Gerda Schmidt

Freddy, die kleine Seemöve wird Geschäftsmann

Freddy gähnte, dann legte er die Zeitung beiseite. Er war vor ein paar Minuten eingeschlafen und wurde durch das Rutschen seiner Brille, die er nur zum Lesen benutzte, wieder geweckt. Sanft wogte die Planke, auf der er saβ. Er war erst seit kurzem Brillenträger und unterschied sich somit von allen Seemöven. Ihm machte es nichts aus, aber die anderen riefen ständig, er sei ein komischer Vogel. Irgendwie hatten sie ja recht.

Schon als Ei verhielt sich Freddy nicht wie alle anderen Eier. Er war eher intellektuell veranlagt, denn zum Fischefangen oder Brüten. Noch bevor er die Eischale mit dem Schnabel bearbeitet hatte, überlegte er sich, wie er den aus diesem kugeligen Gehäuse herauskäme, ohne zu viel Kraft dafür aufzubringen. Und schon hatte er die erste, zündende Idee. Wenn er langsam, wie ein Hamster, im Ei vorwärts lief, rollte das Ei von alleine weiter. Dann stieβ es gegen einen Stein, von denen es hier auf der Insel genug gab und zerbrach. Er konnte auch mit seiner Kalkhülle so nahe an die anderen Nachbareier rutschen, daβ diese Küken sein Ei beim Öffnen mit dem Schnabel mitdurchstachen und er ausgeschlafen und erholt nur noch munter herausspazieren brauchte.

Ansonsten entwickelte sich Freddy auch zum Leid seiner Eltern anders, als seine Geschwister. Während der ersten Flugstunden, die alle von ihrem Vater erhielten, wählte er stets die Position aus, bei der er sich am wenigsten bewegen muβte, durch den Mangel an Bewegung nicht fror und zusätzlich nicht zuviel Auftrieb bekam, damit er nicht im Sturzflug die Fische aus dem Meer holen muβte. Er hatte einmal eine Bauchlandung miterlebt und die blutigen Federn durch die Luft wirbeln sehen. Deshalb flog er im Windschatten seines Vaters, etwag 80cm unter ihm. Vater schimpfte damals mit ihm, weil Freddy ihm damit die Aerodynamik störte, doch das überhörte der junge Vogel mit Nonchalance. Er hatte nicht die Ambitionen einer Möwe Jonathan, die die Erfüllung ihres Leben in der völligen Losgelöstheit und der Freiheit ohne Grenzen suchte.

Die kleine Seemöve reduzierte ihr Gewicht auch schnell, nachdem sie von den Eltern nicht mehr gefüttert wurden. Wer faul war, muβte dann abends hungrig ins Bett fliegen. Freddy war das egal. Er zog es vor sich für das Leben zu bilden, denn hier auf der Insel wollte er nicht versauern oder sogar verdummen. Bei den Landgängen mit der Familie beobachtete er die Menschen, die so schön frisch und bunt gekleidet waren. Seine Gattung flog eher eintönig in grau-weiβ daher. Doch ihn interessierten auch die dunkel gekleideten Herren mit ihren schwarzen Hüten und einer dicken Finanzzeitung unter dem Arm. Während die Familie sich über Fischreste an der Kaimauer hermachte, folgte er den Herren in gebührendem Abstand. Beim Lesen schaute er ihnen über die Schulter, merkte sich Artikel, lernte Billanzen auswendig, verinnerlichte Aktienkurse und verfolgte Hausse oder Baisse der Indices. Mit der Zeit war er so bewandert auf dem internationalen Wirtschaftsmarkt, daß er sogar ein Wörtchen hätte mitreden können. Warum eigentlich nicht?

So beschloß Freddy, ein Geschäft zu eröffnen und hatte auch eine konkrete Vorstellung, mit was. In der letzten Ausgabe der Financial Times las er über die starke Expansion des Guano-Geschäfts. Das war außerdem eine Branche, in der er sich als Seevogel gut auskannte. Guano wurde von Seemöven erzeugt, nachdem sie Unmengen von Fisch gefressen hatten. An den Felswänden, wo sie sich einnisteten wurde dieser Vogeldung in mühevoller Arbeit von Menschenhand abgekratzt und eingesammelt. Der getrocknete Mist, der sehr unangenehm nach verrottetem Fisch roch wurde dann granuliert und für teures Geld an Hobbygärtner und Idealisten verkauft. Jetzt wollte er selbst so ein Geschäft aufziehen.

Auf dem Nachhauseflug zählte Freddy die Möwen, die auf den Felsen und Nischen saßen. Er kalkulierte die täglich anfallende Menge an Guano und stellte dann die ersten Hochrechungen auf. Wieviel totes Kapital sich nur auf diesem Felsabschnitt befand! Doch das einsammeln stellte die erste Hürde dar, die er nicht alleine bewältigen konnte. Vielleicht gab es noch andere Möglichkeiten.

