Andrea Renk

Ein Leben 3

 




Warten


Wenn es etwas gab auf das Manuela keine Lust mehr hatte, dann war das warten.
Sie wartete immer.
Sie war immer diejenige, die zum Schluss kam, für die mal gerade der Rest der Zeit blieb, den ein anderer erübrigen konnte.
Am Anfang waren es ihre Eltern, die nie Zeit hatten. Die Arbeit, das Haus, die Arbeit und wieder das Haus. Und logisch hatte sie Verständnis dafür. Denn die Eltern sorgten ja dafür, das sie ein Zuhause hatte in dem sie sich breit machen und ihren Hintern wärmen konnte. Es wurde dafür gesorgt, das sie zu essen und Kleidung hatte. Dafür musste sie einfach Verständnis haben. Wenn sie keines gehabt hätte, dann wäre sie kein braves Kind gewesen.
Und sie musste doch ein braves Kind sein, wenn sie ein Anrecht auf so was wie “lieb haben“ haben wollte. Hinterher musste sie feststellen, das sie trotzdem kein braves Kind war. Aber das war wieder eine andere Geschichte
Später waren es die Freunde. Denen war auch immer irgendetwas wichtiger. Meistens so wichtig, das man Verabredungen noch nicht einmal mehr absagen konnte. Da war dann einfach keine Zeit oder Gelegenheit dafür da. Ist ja alles nicht so schlimm, denn Manuela hatte ja Verständnis. Sie wusste, das es da noch andere Freunde gab für die man alles andere stehen und liegen lassen musste, weil die einfach wichtiger waren.
Komisch war Manuela nur manchmal, wenn sie anfing rum zu zicken. Dann hatte sie einfach ihre 3 min. Aber darüber sahen die anderen dann großzügig hinweg. Wussten sie doch, das sich Manuela recht schnell wieder fing. Sie wurde ziemlich schnell wieder brav.
Eigentlich wusste sie ja, das sie dankbar sein musste für die Zeit die für sie übrig blieb.
Wenn sich dann schon mal jemand erbarmte.
Aber irgendwann bäumte sich alles in ihr auf. Nein, das wollte sie nicht mehr. Und so zog sie sich zurück, traf sich immer weniger mit ihren „Freunden“ und sie stellte fest, das sie nichts vermisste. Wie auch, da war ja nie etwas gewesen. Das erkannte sie dabei. Und es traf sie. Hatte sie doch wenigstens gehofft, das die anderen mal nach ihr fragten. Aber sie kam darüber hinweg, so wie sie über alles bisher hinweg kam.

Irgendwann kamen dann die „Männer“ hinzu.

