Claus Helge Godbersen
Lagebesprechung Deutschland
- Inhalt -
- Das Gesetz der Straße
- In Deckung, Männer!
- Jeden Samstag Straßensperre
- Noch ein paar Vorschläge zur Rücksichtnahme
- Arroganz ganz unberechtigt
- Leere Worte an einem toten Tag
- Don Adolfo is back
- Hätten wir doch bloß das Geld vergraben, das wir im Leben versoffen haben...
- Willkommen auf der dunklen Seite
- Man will uns ausräuchern
- Noch ein paar Tips zum Detektivspielen
- Den Schweden entkommt man nicht
- Kopftuch runter, Bart ab, stillgestanden!
- Die verbotene Bibliothek
- Kleines Einmaleins für Abweichler
- Zu den Waffen!
Das Gesetz der Straße
Erinnert diese Überschrift Sie an Filme wie „Pulp Fiction“, „Traffic“ oder „Falling Down“ und Bücher wie „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“? Denken Sie an Bandenkriege, Drogenhandel, Penner und Prostitution? Okay, denken Sie ruhig - das kann nie schaden. Wenn Sie in einer Metropole wie Hamburg oder Frankfurt leben, haben Sie auch allen Grund dazu und vielleicht finden Sie ja eine Möglichkeit, Ihre Stadt ein bisschen sicherer zu machen.
Aber ich komme aus einer kleinen Stadt, in der man sich für gewöhnlich nur Gedanken über Jodsohle- und Moorbäder oder Marmelade macht und die langsam von Lübeck verschlungen wird (die Stadt, nicht die Marmelade). Dort sind die oben erwähnten Zustände Ausnahmefälle.
Aber trotzdem: Das Gesetz der Straße hat auch für solche friedlichen Gemeinden seine Paragraphen. Einer davon scheint zu besagen, dass man anderen Leuten höchsten zwei Sekunden in die Augen sehen darf und dann verpflichtet ist den Blick entweder zu senken oder aber aufmerksam Schaufenster, Mülleimer und Straßenlaternen zu beobachten. Natürlich gibt es auch noch die Option, wie Kaiser Wilhelm II. den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Wie auch immer: Ich muss mal im Schönfelder „Deutsche Gesetze der Straße“ nachlesen, was genau erlaubt ist; denn ich fürchte, dass ich ziemlich oft mit dem Blickkontakt-Paragraphen in Konflikt komme. Ich sehe mir nämlich viele der Gesichter, die ich täglich passiere, genauer und länger als zwei Sekunden an. Schon die eine oder andere Person hat mich zu interessanten Gedanken oder netten Tagträumen inspiriert. Die meisten befolgen jedoch - als brave deutsche Staatsbürger - den Wortlaut des Gesetzes der Straße und wenden ihren Blick von mir ab; seien es nun 16jährige Skater (Nun gut, sie müssen ja auch ständig nach unten gucken, um zu kontrollieren, ob ihr sich der Schritt ihrer Jeans noch modisch korrekt auf Kniehöhe befindet.), top gestylte junge Frauen (Verständlich, dass sie mich nicht ansehen - der Anblick meiner zeitlosen Kleidung und meiner ungegelten Haare ist sicher unerträglich.), ältere Herrschaften (Schon gut, mit 65 kriegt man den Nacken einfach nicht mehr gerade, das lässt sich nicht ändern.) oder Krawattenkrieger auf dem Weg ins Büro (Viel zu beschäftigt, um sich mit Fußvolk wie mir abzugeben.). Sie alle sind gesetzestreu und bürgerlich, ich dagegen bin der Rüpel, der ihnen in die Augen sieht ohne eine Nutzungsgebühr dafür zu entrichten!
Aber wenn solche Leute nach den erlaubten zwei Sekunden den Blick senken, das spannende Spiel der Pflastersteine verfolgen und diesen Nervenkitzel auskosten bis ich vorübergegangen bin, wird mir etwas klar: Leute, ihr seid mir hoffnungslos unterlegen! Ihr seid sogar zu schwach, um dem Blick eines Fremden fünf Sekunden Stand zu halten!! Ich könnte euch in die Tasche zwischen Uhr und Schlüsselbund stecken und würde das zusätzliche Gewicht kaum bemerken!!! Und besagt das Gesetz der Straße nicht auch, dass das Recht des Stärkeren gilt? Da kommen mir doch einige grausame Ideen...
Jetzt aber mal im Ernst, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger: Es ist peinlich, wie Sie sich benehmen! Und unhöflich ist es auch; in gewisser Weise suggeriert dieses Verhalten nämlich Folgendes: „Sehr geehrter Unbekannter, Sie sind uninteressanter als der Fitzel Papier, der da über die Straße flattert. Aus diesem Grunde sehe ich mich leider außer Stande, mein kostbares Augenlicht mit Ihrem Anblick zu belasten. Hochachtungsvoll, Ihr Passant Nr. 327 vom 29. August 2003.“
Dabei verpassen Sie viel! Im Gesicht des zotteligen Bikers, von dem Sie sich naserümpfend abgewandt haben, hätten Sie vielleicht die intelligentesten Augen der Woche entdeckt. Und wenn Sie das hübsche Mädchen mit der Narbe auf der Wange nur einen Moment länger angesehen hätten, hätte sie Ihnen vielleicht ein Lächeln geschenkt und außerdem hätten Sie Ihren Termin beim Dermatologen nicht vergessen. Alles ist möglich und alles Mögliche entgeht Ihnen. Dabei haben Sie nichts zu befürchten: Niemand stiehlt Ihnen Ihre Seele, niemand trifft Sie mit dem „bösen Blick“, und wenn tatsächlich mal jemand sagen sollte „Ey, was glotzt du’n so?!“, dann können Sie daraus ein Stück Menschenkenntnis gewinnen. Natürlich gibt es gewisse Situationen, zum Beispiel wenn Sie nachts unterwegs sind und Ihnen ein Haufen Betrunkener entgegenkommt - dann könnte Ihr Blickkontakt als Provokation aufgefasst werden. Wenn Ihre Gegenüber allerdings sowieso Streit suchen, könnten sie es genauso gut als Zeichen von Schwäche werten, wenn Sie ihren Blicken ausweichen und Sie erst recht als Opfer auswählen.
Alles in allem kann ich Ihnen mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass das es sich interessanter und entspannter lebt, wenn Sie die Gelegenheit nutzen und fremden Menschen ausgiebig in die Augen sehen (Natürlich sollen Sie niemanden, zum Beispiel in der U-Bahn, minutenlang anstarren.) und dann auch über das, was Sie gesehen haben, nachdenken.
Ich komme mir blöd vor, weil ich Dinge, die mir selbstverständlich erscheinen, in belehrendem Tonfall schreibe. Aber offenbar ist es vielen, zu viele Menschen noch nicht klar.
In Deckung, Männer!
Wer ein nicht-fiktives Buch schreibt, glaubt erfahrungsgemäß, die Lösung für ein oder mehrere Probleme zu kennen. Und wenn das schon nicht der Fall ist, so glauben die meisten Autor(inn)en von Sachbüchern doch wenigstens ein Problem erkannt zu haben, dem noch nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird.
So geht es auch mir; aber folgenden Gedanken kann ich weder mit Sicherheit als Problem bezeichnen, noch kenne ich eine Lösung.
Im Juni 2000 habe ich zehn Tage als Praktikant in einer Försterei verbracht. Eines Nachmittag saßen der Forstwirtschaftsmeister, drei Azubis, eine weitere Praktikantin und ich hinter der Werkstatt und grillten anlässlich des Geburtstags eines der Azubis. Dabei kam das Gespräch irgendwie auf den Umgang mit Nacktheit. Die Praktikantin erklärte, dass es ihr unangenehm sei, ihren Vater unbekleidet zu sehen, was bei den einschließlich mir fünf Männern auf Unverständnis stieß. Im Juni 2002 war ich mit der zwölften Klasse des Gymnasiums in Südfrankreich (bei St. Martin an der Ardèche, um genau zu sein; nettes Fleckchen, ist einen Besuch wert). In einer kleinen, gemischt männlich-weiblichen Runde erwähnte ein Mitschüler amüsiert, unser Busfahrer habe eine knappe rosa Badehose getragen und man habe „voll seine Kanone sehen“ können. Darauf hin entfuhr einer anwesenden Mitschülerin ein lautes „Iiieeeh!“. Im August 2003 ging eine Diskussion über den jüngsten Umbau in der städtischen Schwimmhalle durch die lokale Zeitung. Besonders Frauen erregten sich darüber, dass es nun kaum noch geschlossene Umkleidekabinen gibt und man im Zweifel einen offenen Umkleidebereich, der nur unzureichend nach Geschlechtern getrennt ist, nutzen muss. Eine Journalistin schrieb für die „Schleswiger Nachrichten“ vom 28. August 2003:
„Es gibt viele Frauen, die möchten nicht nackt gesehen werde - sie wollen ebenso wenig Vertreter des anderen Geschlechts in natura betrachten. Schließlich trifft man sich im kleinen Schleswig auch bei anderen Gelegenheiten oft wieder.“
So wurde ich immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass vielen Frauen die Betrachtung der männlichen Blöße unangenehm ist. Dagegen habe ich noch von keinem Mann gehört, es sei ihm peinlich, eine nackte Frau zu sehen. Außerdem tragen Frauen oft so enge und knappe Badehosen, dass man(n) sich beim Betrachten einer Badenixe fragt, ob diese Falte im Schritt daher rührt, dass sich... ähem, Verzeihung... die nasse Textilie zwischen den Schamlippen eingeklemmt hat. Und auch daran hat noch kein Mann Anstoß genommen. Was ist also mit den Frauen los - oder was stimmt mit dem Männerkörper nicht?
Noch verwunderlicher wird das Thema für mich, wenn ich bedenke, dass Menstrip-Shows nicht über Zuschauerinnen-Mangel klagen können. Immer wieder sieht man im Fernsehen Frauen jeden Alters den „California Dream Men“ und ähnlichen Kombos zujubeln. Sind solche Reportagen (z. B. „Wa(h)re Liebe“) etwa getürkt? Sind die Frauen, was den Unterleib von Männern betrifft, in zwei Lager gespalten? Oder führen unsere Mütter, Töchter, Schwestern und Ehegattinnen ein Doppelleben?
Ich stellte einem Freund diese Frage und er meinte, es sei einfach die von der Wirtschaft manipulierte Mode. Den Frauen würde suggeriert, ihre Nacktheit oder Fastnacktheit sei nicht obszön sondern sexy, wohingegen dieses Dogma nicht für Männer gelte.