Als ein großer Dampfer an ihnen vorbeizog, sah er die weiß-grauen Flecken am Oberdeck und dachte dies sei die Chance, von der er nicht zu träumen gedachte. Er flog hinüber zu dem Schiff, um das ganze zu begutachten. Kaum war er dort angekommen und wollte sich auf die Reling setzten, schüttete ein Matrose einen Eimer Wasser nach ihm und schimpfte, was das Zeug hielt. Er ärgerte sich über die Scheißflecken, die er täglich zweimal von Bord schrubben mußte. Der Seemann hatte gerade seine Arbeit beendet, als so ein blöder Vogel sich direkt vor ihm hinsetzen wollte. Enttäuscht flog er weiter.

Kaum eine halbe Seemeile weiter dümpelte ein schickes Motorboot am ausgelegten Anker. Ein Admiralitätsanker, wie er sah. So etwas war nicht gewöhnlich für ein Motorboot. Benutzte man doch hier in der Kante eher Pfugscharanker. Sie gruben sich leichter in den Grund ein, denn hier gab es keine Felsen.Vorsichtig flog er um das Boot herum, um alles in Augenschein zu nehmen. In einem Liegestuhl lag ein älterer Herr und nebendran mühte sich ein Halbwüchsiger mit zwei Angeln ab. Der ältere Herr gab aus dem bequemen Stuhl heraus Anweisungen.

-Nein, Marc. Das funktioniert wie bei der Börse. „Wer die Hausse nicht ehrt , ist der Baisse nicht wert“. Zuerst muβt Du Würmer und Brot investieren. Wenn die Fische nicht gleich anbeiβen oder etwas klein sind, muβt Du Geduld haben. Die groβen waren auch mal klein.

Marc warf die frisch bestückten Angeln nochmals aus. Dann verschwand er in der Kajüte, um sich etwas hinzulegen.

Nun traute sich Freddy in Erscheinung zu treten und flog ganz langsam in Richtung Liegestuhl. Der Liegende beäugte Freddy in gleicher Weise, wie umgekehrt. Nachdem der Mann keine Anstalten machte ihn wegzuscheuchen, liess er sich neben dem Liegestuhl nieder.

- Einen wunderschönen guten Tag

Der Mann sah in erstaunt an.

- Guten Tag. Seit wann können den Seemöven sprechen?

- Viele Seemöven können sprechen. Nur unterhält sich keiner mit ihnen.

- Über was möchtest Du Dich denn unterhalten. Oh, ich darf doch „Du“ sagen?

- Aber gerne. Ich heiβe Freddy und ich interessiere mich für die Börse.

- Da bist Du bei mir genau an der richtigen Adresse, denn ich bin Brooker und handele mit Optionsscheinen.

- Das habe ich auch schon in der Zeitung gelesen. Wenn der Preis steigt, kann man schnell groβe Gewinne machen. Wenn er fällt ist aber komplett alles verloren. Aktien sind da sicherer.

- Du scheinst Dich ja richtig auszukennen.

- Ein bischen. Ich würde auch gerne ein Geschäft machen. Die Idee liegt seit tausenden von Jahren auf den Felsen.

- Was schlägst Du denn für ein Geschäft vor?

- Guano. Das sollte der absolute Renner werden. Man muβ es nur auf effiziente Art abbauen.

- Guano, was ist das und wie baut man es ab?

- Ganz Einfach. Guano ist der Mist, den Seemöven ausscheiden. Das besondere daran ist der hohe Proteingehalt, der von den gefressenen Fischen stammt. Der Verdauungstrack einer Seemöve ist einiges kürzer als der von Menschen oder Katzen. Deshalb wird das Protein nicht vollständig gespalten und die Peptide bilden zusammen mit dem Meersalz, das hauptsächlich aus Magnesium besteht, Oligopeptide, die das Pflanzenwachstumshormon Gibberilin aktivieren. Jeder Gärtner schwört darauf. Nur ist es wegen des hohen Preises nicht so weit verbreitet. Zu einem moderaten Preis würde die Produktion der Nachfrage kaum gewachsen sein.

Der mittlerweile in Sitzposition gegangene Herr muβte schmunzeln ob der etwas altklugen Art dieser Seemöve. Trotzdem hörte er sehr aufmerksam zu, weil es tatsächlich interessant klang. Wieso war da noch niemand anderes draufgekommen. Er bot Freddy an, sich um dieser Sache anzunehmen. Sie vereinbarten einen neuen Termin, bis zu dem er sich sachkundig gemacht haben wollte. Freddy flog zufrieden nach Hause in sein Nest, wo er von Börsengeschäften, Crash und Holds träumte.

Der Aktienspezialist erkundigte sich gleich am nächsten Tag bei großen Gartenbauproduktherstellern über das Guanointeresse. Überall sagte man ihm das gleiche. Die Gewinnung sei kostspielig, da aufwendig bis zur Erstellung des Endproduktes. Die kleineren Gartencenter wären zwar an einer groß angelegten Einführung interessiert gewesen, hielten aber einen zu hohen Verkausfpreis als Hemmschwelle entgegen. Für den Brooker stand fest, das dieses Geschäft gewinnerträchtig zu sein schien. Er wollte sofort eine Lösung ausarbeiten.

