Joana Angelides

Tagebucheintragung, 4. Tag

Hoch oben, dem Himmel nah!

Nun sind schon zwei Tage vergangen, ohne daß ich eine Nachricht von Paul habe. Meine Vernunft sagt, er hat viel zu tun, mein Herz wird von einem Ring aus Angst und allen nur erdenklichen negativen Gedanken umschlossen.
Ich weiß natürlich, daß das Telefonieren in diesen Ländern eher eine Glücksache ist. Warte aber trotzdem ungeduldig auf seinen Anruf.
Wo bleibt da die Vernunft?
Da fällt mir die letzte Strophe eines Gedichtes ein:


Wo bleibt die Vernunft, mit ihren traurigen Gestalten?
Wenn es um Liebe geht lösen sie sich auf
Und verschwinden in Ritzen und Spalten!
Mit Urgewalt drängt Licht herauf.


Und dieser tröstliche Schluß, läßt mich wieder lächeln.
Ist es nicht so, wenn uns Ängste und Besorgnis in ihren Klauen halten schmerzt es geradezu. Doch in jenem Moment, wo so ad absurdum geführt werden, sind sie wie weg gewischt und man hat alles wieder vergessen.
Als ich in der letzten Woche auf Paul beim Wiener Riesenrad im Prater gewartet habe und er sich verspätet hat, blieb ich im Auto sitzen und blickte auf dieses imposante Wahrzeichen unserer Stadt. Es kam mir wie ein Symbol unserer Liebe vor. Es erschien mir riesengroß, in den Himmel ragend, ein bemerkenswertes Bauwerk. Mit einem fest und sicher erscheinenden Mittelpunkt und von dort ausgehende Speichen, wie fühlende Nerven, die einzelne Gondeln tragen. Diese Gondeln erschienen mir wie unsere Träume, jede ein Geheimnis bergend, in sich abgeschlossen und uns zu den Wolken hinauf reichend. Je länger es dauert, je höher wir in den Himmel schweben, um so mehr versinkt um uns die Welt und erscheint uns in goldenes Licht getaucht. Da das Rad immer wieder stehen bleiben muß, um neue Gäste aufzunehmen, fühlt man sich den Momenten ausgeliefert, die zu Minuten werden.
Es sind dann Stationen unserer Zärtlichkeit, wie im realen Leben, die man empfinden kann, es zittert die Umgebung leicht und man fühlt sich getragen und gehalten von festen und zärtlichen Händen.
Besonders schön ist dann der Punkt, wo die Gondel ganz oben steht, am oberen Mittelpunkt, im Vergleich mit einer Uhr, aozusagen um Null Uhr, wo die Zeit einige Momente zur Unendlichkeit wird, man sich am höchsten Punkt der Gefühle fühlt und dann langsam und behutsam im Abwärtsgleiten spürt, wie sie ausklingen, wo man immer wieder verweilt und ganz langsam in die Wirklichkeit zurückgetragen wird.
Doch, je näher man dem Boden der Wirklichkeit kommt, desto weiter werden die vergangenen Minuten entschwinden und zurück bleibt eine wunderschöne Erinnerung, die man am liebsten in die Sanduhr der Ereignisse einfüllen möchte um sie immer wieder umzudrehen.
Als Paul dann endlich doch kam und wir mit dem Riesenrad in den Himmel fuhren und ich ihm meine Gedanken schilderte, da verstand er mich und flüsterte mir bei jeder Station andere, immer gehaltvollere Zärtlichkeiten ins Ohr. Unbeschreiblich schön war unsere Station ganz oben, dem Himmel und der Sonne ganz nahe.
Da wir das Glück hatten, in unserer Gondel alleine zu sein, war es ein wunderschönes Erlebnis und ich sehe seit voriger Woche das Wiener Riesenrad in ganz anderem Licht.
Als wir beide ausstiegen, glaubten wir, die Menschen sehen es uns an, wie unendlich glücklich wir beide sind.

Ich denke oft, daß Liebende so ein Leuchten von innen haben, eine Aura rund um den Körper, die andere, empfindsame Menschen doch sehen müssen?

Ich werde nun mein Tagebuch schließen und heute Nacht meine Gedanken auf den Weg schicken, um diese Fahrt nachträglich noch einmal zu erfühlen.














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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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