Manfred Gries

Verbrecherjagd

Die ersten Frühlingsboten streckten ihre Fühler aus und nach einem arbeitsreichen Tag blieb ihm noch der Einkauf, der erledigt werden musste. Pierre Horatius Blamage belud den Wagen mit Leergut und machte sich auf zum Einkaufszentrum der kleinen Stadt, suchte nach den Zigaretten und geriet dabei für Sekunden auf die rechte Straßenseite, die zum Zeitpunkt seiner Suche frei vor ihm lag. Fündig geworden, blickte er auf und sah sich einem Wagen gegenüber, der direkt auf ihn zusteuerte. Zeit genug, um einen Spurwechsel vorzunehmen.

Das Ereignis war längst vergessen, als Pierre den Wagen mit den Lebensmitteln entlud. Brot, Butter, Wurst und ein Kasten Diätbier fanden ihren Platz im Haus. Pierre wusch noch schnell das Geschirr ab und dann - dann begann sein Feierabend. Am Schreibtisch sitzend ließ er den Tag noch einmal Revue passieren, sortierte die Ereignisse ein, die ihm über den Weg gelaufen waren. Die Zigarettensuche gehörte nicht dazu - noch nicht. Das sollte sich jedoch ändern. Nach 5 Flaschen 0,33 Liter Diätbier klingelte es an der Tür. Zwei Herren in Grün begrüßten ihn und drangen ohne zu fragen in seine Wohnung ein. “Wir müssen sie mit auf die Wache nehmen“, begründete einer der beiden sein Verhalten und schritt an Pierre vorbei durch das Erdgeschoss des Hauses. Schaute hier, schaute da und fragte schließlich: “Wieviel Bier haben Sie getrunken?“ Eine Stunde war seit Pierres Rückkehr vom Einkauf vergangen und die 5 Flaschen Diätbier, die er dem Polizisten als Menge angab entsprachen den Tatsachen. Man merkte es dem Wortführer dieser Aktion an, dass er keinen rechten Glauben fand. So schaute er in den Kasten, der die Aussage Pierres bestätigte. “Zeigen Sie uns einmal ihre Papiere“, fuhr der Mann in Grün fort, während sein jüngerer Kollege schweigsam den Vorgang beobachtete. Beide begleiteten Pierre auf dem Weg zum Fahrzeugschein. Diesen wie auch den Führerschein und den Personalausweis konfiszierte der Ordnungshüter sofort. “Wir nehmen sie jetzt mit auf die Wache, um einen Alkoholtest durchzuführen.“

“Wenn Sie mich wieder zurückbringen - ich darf nicht mehr fahren“, antwortete Pierre, “ist das kein Problem.“ “Dazu sind wir nicht verpflichtet“, konterte der ältere Kollege, der bislang das Wort geführt hatte. Pierre überlegte kurz. Ihm konnte nichts passieren, da der Alkoholgehalt von Diätbier gering ist und er diesen erst nach dem Einkauf inhaliert hatte. Lächelnd stimmte er der Entführung zu, bestieg den Polizeiwagen und schnallte sich an. “Es ist Gefahr im Verzuge“, erklärte der bislang schweigsame Kollege und nahm auf dem Rücksitz neben Pierre Platz. Die Kindersicherung rastete ein und der Verbrecher schaute in den Abendhimmel - gefasst. Das Gespräch zwischen den “Männern“ begleitete einsilbig die Fahrt zur 15 KM entfernten Polizeiwache, auf der Pierre gelassen seine Personalien angab - obwohl ja der Personalausweis in Händen der Entführer war. Still erwartete er die Entnahme einer Blutprobe. Weit gefehlt, der Wortführer betrat den Raum mit jenem Röhrchen, in das man bläst und das jeder ordentliche Polizist bei einer Alkoholkontrolle mit sich führt. Angesichts der veralteten PCs, in die der schweigsame Kollege Pierres Personalien getippt hatte, verstand er aber sofort, dass es für die ganze Polizeiwache nur ein Röhrchen gab. “Uns fehlen die Mittel“, erklärte der Personalienaufnehmer traurig. “Jeder Verbrecher hat einen besseren PC als wir.“ Voller Mitleid blies Pierre 7 Sekunden in das vereinsamte Messgerät, das zusammen mit dem Wortführer den Raum verließ um für Minuten Spannung in die Situation zu bringen.

Währenddessen wurde der schweigsame Kollege immer gesprächiger. Hatte man doch nun den Verbrecher in sicherem Gewahrsam. So überbrückten Pierre und er die Wartezeit bis zum erneuten Erscheinen des stolzen Röhrchenträgers. Dieser allerdings schaute gar nicht stolz drein. “Sie müssen noch einmal blasen“, erklärte er vorsichtig. Pierre blies, was das Zeug hielt, weitere 7 Sekunden und schaute dem Röhrchenspezialisten nach, als dieser den Raum verließ. Wieder war Warten angesagt - Smalltalk über PCs und Verbrecher. Etwa die gleiche Zeitspanne wie zuvor war vergangen, als der Wortführer wieder den Raum betrat. Sein Gesicht spiegelte nun offene Enttäuschung wieder. “O.B.“, sprach seine Stimme den Kollegen an. “Herr Blamage, wir fahren Sie wieder nach Hause“, lautete die kurze Erklärung in Richtung Pierres, der inzwischen fast zu Weinen begonnen hätte ob der Armut und der Erfolglosigkeit der Polizisten. Vielleicht sollte er einmal ein wirkliches Verbrechen begehen, dachte Pierre, damit die beiden Herren abends mit einem Erfolgserlebnis zu Bett gehen können. Allein der Genuss von Diätbier würde in dieser Hinsicht sicher nicht zum Ziel führen.

Pierre entstieg dem Polizeiwagen mit den Worten: “Seien Sie mir nicht böse, wenn ich mich für den Ausflug nicht bedanke.“ Seine verbalen Hiebe trafen den Wortführer, während sein Kollege ihm die Beifahrertür öffnete. Wir erinnern uns - da gab es ja die Kindersicherung für Verbrecher, die auch nach der Klärung der Sachlage nicht ausgeschaltet wurde. Ein Verbrecher ist halt ein Verbrecher, solange man noch die Hoffnung hegt, ihn irgendwann einmal zu überführen. Am Schreibtisch zurück öffnete Pierre eine weitere Flasche Diätbier. Die Abschiedsworte des Wortführers im Ohr: “Wenn Sie jetzt noch Diätbier trinken, denken Sie an Morgen. Da bleibt ein Restalkoholgehalt“, setzte Pierre seinen unterbrochenen Feierabend schmunzelnd fort.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.03.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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