Gerda Schmidt

Einen Parkschein für BSE

Der Tisch war für 19°° Uhr reserviert. Samstags abends begann für Herrn Prof. Dr. Hartmut Janssen das Wochenende mit einem gemeinsamen Abendessen, dass ihm hoch und heilig war. Dann traf sich die ganze Familie und jeder durfte seine Freuden, Kummer und Nöte loswerden. An diesem Abend fand das Familienleben statt, das die ganze Woche zu kurz kam. Jeder der Familienmitglieder durfte im Wechsel entscheiden, in welchem Restaurant gegessen wurde. An diesem Abend wählte sein ältester Sohn Matthias den Argentinier zum Steakessen aus. Frau Janssen und der jüngste Sohn Bernd waren damit einverstanden. Nicole, das Nesthäkchen, protestierte jedoch. Sie mochte kein Fleisch und bekannte sich zu den Vegetariern. Doch nahm sie es nicht ganz ernst damit und ihr Vater erwischte sie ab und zu mit ihren Freundinnen bei Mac Donalds. Er zog sie dann ständig damit auf. Aus diesem Grund ging er auch heute Abend nicht auf den Protest ein.

Zur Familie gehört auch ein großer Bobtail, der auf den Namen Bobby hörte. Allesamt stellten sich vor der Haustür auf, während Herr Janssen den großen Geländewagen aus der Garage fuhr. Auch bei der Wahl des Fahrzeuges herrschte Gleichberechtigung. So fuhren sie abwechselnd mit seinem Mercedes ML oder sie nahmen die 740er BMW Limousine seiner Frau. Damit war auch gleich geklärt, wer etwas Wein trinken durfte. Nachdem alle im Fahrzeug Platz genommen hatten sprang Bobby zum Schluss noch in den großen Laderaum, in dem seine Decke lag. Der Hund fuhr gerne Auto und wollte nicht alleine zu Hause bleiben. So hatten sie es sich angewöhnt Bobby mitzunehmen. Er wartete stets geduldig im Auto, bis seine Familie zurückkam. Meistens wurde er mit einem Knochen belohnt, was das Warten erst Recht erleichterte.

Die meisten Restaurants waren vom Parkhaus am Burggraben schnell zu erreichen. Deshalb parkten sie in der Regel immer auf dem selben Parkdeck. Ein kurzer Spaziergang durch die Fußgängerzone brachte sie pünktlich zum Steakhaus. Der Kellner begleitete die Familie zu ihrem Tisch und reichte ihnen die Bestellkarten. Schnell hatten alle ihre Wahl getroffen, nur Nicole blätterte lustlos in ihrer Mappe. Herr Janssen hasste es, wenn jemand keine Entscheidungen treffen konnte. Nicole merkte das und wollte ihren Vater ärgern. Deshalb bestellte sie Scampis. Der Ober schaute sie irritiert an und verwies sie darauf, dass das ein Steakhaus sei und sie keinen Fisch führten. Darauf bestellte sie Ein Tofu-Steak. Auch das konnte er ihr nicht bieten. Der Vater sah sie gereizt an. Dann bestellte er für sie die kleinen Lammsteaks. Wütend lehnte sie das ab. Sie schaute nochmals in die Karte, denn sie wusste, dass sie nicht mehr lange mit ihrem Vater spielen konnte. Er neigte zu Jähzornsanfällen und konnte sich in der Öffentlichkeit nur schwer zurückhalten. Nun bestellte sie einen großen Spezialsalat, der kein Fleisch enthielt. Herr Janssen akzeptierte das wortlos.

Als die Speisen serviert wurden, verzog Nicole die Nase und sagte „Igittigitt“. Bernd konterte nur: „Du brauchst es ja nicht zu essen und mir schmeckt es.“ Darauf ließ sie sich zu einer Diskussion hinreißen.

„Die armen Tiere müssen sterben, nur weil ihr nicht auf Fleisch verzichten könnt. Dazu werden sie Tausende von Kilometern hierher geflogen, weil Euch das andere Fleisch nicht gut genug ist.“

Da schaltete sich Matthias ein. „Was geht Dich das an. Kümmere Dich lieber um Deinen genmanipulierten Mais.“

Nicole schaute entsetzt ihren Bruder an. „Der Mais ist nicht genmanipuliert!“

„Ist er doch. Schau doch in der Karte nach. Da steht es.“

Nicole konnte es nicht glauben, zumal der Mais vorzüglich schmeckte. Sie beschloss diese Bemerkung zu ignorieren. Dann fuhr sie fort. „Außerdem habe ich Angst vor BSE.“

Jetzt wurde es Herrn Janssen zuviel. Das sollte doch nicht den ganzen Abend so weiter gehen. Deshalb versuchte er auf ruhige Art dem Thema beizukommen, um es dann zu beenden.

„Seit einiger Zeit werden alle Rinder auf BSE geprüft. Du brauchst Dir keine Sorgen mehr zu machen, mein Liebling.“

Doch nun fing die Diskussion erst richtig an.
„In der Zeitung stand aber, dass wieder 5 Rinder aus Amerika daran erkrankt seien. Und Amerika ist ja wohl am vorsichtigsten.“
Da hatte Nicole recht. Dann fügte sie hinzu, „Wieso entwickelst Du denn keinen Test der BSE anzeigt?