Und was ist nun die Wahrheit? Wenn Sie ein Frau sind, können Sie mir vielleicht dabei helfen, das andere Geschlecht besser zu verstehen. Was denken Sie im Bezug auf nackte Männer?
Jeden Samstag Straßensperre
Eigentlich nicht nur jeden Samstag, sondern immer, wenn viele Leute meinen dringend einkaufen zu müssen, mache ich eine seltsame und lästige Beobachtung: Dort, wo die Einkaufswagen in drei Schlagen darauf warten, abgeholt und abgefüllt zu werden, bildet sich im Laufe des Tages
eine lange Schlange. Lassen Sie uns mal ein bisschen rechnen - sagen wir, 60 Einkaufswagen sind von den Angestellten des Einkaufszentrums auf drei Reihen verteilt worden... das macht 20 pro Reihe, richtig? Gut, mehr passen in die Unterstände auf dem Parkplatz nicht rein. Nun kommen all die Kunden (Sie und ich und viele mehr), holen die Wagen ab, kaufen ein und bringen die Wagen zurück. Komischer Weise wird aber meistens eine der drei Reihen bevorzugt, um die Wagen wieder abzustellen. So enden etwa 50 der (vormals auf drei Reihen verteilten) 60 Stück in einer Reihe. Können Sie mir noch folgen? Sehr schön, dann ist es sicher auch nicht schwer zu verstehen, dass diese eine Reihe viel länger wird als die ursprünglichen drei, oder?! Und diese eine lange Lieblingsreihe, die wir Kunden so fleißig gebaut haben, wächst dann langsam aber sicher über die ganze Straße (bzw. Durchfahrtgasse auf dem Parkplatz), so dass irgendwann nur noch ein Pkw durchkommt - wenn überhaupt. Dass das eine lästige Situation ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Aber ich finde, wir sollten dafür sorgen, dass es anders wird - ist doch zu blöd! Und es geht ganz einfach: wenn nur alle Kunden darauf achten, die Einkaufswagen gleichmäßig auf alle Reihen zu verteilen; das bedeutet, den Wagen immer dort abzustellen, wo die wenigsten stehen. Und noch eine Kleinigkeit verdient unsere Aufmerksamkeit: Wir müssen darauf achten, möglichst gerade Reihen zu bauen; denn sonst kann es schnell passieren, dass eine lange, schiefe Reihe den Zugang zu einer kürzeren blockiert.
Wenn wir uns an diese zwei einfachen Benutzungsregeln halten, werden wir bei „real“, „Magnet“, „famila“ und anderen Großmärkten nicht nur unbegrenzten Einkaufsspaß, sondern auch freie Fahrt auf dem Parkplatz haben.
Ein paar Gedanken möchte ich noch loswerden zu der Frage, wie bei einer so einfachen Sache immer wieder der gleiche Fehler passieren kann.
Erster Grund: Viele Leute sind extrem gestresst und empfinden das ständige Einkaufen außerdem als lästige Pflicht, die sie möglichst schnell hinter sich bringen wollen. (Eigentlich sollte man sich glücklich schätzen, nicht zu den Millionen Menschen zu gehören, für die selbst das Sattwerden ein Problem ist.) Deshalb wird wahrscheinlich auch der Einkaufswagen gedankenlos irgendwie, Hauptsache schnell, abgestellt. Zugegeben, man spart ein paar Sekunden, wenn man ihn in die längste Schlange stellt anstatt ein paar Schritte weiter ans Ende einer kürzeren zu gehen. Machen Sie noch eine kleine Mathestunde mit? Wenn Sie dreimal in der Woche Großeinkauf machen, sind das bei 52 Wochen 156 Großeinkäufe im Jahr. Sparen Sie bei jedem Einkauf 5 Sekunden durch Nutzung der längsten Wagenreihe, sind das 780 Sekunden im Jahr, also 13 Minuten. Wollen Sie nicht eine knappe Viertelstunde im Jahr opfern, um das Einkaufen für uns alle angenehmer zu machen?
Zweiter Grund: Manche Leute haben eine fast panische Angst davor, aufzufallen, anders zu sein. (Das hängt mit der Furcht vor Isolation zusammen - nachzulesen in Erich Fromms meisterhaftem Buch „Die Kunst des Liebens“.) Und Auffallen fängt schon damit an, eine lange, schiefe Wagenschlange ein Stück zur Seite zu schieben, um an die kürzeste heranzukommen. Wenn Sie mal jemanden sehen, der sich tatsächlich diese Mühe macht, dann bin das wahrscheinlich ich. Probieren Sie es doch auch mal! Es mag nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein - aber Sie machen unsere Welt auf diese Weise ein winziges Stückchen besser, und auch das Zischen eines kleinen, verdampfenden Tropfens wird von irgendwem gehört. Außerdem fühlt es sich verdammt gut an, eine der eigenen inneren Barrieren überwunden zu haben.
Noch ein paar Vorschläge zur Rücksichtnahme
Wenn Sie Ihren täglichen Beitrag zur Umweltentlastung leisten und die leeren Schlagsahnebehälter, Katzenfutterdosen, Konservendosen und überhaupt alles, was irgendwie schmierig oder klebrig ist, in den gelben Sack werfen - halten Sie doch mal einen Moment inne. Was passiert eigentlich mit dem Inhalt dieses Sacks, wenn er abgeholt worden ist? So genau kann ich Ihnen das auch nicht sagen, aber den ersten Schritt kenne ich: Der Sack wird von ungelernten Arbeitern geöffnet, die die verschiedenen darin enthaltenen Dinge nach irgendeinem System sortieren. Nun haben die Kompott- Hundefutter- Thunfisch- und Streichkäsereste aber mindestens ein paar Tage außerhalb des Kühlschranks zugebracht; Sie können sich also denken, dass unsere Müllsortierer einen ziemlich ekligen Job zu verrichten haben. Aber man - zum Beispiel Sie - könnte dem leicht ein Ende machen, wenn man die Plastik- Metall- und Verbundstoffwaren abspült, wenigstens vom gröbsten Schmutz befreit, bevor man sie entsorgt. Und auch Sie könnten eines Tages arbeitslos dastehen und händeringend nach einer Arbeit für 6,10 Euro (oder weniger) die Stunde suchen.
Es gibt Leute, die müssen sogar sonntags früh aufstehen. Und dann gibt es noch Sonderlinge wie mich, die gerne früh ins Bett gehen und früh aufstehen. Solche Leute haben es gar nicht gerne, wenn ihre Nachbarn den Samstagabend zu einer kleinen aber lautstarken Feier nutzen. Abgesehen davon, dass ich mich kein bisschen wohlfühlen könnte, wenn ich wüsste, dass irgendwo in der Nähe jemand ist, den oder die ich vom Schlafen abhalte oder auch nur davon, in Ruhe zu lesen, haben Freunde von lauter Musik am Feierabend offenbar noch nie darüber nachgedacht, was ihnen blühen könnte. Ich jedenfalls könnte mir gut vorstellen, mich zu rächen indem ich um fünf Uhr morgens meine Stereoanlage bis zum Anschlag aufdrehe: „No Sleep till Hammersmith!“ - Motörhead wird schon dafür sorgen, dass diese Störenfriede in Zukunft an mich denken. Dabei bin ich selbst ein großer Musikliebhaber und habe mich beim letzten Metallica-Konzert in der Berliner Wuhlheide königlich amüsiert! Aber wenn laute Musik, dann bitte so, dass niemand in seinen eigenen vier Wänden gestört wird. Deshalb sollten auch alle Stadtväter und -mütter und Raumplaner(innen) beim Anlegen eines solchen Veranstaltungsortes darauf achten, dass alle Wohngegenden außer Hörweite liegen. Andernfalls sind Konflikte vorprogrammiert.
Ich gehe gern ins Schwimmbad. Schwimmen ist eine sehr ganzheitliche Sportart und damit, denke ich, auch eine sehr gesunde. Es gibt - soweit meine Beobachtungen - zwei Sorten Schwimmhallenbesucher: Die einen wollen trainieren und in Ruhe ihre Bahnen ziehen, die anderen wollen lieber ein bisschen rumplanschen und sich mit Freunden unterhalten. Ich finde, diese zwei Gruppen nehmen viel zu wenig Rücksicht aufeinander. Die Planscher schwimmen mal ein, zwei Bahnen und stellen sich dann zehn Minuten oder länger schwatzend im flachen Bereich auf, so dass den Sportschwimmern oft nur noch die halbe Beckenlänge bleibt. Für letztere ist in manchen Schwimmbädern eine Bahn abgetrennt, wo es möglich sein sollte, ungestört dem Geschwindigkeitsrausch zu frönen. Aber auch dort machen es sich hin und wieder Leute am Beckenrand für einen kleinen Plausch bequem. Die Rekordjäger, vielleicht aus Frust über diese Respektlosigkeit gegenüber ihren Hoheitsrechten, sind jedoch ebenso selten kompromissbereit: Kürzt mal ein kleines Kind oder eine schwerfällige, alte Person den Weg zum Beckenrand über die Überholspur ab, dann wird im Geiste die Lichthupe betätigt und gnadenlos durchgezogen. Gerade in kleineren Städten, die oft das regionale Zentrum für die umliegenden Dörfer darstellen, sind die Schwimmbäder schnell überfüllt. Da wäre es wirklich angebracht, aufeinander Rücksicht zu nehmen und zu überlegen, ob man andere vielleicht behindert und wie sich das verhindern ließe. Wenn zum Beispiel drei Freundinnen ins sowieso schon gut besuchte Schwimmbad gehen, müssen sie ja nicht unbedingt gemächlich nebeneinander schwimmen, sich dabei unterhalten und somit drei Bahnen „blockieren“. Es wäre eine Alternative, „im Gänsemarsch“ ein paar flotte Bahnen zu absolvieren und dann außerhalb des Beckens eine Verschnauf- und Konversationspause zu machen. Diese Prozedur lässt sich beliebig oft wiederholen und entlastet den Betrieb im Wasser ganz ungemein!
