, dass die beiden immer wieder ihr Umfeld musterten, als würden sie etwas befürchten. Die beiden verschwiegen ihr etwas und Elisal befürchtete, dass ihr das, was sie ihr verschwiegen, nicht gefallen würde. Einstweilen blieb ihr jedoch keine Wahl und wenn sie ehrlich zu sich selber war, konnte sie ein paar Verbündete gebrauchen. Mit einem Seufzen breitete sie ihre Flügel aus.

„Also schön, worauf warten wir noch“, zirpte sie.

 

Dank der Kraft und Ausdauer der Katze näherten sie sich den abweisenden Mauern von Murksheim schneller als es Elisal lieb war, denn noch immer hatten sie keine Ahnung, wie sie vorgehen sollten. Aus dem Schutz eines dichten Hains musterten die drei Verbündeten das erstaunliche Aufgebot an gut gerüsteten Zwergen vor den Toren der Stadt.

„Das sieht nach Krieg aus“, zirpte Elisal beunruhigt. Kala stimmte ihr zu. Jenseits der Berge sammelte sich der Feind zum vernichtenden Schlag und der Pass, den die Feste Murksheim bewachte, war der schnellste Weg in den Süden. Es wunderte sie daher nicht, so viele Zwerge hier anzutreffen. Immerhin hatten sie eine bedeutende Mine an den Feind verloren. Nach Kalas letzten Informationen, waren die letzten Widersacher überrannt worden. Die Mine war zwar hervorragend nach außen abgesichert wie alle Zwergenbauten, aber gegen einen Eindringling, der von innen kam, war sie eine Falle.

„Wir müssen mit ihnen reden“, stellte Kala sachlich fest.

„Sie werden erfreut sein, uns zu sehen“, brummte Brax sarkastisch.

„Zwerge sind keine Feinde unseres Volkes. Sie werden uns zuhören.“

„Sie haben einen deiner Gattung gerade verhaftet, um ihn in den Kerker zu werfen oder Schlimmeres zu tun. Ich bezweifle, dass sie dich mit offenen Armen empfangen werden.“

Kala nickte widerstrebend. Das hatte sie nicht bedacht. Besser wäre es, sie würden es schaffen, sich an einen der Anführer heranzuschleichen und mit ihm zu reden, anstatt auf die Fußtruppen zu stoßen. Im Zweifel verpassten sie ihnen erst einmal einen Armbrustbolzen. Kalas scharfe Augen entdeckten einen Trupp Zwerge, der offenbar gerade aus dem Süden angekommen war. Staubige Kleidung und ein abgekämpftes Äußeres ließ darauf schließen, dass sie eine lange und anstrengende Reise hinter sich hatten. Während Kala beobachtete, wie der Anführer des Trupps von rund zweihundert schwer bewaffneten Zwergen seine Leute auf eine Wiese unweit des Hains führte, um das Lager aufzuschlagen, fasste sie einen Entschluss.

 

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„Wo bleibt mein Fressen? Das gibt Minuspunkte im Netz“, jaulte Mikesch empört angesichts der Tatsache, dass wir seit Stunden niemanden mehr gesehen hatten. Der Service ließ zu wünschen übrig. Auf der anderen Seite waren Zwerge keine Gasthausbetreiber, sondern in der Regel Krieger, Bergarbeiter oder Schmiede. Was sollte man da erwarten? Zumindest hatten wir dank eines kleinen magischen Tricks meinerseits wieder Licht, auch wenn uns das nicht weiterhalf.

„Die Schlüssel weggeworfen“, spekulierte Gorgus in höchst beunruhigender Weise. Ich schluckte und wünschte, ich könnte so gelassen sein wir Tork, der unberührt von der allgemeinen Aufregung seit geraumer Zeit das Schloss unserer Zellentür inspizierte und offenbar ganz in dieser Betätigung aufging.

„Interessante Konstruktion, allmählich weiß ich, wie sie funktioniert. Ich bräuchte mal einen Draht“, ließ er sich wie aufs Stichwort vernehmen.

„Sieht das hier aus wie ein Baumarkt?“, miaute Mikesch.

