Gerda Schmidt

Überlenen unter Kollegen (Mobbing)

Sie waren wieder zu viert. Eine hatten sie bereits rausgemobbt und ein anderer räumte freiwillig das Feld. Es würde wieder alles wie in früheren Zeiten werden. Morgens unterhielt man sich erst mal über den Film von gestern Abend, tauschte Tratsch aus und kochte dabei den ersten Kaffee für das gemeinsame Frühstück. Zuhause konnte man sich die Zeit für´s Bad sparen und länger schlafen, weil einer der vier immer im Wechsel Brötchen und Croissant besorgte. Dann saß man gemütlich beisammen, redete oder las die Zeitung – alles auf Kosten der Firma. Wie schön es doch war in einem grossen Konzern zu arbeiten.

Die ersten Änderungen gab es, als Herr Müller die Stelle des neuen Laborleiters antrat. Zuerst suchte er jeden Mitarbeiter gegen 8°° Uhr an seinem Arbeitsplatz auf, um mit ihm das anstehende Programm durchzugehen. Das war schon die reinste Kontrolle. Man kam kaum noch dazu mal einen Kollegen im anderen Gebäude zu besuchen oder an einem Nachmittag mal schnell in der Stadt was zu besorgen. Ständig fühlte man sich beobachtet.

Dann wurde ein neues Zeiterfassungssystem eingeführt, durch das man sich wie an einem Gängelband geführt sah. Früher hatte man die Mittagspausen gemütlich in der Kantine verbracht und sich nach dem Essen mit anderen Kollegen aus anderen Abteilungen zum Kaffee in der Cafeteria getroffen. Jetzt mußte man sich beeilen, um die elektronisch erfasste Zeit nicht zu weit auszudehnen. Schließlich mußte man dafür am Abend länger bleiben und wer wollte das schon.

Langsam, aber sicher, entwickelte sich die angenehme und sichere Stelle zum stressigen Arbeitplatz. Wer hätte das vor 20 Jahren noch gedacht, daß sich alles so zum Negativen entwickelt. 10 Jahre später kam es zu den ersten Rationalisierungsmassnahmen. Nur diese Firma blieb weitläufig davon verschont, weil man sich nicht die Blösse geben wollte, falsch mit dem Personal disponiert zu haben. Mit der Einstellung eines jungen Analytik-experten hatte man vollends eine Laus im Pelz sitzen. Neue Methoden wurden eingeführt, alte Methoden abgeändert. Modernere Techniken lösten herkömmliche Praktiken ab. Auch die Anzahl der Analysen und Muster nahm in Windeseile zu. Wer sich nicht ständig weiterbildete blieb auf der Strecke.

Jetzt galt es etwas zu unternehmen. Man konnte sich doch nicht so einfach von ein paar neuen und jungen Mitarbeitern auf der Nase rumtanzen und den gewohnten Arbeitsrhythmus durcheinander bringen lassen. Dafür waren sie bereit zu kämpfen.



Manfred saß an seinem Computer und beobachtete die Basislinie (fast gerade Linie auf dem Monitor), die sich langsam auf dem Monitor vorwärts bewegte. Alles hatte sich schneller und besser entwickelt, als erwartet. Dann plötzlich diese Unstimmigkeit im Chromatogramm (optische Aufzeichnung von Kurven) . Jede einzelne Injektion zeigte Spuren von Verunreinigung, sogar der Standard (Kontrollprobe) war kontaminiert. Bei der Wiederholung durch einen anderen Mitarbeiter, zuerst an einer anderen Anlage, dann an seiner HPLC (analytisches Gerät), gab es diese Verschmutzungen nicht. Das kam nicht gut beim Chef an. Mehrmals gingen sie die Durchführung der Analyse durch, aber Manfred hatte genau nach Vorschrift gearbeitet. Nicht die geringste Abweichung hatte er sich erlaubt. Sogar die Enwaage stimmte bis auf das Zehntel mg überein. Nun zweifelte der Laborleiter seine Arbeit an, beobachtete ihn mißtrauisch und verhielt sich ihm gegenüber immer reservierter. Nur Sonja war gut gelaunt und setzte ihm treu und brav sein Laufmittel für die Anlage an.