(Mehr zum Thema „Rücksichtnahme“ finden Sie unter „Den Schweden entkommt man nicht“)
Arroganz ganz unberechtigt
Ich will gar nicht erst fragen, zu welcher Sorte Mensch Sie gehören, aber manche Leute bräuchten dringend eine Lektion in Bescheidenheit, soviel steht fest! Und damit meine ich nicht Bescheidenheit im materiellen Sinn, sondern vielmehr was die Hochschätzung der eigenen Person und Geringschätzung anderer angeht. Manch ein Zeitgenosse blickt auf (gerade ungelernte) Fabrikarbeiter, Lagerarbeiter oder Müllmänner herab, als hätten diese entsprechend ihrem niedrigen Lohn auch einen niedrigen menschlichen Wert. Zugegebenermaßen haben viele von ihnen wenig Phantasie, ein schlechtes Bildungsniveau, ein altes oder sogar kein Auto, ungekämmte Haare, tätowierte Arme und noch nie in St. Tropez Urlaub gemacht, aber sie haben auch einen großen Vorteil: Sie machen die Arbeit, die den Verwaltungsbeamten, Anwälten, Offizieren, Architekten, Bankiers und Wirtschaftsbossen zu dreckig, zu langweilig, zu anstrengend ist. Sie sorgen dafür, dass unsere Mülltonnen leer sind, wenn wir sie von der Straße holen und dass wir Konservenprodukte und Toilettenpapier kaufen können, wann immer uns der Sinn danach steht - kurzum: Sie sorgen dafür, dass der Laden läuft. Wer also eine Mülltonne oder Toilettenpapier benutzt oder Würstchen aus dem Glas isst, kann sich Überheblichkeit gegenüber dem arbeitenden Fußvolk überhaupt nicht erlauben. Und wer der Meinung ist, es sei menschenunwürdig, acht bis zehn Stunden am Tag Fließbandarbeit zu verrichten, der muss auch für sich selbst die Konsequenzen ziehen: Entweder weniger „Fließbandprodukte“ kaufen oder sich dafür einsetzen, dass diese unter angenehmeren Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Wobei eigentlich nur letzteres wirklich sinnvoll ist; Produkte aus Massenherstellung zu boykottieren wäre vermutlich ein rücksichtsloses Vorgehen gegenüber Leuten, die froh sind, mit ihrem schlechten Hauptschulabschluss überhaupt Arbeit zu finden.
Arrogant oder wenigstens verständnislos sind viele Bürger auch gegenüber Obdachlosen. „Anstatt zu betteln sollen die sich doch Arbeit suchen!“, schimpft Frau Schmidt, während sie die prall gefüllten Plastiktüten von Rossmann® und New Yorker® in den Kofferraum ihres neuen Renault Twingo® hievt. Gestatten Sie mir eine Frage: Mit wie vielen Obdachlosen haben Sie denn schon gesprochen? Oder woher wissen Sie, dass keiner von denen versucht hat Arbeit zu finden? Ach so, außerdem finden Sie die Art und Weise, wie diese Kerle immer da sitzen - auf den Knien, den Pappbecher in der Hand, flehend zu den Passanten aufblickend - penetrant und theatralisch, verstehe. Kann ich nachvollziehen, geht mir manchmal ähnlich. Aber leider sehe ich auch keine Straßenzeitung in Ihren Beuteln: „Hempels“ in Schleswig-Holstein, „Motz“ in Berlin, „Hinz & Kunzt“ in Hamburg, „The Big Issue“ in London... Selbst in den Einkaufszentren kleiner Städte wie Husum kann man die Verkäufer von solchen Blättern antreffen. Und diese Leute betteln nicht - sie arbeiten: Teilweise bei Minusgraden stehen sie stundenlang an der Laterne und warten auf Käufer. Da haben Sie Ihre Möglichkeit, armen Menschen zu helfen sich selbst zu helfen. Darüber hinaus bekommen Sie interessante Lektüre, die besser über regionale Probleme informiert als die meisten Tageszeitungen. Eigentlich müssten diese Magazine weggehen wie warme Semmel mit Butter und Marmelade drauf! Aber nein - offenbar ist es doch nicht so wichtig, denen zu helfen, die sich anstrengen, aber bisher wenig Glück hatten... Wenn wir uns das nächste Mal treffen, liebe Frau Schmidt, möchte ich zwischen Ihren Kosmetikartikeln und Dessous auch die neueste Ausgabe der lokalen Straßenzeitung sehen, sonst hagelt’s aber!!!
Leere Worte an einem toten Tag
Diese Überschrift ist ein Zitat. Woher? Erraten Sie nie! Aus dem Lied „Leere Worte“ vom Album „Viva los Tioz!“. Komponisten? Die unverbesserlichen Böhsen Onkelz, die Prügelknaben der deutschen Musikbranche. Aber ich will hier keine Ausführungen tätigen über die ewige Frage, ob die Vier noch Nazis sind oder nicht, sondern ich will auf Orte hinweisen, an denen besonders viele leere Worte gesprochen werden.
Nicht etwa der Bundestag, sondern die deutschen Schulen. Zwar verdient auch die Politik Beachtung als Urheberin vieler leerer Worte, aber mit der Schule habe ich mehr Erfahrung. Schulen stehen ständig im Kreuzfeuer, und ständig müssen die Leerer... ‘tschuldigung... Lehrer sich anhören, wie schlecht sie ihren Job machen; regelmäßig werden die schlechten Schüler als Beweis für die Faulheit und Unfähigkeit der Dozenten herangezogen. Das mag alles richtig sein, aber es müsste auch mehr über die vielen ambitionierten Lehrer gesprochen werden, die oft bis spät in die Nacht arbeiten, um sich interessante Unterrichtskonzepte auszudenken und die Klassenarbeiten möglichst schnell zurückzugeben.
Trotzdem fehlt an unseren weiterführenden Schulen (jedenfalls an den Gymnasien; über Haupt- und Realschulen weiß ich wenig) etwas sehr Wichtiges: die ernsthafte Erziehung der Jugendlichen zu selbständig denkenden und handelnden Individuen. Die immer wieder aufflackernde Diskussion über Schuluniformen ist ein Symptom dieses Umstandes. Es ist nämlich richtig, dass unter Schülern Konflikte auftreten, die mit teurer Markenkleidung oder deren Fehlen zusammenhängen. Das jedoch rührt maßgeblich daher, dass weder die Schule noch die Eltern genug unternehmen, um ihre Schützlinge vor der Manipulation der Wirtschaft zu schützen. Den Jugendlichen wird nicht klargemacht, dass ihr persönlicher bzw. menschlicher Wert nicht davon abhängt, wie konform sie mit den aktuellen Trends sind. Zu viele hinterfragen die Handlungen von Modeschöpfern und Trendsettern überhaupt nicht, sondern achten nur darauf, welcher Kleidungsstil sich wohl als am coolsten, welche Disco als am angesagtesten, welche Girlband als gerade am in-sten, welcher Skandalrapper als am schockierendsten für die Eltern und welches englische Wort als am nichtssagendsten herausstellt. Und so klagt der Verein Deutsche Sprache über das allgegenwärtige „denglisch“, schimpfen die Alten über die unmögliche Kleidung der Jungen und jammern Politiker über die zunehmende Politikverdrossenheit insbesondere junger Menschen.
Aber die Damen und Herren des Lehrkörpers, Hüter unseres Kulturschatzes, waschen ihre Hände in Unschuld. Sie geben sich damit zufrieden, wenn die mündliche Leistung von Oberstufenschülern darin besteht, einen gelesenen Text wiederzugeben und komplexe Fragen mit ein-Wort-Antworten wie „Infrastruktur“ und „Globalisierung“ (Erdkunde), „Kompositionslinien“ und „Farbe-an-sich-Kontrast“(Kunst) oder „Reziprozität“ und „oligotroph“ (Biologie) zu beantworten. Unter anderem ist auch die sprachliche Ausdrucksfähigkeit unserer Abiturienten in einem desolaten Zustand. (Ich weiß es - ich habe mein Reifezeugnis erst vor einigen Monaten erhalten. Urteilen Sie selbst, ob ich eine Ausnahme bin oder nicht.)
Der heutzutage an den Schulen herrschende Liberalismus sieht es weitgehend als Privatsache der Schüler an, wie ordentlich oder unordentlich die Ranzen gepackt sind, wie sie sich in ihrer Freizeit verhalten und wie sie gekleidet sind. Das ist sicherlich besser als die Unterdrückung, die vor fünfzig Jahren Gang und gebe war, aber vielen jungen Leuten bekommt diese Freiheit (gepaart mit einem bis dato ungekannten jugendlichen Wohlstand) nicht. Sie werden nur noch als Einheiten potentieller Kaufkraft angesehen und zu Spielbällen der Kräfte unserer sozialen Marktwirtschaft (Die soziale Komponente muss ich mir nochmal erklären lasen.) Wie ein weiser Grundschulpädagoge einmal zu seinen Dreikäsehochs, unter denen auch ich mich befand, sagte: „Ihr hört nicht mehr die leisen Stimmen. Die leisen Stimmen schreien schon und ihr hört sie trotzdem nicht!“ Wenn er geahnt hätte, dass seine lieben Kleinen die leisen Stimmen, von denen er sprach, in ein paar Jahren mit den leisen Stimmen aus der Fernsehwerbung verwechseln würden, hätte er sich vermutlich eine andere Metapher ausgedacht, um ihnen die Begriffe Eigenverantwortung und Gewissen nahezubringen.
Ja, ich gehe soweit zu sagen, dass es einer erschreckend großen Anzahl meiner Altersgenoss(inn)en aus gutem Hause an Gewissen fehlt! Wie sonst ließe sich erklären, dass sie ihr reichhaltiges Taschengeld und den Verdienst aus ihrem Nebenjob beim Pizzaservice oder bei „Janny’s Eis“ samt und sonders für edlen Zwirn, Discobesuche, CDs, Reisen in die Touristenhochburgen des Südens und Benzin verticken? Wenn ihr alle, liebe ehemalige Mitschülerinnen und Mitschüler, nur einmal im Jahr die Kosten einer neuen Jeans für einen guten Zweck spenden würdet, könnte man der ausbeuterischen Kinderarbeit in Ägypten (Suchen Sie mal im Internet – Sie werden schnell fündig werden.), dem Kinderstrich in Bangkok (Fragen Sie mal Ihren Gemeindepastor.) und den Kindersoldaten in Liberia (siehe z. B. Scholl-Latour, „Afrikanische Totenklage) viel wirkungsvoller entgegentreten. Und noch etwas, was möglicherweise von mangelndem Gewissen zeugt: Kurz vor dem mündlichen Abitur hat ein ehemaliger Mitschüler ein kollektives Blutspenden organisiert. Obwohl wir vom Roten Kreuz in höchsten Tönen gelobt wurden, richtete sich mein Augenmerk auch auf die Tatsache, dass von etwa 75 Abiturienten nur knapp 30 gespendet haben. Für eine Gruppe junger, gesunder Leute ist das ein etwas enttäuschendes Ergebnis, finde ich.
