Manuela Carmen Hildebrand

Sind wir nicht alle ein wenig Kleopatra?

Als die Kassiererin die 15. Dose Kokosmilch über das Registriergerät zog, blickte sie die Kundin beinahe wütend an.
"Ich bin die wiedergeborene Kleopatra, müssen Sie wissen." Ein entschuldigendes Lächeln.
"Ja, wenn Sie meinen. Wofür brauchen's denn das ganze Zeug?" der 24. Honigtopf wanderte soeben auf den Kassenzettel.
"Ach, ich bereite mir daraus ein Bad zu. Sie kennen doch sicher "Schönheitsgeheimnisse der Kleopatra"? Ach, da stehen so wunderbare Rezepte drin."
Die Kassiererin verkniff sich jeglichen Kommentar und beförderte unter den ungläubigen Blicken der Schlangesteher die letzten 11 Milchtüten über das Band.
War Kleopatra nicht von einer Schlange getötet worden?
Wenn sie in die Gesichter, der mit Einkaufskörben bewaffneten Konsumenten sah, konnte sie sich das gut vorstellen.
Sicher war es ein Meuchelmord gewesen.
So klein wie diese Frau war, wäre es sogar ein leichtes sie tot zu trampeln.
Aber so was geschah ja nur im Fernsehen oder in großen Fußballstadien.
Ja, perfekt.
So konnte nicht einmal ein einziger Schuldiger ausgemacht werden.
Der perfekte Mord würde demnach von mehreren ausgeführt werden müssen.
So einfach war das.
Die Kassiererin zwang sich zur Konzentration, schließlich wollten die Wartenden ebenfalls befriedigt werden.
Bei manch einem wäre sie nicht abgeneigt.
Die Kasse klingelte wieder regelmäßig.
Die kleine, dickliche Frau alias Kleopatra füllte noch immer ihren Einkaufswagen mit den Schönheitsgeheimnissen.
Erstmal war an Milch, Honig und Kokos überhaupt nichts geheimnisvoll.
Allenfalls die nicht aufgeführten Zusatz- und Konservierungsstoffe mochten für manch einen Masochisten interessant sein.
Aber darüber wollen wir ja nicht reden.
Begleiten wir lieber die ägyptische Königin, die so gar nicht königinnengleich zum Auto schreitet.
Anscheinend hat exakt dieser Einkaufswagen sich gegen sie verschworen.
Er kennt wohl die Unterscheidung links und rechts nicht.
Woher auch?
Es hat ihm ja keiner gesagt.
Es könnte sein, dass ausgerechnet dieser harmlos anmutende Einkaufswagen durch das Blockieren eines seiner Rädchen, unsere teure Königin zu Fall bringt.
Das wäre ihr Untergang!
Hatte sie doch das feine Flanellkleid erst vor drei Wochen gekauft und es seither täglich geschont.
Am Auto angekommen belud sie es mit den Waren und bevor sie einstieg, klopfte sie mit den Worten "Na Cäsar, das wäre für heute geschafft." dem alten VW auf das rote Blechdach.
Gott sei Dank war es ein Kombi.
Nicht auszudenken, wenn es ein Packesel mit geringerem Fassungsvermögen gewesen wäre.
"Komm, Cäsar. Komm." Zum dritten Mal drehte sich der Schlüssel in der Zündung, doch Cäsar gluckste nur.
Ja, er hatte einen eigenartigen Humor.
"Gaius Julius Cäsar, bei allem was mir heilig ist, spring jetzt an!"
Der Rote machte einen Satz nach vorne und schnurrte wie ein Kätzchen.
Eher wie eine Raubkatze, er war ja auch schon alt und mit den Jahren eine Lage tiefer gesunken.
Wahrscheinlich hatte er sogar ein Raucherbein.
Emanzipiert den Rückwärtsgang eingelegt -Hatte ein Kamel überhaupt einen Rückwärtsgang? Ach, nein, das war ja Cäsar. Und der konnte mit Sicherheit rückwärts gehen, wenn er dabei auch meistens vorausschaute.-, scherte sie aus der Parklücke und fuhr auch wirklich nur einen Passanten um.
Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.
Sicher war das Liebe, was glaubt ihr denn.
Und der Krieg hatte seine heiße Phase im Feierabendverkehr. Das zermürbte selbst den alten Cäsar. Stopp and Go entsprach nicht seiner üblichen Vorgehensweise.
Beinahe vergaß er das Übel als Kleopatra sich wohlig in seinen Polstern räkelte und beschlossen hatte die rote Ampel für ein Schäferstündchen zu nutzen.
Leise summten sie sich in Ekstase.
Ein Hupkonzert ertönte, die Ampel war grün.
Die Wirklichkeit hatte sie wieder. Und die war heute wirklich, wirklich allzu grausam anzusehen.
Dunkle Wolken türmten sich über ihnen und dicke, weiße Flocken machten aus dem Nach-16Uhr-Krieg eine schmutzige Schlammschlacht.
Nichts Neues im Westen Berlins.
Motorabgase drangen in den Innenraum und Kleopatra rümpfte pikiert das Näschen.
Eine schöne Nase, ja, wenn man auf Knollen stand.
Das mit dem Körper und so, hatte man selten selbst in der Hand.
Es sei denn man war cher, cher reich.
Immer dieser Sprachfehler!
Man musste das Beste daraus machen, dachte sich unsere Kleo und lächelte bei dem Gedanken an den Inhalt des Kofferraumes.
Das Beste ist gerade gut genug für mich.
Letzten Endes kamen auch Cäsar und seine Kleopatra an diesem Abend, wie die meisten, die nicht einem blutigen Komplott zum Opfer gefallen waren, heil und wohlbehalten zu Hause an.
Cäsar musste draußen bleiben.
Ägyptisch edel versuchte Kleo ins Badezimmer zu stolzieren, ab und an stieß sie sich dabei den großen Zeh. Der war eindeutig zu lang geraten.
Das heiße Wasser dampfte und fast hatte sie ein wenig Mitleid mit dem armen Cäsar, der in der winterlichen Kälte bibberte.
Allerdings, so machte sie sich klar, durfte ein Mann nicht zimperlich sein.
Vor allem nicht, wenn er vor den Toren Berlins stand. Das kam zwar nur selten vor, da es an Parkplätzen mangelte, doch hatte auch niemand behauptet, dass Belagern ein Spaß sei.
Das Wasser duftete und das dickliche Weib zwängte sich behände in die Mietwohnungswanne.
Ja, es war einsam im Olymp.
Immerhin machte die Milch ihre Haut zart.