Als Chemiefachingineur hatte er eine höhere Ausbildung als die vier alt eingesessenen Laboranten Erwin, Christina, Sonja und Werner. Sie begegneten jedem Neuling sowieso eher feindlich als kollegial und erschwerten jedem die Einarbeitung. Vor ihm hatten bereits 2 andere Kollegen gewechselt, weil ihnen das Betriebsklima nicht gefiel. Er, Manfred, war da nicht so empfindlich, zumindest bis jetzt. Seit dem Auftreten des Problems an seiner persönlichen Arbeit hatte er allerdings schon mehrmals Magenprobleme, die sich häuften.

Seit 2 Wochen war er dabei neue Vorlagen zur Auswertung des Wassergehalts einer Tablette zu erstellen (Tabletten bestehen aus mehr, als nur Medikament). Doch auch da entstanden mehr und mehr Probleme. Waren zu Anfang nur die Formeln plötzlich gelöscht, so fand er nach der Pause oftmals ganze Files nicht mehr. Nachdem er begonnen hatte die Files auf Diskette zu speichen, entdeckte er, daß das Original auf der Festplatte von dem auf der Diskette erheblich abwich, soweit es überhaupt noch da war. Irgend jemand mußte daran beteiligt sein.


Der Laborleiter kam verärgert aus der Sitzung. Schon wieder waren die Ergebnisse nicht vollständig abgeliefert worden, obwohl ihm seine Laboranten bestätigt hatten fertig zu sein. Er hatte wegen eines Zwischenfalls in der Produktion keine Zeit gehabt alles nochmals durchzusehen. Mittlerweile konnte er sich auf niemanden mehr verlassen. Auch sein neuer Stellvertreter Manfred Ruppe brachte nicht die Leistung, die er anfänglich zu bringen vermochte. Nächste Woche hatte er eine Unterredung mit dem Abteilungsleiter und rechnete bereits mit dem schlimmsten. In zwei Monaten fand das wichtige Audit der amerikanischen Gesundheitsbehörde statt und es fehlten Daten als auch Unterlagen, die mit Sicherheit vor einem Jahr noch vorhanden waren.

Werner haßte es das pH-Meter zu kalibrieren (Gerätetest). Er war der Meinung, daß die Elektrode so stabile Werte lieferte, daß eine tägliche Überprüfung übertrieben war. Da der Chef des öfteren das Logbuch des Gerätes kontrollierte, schnitt er einfach das Datum eines älteren Ausdrucks ab und kopierte den Zettel. So konnte er stets eine scheinbar durchgeführte Kalibrierung vortäuschen.

Christina fand die Analyse des mehrmals wöchentlich angesetzten Kreislaufmittels Tenakudan für völlig überflüssig und hatte ihre eigene Methode entwickelt, der Firma beim Sparen zu helfen. Die Kieselgelplatten, die nach jeder Entwicklung fotografiert werden mußten, wurden am oberen Rand mit Bleistift beschriftet. Mit der Zeit brökelte die Substanz ab und man konnte mit Leichtigkeit einen anders beschrifteten Klebstreifen darüber ziehen. Jede Dünnschichtchromatographie sah sowieso gleich aus.

Erwin arbeitete nur noch auf seine Pensionierung hin. Für ihn war es genug, wenn er fertige Unterlagen versorgte und Verdünnungen für die anderen ansetzte. Jetzt sollte er auf einmal anfangen Daten in den Computer einzugeben. Dagegen hatte er sich entschieden gewehrt und hätte es auch beinahe geschafft, wenn nicht die Anordnung von weiter oben gekommen wäre, alle Ergebnisse in eine Datenbank einzugeben. Doch denen würde er einen Strich durch die Rechnung machen.