Um zu den an Schulen üblichen leeren Worten zurückzukommen: So ziemlich alle Schüler(innen) sind von der Schule mehr oder weniger genervt. Diesen Zustand haben alle Beteiligten - Schüler, Lehrer, Eltern, Kultusminister... inzwischen offenbar als unabänderlich akzeptiert. Dabei ist dieser Zustand keineswegs akzeptabel und keineswegs menschlich; Lernen kann und sollte stets eine angenehme Beschäftigung sein. (Seit ich nicht mehr zur Schule gehe, verbringe ich den größten Teil meiner Freizeit damit, Sprachen zu lernen, mich im Bezug auf das Weltgeschehen zu bilden, künstlerisch tätig zu sein, Sport zu treiben und... naja... zu schreiben eben. Spaß muss keineswegs unproduktiv sein und ein kleines abendliches Besäufnis von Zeit zu Zeit steht dazu ja nicht im Widerspruch.) Und besonders die Schüler sollten sich aufraffen und etwas gegen die Langeweile an Schulen unternehmen - wirklich gute, charakterlich für ihren Beruf geeignete Lehrer werden solchen Bemühungen stets entgegenkommen! Als Schüler muss man jedoch bedenken, dass gerade gute, engagierte Lehrer sich meistens mit ihrer Schule identifizieren und Kritik, die Schüler arglos vorbringen, etwas persönlicher nehmen. Einmal wurde der neue Direktor meiner ehemaligen Schule von dem lokalen Tagesblatt interviewt, wie sein bisheriger Eindruck von der Schule sei. Kurz gesagt: Er lobte sie in höchsten Tönen und von Problemen fiel kein Wort bzw. wurde kein Wort gedruckt. Daraufhin setzte ich mich mit zwei Mitschülern und einer Mitschülerin zusammen und wir verfassten einen Leserbrief, der sozusagen das negative Gegenstück zum Artikel war: Wir ließen kein gutes Haar an unserer Schule. Am Tag seines Erscheinens bereiteten wir uns darauf vor, dass die Lehrer, die wir beim Verfassen unserer Pamphlets im Gedächtnis hatten, geknickt oder erbost sein würden und die unserer Meinung nach guten Lehrer uns hinter vorgehaltener Hand loben würden. Wir sollten uns noch wundern... Ein Lehrer, vor dem wir großen Respekt hatten, erzählte uns von einem beinahe-Familienkrach, den unser Leserbrief bei ihm zu Hause ausgelöst habe. Ein anderer ähnlich beliebter Dozent forderte mit gezügelter Wut eine Erklärung von uns. Eine weitere, recht engagierte Lehrerin sprach von einem Güllefass, das wir umgekippt hätten. Und die Schlafwandler, ungerecht-Benoter, Meckerer und auf-kosten-der-Schüler-Witze-Macher unter den Lehrern, denen wir eins auswischen wollten? Die gingen zum Unterricht über wie jeden Tag oder erwähnten vielleicht beiläufig, dass sie den ganzen Zirkus um diesen Leserbrief nicht verstünden. Gratulationen erhielten wir dagegen von Schülern der gesamten Oberstufe, unsere Eltern wurden von ihren Kollegen begeistert angesprochen, mein Kieferorthopäde und eine Nachbarin sprachen mir ihren Beifall aus. (Bei der Überreichung der Abiturzeugnisse raunte der Direktor, der sich während des ganzen „Leserbrief-Skandals“ stets vorbildlich diplomatisch verhalten hatte, mir, für die anderen Schüler und das Publikum unhörbar, ins Ohr: „Und Ihre Kritik war berechtigt!“ Ich muss zugeben, dass ich davon überrascht und, auch das muss ich zugeben, geschmeichelt war. Ich hoffe, ich haue ihn mit der Veröffentlichung dieser Aussage nicht in irgendeine Pfanne.) Was mich jedoch wirklich enttäuscht hat, ist die Tatsache, dass niemand von der Passage Notiz zu nehmen schien, in der wir unsere Schule als
„...Schule, auf der selbständig denkende Schüler das Gefühl haben, ihre Individualität werde eingeschränkt,...“ („Schleswiger Nachrichten“ vom 21. 1. 2003) bezeichnet hatten. Ich hielt es für den härtesten Kritikpunkt von allen, gegen den die Schule sich heftigst hätte zur Wehr setzen und wir große Zustimmung erhalten müssen. Nichts!
Überhaupt kann ich mich nur an ein einziges Mal erinnern, dass eine Lehrerin uns Schüler auf unsere individuelle Verantwortung hingewiesen hat. Ihre Worte waren sinngemäß: „Reden Sie sich nicht immer damit heraus, dass Sie manipuliert werden! Sie sind selbständige, erwachsene Menschen.“ Gehen wir davon aus, dass ich zwei oder drei weitere Ermahnungen dieser Art vergessen habe, dann ist das auf neun Jahre verteilt immer noch verdammt armselig. [Fortsetzung im nächsten Kapitel]
Don Adolfo is back
Haben etwa so Wenige erkannt, dass es unserer Gesellschaft zunehmend an Individualität mangelt und auch die Schulen wenig dagegen tun oder sich diesem „Trend“ sogar anschließen? Die heutige Uniformität wird von keinem kriegsflottengeilen Kaiser oder als Maler gescheiterten Diktator vorgeschrieben, sondern von dem schwer durchschaubaren Kräftespiel aus Profifußball, Bekleidungsindustrie und der Popstar-Hexenküche von Dieter Bohlen (als Handlanger seines englischen Hintermannes Simon Fuller). Wir dürfen uns einen Bundesliga-Verein aussuchen, dessen Hochs und Tiefs wir mitgenießen und -erleiden wollen (da unser eigenes Leben nichts als Routine hergibt), wir dürfen uns zwischen elegantem, sportlichem oder Skater-Kleidungsstil, die alle gleichermaßen überteuert sind, entscheiden und wir dürfen uns aussuchen, ob der neue Superstar Juliette Schoppmann, Daniel Kübelböck oder Alexander Klaws heißen soll - und wer schließlich Unterschiede zwischen ihrem gleichklingenden Pop-Gedudel findet, wird zum Superdetektiv gekürt! Und es werden keine Alliierten kommen, die uns von diesem Joch der Dummheit befreien - diesmal sollten wir dem neuen Graf Stauffenberg (wer immer es ist) wirklich die Daumen drücken, dass er die Bombe glücklicher plaziert als am 20. Juli. Das Problem ist nur, dass der unsichtbare Führer inzwischen in unser aller Köpfen kleine Wolfsschanzen errichtet hat. Der Befreiungsschlag wird also weh tun!
Aber noch ein weiteres Problem tut sich auf - wir kennen es aus Arnold Schwarzeneggers „Predator“: Wie kämpft man gegen einen unsichtbaren Feind? Es wurde keine Kriegserklärung abgegeben, auf der Munition, mit der wir beschossen werden, steht nicht „made in U.S.“ oder „produce of France“, kein gegnerischer General prophezeit unsere Niederlage und die Gefangenenlager sind nicht von Stacheldraht und Wachtürmen umzäunt. Im Gegenteil, wir halten uns für freie Menschen in einem demokratisch geführten Land, die sich unabhängig ihre Meinung über die verschiedenen Aspekte des Lebens bilden. Dabei ist es doch ganz offensichtlich, dass selbst der oder die Intelligenteste, Erfahrenste, Einflussreichste, Kritischste von den Informationen abhängig ist, die ihm oder ihr die Medien zugänglich machen. Wenn man nicht selbst die Krisengebiete der Welt bereist, kann man das Risiko der - absichtlichen oder unabsichtlichen - Falschinformation nur verringern, indem man möglichst viele verschiedene Nachrichtenquellen konsultiert; ausschließen lässt sich dieses Risiko jedoch nie. Trotzdem halten selbst Menschen, die sich nicht einmal die Mühe machen ihre Morgenzeitung zu überfliegen oder im Badezimmer die Rundfunknachrichten zu hören, sich für frei. Und das Dollste ist, dass wir niemanden anklagen können uns unsere Freiheit genommen haben. Jeder von uns hat das Recht eine Partei zu gründen, eine Randpartei, die wirklich neue Dinge wagen würde, zu wählen, klassische Musik oder Punkrock zu hören oder aufs Land zu ziehen und Selbstversorger zu werden. Wir haben sogar das Recht den Fernseher abzuschalten - aber wir fürchten uns offenbar vor dem dunklen Tal, dass sich auftut, sobald wir auf die dunkle Mattscheibe starren. Anstatt in die Fratzen unserer eigenen Dämonen zu blicken, blicken wir lieber in das geschminkte Gesicht der schönen Frau, die uns lächelnd auffordert: „Also bleiben Sie dran!“. Wir haben unsere Freiheit selber abgegeben, weil die Fresswelle, die Autowelle, die Reisewelle und der ganze Luxus und Wohlstand, den das Wirtschaftswunder mit sich brachte, unendlich schien und viel zu spaßig war, um sich mit Dingen wie Politik zu beschäftigen. Keine Experimente! Und als der alte Adenauer weg vom Fenster war, hatte man sich an diesen Zustand wohliger geistiger Untätigkeit offenbar gewöhnt. Das konnte selbst die 68er-Bewegung nicht wieder vollständig gutmachen.
Als im kleinen Schleswig einmal eine öffentliche Kundgebung gegen Rassismus stattfand, habe ich etwas beobachtet, das mir gewaltig zu denken gab. Es sprach der Bürgermeister, doch seine Worte waren in der Entfernung, in der ich von der Bühne stand, schlichtweg nicht zu verstehen. Bei offenbar besonders weisen Passagen seiner Rede applaudierten diejenigen, die nah genug waren, um ihn zu verstehen. Dieser Beifall pflanzte sich jedesmal auf wundersame Weise bis zu dem Punkt fort, wo ich mich befand, wo man nichts verstand. Die Leute applaudierten ohne zu wissen wofür! Solche Leute sind die Gefahr, dachte ich mir und denke es immer noch. Solche Leute, die im Herdenverhalten - als Masse stark zu sein - Genugtuung finden, sind voller Begeisterung in den Ersten Weltkrieg marschiert. Solche Leute, denen diese komische Sache mit der eigenen Meinung zu kompliziert und riskant erscheint („Überlassen wir das denen, die dafür bezahlt werden und die dafür brav bei der Jungen Union den Versammlungsraum gefegt haben.“), haben damals Hitler gewählt und würden es womöglich auch heute wieder tun, wenn Addi sich nur eine neue Verkaufsstrategie ausdenken würde. Die paar überzeugten Rassisten fallen da kaum ins Gewicht.