„Was ist denn ein Baumarkt?“, fragte Hilly.

„Ein guter Ort, um einmal ganz für sich allein zu sein und in Ruhe zu meditieren. Brauchst dich dazu nur an den Infoschalter zu stellen, sagt meine Dosenöffnerin.“

Ich seufzte, während Hilly den grinsenden Kater fassungslos ansah. So würden wir nie weiterkommen. Also fragte ich, was Tork unter einem Draht verstand, und überlegte nach seiner Beschreibung, ob ich so einen Draht herbeizaubern könnte.

Ein Versuch könnte nicht schaden. War ich zumindest überzeugt.

Dem Gesichtsausdruck meiner Gefährten nach zu urteilen, teilten sie meine Meinung nicht, was mich aber nicht davon abhielt, es auszuprobieren. In Gedanken stellte ich mir lange, biegsame und dünne Fäden vor und intonierte mangels Alternative ein paar Zaubersprüche aus meinem Küchenrepertoire. Das Ergebnis erfreute den Kater.

„Mahlzeit“, miaute er vergnügt, während die anderen mich nur vorwurfsvoll anstarrten.

„Eine Schüssel voll Spaghetti Carabonare“, kommentierte Mikesch mit vollem Maul kauend mein Ergebnis. „Al dente“, lobte er. „Als Zauberer bist du n` Niete aber als Koch hast du ne` Zukunft.“

„Zaubern hilft also auch nicht weiter, sieht man mal davon ab, dass jetzt wenigstens einer einen vollen Bauch hat“, stellte Hilly das Offensichtliche mit einem bösen Blick auf den zufrieden grinsenden Kater fest. Die Schüssel beinhaltete inzwischen weniger als der finsterste Teil des Universums.

Ich zuckte hilflos die Schultern.

„Sieht so aus, als säßen wir tatsächlich fest“, räumte ich resigniert ein.

 

- 19 -

Die Dämmerung war hereingebrochen, als sich ein höchst seltsames Trio dem schwer bewachten Zwergenlager näherte. Elsial bewunderte die Lautlosigkeit, mit der sich die Katze anschlich. Tief in das dichte Fell gekrallt versuchte Brax auf dem Rücken der Katze unsichtbar zu werden, während Elisal knapp über der Erde vorsichtig voraus flog. Vor ihnen lag das frisch errichtet Lager der Neuankömmlinge. Zelte waren strategisch um das des Anführers aufgestellt worden. Wachen patrouillierten entlang der äußeren Grenzen und Lagerfeuer warfen ihr flackerndes Licht in den dunkler werdenden Abendhimmel.

Hinter einer Ansammlung größerer Felsbrocken, keine zwanzig Schritt von der Lagergrenze entfernt, sammelte sich das Trio und erwog die Optionen.

„Wir brauchen eine Ablenkung“ stellte Kala fest, nachdem sämtliche Varianten aufgrund der Wachsamkeit der Zwerge wenig Erfolg versprachen.

„Ihr wartet hundert Atemzüge, dann nähert ihr euch lauthals singend von hier dem Lager. Das sieht harmlos aus, so dass sie euch nicht gleich mit Armbrustbolzen spicken werden. Aber es wird für genug Ablenkung sorgen, damit ich mich von der anderen Seite ins Lager schleichen kann.“

„Warum singst du nicht?“, hielt Brax dagegen.

„Zum einen, weil meine Stimme sich dafür nicht eignet, zum anderen wirke ich bedrohlicher als ihr zwei zusammen.“

„Zwerge können Kobolde nicht leiden“, warf Elisal ein.

„Erst recht nicht, wenn wir singen. Ich erinnere mich noch, als wir die Silberglanzmine in den Nordbergen unter Wasser gesetzt haben und zum Abgang der flüchtenden Zwerge ein fröhliches Lied anstimmten. Das kam nicht so gut an“, merkte Brax an.

„Dann sing was anderes. Das ist die einzige Option. Ich verlasse mich auf Euch.“ Ohne eine weitere Erwiderung abzuwarten, verschmolz Kala mit den Schatten.

„Eins, zwei ...“, begann Elisal zu zählen.

