Gerda Schmidt

1.1.1.2.1 Herr K. und das Tissue-Komplott

Herr K. hatte nicht damit gerechnet, dass er bereits überfallen wurde, bevor er noch das Haus betreten hatte. Gedanken eines Verhörs mit anschließender Verwahrung schossen ihm durch den Kopf. Deshalb wunderte er sich, warum man ihn so freundlich in Empfang nahm. Er wurde in die Anmeldung hinein gebeten und man ließ ihn Platz nehmen.

„Sind Sie also doch noch gekommen. Wir erhielten gestern die Information, dass Sie krank seien und der Termin ihrer Besichtigung voraussichtlich um eine Woche verschoben wird. Das freut uns aber, Sie doch noch heute begrüßen zu dürfen, Herr Dr. Müller.“

Er wurde eindeutig mit jemandem anderen verwechselt, was ihm eine einmalige Chance bot. Jetzt hieß es die Nerven zu behalten. Er musste sich in die Rolle des Herrn Dr. Müller versetzten und konnte somit freier agieren, zumal nicht die Gefahr bestand, dass dieser Herr noch heute hier auftauchen könnte. Ein Herr in weißem Kittel reichte ihm ein Bündel mit Besucherschutzkleidung, die er sich im Raum nebenan anziehen konnte. Seine eigene Kleidung sollte er in einem Spind verstauen und den Schlüssel dafür bei sich tragen. Danach würde die Besichtigung mit dem Betriebsleiter unverzüglich beginnen.

Der Betriebsleiter lief mit Herr K. einen langen Gang entlang, der durch große Panoramascheiben Einblick in die Produktion bot. Dabei erklärte er ihm den Prozess, der als Endergebnis Tausende und Abertausende von Toilettenpapierrollen erzeugte. Zuerst wurde die Cellulose, die zu Unmengen durch die LKWs angeliefert wurde, vollständig aufgelöst. Als nächster Schritt erfolgte die Zugabe von Kalilauge, welche die Funktion des Weichmachers innehatte. Toilettenpapier sollte stets weich sein, damit es beim häufigen Benutzen keine wunden Stellen erzeugte und nicht die gleichen Auswirkungen hätte, wie früher das Zeitungspapier. Zusätzlich zur Allergie gegen Druckerschwärze erzeugte es häufig kleine Analbläschen, die sich immer wieder entzündeten, wenn man erneut diesen Bereich zu säubern versuchte. Zur Verstärkung des Materials verwendete man ganz simpel mazerierte Kleefasern, die durch Beimengen von Rapsöl ihre Struktur zur Filamentbildung beibehielten. Um blütenweißes Papier zu erhalten, musste nur noch Bleichmittel in Form von Chlorsubstraten zugegeben werden. Zuvor trennte man jedoch die Mengen, um auch die etwas teureren, umweltfreundliches Rollen zu erzeugen, die lediglich eine kürzere Produktionszeit benötigten, da der Bleichprozess entfiel.

Dann endlich ging es in die Produktion. Im ersten Abschnitt sah man einen großen Kessel, der Unmengen einer übel riechenden Masse enthielt. Nach endlosem Rühren wurde durch einen kleinen Auslass ein Teil der Substanz auf Förderbänder gegossen. Von dort lief das Band weiter in eine lange Kammer, die die erste Antrocknung zuließ. Danach erfolgte das Spannen der langen Bahnen. Von dort zog ihn der Verantwortliche schnell weg, um bei der Maserung wieder halt zu machen. In diesem Teil der Anlage wurde dem Papier die Form gegeben, mit seinem reliefartigen Muster. Im Anschluss wurde das fast trockene Material bedruckt. Doch was waren das für seltsame Stempelformen. Die Prägeseite zeigte eine ovale Feder, aber am Ende sah man eine runde Feder aufgedruckt. Das war seltsam. Der Betriebsleiter bemerkte, dass Herr K. sich mit dieser Auffälligkeit konzentriert beschäftigte und fuhr fort mit seinem Vortrag.

Die nächste Station führte Abmessungen über ein komplexes Räderwerk durch, mit anschließender Perforierung. Bevor die Rollen nun endgültig das Band verließen, wurden sie über ein mehrrolliges Meßsystem gelenkt und auf die gewünschte Länge zugeschnitten. Zuletzt wurde jede einzelne Toilettenpapierrolle am Ende verschweißt. Auch an dieser Stelle zog ihn der Vortragende schnell weiter. Fragen wollte er ihm im Büro beantworten.

Auf dem Rückweg zum administrativen Bereich, vermied der Betriebsleiter den Weg vorbei an den Maschinen. Doch eine Aufforderung über den Lautsprecher, sofort ans Telefon zu kommen, zwang ihn, Herrn K. einen Augenblick sich selbst zu überlassen. Dieser sollte sich wiederum nicht von der Stelle rühren, solange der Chef ihn allein ließe.

Kaum war Herr K. alleine, setzte er auch schon seinen Weg in die andere Richtung fort. Er wollte wissen, was es mit den Stempeln auf sich hat. Auch die Frage des seltsam anmutenden Meßsystem wollte er klären, was aber noch warten musste. Er lief ganz dicht an der Maschine vorbei, stets bedacht darauf, dass ihn niemand durch die Scheiben beobachten konnte. Als er den Bereich des Stempels erreicht hatte, hörte er mehrere Mitarbeiter miteinander reden. Er wollte sich verstecken und stieß beim Förderband mit dem Kopf an die gespannte Rolle, so dass sie augenblicklich riss. Die nun im Leerlauf rotierende Metallrolle erzeugte einen ohrenbetäubenden Lärm. Sofort hörte man aufgeregte Betriebsmitarbeiter herumrennen und rufen. Ein Alarm wurde ausgelöst und die Maschine wurde abgestellt. Herr K versuchte sich hinter einem bereits fertigen Stapel Klorollen zu verstecken und stieß dabei heftig mit einer ebenso in weiß gekleideten Person zusammen. Er erschrak, als sich dieser Zweimeterkoloss umdrehte und er sofort das schwammige Gesicht von Elfriede erkannte.

„Sie hier? Was machen Sie denn in diesem Betrieb?“

Die Frage kam gleichzeitig von Beiden, jeweils an den Anderen gerichtet.

STAMMBAUM

Vorgänger: 1.1.1.2 Herr K. und das Tissue-Komplott von Gerda Schmidt

Nachfolger: 1.1.1.2.1.1 Herr K. und das Tissue-Komplott von Gerda Schmidt

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.03.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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