Hätten wir doch bloß das Geld vergraben,
das wir im Leben versoffen haben...
Ich gehöre nicht zu den Menschen, die das Geld verdammen und für den Großteil allen Übels auf der Welt verantwortlich machen. Im übertragenen Sinne mag diese Behauptung zwar stimmen, aber sie kann auch zu Verwirrung und Ablenkung von eigentlichen Problemen führen. Meiner Meinung nach sind vielmehr die Gepflogenheiten im Umgang mit Geld ein Ausdruck menschlicher Fehler, die sich in einem geldfreien System auch bemerkbar machen würden - nur eben anders. Deshalb kann ich die Einstellung von Leuten, die sich für den völligen Verzicht auf Geld entscheiden (Ein paar solcher Leute gibt es in Deutschland - klingt komisch, ist aber so.), auch nur begrenzt gutheißen. Wenn so etwas in unserer modernen, komplexen, neuen Ideen gegenüber nur mäßig aufgeschlossenen deutschen Zivilisation stattfindet, zeugt es auf jeden Fall von Mut; und Mut ist etwas Gutes, wovon wir unbedingt mehr brauchen. Innerhalb einer Gesellschaft, deren Fundament maßgeblich aus Geld besteht (andere Zutaten sind Konventionen, Christentum, Obrigkeitsglaube u. v. m.) ist der Verzicht auf den Gebrauch von Geld außerdem ein Zeichen (oder ein Hilfeschrei?) von extremer Deutlichkeit. Das Problem ist jedoch, dass die Meisten vermutlich falsch darauf reagieren: Die Einen werden glauben auf Geld zu verzichten sei der Weg zur Erlösung, den wir suchen, seit wir dem Erlöser ein Ticket ohne Rückfahrschein nach Golghata spendiert haben. Die anderen wird die Extremheit dieses Zeichens (unbewusst) erschrecken und sie werden die betreffende Person als verrückt, naiv oder links abstempeln.
Deshalb bin ich nicht sicher, ob es sich lohnt Geld aus seinem Leben zu verbannen oder ob man nicht lieber versuchen sollte, viel Geld zu verdienen und einen Teil davon für sinnvolle Zwecke zu spenden.
Kommen wir nun zu der unleugbar großen Rolle, die Geld in unserem tägliche Leben spielt. Jeden Tag lesen wir in der Zeitung (vorausgesetzt wir lesen sie überhaupt) über Geld: Geld, das George W. Bush sammelt, um seine nächsten Wahlkampf-Parties zu finanzieren; Geld, das die Politiker in die nächste Diätenerhöhung stecken wollen (Hey, kennt ihr schon den Witz von dem Arbeitgeber, der seinen Angestellten erlaubt hat, ihre Löhne selbst festzulegen?); Geld, das Deutsche gespendet haben, um für ein armes Kind aus dem Balkan eine lebensrettende Operation zu finanzieren; Geld, das an den Schulen fehlt; Geld, das im Gesundheitswesen fehlt; Geld das den Städten und Kommunen fehlt...
Wenn es auch gelegentlich gute Nachrichten im Zusammenhang mit Geld gibt - ich habe eben versucht es beispielhaft darzustellen - lautet die Botschaft doch meistens, dass Geld fehlt. Man kümmert sich schon kaum noch darum; man nimmt es zur Kenntnis, aber beeindrucken oder gar erschrecken kann es einen nicht mehr. Wir leben in Deutschland, mitten in der Europäischen Union und irgendwie wird das schon, ob nun Geld da ist oder nicht! Aber ein wenig unheimlich kann die ganze Geschichte schon werden - nämlich wenn man sich fragt, wohin die Unsummen von Geld verschwinden, die vom deutschen Export und vom Binnenhandel erwirtschaftet werden - wenn man sich klar macht, von Beträgen in welcher Größenordnung eigentlich die Rede ist. Und vor nicht all zu langer Zeit hat Kanzler Schröder etwas gesagt, wobei mir auch ein wenig mulmig wurde: Sparen schade der Wirtschaft und fleißig zu kaufen sei sozusagen erste Bürgerpflicht, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das Rezept geht rechnerisch wahrscheinlich auf - wenn alle Leute mehr kaufen, machen alle Geschäfte mehr Gewinn. Dann müssten die Geschäftsinhaber aber nicht nur ihren Warenbestand erweitern, sondern auch ihre Preise senken und ihre Angestellten besser bezahlen, damit diese wiederum woanders mehr kaufen können. Mehr Umsatz der Geschäfte und bessere Löhne der Angestellten bedeuten mehr Einnahmen aus Mehrwert- und Einkommenssteuer etc. für den Staat, der wiederum seine Beamten besser bezahlen, die Renten erhöhen, die Steuern senken etc. könnte. Ja, ich glaube, dieses System würde aufgehen (soweit ich das mit meinem wirtschaftspolitisch ungeschulten Sachverstand überblicke). Aber ich fürchte, es gibt noch ein paar Haken, die nicht mit einkalkuliert worden sind: Der Kreislauf des Geldes findet nicht gleichmäßig zwischen allen Bundes- und Weltbürgern statt.
„Jeder deutsche Haushalt kauft im Jahr durchschnittlich 100 Nestlé Produkte.“ heißt es auf der Internetseite der Nestlé Deutschland AG. Bei Maggi, Thomy, Alete, Bärenmarke, Vittel und einer Vielzahl anderer Produkte hat das internationale Nestlé-Unternehmen seine Finger im Spiel oder seinen Daumen drauf.
Unter Coca Colas Schirmherrschaft stehen zum Beispiel Bonaqua, Kinley, Lift, Powerade und viele mehr. (www2.coca-cola.com)
Die Bayer AG ist weltweit auf den Gebieten Arzneimittelherstellung, Pflanzenschutz und Schädlingsbekämpfung, Chemikalienproduktion für
„...Elektronik, Optik, Metallbe- und Verarbeitung, in Nahrungsmitteln, Farben, Bekleidung, Leder, Textilien, Papier, Kunststoffen, Kautschuk, Baustoffen und Hochleistungskeramiken...“ (Zitat von www.bayer.de) und betriebswirtschaftlichen Dienstleistungen tätig.
In seinem Buch „Afrikanische Totenklage“ weißt Peter Scholl-Latour mehrfach darauf hin, dass der internationale Diamantenkonzern „de Beers“ in fast alle Konflikte um afrikanische Diamantenvorkommen verstrickt ist.
Um es kurz zu machen: Vieles deutet darauf hin, dass ein großer Teil sowohl der innerdeutschen als auch der internationalen Finanzzirkulation durch die Hände einiger weniger Riesenkonzerne geht. Stärken wir mit unserer Kaufkraft deren Einfluss, so scheint es mir, mag die Wirtschaft zwar aufblühen, gerät aber auch immer mehr in Abhängigkeit von Wenigen. Zumal man als Faustregel annehmen kann, dass die Machenschaften der Multis stets mehr oder weniger zwielichtig sind: Die schwarzafrikanischen Diamanten für „de Beers“ werden von Regierungstruppen, Rebellen und privaten Söldneragenturen umkämpft (Scholl-Latour, „Afrikanische Totenklage“); Coca-Cola, Pepsi und Dr. Pepper führen zweifelhafte Werbe- und Marktforschungsprojekte an US-Schulen durch (Michael Moore, „Stupid White Men“); die Supermarktkette „real,-“ hat vor im zweiten Halbjahr 2003 vom Greenpeace-„Einkaufsnetz“ die rote Karte für Giftwerte in z.B. Paprika in Höhe oder oberhalb der erlaubten Werte erhalten; Bayer wird von Einigen offenbar für derartig gefährlich gehalten, dass ein Verein namens „Coordination gegen BAYER-Gefahren“ ins Leben gerufen worden ist (www.cbgnetwork.org). Und dass große Wirtschaftsunternehmen in der Politik mitmischen, um ihre Interessen durchzusetzen, dürfte seit dem neuen Öl-Präsidenten der USA und seiner Aufkündigung des Kyoto-Protokolls ja wohl eine allgemein bekannte Tatsache sein.
Das sind also meine laienhaften Bedenken bezüglich des Aufrufs „Kräftig prassen, um die Wirtschaft zu reparieren!“. Natürlich werden die großen Unternehmen in der gegenwärtigen Situation so oder so die Oberhand behalten, ob wir nun viel oder wenig Geld ausgeben - also sind meine bisherigen, jugendlich-unbekümmerten wirtschaftspolitischen Ausführungen wenig hilfreich bei der Lösung des vorliegenden Problems, der schlechten deutschen Wirtschaftslage. Aber eine Sache möchte ich noch loswerden: Ich halte Sparsamkeit (nicht zu verwechseln mit Geiz) trotz allem für eine Tugend, die auch heutzutage besser ist als auf großem Fuße zu leben. Schließlich kann man davon ausgehen, dass sparsame Bürger sparsame Politiker wählen. Und diese würden sich wahrscheinlich mehr und bessere Gedanken darüber machen, wie die derzeitige Lage zu bewältigen ist. Vielleicht hätte man dem Bau einer neuen Elbtunnelröhre für knapp eine Milliarde D-Mark dann eine umfassende Lösung zur Minderung des Autoverkehrs vorgezogen, womit gleichzeitig die Umwelt entlastet worden wäre. Aber viele Mitbürgerinnen und Mitbürger scheinen dem Bundeskanzler Glauben zu schenken; dafür spricht jedenfalls das Ergebnis die bayrische Landtagswahl 2003, die der CSU unter Edmund Stoiber über 60% der abgegebenen Stimmen bescherte (bei mageren circa 59% Wahlbeteiligung). Dabei berichtete „Der Spiegel“ in Ausgabe 20/2003, dass „Milliardenvernichter Stoiber“ 1,4 Milliarden Euro aus staatlichen Stiftungen für soziale Zwecke in ein waghalsiges Aktiengeschäft gesteckt hat. Dass „Behinderte, kranke Kinder, Wissenschaftler - und sämtliche bayrische Steuerzahler“ nun die Zeche für Eddi Abstoiber zahlen, scheint die bayrischen Wähler weniger zu beeindrucken als das konservative Saubermann-Image ihres Ministerpräsidenten... Und schließlich kurbelt Geldausgeben die Wirtschaft an.
