Heiko Noack

Gesichter des Krieges

- Amira -

Eine Frau und Ihre Tochter Amira sitzen gemeinsam beim Frühstück. Sie leben in Bagdad. Amira ist ca. 8 Jahre alt. Ihr Gesicht wird umrahmt von schwarzem, schulterlangem und seidig glänzendem Haar. Ihre großen, braunen Augen wirkten immer warm und fröhlich, doch in den letzten Tagen wirken sie eher verängstigt, unsicher und traurig.

Schon seit Tagen schlagen in der Ferne Bomben ein und immer wieder zucken die beiden dabei zusammen. Einen schützenden Keller oder Bunker haben sie nicht. Auch heute wieder bebt der Boden und die Einschläge sind heute besonders nah.

"Mama, warum wirft Bush Bomben auf uns?"
"Nicht auf uns Schatz, auf Saddam Hussein wirft er die Bomben!"
"Und warum tut er das, Mama?"
"Weil Saddam ein böser Mensch ist, der anderen Menschen weh tut!"
"Aber tut Bush denn nicht dem Saddam auch weh, wenn er Bomben auf ihn wirft?"
"Ja, das tut er, mein Schatz!"
"Ist Bush jetzt auch böse?"
"Bush sagt, er will uns alle vor dem bösen Saddam beschützen, nur deshalb tut er das. Er ist also nicht böse!"
"Das verstehe ich nicht, Mama! Ist man nur dann böse, wenn man guten Menschen weh tut?"
"Ähm ... nein Schatz ... ich meine ... so kann man das auch nicht ... ähm ... paß auf ... das läßt sich irgendwie nicht verallgemeinern, verstehst Du das Amira?"
"Nein Mama, das verstehe ich nicht." ...
"Du wirst es eines Tages verstehen, mein Schatz, Du bist wohl noch zu klein dafür!"

Am darauffolgenden Tag sitzen die beiden wieder bei ihrem knappen Frühstück. Seit Tagen leben sie schon aus der Konserve. Nur hin und wieder holt Amiras Mama frisches, völlig überteuertes Brot. Aber täglich kann sie sich das nicht leisten. Das Wasser aus der Leitung dürfen sie nur noch zum Waschen verwenden, es ist nicht mehr sauber. Täglich müssen Sie sich aus einem Tankwagen ihre Wasserrationen abholen. Und wieder tobt vor ihrer Tür der Krieg.

"Mama, wieso wirft der Bush so viele Bomben auf Saddam, würde nicht eine genügen?"
"Bush weiß nicht so genau wo sich Saddam aufhält, mein Schatz. Außerdem gibt es viele Menschen, die Saddam treu sind und für ihn kämpfen, auch auf diese Menschen wirft Bush Bomben."
"Sind das auch alles böse Menschen?"
"In gewisser Weise ja, mein Schatz!"
"Ist man böse wenn man jemanden treu ist?"
"Nein Schatz, nur wenn man für falsche Ideale einsteht!"
"Was sind falsche Idela ...Ideale, Mama?"
"Das sind Dinge oder Gedanken, die man für richtig hält, die es aber nicht sind!"
"Wie weiß man ob seine Idela ... Ideale falsch sind, Mama?"
"Nun ja ... man merkt es halt ..."
"Und wieso merken es die bösen Menschen nicht?"
"Vielleicht sind sie zu dumm dafür?"
"Und warum sagt man ihnen nicht einfach, daß ihre Ideale falsch sind, Mama?"
"Amira! Iß jetzt endlich!"

Das Grollen der Bomben kommt näher und näher. Ein Pfeifen und ein derber Knall erschüttert das Haus und von der Decke her stürzen große Gesteinsbrocken, Balken und Schutt auf den Eßtisch. Staub füllt den Raum und ein kindliches Husten ist zu hören ...

"Mama? Mama bist Du da?"

Der Staub sinkt langsam zu Boden und gibt nach und nach wieder die Sicht auf die verwüstete Küche frei. Das Mädchen ist zur Hälfte mit Trümmern bedeckt und aus ihrem kleinen Körper rinnt Blut und färbt die Trümmer rot.

"Mama? Bist Du da? Ich kann mich nicht bewegen Mama, und meine Beine tun so weh!"

Der Staub legt sich und das Mädchen sieht das Gesicht ihrer Mutter, ihre Augen sind starr und schauen an Amira vorbei ins Leere ...

"Mama? Hilfst Du mir bitte? Kannst Du nicht die Aua-Salbe auf meine Beine tun, die immer so schnell hilft wenn ich gestürzt bin?"

"Mama? Sag doch was, Mama! Bist Du mir böse? Mama? Meine Beine tun so weh Mama!"

So starrt das Mädchen mit hilfesuchendem Blick in das leblose Gesicht ihrer Mama ohne daß sie erfassen kann, daß ihre Mutter tot ist, daß sie ihr nicht helfen kann, auch wenn sie es gerne möchte ...

"Mama? Warum hat Bush eine Bombe auf uns geworfen, waren wir auch böse? Habe ich etwas falsch gemacht, Mama? War ich böse Mama? Bitte sag es mir doch, Mama!"

"Es tut mir leid Mama, wenn ich an falsche Ide ... Idel ... Idelale geglaubt habe, Mama. Verzeihst Du mir bitte, Mama?"

"Du Mama, die Beine tun schon gar nicht mehr weh" ... Amira lächelt unsicher ... "Aber es ist so kalt, Mama!"

"Mama? Ich friere Mama! Es ist so schrecklich kalt Mama!"

"Mama?"

"Verzeih mir Mama ..."

Eine einsame Träne rinnt über das traurige Gesicht des Mädchens. Sie fühlt sich schuldig, sie kann es nicht verstehen ... sie wird es nie verstehen ... sie wird dazu nie Gelegenheit haben und es gibt eigentlich auch nichts, was sie verstehen müßte ... denn sie wußte eigentlich alles so viel besser als ihre Mama ...

Das Leben entweicht aus den großen braunen, einst munteren und neugierigen Augen des kleinen Mädchens, und ein reines Herz hört schuldbeladen auf zu schlagen ...

Collateral damage

.. Ein Gesicht des Krieges ... es heißt Amira ...

Diese Geschichte entstand im März 2003 anläßlich des beginnenden Irak-Krieges. Mich hat der Sinn und der Unsinn des Krieges (sowie die Unsinnigkeit aller Kriege) schon immer beschäftigt. Ich wollte mit dieser Geschichte den Krieg etwas näher bringen, in die Häuser der Menschen, die fernab des Kriegsschauplatzes über Leben und Tod entscheiden ... ich denke diese Zielgruppe hat die Geschichte niemals erreicht ...Heiko Noack, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.03.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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