„Kannst Du nicht langsamer zählen“, warf ihr Brax vor. „So eilig habe ich es nicht.“

 

Das Licht der Sturmlaterne warf bedrohlich flackernde Schatten auf die Zeltwände. Mit einem Knurren wischte Bärbeiß die düsteren Gedanken beiseite, die sich unwillkürlich bei diesem Anblick in ihm regten. Stattdessen konzentrierte er sich lieber auf seinen Auftrag und musterte erneut die ledrige, uralte Karte auf der simplen Holzplatte, die auf zwei Fässern ruhte und ihm als Schreibtisch diente. Gemeinsam mit einem Feldbett, einer Waschschüssel und einem Schemel als Kleiderablage bildeten sie das gesamte Inventar. Bärbeiß war die Kargheit recht. Seiner Ansicht nach wurde ein Anführer mehr respektiert, wenn er sich in seinen Ansprüchen, denen der Truppen anglich.

Erneut versuchte er sich anhand der skizzenhaften Zeichnung des Gebiets nördlich der Stadt auf eine geeignete Route zu konzentrieren, doch seine Gedanken blieben unstet. Seit Tagen beschäftigte ihn die Frage, was mit seinen ehemaligen Gefährten passiert war. Alles, was er wusste, war, dass sie in den Norden aufgebrochen waren und seitdem als verschollen galten.

Aber darum konnte sich später kümmern. Einstweilen musste sich überlegen, wie sie am Feind vorbei zu der besetzten Mine im Norden gelangen sollte. Dem wenigen nach, was man hörte, schien dort der Ursprung der neuen Bedrohung zu liegen. Er musste nicht nur eine Truppe von Elitesoldaten dort hinbringen, sondern auch in die Mine eindringen und den Zugang zum Dämonenreich für immer verschließen. Wie ihm das gelingen sollte, war ihm schleierhaft.

Ein höchst seltsames Geräusch unterbrach seinen unerbaulichen Gedankengang.

Irgendjemand sang laut und falsch, und der Stimme nach handelte es sich um keinen Zwerg. Irritiert überlegte Bärbeiß einen Moment, woran ihn die Stimme erinnerte.

Kobolde.

Das war erstaunlich. Bärbeiß konnte die verschlagenen Kreaturen nicht leiden. Von draußen erklang wütendes Brüllen der Zwerge gegen das sich das lautstarke Gesinge kaum behaupten konnte. Wohl oder übel musste er sich wohl mit der seltsamen Angelegenheit beschäftigen. Mit energischen Schritten wandte er sich dem Zeltausgang zu und realisierte zu spät, dass sich etwas in den Schatten verbarg. Bärbeiß Hand griff reflexhaft dahin, wo normalerweise die Axt für den Nahkampf am Gürtel hing. Dann sprang ihn auch schon ein schwarzer Schatten in einer Geschwindigkeit an, die Bärbeiß keine Zeit mehr die zu Abwehrmaßnahmen ließ. Dumpf prallte er mit dem Rücken auf dem Boden und sah sich Auge in Auge einem Raubtier gegenüber.

Ein Kater, ging es ihm erstaunt durch den Kopf. Allerdings ein deutlich größeres und gefährlicher wirkendes Exemplar als jenes, das er kannte. Dolchspitze Krallen berührten seine Haut an der Halsschlagader. Sollte er auch nur einen Finger rühren, wäre er vermutlich sofort tot.

„Was willst du?“, keuchte er. Die Raubtierpupillen musterten ihn gnadenlos, so dass Bärbeiß innerlich schon mit dem Leben abschloss, als das Tier die Krallen plötzlich einfuhr und mit einem Satz von ihm heruntersprang.

„Ich komme als Freundin“, hörte er die typisch miauende Stimme dieser Gattung.

„Du hast eine seltsame Art, Freundschaften zu schließen“, knurrte Bärbeiß, während er sich fluchend erhob. Sein Blick fiel auf seine Waffen, die keine zwei Schritt entfernt auf dem Schemel ruhten.

