Uwe Neugebauer

Das vierte Übel

Nachdem der Tag schon so übel begann, hätte es Tom eigentlich besser wissen müssen. Aber irgendwie hoffte er noch immer, dass ihm wenigstens dieser Abend für all den Verdruss des Tages entschädigt.
Er hastete schon eine ganze Weile durch die hell erleuchteten Straße der Stadt. Tom war spät dran und wenn diese Sache auch noch daneben gehn sollte, wäre sein Glaube
an alles Gute dieser Welt, wohl auch für immer verloren.
Es war ein lauer Sommerabend und die erhitzte Luft des Tages hatte sich nur wenig abkühlt.Und es gab hier auch eine Menge Bars oder anrüchige Etablissments, aber Tom suchte nur nach der Kneipe, die sich ´Stille Lagune´ nannte. Es muss hier irgendwo sein, sagte er sich. Hoffentlich wartet sie wenigstens ein paar Minuten. Dann sah er zum wiederholten Male auf seine Armbanduhr und während Tom das tat,lief er trotzdem weiter, und blieb nur manchmal stehn, wenn er sich nicht sicher war, ob die scharf abbiegende Seitengasse, wo es hier hunderte gab, nicht doch die Gesuchte sei.
Die Zeit rann ihm davon, doch Tom erachtete das nicht als sein größtes Problem. Soeben spürte er, wie ein Tropfen kalter Flüssigkeit auf seiner Haut niederging. Auch das noch, dachte er und sah in den schwarzen Abendhimmel. Von fern grollte leichter Donner. Der dazugehörende Wind trieb die Regenwolken direkt in die Stadt und während Tom seinen Blick auf den grauen Asphalt des Gehweges senkte, färbten
große Regentropfen in rascher Folge alles schwarz. Jetzt ist es wirklich Zeit die Kaschemme zu finden, dachte er. Auch wenn es nur ein warmer Sommerregen war, so würde es doch reichlich albern wirken, wenn Tom klatschnass und wie ein heruntergekommener Straßenköder, einer möglicherweise gutaussehenden Dame gegenüberstände. Er lief so flott er konnte, aber versuchte dabei noch einen gut Teil seiner
männlichen Gelassenheit zu bewahren. ,,Mein Gott”, rief er plötzlich laut, ,,ein Taxi.”
Er beeilte sich auf die andere Straßenseite und während er die Tür des Wagens schon im Augenschein hielt, sie dann aufriss, dabei schwer und hechelnd atmete, und sich
neben dem Fahrer niederließ, sagte er: ,,Guten Abend. Bringen Sie mich zur ´Stillen Lagune´. Dann beruhigte sich Tom schnell und fügte an: ,,Ein Notfall.”
,,Ach”, sagte der Taxifahrer müde und fuhr los.
Das Taxi fuhr mit geringer Geschwindigkeit. Ein paar mal bogen sie rechts ab, und einmal links und Tom dachte, dass sie an jener Stelle des kleinen Tabakgeschäftes schon einmal vorbeigefahren wären. Aber es gab eine Unmenge solch kleiner Läden in dieser Stadt. Und dann dachte Tom an seine Verabredung und an die Frau, die er noch nie zuvor gesehen hatte und dass ihm die Nerven jetzt doch ein wenig flatterten, und plötzlich hielt der Wagen. ,,Sind wir schon da?”, fragte Tom erschrocken.
Der Taxifahrer zeigte auf das zu ihrer Rechten stehende Haus und sagte kühl: ,,Genau.”
,,Okay,” sagte Tom, während er einen Geldschein dem Fahrer eilig in die Hand drückte, und beim aussteigen noch erwähnte: ,,Keine Zeit für Wechselgeld.”
Am Eingang des Lokals angekommen, überkam ihn wieder jenes Nervenflattern, doch diesmal schien es ihm, es wäre viel stärker. Er ließ die kurze Personenbeschreibung seiner Internetseite Revue passieren und wiederholte diese, während er durch das bunte Bleiglas der Eingangstür eine gewisse Lebendigkeit wahrnahm, noch einmal für sich: Engel mit Puppengesicht, rehbraune Augen, schulterlanges Haar, frauliche Figur,dann trat ein.
Die Kneipe war gut besucht. Wenig Zigarettenqualm, dachte Tom und er schielte so unauffällig er konnte durch den Raum, wo er Ausschau nach einer roten Rose hielt,dem Erkennungszeichen, das vereinbart war.
In einer schummrigen Ecke, etwas abseits der Lebendigkeit, sah Tom ein junges Fräulein sitzen. Entschlossen trat er auf den Tisch für zwei Personen zu und sagte in seiner ihm entgegenkommendsten Art: ,,Hallo. Ich bin Tom, das Blind Date. Ich hab die Rose hier auf dem Tisch liegen sehn.”
Das Fräulein blickte auf und sie hatte tatsächlich ein Puppengesicht. Eines von der Art, wie es Männer veranlasst alles um sich herum augenblicklich zu vergessen, um dann
meist nur noch mit einem ,,Ja” antworten zu können. Sie sagte: ,,Hallo Tom. Ich bin Janin und jetzt setz dich erstmal.
Und Tom entgegnete: ,,Ja.”
Janin kam gleich zur Sache. Zumindest was ihr Eigenwohl anbelangte und sie fragte:,,Wollen wir essen? Ich hab die ganze Zeit gewartet und wollte ohne dich nicht anfangen. Ich hab ´nen wahnsinns Hunger.”