Am folgenden Wochenende trafen sich Freddy und der Brooker um die Mittagszeit am großen Felsen, der die direkte Zufahrt zum Inselstrand verwehrte. Dort stieg der Herr von seiner Yacht um in ein mittgebrachtes Schlauchboot. Geschickt manövrierte er sich durch bis zum Strand. Von dort aus liefen sie zwischen Muschelkalk und angespültem Seetang bis zu der Felsenformation, in der tausende und abertausende von Seevögeln nisteten. Kaum waren sie dort angelangt, erhoben sich Scharen von Möwen mit Geschrei und protestierten lautstark. Im Tiefflug umringten sie ihn und gaben ihrem Ärger freien Lauf. Mit schützenden Händen über dem Kopf rannte er hinter Freddy her, bis sie eine Felsennische erreichten.

- Sie sind aber agressiv hier auf der Insel

- Nein. Die Vögel verteidigen nur ihre Nistplätze und sie sehen es auch nicht gerne, wenn man hier angelt.

- Darum brauchen sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Ich will ihnen nur die Insel von ihrem Mist befreien. Wieviele Vögel wohnen denn auf dieser Insel?

- Es müßten an die 16 000 Seemöven und ca. 70 Großvögel sein. Ich habe sogar bereits den täglich anfallenden Mist überschlagen. Wir fressen etwa 200g Fisch und Plankton am Tag. Das entspricht etwa einem Drittel unseres Eigengewichtes. Durch die kurze Verdauung scheiden wir mindestens die Hälfte wieder davon aus. Bei einem Wassergehalt von 75% bleiben somit noch etwas 400kg Trockensubstanz über. Bei einer Ausbeute von 10% macht das etwa 40kg Guano pro Tag.

Wieder war der Börsenfachmann verblüfft über die Fähigkeiten der Möve logisch und mathematisch denken zu können. Immer stärker witterte er ein gutes Geschäft. Doch so einfach, wie Freddy sich das vorstellte ging es auch wieder nicht. Da brachte dieser kleine Bursche auch schon die nächste Idee.

- Wenn ich meine Artgenossen dazu bringen könnte, in Zukunft ihren Mist immer auf der gleichen Stelle zu lassen, dann könnten Sie ihn problemlos dort abholen und schnell verarbeiten. Außerdem hätten wir dann eine saubere Insel und müßten nicht im zick-zack herumlaufen.

Die Idee war an sich eine guter Einfall, barg sie doch das Risiko, daß ein anderer Geschäftsmann ebenfalls Profit roch und dieses nette Biotop zu einer Touristeninsel umfunktionieren wollte. Der Brooker behielt diesen Gedanken jedoch für sich, könnte er vielleicht selbst daraus Kapital schlagen. Sie liefen nun die in Frage kommenden Stellen ab und der Brooker hielt Ausschau nach möglichen Anlegestellen für ein Boot, das ca. 280kg Vogelmist abtransportieren könnte.

In den folgenden Wochen organisierte der Banker ein Boot, als auch eine Firma die den Vogeldung abholte und marktgerecht verarbeitete. Während dessen überzeugte die kleine Seemöve seine Inselmitbewohner davon nur noch an einer Stelle ihren Mist fallen zu lassen. Bis auf Ausnahmen gelang es gang gut und die Umsetzung verlief recht zufriedenstellend. Nach etwa 2 Monaten lief das Projekt an und der Verkauf an Düngemittel nahm innerhalb kurzer Zeit beträchtliche Ausmasse an.

Als das erste halbe Jahr vergangen war und Freddy immer noch nichtsvon einem Vertrag gehört hatte, fand er den Brooker, als auch Projektleiter am Hafen des Festlandes in einem Café wieder. Er wollte nun endlich wissen, wie es um sein Provision stehe. Der Herr schaute Freddy mitleidig an und stand auf, um mit ihm an der Prommenade entlang zu laufen. Dann erklärte er ihm kurz und bündig.

- Es tut mir Leid Dich enttäuschen zu müssen, aber das Geschäft mit Dir ist geplatzt. Nachdem ich eine KG gebildet hatte und Dich als Kompagnion eintragen lassen wollte, erklärte mir das Handelsregister, das Geschäfte mit Vögeln nicht rechtskräftig seien. Ausserdem müßte jeder Teilhaber eine gültige Kontonummer vorweisen und zur Eröffnung einer Bankverbindung seien Vögel nicht autorisiert.

Nun machte er Feddy den Vorschlag, seinen Profit in vogelgerechter Entlohnung zu bekommen. Von diesem Tag an mußte Freddy nie mehr um sein Überleben und Fressen kämpfen. Er holte sich täglich seine Portion Seefisch beim Geschäftsführers der Firma Proteano oder dessen Sekretärin ab und lebte von nun an als feiste, erfolgreiche Möve an der Küste. In Gedanken hatte er sich zwar alles anders vorgestellt, aber irgendwie hatten die Menschen andere Naturgesetze, als die Vögel. Wer macht schon ehrliche Geschäfte mit einem Menschen!

http://www.eulenschreibkleckse.de/

http://www.autoren-im-netz.de/Gerda Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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