Joana Angelides

Mein Schutzengel




Seit heute frage ich mich, ob es denn vielleicht nicht doch Schutzengel gibt?

Es begann damit, daß ich am morgen spät dran war und der Wagen sprang nicht an. Es half auch gutes Zureden nichts.

So machte ich mich auf den Weg zur U-Bahn. Dann, als die Ampel grün zeigte und ich gerade den Zebrastreifen betreten wollte, bekam ich einen Stoß und ein junger Mann auf einem Rollerboard stieß mich seitwärts zu Boden.
Mein neues Kostüm ist hinüber, das war mein erster Gedanke, als im selben Moment ein Auto bei Rot über die Kreuzung schoß und in einer der Auslagen gegenüber landete. In dem darauf folgenden Durcheinander, war der junge Mann verschwunden. Mir wurde klar, daß er mir ungewollt das Leben gerettet hatte. Ich suchte ihn mit meinen Blicken, er war jedoch nirgends zu finden.

Als ich endlich im Büro ankam, schmutzig und verärgert, lag schon ein Zettel da, der Chef verlangt nach mir.

Ich blickte an mir hinunter. Also, in diesem Zustand konnte ich unmöglich in die Chefetage fahren und mich so präsentieren. Ich eilte in den Waschraum und versuchte mich etwas frisch zu machen, meine Haare zu richten und den Rock einigermaßen sauber zu bekommen.

Ein kurzer Blick in den Spiegel, na geht doch!
Ich ging zum Lift um nach oben zu fahren, es warteten bereits zwei Mädchen aus der Buchhaltung und der Bürobote um auch den Lift zu benützen. Sie grüßten mich freundlich, die beiden Mädchen kicherten ein wenig und flüsterten sich was zu. Naja, wahrscheinlich sah ich noch immer ein wenig ramponiert aus, es war mir peinlich.

Der Lift kam, er war aber bereits mit einigen Leuten besetzt, die durch die beiden Mädchen und dem Büroboten nach rückwärts an die Wand gedrückt wurden. Als ich ebenfalls einsteigen wollte, kam noch ein etwas älterer Herr eilig herbei, drängte mich ab und die Lifttüre schloß sich. Verärgert schlug ich auf die geschlossene Türe. Sollte ich nicht doch die zwei Treppen zu Fuß gehen? Wieder auf den Lift zu warten, dauerte mir zu lange. Ich wand mich der Treppe zu, in diesem Augenblick wurde es finster; es gab einen Kurzschluß.

Einen Moment lang war nichts zu hören, dann begannen einige Leute zu rufen und man konnte einige Türen aufgehen hören und die Menschen liefen ziellos herum. Vereinzelt flammten Feuerzeuge auf, sogar ein paar Zündhölzer wurden entzündet.

Was läutete denn da so laut? Der Lift war steckengeblieben und die Eingeschlossenen hatten das Notsignal, das unabhängig vom Stromkreis funktioniert, gedrückt.

Ich mußte mich auf der Treppe setzen. Was für ein Glück es doch war, daß ich den Lift versäumt hatte! Ich litt an einer abgeschwächten Form von Klaustrophobie, die jedoch nur zum Tragen kam, wenn ich längere Zeit in einem kleinen geschlossenen Raum war. Ich bekam dann immer einen Anfall, der mit Atemnot verbunden war.

Nach einer Stunde gab es wieder Strom, das Hauptkabel hatte eine Störung und die Menschen wurden aus dem Lift befreit. Doch der ältere Mann, der mich auf die Seite gedrängt hatte, war seltsamer Weise nicht im Lift und niemand konnte sich an ihn erinnern.

Der restliche Tag verlief dann ruhig, wenn man das so sagen konnte.

Lisa, meine Kollegin nahm mich dann abends im Wagen mit, sie wohnt in meiner Nähe. Ich wollte nicht mit der verschmutzten Kleidung in der U-Bahn fahren und war ihr sehr dankbar dafür.
Ich nahm meine Handtasche, stieg aus und winkte ihr zu als sie wegfuhr. Ich kramte nach meinen Schlüsseln und konnte sie nicht finden.

„Sind das ihre Schlüssel?“ Ein älterer Mann stand auf der anderen Seite der Straße und hielt etwas in der erhobenen Hand, das wie ein Schlüsselbund aussah.
Ich lächelte ihm zu und stieg vom Gehsteig, um auf die andere Straßenseite zu laufen. Ich war schon erschöpft, wollte nur nach oben und ein heißes Bad nehmen.
In diesem Moment hörte ich hinter mir einen Aufschlag und als ich mich umdrehte, lag da der Blumentopf von Frau Meister aus dem vierten Stock und war zerborsten.
Wenn mich der ältere Herr nicht gerufen hätte, um mir meine Schlüssel zu geben, er hätte mich getroffen.

Ich blieb wie angewurzelt stehen, so erschrocken hatte ich mich. Ich starrte auf den zerbrochenen Blumentopf und bekam unvermittelt einen Weinkrampf. Es war einfach zu viel für einen Tag.
Ich wollte nun doch über die Straße gehen, um meine Schlüssel zu holen, doch der ältere Mann war nicht mehr da und ich spürte plötzlich, daß ich den vermißten Schlüssel in der Jackentasche meines Kostümes hatte.

Wie benommen ging ich die Treppe hinauf, schloß meine Wohnungstüre auf und nahm mir vor, diese heute auf keinen Fall mehr zu verlassen.

Gelöst und ruhig in meiner Badewanne liegend, ein Glas Rotwein am Rand der Wanne balancierend überlegte ich mir, ob es vielleicht doch Schutzengel gibt und meiner heute im Dauerstreß war?


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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