Thomas Wolf

Die Antwort

Der große Tag -nein- der Tag aller Tage war gekommen.
Jeder spürte die Nervosität der anderen und so machten sich alle gegenseitig verrückt; Tim Frigate tat sein Möglichstes, um halbwegs besonnen zu bleiben und sich nicht von der allgemein herrschenden Mischung aus Hysterie und Euphorie anstecken zu lassen.
Einem außenstehenden Betrachter wäre diese Stimmung wohl nicht so offensichtlich ins Auge gefallen, aber Tim war einer von ihnen und wußte, wie anstrengend aufgeregte Wissenschaftler sein konnten.
Er schaute auf die rückwärts laufende Uhr in der Mitte der großen Stirnwand. Sie würde noch 17 Minuten lang die Sekunden abziehen, bevor sie auf Null stand. Tim wußte, was er dann zu tun hatte: er würde seinem deutschen Kollegen Steffen Freiberg die Erlaubnis geben, den sich nähernden Besuchern die Botschaft zu senden. Bis dahin allerdings waren seine Möglichkeiten zur Beschäftigung auf Kaffeetrinken und Rauchen beschränkt und so ließ er die letzten Monate noch mal in Gedanken Revue passieren.
Ein Teleskop auf Hawaii hatte Anfang Februar 8 Objekte ausgemacht, welche auf einer langgezogenen Bahn in Richtung unserer Sonne unterwegs waren. Recht schnell hatte man herausgefunden, daß dies keine Kometen, Meteoriten oder ein sonstige natürliche Phänomene waren, denn seit dem Zeitpunkt der Entdeckung hatte die Fluggeschwindigkeit der Objekte erheblich abgenommen; sie bremsten.
Konnte man den Berechnungen der großen Weltraumbehörden Glauben schenken, so würden sie Mitte August die äußere Grenze des menschlichen Sonnensystems passiert haben und dann vielleicht ihr Schweigen brechen. Weltweit war man überrascht gewesen, daß die Besucher (mangels gegenteiliger Information ging man davon aus, die Raumschiffe hätten eine Besatzung) keine Nachricht in Richtung Erde gesendet hatten, denn schließlich waren sie die Fremden hier und eine wie auch immer geartete Ankündigung hatte man doch erwartet.
Aber es herrschte Stille. Nach langen und zähen Versammlungen, in denen so ziemlich jeder Staat und jede Behörde ihre Meinung kund getan hatten, waren die UN in Zusammenarbeit mit NASA und ESA zu einer allgemein akzeptierten Lösung gekommen. Ein internationales Komitee entwarf eine Botschaft, die von der ESA-Zentrale in Darmstadt gesendet werden sollte. Um den klaren Empfang so gut wie möglich sicherzustellen, würde man die meisten der weltweit sendenden TV-Anstalten, Radiostationen und sonstige Funkträger für die Dauer der Übertragung abschalten lassen, damit die Nachricht nicht in der Flut der ständig abgestrahlten Funkwellen unterging.
Und in wenigen Minuten war dieser Moment gekommen. Eines bereitete den Wissenschaftlern aber Kopfzerbrechen: die Flugbahn der Objekte und das daraus resultierende Zielgebiet nach Beendigung der Bremsphase. Die Erde lag nicht am Ende der Flugbahn, sondern etwa 15 Millionen Kilometer “neben“ ihr. Man war zu dem Schluß gekommen, daß dies auf Schwankungen in den vorhandenen Daten und vor allem auf die Unkenntnis über die Fähigkeiten der Flugobjekte zurück zu führen war. Davon abgesehen war ein solcher Wert recht gering bezogen auf astronomische Größenverhältnisse.
14 Minuten und 2 Tassen Kaffee später begab sich Tim Frigate zu seinem Kontrollpult und nickte seinem Kollegen zu, der kurz darauf feierlich den Knopf drückte.

22 Tage später
Frigate sah so aus, wie er sich fühlte: müde, ausgebrannt, leer.
Die Reaktion auf die Nachricht, die sie knapp drei Wochen zuvor gesendet hatten, war kurz und eindeutig gewesen. Die Objekte waren bis vor 36 Stunden stumm auf ihrer Bahn geblieben, und obwohl sie weiterhin ihre Geschwindigkeit drosselten, war nun auch den letzten Zweiflern klar geworden, daß sie sich gründlich verschätzt hatten, was sie Flugbahn und die festgestellten Abweichungen betraf. Sie alle waren sprachlos und mit Ihnen der Rest der Erdbevölkerung. Das internationale Komitee hatte die Botschaft an die Besucher bewußt einfach gehalten; es zeigte stilisiert den Aufbau des Sonnensystems mit seinen 9 Planeten, die Erde deutlich hervorgehoben, das Piktogramm eines Menschen und 8 Punkte, die sich auf die hervorgehobene Erde in der gleichen Formation zubewegten wie die echten Objekte.
Die empfangene Antwort war offensichtlich an niemanden bestimmten gerichtet; sie war in über 90 Sprachen verfaßt und wurde auf den Bandbreiten sämtlicher Radio- und Fernsehkanäle gesendet. Sie lautete:

UNSERE ABSICHT IST NICHT FEINDLICH.
UNSER ZIEL IST NICHT DER DRITTE PLANET.
UNSER INTERESSE GILT NICHT DEN BEWOHNERN DES DRITTEN PLANETEN.
ZU EINEM WEITEREN KONTAKT BESTEHT KEINE VERANLASSUNG.
SOLLTE ES NÖTIG WERDEN, STELLEN WIR DEN KONTAKT ZU GEGEBENER ZEIT WIEDER HER.

In der Sendung enthalten war ein Bild des Sonnensystems, das dem von Darmstadt aus zuvor gesendeten ziemlich ähnlich war, lediglich detaillierter. Nur war nicht die Erde hervorgehoben, sondern Jupiters Mond Europa.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.03.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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