,,Klar, warum nicht. Einen guten Wein werd ich uns gleich mitbestellen.” Tom rief den Wirt, da es so was wie einen Kellner hier nicht zu geben schien. Er bestellte auf Janins Wunsch das ´Menue des Abends´, was dann Lammkottelet mit Röstern und Salat war, und eine Flasche Oppenheimer: weiss, kühl und nicht zu trocken.
Sie aßen beide sehr geziert, wie es bei ersten Treffen vorkommt
und allzu viel wurde auch nicht geredet. Jedoch bestellte Janin die selbe Portion noch einmal und Tom zog in Erwägung, dass sie sich ihre erwähnte frauliche Figur, wohl soeben erst zulegen würde. Er begnügte sich derweil mit dem Wein, den er ausgezeichnet fand, und er fand auch,dass er für seine Geberlaune entsprechend belohnt werden sollte. Während er sein Glas nachfüllte, glitt sein Blick entlang ihrer schmalen, aber durchaus weiblichen Hüften. Tom verstand es, diese weiblichen Reize gut zu deuten. Und er besah sich ihre Brüste, die jung und fest und von keinerlei Utensil gestützt zu werden schienen, während Janin in aufrechter Sitzhaltung, das Essen zu Munde führte. ,,Auf dein Wohl”, sagte er und trank das Glas zur Hälfte aus.
Janin lehnte sich gesättigt zurück. Sie lächelte Tom so unschuldig entgegen, als wäre ihr nicht bewusst, welchen Sinnestaumel sie in ihm hervorrief, als sich ihr junger Körper dabei dehnte. ,,Weisst du”, sagte sie, ,,ich glaub´ du bist gar kein so übler Kerl.” Nun nippte Janin zum ersten Mal an ihrem Wein, wogegen Tom sein viertes Glas beinah geleert hatte. Mit einem gekonnten Augenaufschlag, der ihr artiges Gesicht noch unschuldiger erscheinen ließ, schlug Janin vor: ,,Wir könnten ja anschließend zu mir gehn. Vorher trinken wir aber noch unseren Wein und für kleine Mädchen
müsst´ ich auch erstmal.” Dann nippte Janin noch einmal am Glas, stand auf und verschwand im Stimmengewirr der Kneipe.
Na bitte, dachte Tom. So guter Laune fühlte er sich seit langem nicht mehr. Er schenkte sein Glas noch einmal nach und stellte für sich die Theorie auf, dass ein Tag der übel beginnt, mit einer festlichen Belohnung stets enden muss. Auch spürte er die anfängliche Anspannung seines Körpers nicht mehr. Dann nahm er wieder einen kräftigen Zug, stellte das Glas ab und fuhr mit dem Mittelfinger über den Rand desselben. Dies erzeugte nach mehreren Umrandungen einen hellklingenden Ton, woraus Tom eine bekannte Melodie zu hören glaubte, die er leise mitsummte.
,,So, dann bring ich schon mal die Rechnung”, unterbrach der Wirt jene Romantik.
,,Rechnung? Wieso?”, fragte Tom überrascht.
Der Wirt, ein stämmiger Typ mit Halbglatze und der Erfahrung von hundert Leben im Gesicht, stemmte beide Arme auf den Tisch und sagte: ,,Wissen Sie, es gibt einfach zu viele Leute, die immer wieder vergessen zu bezahlen.”
Tom sah den Wirt verständnislos an.
Der Wirt fuhr erklärend fort: ,,Nun ja, die junge Lady hat sich ja schon aus dem Staub gemacht. Hab´s gesehn, als sie ihre Jacke überzog. Wie lange wird´s da wohl dauern, bis Sie hinterher schleichen? Nein, nein, mein Freund. Nicht mit mir.”
Tom konnte es nicht fassen. Das feine Fräulein hatte ihn tatsächlich aufs gründlichste verladen. Wann wird sie wohl auf diesen Gedanken gekommen sein, überlegte er. Vor oder nach dem Essen? Und er dachte, dass er seine Theorie nun über den Haufen werfen könne, weil die Konstellation seines heutigen Tages wieder perfekt hergestellt war. Denn seit dem frühen Morgen schon, hatte sich Tom mit seinen drei Haupt-übeln, die aus Hektik, Niedergeschlagenheit und Enttäuschung bestanden, herumplagen müssen. Er holte die Geldbörse aus seiner Tasche, um wenigstens diese Situation wie ein Gentlemen zu bestehen und sah nun, nach einem fassungslosen Augen-blinzeln, seinem vierten Übel entgegen. Ich glaubs nicht, sagte er in Gedanken. Das Taxi, fiel es ihm blitzartig wieder ein. Dem Taxifahrer hatte Tom den Hunderter gegeben und er saß nun mit dem Zehner da.
Er lächelte sein bestes Lächeln, was aber immer noch nach zuviel gegessener Zitrone aussah, blickte dem Wirt ins Gesicht und betete, dass dieser Tag doch endlich sein Ende finden möge.

Das vierte Übel: Eine Geschichte wie sie das Leben schrieb. Auch wenn Namen frei erfunden wurden, so zeigt es doch, dass Unmögliches nicht unmöglich sein kann.Uwe Neugebauer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.03.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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