Andrea Renk

Ein Leben 2

Keine schöne Geschichte

 

 

Es war schon seltsam. Dreizehn Jahre war es jetzt her. Aber an manchen Tagen war es so, als wäre es gestern gewesen. Das Gefühl von damals ist noch allgegenwärtig.  Aber ich vermied es, es zuzulassen. Das hab ich bisher immer vermieden und dachte, das ich damit gut klarkomme.......

 

Ich war 21 Jahre alt und hatte nach einigen Jahren schwerer Krankheit und vielen Entbehrungen endlich den Sprung geschafft. Ich ging ganz weg von Zuhause. Na ja, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann war es nur eine räumlich Trennung. Die Luftlinie von mir zu meinen Bewachern und Organisatoren meiner Kindheit wurde erweitert. Nicht aber der Einfluss. Aber das wurde mir erst später bewusst.

Ich zog ein zur Untermiete. Und die Frau bei der ich anfänglich wohnte war zufälligerweise eine gute alte Bekannte meiner Eltern. Und wenn ich dachte, das diese loyal ist, dann hatte ich mich getäuscht. Im Gegenteil, sie meinte nun die „Beschützerrolle“ meiner Eltern übernehmen zu müssen und mischte sich ziemlich häufig in Dinge ein, die sie nichts angingen.

 

Ich wusste schon, das es in der Stadt etwas anders zuging als auf dem Land. Aber ich war schon naiv genug um davon auszugehen, das mir nichts passieren würde. Ich war eh keine hübsche, also was sollte da schon passieren. Meine Mutter hatte das ja immer wieder betont, das ich eh nie einen abbekommen würde.

Mutter hatte aber etwas vergessen. Sie sagte mir nicht, das es Männer gibt, die alles nehmen und denen das Aussehen nicht so wichtig war und die vor allem darauf spezialisiert waren, „wertlosen“ jungen Frauen den Himmel zu versprechen auf den sie schon so lange warteten. Den hatte ich nur erahnen konnte, doch nie erlebt hatte. Weder von zuhause noch sonst irgendwo her.

Wenn ich heute so darüber nachdachte....was hatte ich denn mitbekommen?

Ich wusste das ich nichts zu erwarten hatte, weil ich ja einfach zu nichts zu gebrauchen war. Ich hatte die Träume meiner Eltern nicht erfüllt. Man hat zwar immer versucht mich in die „richtigen“ Bahnen zu lenken, aber irgendwie hat das bei mir nur Gegenwehr erzeugt.

Das hatte ich nun davon. Ich hatte einen nur mäßigen Job als Verkäuferin, nicht den, den  mein Vater für mich vorgesehen hatte. Ich hätte ja alles so einfach haben können, wenn ich nur die Hotelfachschule gemacht hätte und die Karriere als Hotelmanagerin eingeschlagen hätte. Damit hätte man wenigstens glänzen können, aber so.......... Andrerseits wie würde es aussehen mit der Figur Hotelmanagerin? Das wäre ja auch kein annehmbares Bild.

Ich hatte natürlich keinen Freund. Aber das hatte meine Mutter ja schon vorausgesehen. Sie wusste vor ein paar Jahren schon, das sie ihre Tochter wohl mit 40 noch nicht los ist. „ Guck dich doch an, dich will doch keiner. Wer an dich dran will der muss erst mal 3 Pfund Vorfutt wegschieben.....“

Da waren so viele Sachen die mich prägten und die ich nie wieder vergessen werde.

Ich wusste was ich wann wert war und ich wusste, was ich zu erwarten hatte.

 

Aber da war noch was. Das konnte doch nicht alles sein! Es kann doch nicht alles nur so negativ für mich gedacht sein. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

 

Ich wusste nicht worauf ich hoffte, worauf ich wartete, aber es reichte dafür, das ich immer wieder aufstand. Egal wie hart es mich traf, egal wer zuschlug. Ich war wie in Trance, so als hätte alles seine Eigendynamik.

Es kamen immer wieder neue Leute, neue Situationen, neue Menschen die es „gut“ meinten. Mit sich selbst.

Und ich dachte, das ich den Leuten helfen müsse damit es ihnen gut geht, bevor ich selbst irgend etwas erwarten konnte.

Und so diente ich und steckte brav die Schläge ein, wenn ich irgend etwas „falsch“ machte.

Schläge die mit Worten trafen. Nein richtig geschlagen wurde ich nie. Aber mache Worte ließen mich mehr zu Boden gehen, als dies je ein Schlag vermocht hätte.

Und es war keiner da, der mir die Hand reichte um mir beim aufstehen zu helfen.

Ich hätte auch keine mehr angenommen. Irgendwann hab ich dann gar nicht mehr darauf gewartet, das da eine Hand wäre die mir aufhilft. Nur auf sich selbst kann man sich verlassen.

 

An diesem Abend, ich war erst 2 Wochen in der neuen Stadt, war ich unterwegs und wollte die Gegend erkunden. Ich achtete sehr darauf wo ich langging, da ich die Gegend noch nicht gut kannte und ich mich im dunklen eh nicht so gut orientieren konnte.

Ich hatte mein beigefarbenes Sommerkleid an. Es war ganz lang mit einem wallenden Rock und Stickereien am Dekolte. Ich wollte einfach nur die Einkaufsstraße entlang gehen und mir die Schaufenster angucken.

Ich war noch in einer Seitenstraße als er mich ansprach. Er war wohl kaum viel älter als ich. War offensichtlich ein Südländer, Türke oder Marrokaner oder aus einem dieser Länder bei denen die Männer irgendwie alle gleich aussehen. Haben irgendwie alle den selben Blick.


Als er mich ansprach, beschleunigte ich meinen Schritt. Nein das wollte ich ja nicht. Er wollte ein Tempotaschentuch haben. Dann soll er doch zusehen wo er eins herbekam.

Als ich kaum um die Ecke war fragte ich mich dann doch, ob das nötig gewesen wäre, ihn so anzufahren und abblitzen zu lassen. Sind ja doch nicht alle schlecht. Und schließlich hat er ja ganz nett gefragt.

Er saß noch auf der selben Bank als ich nach einer halben Stunde zurückkam. „Hey warum bist du so böse zu mir? Ich hab dich doch nur nach einem Taschentuch gefragt. Was machst du? Wo willst du hin ?“ fragte er in gebrochenem Deutsch. „Setzt dich doch zu mir wir können ein bisschen quatschen“ Und ich setzte mich ...weiß der Geier warum, aber ich setzte mich zu ihm. Ich wollte einfach nicht unfreundlich sein, hatte ich ihn doch vorhin schon angezickt. Er fragte und ich antwortete und es muss ihm gleich klar gewesen sein, das diese Frau die da saß noch keine Ahnung haben konnte, von dem was in einer Stadt wie Frankfurt alles so an der Tagesordnung ist.

Er wusste, das in der Nähe in einem angrenzenden Stadtpark eine größere Veranstaltung war und fragte mich, ob ich mit ihm dahinginge.

Nach einigem Zögern sagte ich zu und verlangte ihm noch das Versprechen ab, das er mich anschließend wieder zurückbringen sollte, da ich mich hier ja nicht auskannte.

Kaum im Stadtpark angekommen zerrte er mich hinter ein Gebüsch, warf mich auf den Boden, zerriss meine Strumpfhose. Mit einem Bein stellte er sich auf mich, als er an seiner Hose rumhantierte. Und als ich mich wehren wollte holte er das Messer raus und hielt es mir an die Kehle. „Ich fick dich auch noch nachdem ich dir die Kehle durchgeschnitten hab. Kommt gut, weil du dann noch zuckst“

Was sollte ich denn tun? Was sollte ich anderes tun, als dies über mich ergehen zu lassen. Ich lies es über mich ergehen, mit allem Ekel und Abscheu den sich ein Mensch nur vorstellen kann.

Als er „fertig“ war und von mir ab lies, zog er sich an und spuckte neben mir aus.“ Gute deutsche Hure“ rief er mir zu. Als ich dann endlich zu mir kam und mich aufrappelte, merkte ich, das er auch noch meine Tasche gestohlen hatte. Da war doch alles drin. Die Schlüssel, mein Geld, Papiere und die Gaspistole die mir nichts genützt hatte, weil ich ja dachte, das er kein schlechter Mensch wäre.