"Die Milch macht's" stand auf dem Tetrapack, den die Kassiererin in der Hand hielt. Bevor sie das Kaufhaus verließ nahm sie sich noch Honig und Kokosmilch.
Vielleicht war sie selbst die Wiedergeburt Kleopatras?
Dieses kleine, runzlige Wesen von heute Nachmittag war es sicher nicht.
Und sie hatte endgültig genug von diesem Leben.
Sie hatte doch etwas Besseres verdient. Es war Zeit mal richtig zu kassieren.
Während manche Pläne ganz langsam gedeihen, arbeitete ihr Gehirn auf Hochtouren und entsann den genialsten Plan überhaupt.
Zu Hause angekommen, berichtete sie sogleich ihrem Mann davon.
"Du, Schaaahatz, in acht Wochen ist doch dieses Fußballspiel. Dazu lade ich dich ein. Da gehen wir gemeinsam hin."
Der perfekte Mord wurde Idealerweise von mehreren durchgeführt.
Es war nicht schwer die richtige Stadionseite zu wählen und ihrem Mann sein Trikot glatt zu bügeln.
In acht Wochen war der 15. März, bis dahin wollte sie sich genüsslich zurücklehnen und ihrem Mann jeden Tag eines seiner Lieblingsgerichte kochen.
"Dieter, ich brauche morgen das Auto."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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