Herr Prof. Dr. Janssen war von Hause aus Chirurg, hatte sich aber nach 12 Jahren als Chefarzt verabschiedet und wechselte in die medizinische Forschung. In seiner Abteilung entwickelten sie Testkits mit denen auf bestimmte Krankheiten hin getestet wurden, ähnlich einem Zuckertest. Mit Problemen, wie BSE, die von anderen Lebewesen übertragen wurden hatte er sich noch nicht auseinander gesetzt. Doch die Idee seiner Tochter war gar nicht so verkehrt. Gerade als sie eine Tomate zerteilte und genussvoll ein Stück in den Mund steckte, kam ihm auch eine Blitzidee. Warum führte man nicht einfach einen Farbtest durch, der das infizierte Fleisch angab?

„Papa, Du hast eine Idee. Du bekommst immer ein kleines Grübchen auf der linken Seite, wenn Dir was einfällt. Erklär uns doch mal, was Deine Lösung wäre“, sagte Nicole provozierend.

Herr Janssen machte sich schnell mit dem Gedanken vertraut und gab der Forderung seiner Tochter nach. Auch der Rest der Familie war ganz Ohr, schließlich war ihr Vater bekannt für innovative Ideen.

„Bitte denke daran, wir sind Laien und keine Berufskollegen,“ fügte seine Frau hinzu.

Also begann er in routinierter Art seine Ausführung.
„Wenn man den Rindern kurz vor dem Schlachten Anthocyane – rote Pflanzenfarbstoffe, wie sie z. B. die Tomate hat – spritzen würde, könnte man den geschlachteten Tieren beim Zerlegen sofort ansehen, ob sie mit BSE infiziert sind.“
Die ganze Familie schaute ihn fragend an. Sie wussten aber, dass die genauere Erklärung jetzt folgen würde.

„Anthocyane sind lichtempfindliche Farbstoffe, die sich bei Lichteinfall zersetzen. Nur unter Einwirkung des reduzierenden BSE-Moleküls bildet es Wasserstoffbrückenbindungen. Sie verhindern die Oxidation des Farbstoffs und behalten somit die Farbe bei. Das Fleisch wäre eindeutig identifizierbar.“

Jetzt meldete sich Matthias zu Wort, der zwar Chemie bereits in der Schule hasste, aber den der biologische Schritt interessierte.

„Deine Theorie stimmt aber nicht ganz. Tomaten verlieren ja auch nicht ihre Farbe, Sie werden sogar mit der Zeit noch dunkler. Was sagt denn der Herr Professor dazu?“
Herr Janssen brachte das nicht aus dem Konzept. Schließlich war er kritische Fragen während seiner Vorlesungen gewöhnt.

„Bei Tomaten gilt das gleiche Prinzip. Sie reifen in der Nacht und bekommen ihre rote Farbe. Am Tag verlieren sie wieder vom Farbstoff, der in der Schale sitzt. Nur die riesige Menge der nächtlichen Produktion lässt den oxidierten Teil verschwindend klein erscheinen.“

Nicole wollte ihren Bruder foppen und fragte ihren Vater, ob er das nicht mal aufzeichnen könne. Da der Tisch bereits samt Servietten abgeräumt war fand er nur den Parkzettel. Auf der Vorderseite stand in roter Schrift geschrieben: Neu. Während sie das Kleingeld suchen, genießen sie den herrlichen Erdbeergeschmack unseres Papiers. Was war das schon wieder für dummes Zeug. Er drehte den Zettel um, auf den er mehrere zusammenhängende Sechsringe aufzeichnete. Die Sauerstoffatome verband er durch gepunktete Linien mit den Wasserstoffatomen. Erst jetzt sah er, dass er den bisher geglaubten Sechsring anstatt mit einem Stickstoffatom mit einem Kohlenstoffatom verwechselt hatte. Ganz in seinem Element strichelte und punktete er, bis ihn seine Frau darauf aufmerksam machte, endlich zu gehen.

Sie verließen das Lokal, wobei Herr Janssen ganz bei seinem chemischen Problem verweilte. Als Frau Janssen die Parkgebühren zahlen wollte, weigerte er sich den Zettel herauszurücken. Sie fingen an sich zu streiten. Ohne bezahlte Gebühren konnten sie nicht das Parkhaus verlassen. Das war Herrn Janssen egal. Er bestand auf seinen Zettel. Dann machte er den Vorschlag, mit dem Taxi nach Hause zu fahren und das andere Auto zu holen. Seine Frau glaubte er sei von allen guten Geistern verlassen, aber sie kannte seine sture Haltung. Also fuhr sie mit dem Taxi nach Hause und holte ihren Wagen. In der Zwischenzeit stritt er sich mit den Kindern im Parkhaus, ob der Farbstoff sich nun zersetzte oder nicht. Als seine Frau mit ihrem Wagen ankam ließ er sie aussteigen. Er fuhr an die Schranke und löste eine zweite Parkkarte ohne durch die geöffnete Barriere zu fahren . Im Rückwärtsgang verließ er das Parkhaus wieder. Dann bezahlte er die alten und die neuen Parkgebühren und holte seinen Mercedes. Während die Kinder bei ihm einstiegen freute sich Bobby über ihre Rückkehr. Doch keiner hatte daran gedacht, ihm etwas mitzubringen. Die Streitereien gingen weiter. Herr Janssen legte die beiden Parkzettel auf die Armlehne, wobei er an der Schranke den neuen benutzte. Als sie endlich das Parkhaus verlassen hatten, wollte er den Streit beenden und untermalte seine Darstellung der Oxidation mit den Worten
„ Hab Ihr das endlich gefressen?“

Die Kinder schauten ihn vergnügt an und antworteten im Chor.
„Ja, und Bobby auch.“

Genüsslich kaute er auf dem Parkzettel herum. Schließlich hatte er keinen Knochen bekommen.

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Gerda Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.04.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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