Manfred hatte am Nachmittag einen Kurs zu absolvieren und fuhr gleich von der Kantine in das Schulungsgebäude. Als ihm einfiel, daß er vergessen hatte seinen Computer auszuloggen, war es jedoch zu spät nochmal in Labor zurückzugehen. Es würde ja nicht gerade heute etwas passieren. Nachdem der Kurs beendet war, kehrte er kurz zurück an seinen Arbeitsplatz, um alle Geräte auszuschalten. Kaum hatte er die Programme geschlossen und wollte den PC herunterfahren, bemerkte er, daß jemand anderes an seiner Workstation herumgespielt hatte. Die Grundeinstellungen waren geändert und verschiedene Files, mit denen er seit zwei Tagen nicht gearbeitet hatte waren geöffneet worden. Beim Kontrollieren konnte er geänderte Daten feststellen oder sogar gelöschte Finden. Irgend ein Dilletant hatte sie deleted und im virtuellen Papierkorb abgelegt. Jetzt wurde es Zeit mit dem Chef zu reden.

Herr Müller konnte es nicht glauben. In der Produktion standen 8 Leute um den 5000L Kessel und beobachteten die ausgeflockte Substanz. Bei einem zu hohen pH-Wert setzte sich die Hauptkomponente nicht vollständig um und bildete bei einem pH größer 5 ein Polymer, das nicht mehr reversibel war. Das Zwischenprodukt wurde bei der Analyse also nicht richtig gemessen. Spätestens bei der Durchführung der Dünnschichtchromatographie hätte das auffallen müssen. Ein eindeutiger Fehler der Analytik lag vor. Wieso die zweite Analyse ebenfalls negativ verlief war geradezu katastrohpal. Das würde Köpfe kosten. Deshalb hatte Herr Müller andere Sorgen als ausgerechnet Manfreds profane Probleme. Völlig niedergeschlagen verließ er das Labor. War das einer seiner letzten Arbeitstage in dieser Firma? Hatte jemand etwas an seiner HPLC manipuliert?

Sonja strahlte über das ganze Gesicht. Sie war scheinbar die einzige, die etwas gegen ihren gemeinsamen Feind unternahm. Als man sie bat Laufmittel für Manfred`s Gerät anzusetzen sah sie eine Chance darin, ihm eine auszuwischen. Anstatt des hochreinen Methanols nahm sie die zum Spülen von gedachte technische Ware und gab noch etwas schmutziges Benzin dazu. Das fiel nicht auf, da der Alkohol den Geruch des Treibstoffs überdeckte. Auch der nicht ausgeloggte Computer mußte dran glauben. Schnell ein paar Zahlen wahllos eingegeben und ein paar Zellen gelöscht würde Manfred böse Ärger mit dem Chef einbringen. Es würde bestimmt nicht mehr lange dauern, bis er das Feld räumt.

Am nächsten Tag, ein Freitag, wurden alle zusammengerufen und befragt, was passiert sei. Eine externe Gerätekontrolle ergab, daß die Glaselektrode des pH-Meters ein Loch aufwies, durch das die Kaliumchloridlösung langsam austrat. Bei einer Kalibrierung des Gerätes hätte der Wert jedesmal justiert werden müssen, bis die Eichkurve nicht mehr ihre Steigung erreichen konnte. Sonja schob Manfred die Schuld in die Schuhe, da dieser als letzter an diesem Gerät gemessen hatte. Manfred verteidigte sich damit, daß er bei der Einsicht ins Logbuch eine aktuelle Eichung vorfand und sich darauf verließ. Doch das interessierte den Chef nicht. Es sollte zu Verwarnungen kommen. Am Nachmittag fand eine Krisenstabsitzung statt, bei der Herrn Dr. Müller mitgeteilt wurde, daß er die Kündigung erhält. Seine Mitarbeiter sollten am nachsten Tag informiert werden.

Das Frühstücksritual liessen sich die vier nicht nehmen. Sie mußten nur bis 8°° Uhr wieder zurück an ihren Arbeitsplätzen sein. Kaum hatten sie sich hingesetzt und die Tassen gefüllt, fiel Erwin die Zeitung vor Schreck aus den Händen. Die aufgeschlagene Seite enthielt eine Todesanzeige mit folgendem Text.

Ich trauere um mich und mein so unglückliches beendetes Leben. Mein Grabstein wir folgende Inschrift tragen:

Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen was sie tun

Manfred Ruppe *12.04.1974 +03.11.2002

http://www.eulenschreibkleckse.de/

Diese Geschichte kann in jedem grösseren Betrieb passieren und ist realitätsgetreu verfasst.

s. http://www.autoren-im-netz.de/
Gerda Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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