Noch etwas mehr zum Thema Geld finden Sie im Kapitel „Noch ein paar Tips zum Detektivspielen“.
Willkommen auf der dunklen Seite
„Little Girl sleeping in dreams of piece,
mummy’s been gone a long time.
Daddy comes home and she still sleeps,
waiting for the world’s worst crime.“ *1
„Ich hasse eure Lügen, eure doppelte Moral
und eure so genannte Freiheit ist mir scheißegal!“ *2
„There they wait in fear,
with swords in feeble hands,
with dreams to be a king,
first one should be a man.
I called about and charged them all
with their life that is a lie
and in the final hour
they shall confess before they die!“ *3
„Die Furcht auf diesen Zaun gespießt geh ich nun graben jede Nacht,
zu sehen was noch übrig ist, von dem Gesicht das mir gelacht.“ *4
„Make a joke and I will sigh
and you will laugh and I will cry.
Happiness I cannot feel
and love to me is so unreal.“ *5
„Exit light!
Enter night!
Take my hand!
We’re off to never-never-land...“ *6
Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Ich könnte ewig so weitermachen. Das sind so die Sachen, die ich mir täglich reinziehe, die aus meiner Stereoanlage schallen und die ich in allen möglichen Situationen still rezitiere. Trotzdem habe ich weder Asthma, noch Magenprobleme, noch Migräne, noch Alpträume. Ich rauche nicht, nehme keine illegalen Drogen oder regelmäßig Medikamente und trinke wenig. Und das, obwohl ich eher ein Außenseiter bin.
Jeanette, Britney Spears und die „Backstreet Boys“ müssen draußen bleiben. Statt dessen ergehe ich mich in den musikalischen Eskapaden („Das ist doch keine Musik!“, wird manch Einer protestieren.) von Rüpeln wie „Metallica“ und „Motörhead“, den Blasphemien von „Ozzy Osbourne“ und „Marilyn Manson“, den angeblich rechtsextrem angehauchten Texten von „Rammstein“ und „Böhse Onkelz“, den Kampfschreien von „Manowar“ und, und, und...
Hat es mir geschadet? Zugegeben, ich kenne Leute, die diese Frage hinter vorgehaltener Hand mit „Ja“ beantworten würden. Und wo ich schon dabei bin, Geständnisse zu machen: Die wenigen Leute, mit denen ich regelmäßigen Kontakt habe, sind alle ein bisschen anders - da wäre ein leidenschaftlicher Segler (von denen es zwar viele gibt, die aber trotzdem ein Menschenschlag für sich sind) und VW-Käfer-Freak; ein auf die Militärgeschichte des 20. Jahrhunderts spezialisierter Sportfanatiker; ein vom Drogenmissbrauch gezeichneter Dichter und Hobbypsychologe; ein ehemaliger Hardrocker, der von Techno bis Hip Hop gerade alle denkbaren Subkulturen durchprobiert und zeitweise durch beispiellose Unzuverlässigkeit glänzte; und dann könnte man noch ein Mädchen in diese Liste aufnehmen, deren liebstes Hobby die Hundedressur ist und die sich ihre nötige Distanz zum Mainstream offenbar verschafft, indem sie gelegentlich mit komischen Typen wie mir zu tun hat.
Die Rock- und Heavy-Metal-Musik (Um die geht es in diesem Kapitel - falls das noch nicht deutlich geworden ist.) ist durch verschiedene Zeiten gegangen. Während sie zu Zeiten der „Beatles“ bzw. durch die „Beatles“ fast mit der Popmusik identisch war und der als „King of Pop“ gefeierte Michael Jackson mit Titeln wie „Beat It“ oder „Dirty Diana“ auch der schwarzen Kunst des Hard Rock gefrönt hat, ist die Trennung zwischen Pop und Rock heutzutage ziemlich scharf. Während „Motörhead“ und „Girlschool“ Anfang der Achtziger sogar einmal (vorübergehend zu „Headgirl“ fusioniert) bei „Top of the Pops“ aufgetreten sind, sind ihre gröhlenden, quietschenden Gitarrenriffs und die mal aggressiven, mal weinerlichen Lyrics völlig von der Bildfläche der Musiksender in Fernsehen und Radio verschwunden. Erst Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger drängte sich das Phänomen „Metallica“ in die Öffentlichkeit und machte den Heavy-Metal (wieder) stubenrein. Spätestens seit sie (zeitweilig) kurze Haare und ihren Hit „Nothing Else Matters“ haben, kann es sich kaum jemand noch erlauben, die Vier von „Metallica“ nicht wenigstens „ganz gut“ zu finden. Aber das sind Worte; die wahren Tatsachen sehen so aus, dass der Mainstream eine Weile „Nothing Else Matters“ gehört hat und dann zu neuen kurzlebigen Hits übergangen ist. Wer über lange Zeit ein breites Publikum bedienen will, kann sich harte Gitarrenriffs vielleicht gerade noch erlauben, aber Texte wie sie eingangs aufgeführt sind, sprengen die Toleranzgrenze des durchschnittlichen „Teenie-und-Solche-die-gerne-noch-Teenies-wären“-Publikums.
Überhaupt ist das mit den Texten der Rockpoeten so eine Sache. Ein Bekannter von mir äußerte einmal seine Abneigung gegen die komischen Texte von „Rammstein“. Hätte er sich einmal die Mühe gemacht die englischen Texte seiner „Metallica“-CDs zu übersetzen, wäre er auf nicht minder Merkwürdiges und Blutiges gestoßen. Oder das Lied „Don’t Let Daddy Kiss Me“ von „Motörhead“: kommt für den Mainstream schon mal gar nicht in Frage, da es - auf erschreckend bewegende Weise, wie ich finde - die Leiden eines vom Vater missbrauchten Mädchens beschreibt. Zu einem so traurigen Lied lässt es sich nun mal schlecht feiern und tanzen. Und wenn es in „No Remorse“, ebenfalls von „Motörhead“, mit bedrohlicher, tiefer Stimme vorgetragen heißt:
„All men know what waits for us: (Jeder weiß, was auf uns wartet:
wooden box, worm and dust. Holzkiste, Wurm und Staub.
Maybe heaven, Pearly Gates - Vielleicht das Himmelstor -
hasty prayer, when it’s too late. ein schnelles Gebet, wenn es zu spät ist.
Burn in hell, all is lost, Schmore in der Hölle, alles ist verloren,
purgatory, fingers crossed. Fegefeuer, Daumen gedrückt)
...“
werden vermutlich die Meisten Lemmy (den Sänger von „Motörhead“) schon als Satanisten oder billigen Schockrocker abstempeln. Nur wer das Lied bis zum Ende hört, wird mit den Zeilen
„If you believe these tales they tell,(Wenn du diese Geschichten glaubst,
then you deserve to burn in hell.“ verdienst du es, in der Hölle zu schmoren.)
belohnt und kann erkennen, dass es sich bei diesem Lied um eine Parodie auf das katholische Teufels- und Höllendogma handelt. Vorausgesetzt ist natürlich grundsätzlich, dass man die Musik bewusst hört und auf den Text überhaupt achtet.
Dabei gibt es genug Hardrockstücke, zu denen es sich prima abfeiern lässt: „Mexiko“, „Wilde Jungs“, „Auf gute Freunde“ von den „Onkelz“; das gute alte „Whiskey in the Jar“ von welchem Interpreten auch immer; „Ace of Spades“, „Angel City“, „RAMONES“ von „Motörhead“; „Please don’t touch“ von „Headgirl“; „Sk8erboy“ von Avril Lavigne; „This Is the New Shit“ von „Marilyn Manson“; „Carry On“ von „Manowar“ und viele mehr, von denen ich wahrscheinlich nicht mal die Hälfte kenne, haben wild-fröhliche „drauf-geschissen-wir-amüsier’n-uns“-Texte. Das Argument, Metal sei Musik für Paranoide, Aggressive und Depressive, zieht also nicht. Und nebenbei finde ich es nicht nur einseitig, sondern sogar verantwortungslos und undankbar, die vielen Rock’n’Roll-Stücke mit gesellschaftskritischem oder nachdenklichem Inhalt einfach zu ignorieren. Wer beispielsweise nichts anderes tut als in der Woche routinierte Arbeit zu verrichten und am Wochenende lustig Party zu machen, verschließt seine oder ihre Augen vor all dem unsagbaren Leid in der Welt.
Motörhead: Brave New World
„And religion like the (Und Religion, als das Monster das sie ist,
monster that it is
keeps telling you to turn empfiehlt dir die andere Backe hinzuhalten.
the other cheek.
God is on you side but I don’t Gott ist auf deiner Seite, aber ich glaube
think that you’re on his. nicht, dass du auf seiner bist.
If Jesus showed up now he’d be Würde Jesus jetzt auftauchen, wäre er nächste
in jail by next week.“ Wochen schon im Gefängnis.)
Das ist charakteristisch: In der ersten Zeile dieser Strophe wird die Religion beschimpft. Das dürfte schon reichen, um die Band als gottlos und sündig zu deklarieren. Nur Wenige werden da noch auf die letzte Zeile achten, die meiner Meinung nach völlig korrekt besagt, dass kaum jemand heutzutage ein wirklich christliches Leben führt und der Messias kaum bessere Chancen als vor gut 2000 Jahren hätte. Aber unchristliche Taten gehen eben leichter durch als unchristliche Worte. Und der Grundsatz auch die andere Backe hinzuhalten, wird offenbar von Vielen als „Nichts sehen, nichts sagen, nichts hören“ plus „Nichts tun“ aufgefasst. Machen wir das Beste aus der Situation und riskieren bloß keinen Zwergenaufstand. Solange es andere trifft, ist ja sowieso alles in Butter - fettarm, versteht sich, damit wir auch weiterhin in die trendigen stone-washed Jeans reinpassen!
Böhse Onkelz: Finde die Wahrheit
„Ich laufe durch die Straßen
Und alles was ich seh' - sind
Verlorene Seelen
Gesichtlose Armeen
Korrupte Bullen
Schulen voller Idioten
Die falschen Götter
Die falschen Drogen
Finde die Wahrheit
hab keine Angst
Finde die Wahrheit
solange du noch kannst.“
Das sind harte, vielleicht etwas überzogene Worte, aber ich sehe das ähnlich: So, zum Beispiel, bekommt man in der Schule zwar eine Grundausbildung, die einen erstens mit einigen unverzichtbaren Fähigkeiten ausstattet und einem zweitens beibringen kann, wie man selbständig lernt, wenn man es denn will. Aber die Wahrheit, was auch immer sie ist, wird man in der Schule nicht finden. Wie es bei „Akte X“ so schön heißt: „Die Wahrheit ist irgendwo da draußen.“ Ich merke gerade, während ich diese Worte schreibe, wie gut dieser Satz mein Lebensmotto sein könnte; denn durch die Weiten des Internets zu surfen, durch die Welt zu reisen und mit Menschen zu sprechen, die Natur zu beobachten, verschiedene Bibliotheken und Buchhandlungen zu durchforsten und gelegentlich einfach mal in Ruhe zu träumen und in sich hinein zu horchen kann einen der Wahrheit näherbringen - wenn man dabei auf die eigenen Sinne und Gefühle achtet. Lehrern zuzuhören kann jedoch immer nur eine Zeit lang helfen. Früher oder später kommt der Punkt, wo man wieder auf sich selbst gestellt ist bzw. einen neuen, weiseren Lehrer finden muss.
Marilyn Manson: Use Your Fist And Not Your Mouth
„It's too hard to hold hands when your hands are fists.“
(Man kann sich schlecht an den Händen halten, solange man Fäuste macht.)
Das ist nichts Neues, aber es ist eine sehr schöne Formulierung, wie ich finde (Ich glaube, im Deutschunterricht müsste ich „Metapher“ oder „Symbol“ sagen.) Solche Formulierungen, die etwas, was eigentlich jeder weiß, auf poetische und trotzdem unmissverständliche Weise ausdrücken, sind sehr wertvoll. Sie sollten wirklich Jede(n) nachdenklich stimmen und somit hier und dort kleine Verbesserungen des täglichen Lebens erzielen. Ich hoffe, das ist tatsächlich der Fall; aber auf jeden Fall bin ich immer wieder enttäuscht, wie oft Leute solche guten Botschaften oder Erinnerungen verpassen, weil sie sich von unfeinen Ausdrücken, extremer Musik oder dem skurrilen Auftreten der Künstler abschrecken lassen. Da sind wir bei „Marilyn Manson“ ja genau an der richtigen Adresse, und das ist auch ein Punkt, auf den ich die ganze Zeit hinaus wollte. Ich erinnere mich, dass dieser Herr zu den am häufigsten und am heftigsten kritisierten Rockmusikern gehört. Nach dem Schulmassaker in an der Columbine High School in Littleton, Colorado, USA erklärten viele amerikanische Experten(?) ihn zu einem maßgeblich Mitschuldigen an der Tragödie, da die beiden Attentäter offenbar seine Musik gehört hatten. (Der deutschen Band „Rammstein“ erging es ähnlich.) Es kam zu Anti-Marilyn-Manson-Kundgebungen in einigen US-Städten. Sicher: „Mansons“ und „Rammsteins“ Musik ist alles andere als fröhlich - mal traurig, mal wütend, mal spöttisch, mal pervers... Aber leider ist auch das Leben oft so. Und viele sensible Menschen leiden darunter. Manche finden in solcher Musik ihre Zuflucht, um die Unmenschlichkeit der Menschheit besser zu ertragen; andere stachelt sie vielleicht erst recht dazu an, sich zu „rächen“. Manch einer betreibt Krafttraining, um sich besser wehren zu können; manch einer tut es, weil er andere verprügeln will. Der eine wird unter Alkoholeinfluss ruhig und sentimental, der andere wird aggressiv.
Außerdem sollte man nicht vergessen, wie viele tausend Menschen „Rammstein“ und „Marilyn Manson“ mit Begeisterung hören und trotzdem noch nie eine Gewalttat verübt haben. Die meisten Fans solcher Musik teilen wahrscheinlich (so geht es mir) den Ärger über die vielen Fehler der Gesellschaft, der aus den Texten spricht. Und da diese Texte mit energischer, leidenschaftlicher Musik einhergehen, bieten sie eine gute Gelegenheit, um Dampf abzulassen und danach - im Idealfall - wieder mit Ruhe und Verstand die Probleme der Welt anzugehen.
Und dann ist da noch der Künstler selbst: Wie viel Ärger müssen solche Leute im Bauch haben, wie unverstanden müssen sie sich fühlen, um ganze CDs über Mord und Drogen, Gestank und Hass, Paranoia, Korruption und Scheinheiligkeit zu produzieren. Man kann echte Künstler, die in und von ihrer Kreativität leben, meistens von solchen, die einfach nur reich und berühmt sein wollen, unterscheiden. Und „Manson“ ist - da bin ich ziemlich sicher - ein echter, der auch Botschaften vermitteln will; jemand, der sich seines Einflusses bewusst ist und ihn ernst nimmt. Einmal traf er sich mit der Mutter eines weiblichen Fans, der sich umgebracht hatte, um mit ihr zu sprechen. Als Michael Moore ihn interviewte und fragte, was er den Schülern, die das Littleton-Massaker überlebt hatten, sagen würde, wenn er direkt zu ihnen sprechen könnte, war seine Antwort: „Ich würde gar nichts sagen, ich würde ihnen zuhören - weil das ja niemand tut!“ (Michael Moore, „Bowling for Columbine“, wie Sie wahrscheinlich wissen.) (Auch im „Spiegel 19/2003 ist ein lesenswertes Interview mit M.M. zu finden.)
Natürlich, das möchte ich nicht unter den Teppich kehren, finden sich auch in anderen Musikgattungen beachtenswerte Botschaften. Ich denke, da wäre vor allem der Hip Hop zu nennen, aber auch bei zum Beispiel Country, Techno und, wenn auch seltener, Pop kann man fündig werden.
*1 - Motörhead: Don’t Let Daddy Kiss Me
2 - Böhse Onkelz: Scheißegal
3 - Manowar: Warriors Of The World
4 - Rammstein: Heirate Mich
5 - Black Sabbath: Paranoid
6 - Metallica: Enter Sandman
Man will uns ausräuchern
Seit über zehn Jahren ringt die EU um Einschränkung(en) der Tabakwerbung. Nun ist vor Kurzem ein weitgehender Konsens zu Stande gekommen, Tabakwerbung bis auf wenige Ausnahmen zu verbieten. Einige Länder sträuben sich noch: Das sind die Niederlande, Griechenland, wo große Mengen an Tabak angebaut werden, und - Deutschland. Die Bundesrepublik Deutschland. Das hätte ich nicht gedacht; so `ne Blamage! Bisher war ich der Ansicht, dass die deutschen Politiker noch zu den verantwortungsbewusstesten der industrialisierten Welt gehörten. Aber diese meine Überzeugung hat nun einen ziemlichen Knacks erhalten.
Ich habe ein Fax an unseren Außenminister geschickt; der Wortlaut ist wie folgt:
„Sehr geehrter Herr Fischer,
die deutsche Bundesregierung stellt sich gegen das von der Mehrheit der EU-Staaten angestrebte Verbot von Tabakwerbung. Ich würde gerne von Ihnen, als einem der - wie ich glaube - verantwortungsbewusstesten Politiker Deutschlands wissen, wie Sie es für sich persönlich verantworten können, Mitglied einer Regierung zu sein, die eine Möglichkeit ihre Bürger vor Schaden zu schützen, nicht ergreift. (Noch dazu, dass der Tabakrauch bekanntermaßen schlimmste gesundheitliche Folgen hat und somit die Gemeinschaft große Summen kostet.)
Diese Angelegenheit ist mir sehr wichtig und ich bitte Sie deshalb um eine persönliche, von Ihnen unterschriebene Antwort (Veröffentlichung nicht ausgeschlossen, obwohl ich mich nur als besorgter Bürger an Sie wende.)
Mit freundlichen Grüßen
Claus H. Godbersen“
Bisher habe ich noch keine Antwort erhalten.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Ich nehmen an, Sie kennen diesen Satz. Auch auf die Gefahr hin, etwas Überflüssiges zu schreiben: Es ist Artikel eins, Absatz eins unseres Grundgesetzes.
Nun frage ich mich etwas und ich bitte Sie wieder einmal, kurz mitzudenken: Wenn eine an finanziellem und geistigem Einfluss überlegene Gruppe, nämlich die Führungskräfte der Tabakindustrie, eine zwar zahlenmäßig größere aber finanziell und geistig schwächere Gruppe, nämlich die Masse der Durchschnittsbürger, dazu überredet, ihre eigene Gesundheit zu beschädigen (Oder sollte man es sogar innere Selbstverstümmelung nennen?) und dafür auch noch zu bezahlen - wird dann nicht die Würde dieser Überredeten (Eigentlich wollte ich „Manipulierten“ schreiben, aber das Wort ist inzwischen so verbraucht.) verletzt? Bitte drehen und wenden Sie diese Frage eine Weile im Kopf. Meine Antwort lautet „Ja“, aber ob ich damit Recht habe, bin ich nicht so sicher. Nur eine Sache weiß ich sicher: Wer neben mir sitzt und raucht, den könnte ich wegen Körperverletzung anzeigen und müsste vor Gericht, bei strenger Auslegung des Gesetzes, Recht bekommen. Ich würde das nicht tun, da die meisten Raucher ja auch Opfer sind - von, so abgedroschen es klingt, Manipulation. Aber dieser Gedanke ist ein ganz nettes Spielzeug für Grübler.
Ich will hier nicht weiter über die mutmaßlich Zusammenarbeit der Tabakindustrie mit dem organisierten Verbrechen, über die angebliche Bestechung von Helmut Kohl durch Tabakkonzerne, über die Millionen von Toten in Folge des Rauchens jedes Jahr, die PR-Philosophie von Malboro & Co. und ähnlich dicke Hunde schreiben. Lieber weise ich darauf hin, dass professionellere Journalisten als ich zum Beispiel im „Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“ ausführlich darüber recherchiert haben. Jeder und Jedem, die/der noch nicht über dieses Thema, das bei mir zu erheblicher Irritation der Nackenhaut aufgrund ständigen Haarsträubens geführt hat, informiert ist, empfehle ich einmal ins nächste öffentliche Archiv zu gehen und sich durch einige Zeitungen und Nachrichtenmagazine zu lesen. Da wäre zum Beispiel die Ausgaben 4/2003, 5/2003, 8/2003 des „Spiegel“. Sie werden überrascht sein - wenn auch nicht positiv, fürchte ich. Dem, was man dort geschrieben steht, zu Folge, müsste jede(r) Raucher(in) für Beihilfe zu verschiedensten Verbrechen bestraft werden. Und somit gibt es einen doppelten Grund das Rauchen jetzt einzustellen: Nicht nur, dass man die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen nicht länger verletzt, man kann sein Gewissen auch von dem Wissen entlasten, täglich für eine Ware zu bezahlen, deren Weg von Gewalt und Korruption gesäumt ist.