Wie komme ich jetzt bloß nach Hause? Ohne Schlüssel ohne alles. Ich wusste doch noch nicht mal wo ich war. Ich irrte durch die Straßen und als eine Polizeistreife kam, hielt ich den Polizisten an und fragte nach der nächsten Polizeistation. Ich muss fürchterlich ausgesehen haben. Er beschrieb mir den Weg und entschuldigte sich noch, das er mich nicht hinbringen konnte, da er zu einem Einsatz müsse.

Ich kam auf der Wache an und wollte gerade schon wieder gehen, als ein Polizist mich aufforderte mitzukommen. Ich erstattete Anzeige wegen dem Handtaschendiebstahl. Mehr ging nicht, denn der Polizist schaute mich an, als wüsste er genau zu was für einem Schlag Frauen ich gehörte.

Ich lies mir den Weg erklären. Sie haben keinen Streifenwagen zur Verfügung hieß es, sonst würde er mich selbstverständlich nach Hause fahren.

So lief ich mitten in der Nacht, völlig am Ende durch Frankfurt und wusste eigentlich nicht wo ich hin musste. Ich ging einfach weiter und hoffte das dies die Richtung war, die mir der Polizist genannt hatte.

 

Irgendwann kam ich dann „Zuhause“ an. Die Frau bei der ich wohnte, schlief natürlich. Ich musste sie wecken. Und als sie dann öffnete wurde ich mit einem Schwall Vorwürfen, Verwünschungen und Besserwissereien empfangen. Sie hörte nur den Satz: „die Tasche mit den Schlüsseln ist mir geklaut worden.“ Mehr musste sie auch gar nicht wissen. Sie hätte mir ja nur noch mehr Vorwürfe gemacht.

Das Ende war, das sie mich raus warf mit den Worten, das sie die Verantwortung nicht übernehmen kann. Schließlich währen meine Eltern ja Bekannte und sie müsse ein Auge auf mich werfen. Ich solle am nächsten Tag ihre Koffer packen und gehen.

 

Ich musste erst mal zurück zu meinen Eltern. Was blieb mir denn auch anderes übrig? Nur das dies das schlechteste war, was ich tun konnte, das wusste ich. Aber für den Moment war es nicht zu ändern.

Ich klärte mit meiner Arbeitsstelle ab, das ich solange ich in Frankfurt keine andere Bleibe hatte, zu andren Zeiten arbeiten musste, packte meine Sachen und ging erst einmal nach Hause.

 

Klar war zu Hause keine Sonntagsstimmung, aber das war nach alledem noch das harmloseste. Das schlimmste was dann kam, war der Moment, als ich meinem Vater in einer ruhigen Minute sagte, was passiert war. Als ich das Wort „Vergewaltigung“ aussprach, drehte er den Kopf weg.

Für mich starb die letzte Hoffnung. Kein Schlag hätte mich härter treffen können als dieser.

Das war härter als alles das was da passiert war. Ich hoffte, das er mich in den Arm nehmen würde. Das mein eigener Vater mich trösten würde....aber er drehte den Kopf weg und ich war allein. Es war wieder keiner da, der mir zuhörte. Es war wieder keiner da, der mich in den Arm nimmt, der hinter mir stand, der versuchte meinen Schmerz zu lindern, meine Wunden zu versorgen. Keiner da, der mir die Tränen abwischte........

 

Eine Freundin von mir arbeitete bei einem Frauenarzt. Sie war die einzigste, der ich davon erzählte und ich lies mich dazu überreden, mich wenigstens untersuchen zu lassen. Man weiß ja nie, was einem so jemand anhängen kann.

Der Weg dorthin war schwer. Und so im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr wie ich das alles überstanden habe. Der Arzt war sehr verständnisvoll und vorsichtig und ich lies das auch alles über mich ergehen. Bis zum Schluss, da hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle und schlug um mich und brach völlig zusammen.

Das war das einzigste mal, das ich die Beherrschung verlor.

 

Als ich wieder zu mir kam schwor ich mir, niemals mehr zuzulassen, das mich jemand so verletzte. Ich schwor nicht mehr darauf zu warten, das jemand kommen würde um mich zu lieben. Niemals mehr sollte jemand meine Schwäche ausnutzen können.

Und der Panzer wurde immer dicker.....und die Mauer immer höher......

Und wenn ich meinte, das ich Liebe und Zuspruch brauchte, dann  machte ich dass, was ich immer schon machte, nur wurde es danach immer noch mehr.........ich aß.

 

a.r. (c) 2004

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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