Germaine Adelt

Weißt du noch

    Schweigend ging ich die hellen Gänge entlang. Es soll Leute geben, denen Krankenhausflure Unbehagen bereiten. Mich beschäftigte vielmehr die Frage, wie man mich gefunden hatte. Die Tür mit der Aufschrift „Intensivstation“ stand weit offen. Dennoch verharrte ich brav davor in der Hoffnung, dass mir irgendein beflissener Mitarbeiter erklärte: Zutritt verboten. Ein sehr willkommener Anlass aus dieser Lage widerstandslos zu entkommen.

Eine ältere Schwester mit strengem Blick kam mir entgegen und ich sah sie herausfordernd an, in Erwartung der Dinge die da kommen mussten. Sie musterte mich kurz, lächelte dann und sagte erfreut: „Da sind Sie ja! Kommen Sie, er liegt in Zimmer 14.“

Erstaunt sah ich an mir herunter. Ich hatte dieses Krankenhaus bisher noch nie betreten, diese Frau nie getroffen und dennoch kannte sie mich.

„Er hatte ein Bild von Ihnen in der Brieftasche“, erklärte sie, als ahne sie meine Gedanken: „mit dem Zusatz, Sie im Notfall zu benachrichtigen. War gar nicht so einfach, die Adresse auf der Visitenkarte stimmte nicht mehr. Aber ein Anruf hat dann alles geklärt.“

Soviel zum Einhalten des hochgerühmten Datenschutzes durch ehemalige Arbeitgeber.

Der weiß getünchte Gang begann mir Angst zu machen. Noch bedrohlicher aber erschien mir die Tür, der wir uns immer mehr näherten.

„Wir dachten schon, er hat gar keine Familie“, sagte sie erleichtert.

Familie, dieses Wort zu benutzen erschien mir fast als Hohn. Aber so gesehen, hatte er wirklich nur noch mich. Behutsam öffnete sie die Tür. Als ahne sie mein Unbehagen, ging sie vor und deutete dann schweigend auf das Bett.

„Reden Sie mit ihm“, sagte sie fordernd, „Wenn etwas ist, brauchen Sie nur zu klingeln.“

Unsicher musterte ich den Mann, der mein Vater war. Hilflos lag er da, verbunden mit unzähligen Kabeln und Schläuchen. Nicht mehr Herr seiner Sinne, eigentlich nur noch ein willenloser Körper, den man mit Gewalt am Leben erhielt.

Ich setzte mich auf den Holzstuhl, den man vermutlich für mich hingestellt hatte und schwieg wie zum Trotz. Diese Situation war einfach zu grotesk. Von draußen waren Stimmen zu hören. Sicherlich diskutierten Arzt und Schwester darüber, ob ich die Wahrheit vertrage, wie auch immer sie ausfiele. Erwartungsvoll starrte ich auf die Tür und fragte mich erneut, was ich hier eigentlich tat. Darauf zu hoffen, dass jemand hereinkam, war eine Illusion. Das verbot ihnen der Anstand. War ich doch hier um Abschied nehmen zu können. So hatte ich es zumindest verstanden, als man mir am Telefon erklärte, wie schlecht es um ihn stand. Und ich sollte nun allen ernstes auf einen Menschen einreden, der im Koma lag, der mich vermutlich nicht hörte. Wobei das keinen Unterschied machte, hatte dieser Mann mir doch nie zugehört. Ich war fest entschlossen diese Farce zu beenden und stand auf um zu gehen. Da öffnete sich die Tür und die Schwester kam herein.

„Entschuldigen Sie die Störung, aber der Doktor möchte nachher noch mit Ihnen sprechen,  wenn es Ihnen recht ist.“

Es war mir nicht recht, aber ich nickte nur. Seitdem ich auf dieser Station war, hatte ich noch kein Wort gesprochen, aber das schien hier niemanden zu stören.

„Fällt schwer, oder?“ sagte sie leise.

Ich sah sie nur fragend an.

„Sie wissen schon, die ganze Situation und Sie mittendrin.“

„Ich würde dann gern gehen.“ murmelte ich.

„So schlimm?“ fragte sie betroffen und es klang sehr mütterlich. Hin- und hergerissen mich dieser fremden Frau zu öffnen und gleichzeitig nur noch weglaufen zu wollen, entschied ich mich dafür zu gehen.

„Ihr Vater wird sterben und es ist vielleicht die letzte Möglichkeit von ihm Abschied zu nehmen. Hören Sie auf mich und machen Sie Ihren Frieden. Mit ihm oder mit sich selbst.“

Diese Frau wusste nicht wovon sie redete. Sicherlich ging sie von einem innigen Verhältnis aus und glaubte nun mich trösten zu müssen. Ich hatte keine Lust auf medizinisch-psychologische Diskussionen mit ihr. Ich wollte nur noch hier weg. Aber dies schien nur über die Lüge des Nachgebens zu laufen. Also setzte ich mich wieder brav auf meinen Holzstuhl und hoffte darauf, dass sie ging. 

Diskret, mit einem Lächeln auf den Lippen, verließ sie dann auch bald das Zimmer. Vermutlich um mich mit ihm und den Erinnerungen allein zu lassen. Erinnerungen die ich seit Jahren auslöschen wollte. Die mich immer wieder einholten, egal wie sehr ich mich bemühte, ihnen zu entfliehen.

    Als mir irgendwann klar wurde, dass die Zeit es alles nicht heilen würde, hatte ich versucht zu vergessen. All das, was dieser Mann mir unter dem Deckmantel der guten Erziehung angetan hatte. Sei es das nächtliche Festbinden an das Bett oder das Verbot nach 16 Uhr den eigenen Durst stillen zu dürfen. Vielleicht hat er es nicht besser gewusst, vielleicht hat er nicht anderes gekonnt. Es hatte ihm aber nie leid getan, es hat all das nie als falsch empfunden. Dieser Mensch war mir sich im Reinen und lebte einfach sein Leben weiter. Während ich mühselig und hoffnungslos versuchte zu vergessen.

Ich spürte nichts, als ich ihn so vor mir liegen sah. Vermutlich das schlimmste was geschehen kann. Da war kein Hass, keine Befriedigung oder Genugtuung, ja nicht einmal Mitleid. Vermutlich war dies meine letzte Hoffnung auf ein endgültiges Vergessen. Und so erhob ich mich wortlos, um ihn völlig allein zurückzulassen.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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