Werner Kistler

und blutrot geht die Sonne auf

Nun fuhr ich mit meiner Frau zusammen, schon zehn Jahre, jeden Morgen diese Strecke.Es war ein
seltsames Gefühl, denn es würde ein Fahrt ohne Rückkehr für mich werden. Wir hatten die gleiche
Arbeitsstelle. Meine Gattin war als MTA in einem Labor beschäftigt und meinen Job tätigte ich in der Verwaltung. Zumindest bis gestern hatte ich eine Beschäftigung. Eigentlich brauchte ich um diese Zeit jetzt nicht hier in diesem Auto zu sitzen. Aber ich hatte meiner Frau noch nicht die Wahrheit gesagt. Fristlos gekündigt hatten sie mir. Gestern waren sie mir auf die Schliche gekommen. Ich war es ja auch selber schuld. Patienten zahlten an meinem Schalter die Zuzahlungen für die Krankenkasse ein und ich hatte die Finger nicht von den Geldern lassen können. Erst kleinere Beträge und als die Fehlbeträge nicht auffielen, wurde ich immer dreister. Aber heute am Morgen standen die zwei Prüfer vor meinem Schalter. Den Fehlbetrag hatten die Herren schnell gefunden und ich war meinen Job los.
Eine Fahrt ohne Rückkehr, dass hatte ich am Abend beschlossen und mich für diese Situation vorbereitet.
In meiner Tasche steckte ein gut gefüllter Pen. Das reichte auf alle Fälle.
An der Haltestelle stieg ich wie jeden Morgen aus dem Auto, wartete noch einen Augenblick bis meine
Frau mit dem Auto abgebogen war und lief in entgegen gesetzter Zielrichtung, in das nahe Wäldchen. Das Versteck zwischen den Brombeerbüschen und den Eiben hatte ich bereits im Sommer gefunden. Hier findet mich so schnell niemand, schoss es mir durch den Kopf. Wollte ich gefunden werden? Nein! Wollte ich nicht. Die Vögel zwitscherten in den Zweigen, der Wald erwachte. Im Osten zeigte sich gerade die blutrote Halbkugel der Sonne und tauchte den Wald in ein rötlich schimmerndes Gewand. Was war ich nur für ein elendiges Rindvieh! Die Griffe in die Kasse waren völlig sinnlos. Schulden hatte ich keine und genug Geld verdienten wir auch. Heute wird es bestimmt ein schöner Tag. Aber davon werde ich ja nicht mehr viel erleben. Ich griff in meine Jacke und holte meinen Pen hervor. Beim Setzen auf den Waldboden erscholl ein knackendes Geräusch, so als wenn Knochen brechen würden. Den Waldboden absuchend,fand ich Knochen, die wohl Bestandteil eines männlichen Skelett waren. Noch vorhandene Stofffetzen bestätigten meine Vermutung. Ein Mensch! Neben dem Gerippe lukte ein Metallbügel aus dem Boden. Ich zog an dem Metall. Erdschollen sprangen zur Seite und eine halb verrottete Tasche kam zum Vorschein. Als ich die Tasche öffnete, was nicht so einfach gelang, quollen DM-Scheine aus dem Inneren. Mein Vorgänger war wohl auch nicht so eine ehrliche Haut gewesen. Aber so wollte ich nicht sterben. Mit gebleichten Knochen im Wald liegen, ist nichts für mich. Also beschloss ich, wieder ehrlich zu werden.
Werner Kistler

Es ist eine erfundene Geschichte - lediglich Fragmente
sind wirklich passiert. Der Autor ist nicht suizidgefährdet !
Werner Kistler, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Werner Kistler).
Der Beitrag wurde von Werner Kistler auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Werner Kistler als Lieblingsautor markieren

Buch von Werner Kistler:

cover

Ohne Bewährung & Ostdyssee von Werner Kistler



'Ohne Bewährung': Ein unbescholtener Familienvater hat einen tragischen Autounfall, bei dem eine ältere Dame tödlich verletzt wird. Ihn trifft keine Schuld, doch der Spruch des Richters : Schuldig! Der Boden wird ihm unter seinen Füßen fortgerissen und er flieht, da sich ihm die Chance dazu bietet, doch nur um noch ein letztes mal für sehr lange Zeit seine Familie zu sehen ...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Unheimliche Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Werner Kistler

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Stehlen will gelernt sein ! von Werner Kistler (Wie das Leben so spielt)
Leben und Tod des Thomas von Wartenburg, I. Teil von Klaus-D. Heid (Unheimliche Geschichten)
Haben wir es Verdient? von Helmut Wendelken (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen