Wann ich das erste Mal Blumen sprechen ließ, weiß ich selbst nicht mehr so genau. Ich erinnere mich nur noch daran, dass Worte nicht mehr ausreichten. Endlose Diskussionen ließen der Worte Inhalt sinnlos erscheinen und ich suchte inmitten des Schweigens einen Weg, ihr etwas mitzuteilen. Sie, das war meine Frau - ebenso bemüht, mit mir Kontakt aufzunehmen und ebenso hilflos. Hatte die Zeit der Gemeinsamkeiten uns entzweit? Kannten wir einander zu gut, um noch Neues aneinander zu entdecken? Waren nicht alle Antworten schon im Vorhinein ersichtlich? Ich betrat den Blumenladen zögernd. Die erste Rose begrüßte mich mit ihrem Kelch voller Zärtlichkeit und den Dornen der ersten Jahre unserer Ehe. Wie eine Blüte erschien mir die Hoffnung zwischen mir und ihr, die wir beide pflegten. Jeder für sich. “Ich hätte gern genau die Rose in der Mitte“, lächelte ich die Blumenhändlerin an. Es war die erste Rose, die eine neue Art von Kontakt zwischen ihr und mir aufbaute. Wortlos und in Hoffnung gebettet - so nahm sie Platz an der Wand in unserem Wohnzimmer, nachdem meine Frau sie aus der Vase gerettet hatte - kurz vor dem Verblühen.
Eine Tüte Gummibärchen lag auf meinem Schreibtisch, eines Abends. Gummibärchen liebe ich nicht erst, seitdem Thomas Gottschalk ihnen zu internationalem Prestige verhalf. Gummibärchen liebe ich seit der Zeit, als Oma Wilhelmine jenen kleinen Kiosk unterhielt, an dem mein Schulweg mich jeden Tag vorbeiführte. Und die Gummibärchen waren von ihr, die die Rosen an der Wohnzimmerwand zu einem Strauss Erinnerungen zusammenband. Inzwischen war die zweite Rose dazugekommen. Ein “Dankeschön“ wortlos in die Kontaktaufnahme geschenkt, die immer schwieriger wurde. Die Blumenhändlerin hatte ihre Haarpracht geändert, sich attraktiv gestaltet, und mein Lächeln würdigte diesen Tatbestand. Meine Gedanken jedoch suchten die Rose, die meine Hilflosigkeit am Besten in ein “Dankeschön“ kleiden würden. Ein “Dankeschön“, an meine Frau gerichtet. Und sie fügte die auserwählte Rose dem Strauss an der Wohnzimmerwand hinzu, der mit jedem Jahr wuchs.
Geredet haben wir nie über die stille Zärtlichkeit zwischen uns. Die Zärtlichkeit von Rosen und Gummibärchen. Und immer, wenn meine Hilflosigkeit am größten war, schaute ich der Blumenhändlerin zu, die mit stets wechselndem Outfit scheinbare Schönheit in diese Welt lächelte. Ich lächelte zurück, bezahlte den Preis für die Rose am Bund im Wohnzimmer und ließ darin meine hoffnungslosen Versuche zu Blüten werden, die meine Frau sammelte - an der Wand in unserem Wohnzimmer.
Einen wirklichen Anlass für mein Verhalten gab es eigentlich nie. Genauso sporadisch lagen die Gummibärchen auf meinem Schreibtisch. So war sie halt, unsere Beziehung zueinander. Zärtlich und wortlos auf eine andere Art. Und genauso wortlos ging diese Beziehung zu Ende. Der Strauss Rosen hatte 12 Jahre erreicht. Den Zenit unserer Ehe. Die Blumenhändlerin verlor ihren besten Kunden und Thomas Gottschalk startet seine Werbekampagne für Gummibärchen. Ich aber verlor mehr. Das Schweigen wurde inhaltslos und unser Wohnzimmer kam zum Stillstand - zumindest, was das gebundene Stück Hoffnung an dessen Wand betraf. Eine Weile dachte ich, dass diese Entwicklung absehbar war. Bis ich jene Zärtlichkeit wiederentdeckte, die uns begleitet hatte. Eine Zärtlichkeit, die uns auch in einer Ehe zur Persönlichkeit werden lässt. Seitdem werde ich das Bild nicht mehr los, Gummibärchen auf ihr Grab zu streuen. Die Gummibärchen einer Ehe.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.04.2004.
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