„Die brauchst du nicht“ fauchte die Katze, der Bärbeiß Blick nicht entgangen war. Entspannt saß sie auf dem Boden, den Schwanz anmutig über den Vorderläufen liegend. „Ich komme aus dem Norden und kann dir nützlich sein. Ihr Zwerge meint alle Wege über die himmelsstürmende Barriere der Berge gesprengt zu haben, so dass nur noch dieses Nadelöhr in Murksheim verblieben ist. Aber eines habt ihr übersehen. Auf diesem Weg sind wir über die Berge gekommen. Ich kann dir den Weg zeigen. Dafür verlange ich im Gegenzug deine Hilfe. Ihr habt einen jungen Zauberer nebst Kater gefangen genommen. Dessen Hilfe brauche ich bei meinem Kampf gegen die Besatzer. Du siehst, wir ziehen am selben Strang.“

Bärbeiß sah erstaunt auf.

„Sagtest du Zauberer und Kater?“

„Bist du taub? Ja, sie kommen angeblich aus einem Ort namens Finsterburg.“

„Ich muss mich setzen.“

 

Elisal und Brax saßen inzwischen auch, umringt von einem Dutzend wütender, bis an die Zähne bewaffneter Zwerge und nur eine Winzigkeit davon entfernt, mit Armbrustbolzen gespickt zu werden.

„Ich brauche Übung“, beschwerte sich eine mürrische Stimme im Hintergrund, nachdem der Anführer des Dutzend entschieden hatte, sie zu Bärbeiß zu führen. Flankiert von grimmig blickenden Kriegern wurden die beiden Eindringlinge tiefer ins Lager geführt, bis die Abteilung vor einem einfachen Zelt anhielt. Der Anführer verschwand im Inneren, worauf kurze Zeit später eine befehlsgewohnte Stimme sie zum Eintreten aufforderte. Zögernd kamen die beiden der Aufforderung nach, während der Anführer das Zelt verließ, nicht ohne ihnen vorher einen finsteren Blick zuzuwerfen, der nichts Gutes versprach.

Zögernd traten die beiden näher. Auf einem einfachen Schemel saß ein besonders kräftiges Exemplar von einem Zwerg, das jedoch im Moment so wirkte, als wäre es unter die Räder eines Fuhrwerks gekommen und das mehrfach.

„Du siehst, es bleibt dir nichts anderes übrig, als mit uns zusammenzuarbeiten“, schloss Kala gerade mit einem Miauen.

„Kater, Katzen und nun auch noch Kobolde und dieses fliegende Ding in einer Zwergentruppe. Das kann nur in einer Katastrophe enden“, brummte Bärbeiß mürrisch.

„Ich würde die Anrede Elsial oder wenigstens die Bezeichnung Elfe oder Botin vorziehen. Oder würdest du gerne als haariger Unhold bezeichnet werden.“

„Ich weiß nicht, ob das so klug war“, merkte Brax an, der versuchte unsichtbar zu werden. Doch zu allgemeinen Überraschung lachte der ruppige Zwerg schallend.

„Fangen wir von vorne an. Immerhin habt ihr mir eine gute Nachricht überbracht. Ich weiß nun endlich, wo meine Freunde sind. Also was habt ihr mir zu erzählen?“

„Es begann mit einem Routineflug..“, fing Elisal an zu erzählen. Als sie geendet hatte, nickte Bärbeiß zustimmend.

„Das passt. In solche Situationen gerät kein anderer. Und nun sitzen sie also im Gefängnis fest. Dann werden wir sie da herausholen. Du solltest allerdings deine Vorstellung von dem, was dieser Zauberer bewirken kann, deutlich nach unten schrauben. Er hat Talent, aber auch eine unglückliche Hand. Es gibt einen guten Grund, warum man ihn aus Finsterburg fortgeschickt hat.“

„Wir werden sehen“, schnurrte Kala. „Bis eben wusste ich noch nicht einmal, wo ich nach einem Zauberer suchen sollte.“ Geschmeidig erhob sie sich. „Wir sollten losgehen. Zeit ist das Einzige, was wir leider nicht im Überfluss haben.“

„Wohl wahr“, knurrte Bärbeiß. „Statten wir den Unglücksraben einen Besuch ab.“

 

Wird fortgesetzt

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.11.2025. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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