Komisch. Da war es dasselbe. Es war wie verhext. Dauerte auch eine Weile bis sie es durchschaute. Weil, da war ja noch was anderes mit im Spiel. Die Ausreden waren anders.
Aber das Prinzip war das selbe.
Im nachhinein weiß sie, das Männer hormongesteuert sind.
Die Zeit die ein einzelner Mann hatte, hing von seinem Hormonstatus ab. Viel Zeit dann auch viel Sex. Weil was anderes kam in der verbrachten Zeit nicht in Frage.
Die Jungs hatten ja so viele Dinge um die sie sich kümmern mussten. Anfangs waren es die Eltern die viel forderten, dann die Freundin mit der eh bald Schluss ist weil sie nichts mehr verbindet. Irgendwann dann die Ehefrau, mit der zwar schon lang Funkstille ist, aber immerhin hat man ja kleine Kinder und da muss man ja über einiges hinwegsehen. Aber eines war bei den Männern allen gleich. Sie waren alle froh, so eine Freundin wie Manuela zu haben. Die so gut zuhören konnte und so viel Verständnis hatte.
Ihr machte es auch nichts aus, wenn sie nach einer schnellen, gestohlenen Nummer alleine da lag, weil der Kerl ja ganz schnell wegmusste. Scheiße den Termin hatte er ja ganz vergessen.
Du Manuela sei mir nicht bös aber du weißt ja und ich komme ja wieder (wenn ich notgeil bin, weiß ich doch das man bei dir so gut abladen kann).
Und wenn sie nicht zu willen war, dann gab sogar welche die sich nahmen was sie brauchten. Ohne zu fragen. Und sie lies es geschehen, wie in Trance immer und immer wieder.
Wie sehr hasste sie sich dafür. Und jedes mal war das Spiel das selbe. Und jedes mal lies sie sich wieder darauf ein.
Aber irgendwann tat es nicht mehr weh. Ab einem gewissen Zeitpunkt überlegte sie sich, das sie wenigstens Geld dafür nehmen sollte. So hätte sie wenigstens etwas davon gehabt. Aber irgendwie war sie dazu nicht fähig. Ihr ging es ja nicht um dem Sex. Sie wollte ja etwas anderes. Wenn sie hinterher in seinen Armen hätte liegen können, die Zeit vergessen, nicht auf die Uhr gucken müsste und wenn ihr danach war, einfach hätte nur erzählen können, das wäre das gewesen was sie wollte. Nicht immer nur den Müll der anderen anhören müssen. Sie hatte doch auch was zu erzählen. Sie wollte ihre Dinge doch auch los werden. Aber sie war ja nur dazu da, die anderen zu verstehen und zurückzustecken.
Wie nur sollte sie jemanden finden dem es nicht um den Sex ging? Dem es um sie ging?
Und vor allem wenn es da jemanden geben sollte, wie sollte sie es ihm glauben?
Ihr Unterbewusstsein schmiedete einen fatalen Plan. Einen den sie teuer bezahlen sollte. Denn Lebensqualität hat sie keine mehr.
Anfänglich aß sie „nur“ weil es für sie ein Liebesersatz war. Wenn sonst keiner für sie Zeit hatte..... das Essen wartete nur auf sie. Hatte immer Zeit für sie. Und da es schmeckte, tat es ihr gut. Es befriedigte ihre Seele. Das tut es übrigens heute noch.
Jetzt aber gab es noch einen zweiten Grund zu essen. Wenn sie viel isst dann wird sie fett, so fett das sie keiner mehr will, das sich alle vor ihr ekeln. Dann benutzte sie bestimmt niemand mehr. Dann sollte nur derjenige an sie rankommen, der SIE liebt, ihre Seele, ihre Träume träumt, der sie so nimmt wie sie ist. Das müsste doch dann die wahre Liebe sein.
Sie aß und sie wurde stark. Sicher die Männer wurden weniger die Interesse an ihr hatten, aber das störte sie nicht. Sie wurde immer dicker und je dicker sie wurde, umso mehr dachte sie entwickelte sich und kam zu sich selbst.
Sie war immer schon rebellisch, wollte die Welt verändern, alles besser machen. Und das nutzten jetzt andere zu ihrem Vorteil aus. Und sie hat es wieder nicht gemerkt.
Und es passierte noch was. Es kamen andere Männer.
Sie war irritiert, erstaunt, fassungslos. Es kamen Männer, die geil waren auf ihr Fett. Und das gleich Spiel begann wieder von vorne. Männer die zuhause Frauen hatten wie Barbiepuppen, die sie brauchten zum präsentieren. Und die heimlich zu solchen Frauen wie Manuela gingen, weil es sie einfach nur geil machte in deren Fett zu wühlen, sie zu gebrauchen und danach alleine liegen zu lassen. Aber Manuela hatte ja Verständnis. Sie wusste ja um die Position der Männer und das da Kinder waren und das halt alles nicht so einfach war. Aber sie wusste auch das er es irgendwann schaffen würde, den Absprung zu machen um nur für sie da zu sein. Schatz du musst einfach nur Vertrauen und Geduld haben. Ich werde bei dir sein. Irgendwann..........

Auf den Tag wartet sie heute noch voller Verständnis.

So frist sie bis heute..........

Jetzt ist der Moment gekommen wo ihr Fett wirklich zum Problem wird. Klamotten gibt’s bald keine mehr.
Sie will in kein Auto mehr, die Gurte passen nicht , sie liegt darin wie eine eklige fette Kuh.
Sie kommt kaum noch einen Berg hoch. Sie traut sich bald nicht mehr aus dem Haus. Die Leute gaffen mehr denn je.
Sie hat keine Lebensqualität mehr. Die Knochen und Gelenke fangen an zu schmerzen.
Ganz viele kleine alltägliche Dinge kann sie nicht mehr tun.
Wenn da nicht ihr Kind wäre und ihr Glauben an Gott den sie ja irgendwo noch hat, dann könnte sie weitermachen bis sie stirbt. Aber sie muss noch mindestens 12 Jahre schaffen, irgendwie. Große Hoffnung auf ein besseres anderes Leben hat sie nicht. Nicht mehr.

Das wichtigste ist, das sie nicht überschnappt, das sie sich zusammen reißt für ihr Kind. Das sie zusieht wenigstens so viel abzunehmen das sie überleben kann. Wenn sie doch nur wüsste wie. Wenn sie schon nichts mehr mit ihrem Kind unternehmen kann dann will sie wenigstens zum reden da sein und zum lieb halten und in den Arm nehmen.


Sie soll nie das Gefühl kennen lernen wie es ist, wenn niemand für sie da ist mit dem Gefühl nichts wert zu sein. Das da niemand wäre, der sich für sie entscheiden würde. Sie würde sich immer wieder für ihr Kind entscheiden.

 

a.r. (c) 2004

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.03.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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