Ach, Moment, eine Sache für die Teerlungen noch: Die US-amerikanische Firma Vector Tobacco bietet seit Neuestem eine Zigarettenmarke namens „Quest 3“ an. Der Tabak dieser Glimmstengel enthält praktisch null Nikotin. Rien! Nitschiewo! Nada! Drei Jahre geduldiger Bastelei am Erbgut der Tabakpflanze machen’s möglich! Aber mal im Ernst, ich dachte, das würde Sie als Opfer der Nikotinsucht vielleicht interessieren (je nach dem, was Sie von Genmanipulation halten). Bisher werden die Science-Fiction-Zigaretten nur in sieben US-Bundesstaaten verkauft, aber Vector Tobacco freut sich bestimmt, wenn Sie nach den Alleinvertriebsrechten für die EU oder wenigstens nach einem persönlichen Jahresabo fragen. (Diese Informationen stammen aus „Der Spiegel“ 15/2003)
Noch ein paar Tips zum Detektivspielen
Wenn es bisher noch nicht zu Ihren Gewohnheiten gehört, regelmäßig Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, habe ich hier einige Einstiegshilfen für Sie. Dazu werden Sie sich wohl oder übel in ein Stadtarchiv o. ä., eine öffentliche Bücherei oder zu einem belesenen Pensionär, der über die Zeit und Muße verfügt, ein eigenes Nachrichtenarchiv zu unterhalten, gehen müssen - aber ich versichere Ihnen: Es lohnt sich.
Und hiernach könnten Sie zum Beispiel Ausschau halten:
- „Der Spiegel“ 2/2003: Die auch in Deutschland vertretene Glaubensgemeinschaft der Jesiden übe zum Teil heftigen Terror gegenüber ihren Jugendlichen aus, wenn diese Andersgläubige lieben.
- „Der Spiegel“ 6/2003: Ein interessanter Bericht über Mahagoni-Schmuggel lässt erahnen, dass auch die edlen Möbel in Deutschlands reichen Stuben eine dunkle Vergangenheit haben.
- „Der Spiegel“ 7/2003: Ein scheinbar harmloses und wenig bekanntes Gesetz in der Türkei sei gerade deutschen Urlaubern schon öfter zum Verhängnis geworden. Und möglicherweise würden türkische Beamte es gezielt nutzen, um kräftig Kasse zu machen. Auch die „Bild“ berichtete in der Ausgabe vom 25. 9. 2003 darüber.
- „Der Spiegel“ 13/2003: Der Handel mit der „weichen Droge“ Mariuhana sei dabei, mafiöse Züge anzunehmen. Und die EU-Büros in Brüssel seien Opfer einer hoch professionellen Abhöraktion geworden, als deren Urheber unter anderen Israel und die USA verdächtigt würden.
- „Der Spiegel“ 14/2003: Die Pharmaindustrie verursache überflüssige Kosten in Millionenhöhe für die Krankenkassen und stehe außerdem einer effektiven und gerechten Reform des Gesundheitswesens im Weg.
- „Der Spiegel“ 16/2003: Ein neuer Coup der Pharmaindustrie, riecht, wie es vom „Spiegel“ dargestellt wird, stark nach einem kostenpflichtigen Aprilscherz.
- „Der Spiegel“ 17/2003: Angeblich bringt es für die deutschen Kriminalbehörden erhebliche Probleme und Risiken mit sich, wenn, wie Innenminister Schily es wünscht, künftig enger mit den russischen Behörden zusammengearbeitet wird.
- „Der Spiegel“ 21/2003: Es heißt hier, eine Lobby aus Auto- und Bauindustrie würde unter dem Vorwand des Umweltschutzes Bürgerinitiativen für Autobahnbau-Projekte unterstützen. Außerdem ist von einer deutschen Firma, die als Geldwaschanlage für die russische Mafia dient, die Rede.
- „Der Spiegel“ 22/2003: Verschiedene Zusammenschlüsse unzufriedener Bürger wollen der Politik Druck machen, heißt es.
- „Der Spiegel“ 23/2003: Ein Deutscher und eine serbisch Frau, deren Tochter bei einem dubiosen NATO-Angriff ums Leben kam, prozessieren gegen die Bundesrepublik als mögliche Beteiligte an einem Kriegsverbrechen, besagt ein Artikel. Zitat: „Nur einmal wurde bisher Schadenersatz für die Opfer der „Operation Allied Forces“ gezahlt: als Entschädigung für die Raketen der USA, die irrtümlich in der chinesischen Botschaft in Belgrad einschlugen - 54 Millionen Mark. Ohne Paragraphen, Klageschriften, Gerichtsverfahren. Für China gab es Respekt, aber nicht für eine Mutter irgendwo in Serbien, deren Name nicht für die Geschichtsbücher und Weltkarten der Sieger taugt.“
- „Der Spiegel“ 26/2003: Hier finden Sie (mal wieder) einen Bericht über den Menschenhandel mit osteuropäischen Prostituierten. Dazu möchte eine Sache loswerden, die meiner Meinung nach in diesem Artikel zu wenig beachtet wird: Die eigentlichen Schuldigen sind die sauberen deutschen Freier, die diese Liebesdienste in Anspruch nehmen, obwohl es hinlänglich bekannt ist, in was für ausbeuterischen Verhältnissen viele der ausländischen Mädchen arbeiten. In regelmäßigen Abständen berichten die verschiedenen Medien über diese Form der Sklaverei.
- „Der Spiegel“ 27/2003: Die Tochter der Deutschen Post, DHL, habe sich die Postbeförderung in den und im Irak gesichert - eine abenteuerliche Zusammenarbeit mit den amerikanischen Streitkräften. Außerdem ein Bericht über die zweifelhaften internationalen Umtriebe von Nike.
- „Die Zeit“ 16/2003: Es heißt, die deutschen Grundschüler würden im internationalen Vergleich gut abschneiden und der Leistungseinbruch käme (folglich) auf den weiterführenden Schulen. Einige der Probleme, die in diesem Artikel als an Haupt-, Realschulen und Gymnasien bestehend geschildert werden, konnte ich nur mit bitterem Kopfnicken quittieren, andere hingegen waren auch mir noch nicht bewusst, erschienen mir aber sehr plausibel.
- „Die Zeit“ 17/2003: Der Fall des Millionenbetrügers Harksen wird noch einmal erzählt. Die Erzählung lässt erahnen, warum wir solche Geldprobleme haben - nämlich unter anderem deshalb, weil ein großer Teil unseres Geldes in den Händen leichtgläubiger, gieriger Menschen ist, die damit einfach nicht umgehen können. Wird Zeit, dass wir unsere finanziellen Angelegenheiten wieder selbst in die Hand nehmen!
(Übrigens: Wenn ein einfacher Mensch arbeitslos wird, bedeutet das oft eine enge Wohnung und ein Leben, das jeglichen Luxus’ entbehrt. Wird dagegen ein Spitzenpolitiker arbeitslos oder laufen die Geschäfte eines Topmanagers schlecht, muss er vielleicht aus seiner Villa in ein normales Einfamilienhaus ziehen, zwei seiner vier Autos verkaufen und kann nur noch im Yachtclub oder im Golfclub Mitglied sein, nicht mehr beides gleichzeitig. Um sich diesen Alptraum zu ersparen, entlassen Wirtschaftsbosse mal eben 2000 Arbeiter, die sich in Folge der Entlassung nicht mal mehr ein kleines Einfamilienhaus leisten können. So sieht’s aus im Boot Deutschland, in dem wir alle sitzen und alle gleich sind.)
- „Die Zeit“ 19/2003: Ein Autor der „Zeit“ geht so weit, zu sagen, durch die von der Regierung angestrebten Reformen gingen (vorerst) Arbeitsplätze verloren. Es werden Beispiele anderer Staaten gebracht, die in ähnlichen Situationen klüger gehandelt hätten und Vorschläge gemacht, was die deutsche Regierung in der aktuellen Lage falsch gemacht habe und wie sie es besser machen könne. Ich kann nur hoffen, dass Herr Schröder diesen Artikel gelesen hat.
- „Die Zeit“ 22/2003: Hier wird die Machbarkeit und der (volks)wirtschaftliche Nutzen des von Kanzler Schröder und einigen Ökonomen geforderten größeren Billigjob-Angebotes diskutiert und nebenbei dargestellt, wie hart das Leben für solche Leute ist, die fünf Euro die Stunde bekommen.
- „Die Zeit“ 27/2003: Ein Kommentar zum „Sturz“ von Michel Friedmann beschreibt, wie scheinheilig die Medien in diesem Fall vorgegangen seien und welche psychischen Probleme der deutschen Gesellschaft dieser Fall offenbart habe. (Die Frage, ob man Friedmann nun mag oder nicht, sollte man beim Lesen dieses Artikels außen vor lassen.)
- „Die Zeit“ 29/2003: Eine Reportage stellt dar, wie eine ungewöhnliche Ermittler-Gruppe in Nordrhein-Westfalen auf ein wahres Korruptions-Netzwerk zwischen den Städten und Kommunen und der Müllverbrennungs-Branche gestoßen sei. Außerdem gibt ein Kommentar zum von Berlusconi ausgelösten Streit um das Image deutscher Italien-Urlauber interessante Informationen darüber, wie das Klischee vom „braunen“ Deutschland im Ausland weiterlebt.
Wenn Sie diese Buch in den Händen halten, sind diese Vorschläge vielleicht schon zu alt und nur noch schwer zu bekommen. Aber das ist nicht weiter schlimm, denn man stößt schnell auf die dicken Hunde. Es reicht schon, sich nur einmal wöchentlich eine Stunde Zeit zu nehmen, um das Inhaltsverzeichnis des aktuellen „Spiegel“ und die erste Seite der aktuellen „Zeit“ zu überfliegen. Wenn Sie dann in diesen zwei Zeitschriften je ein oder zwei Artikel lesen, haben Sie schon recht viel für Ihre Bildung getan. Ich denke dabei nicht an die „normalen“ politischen und wirtschaftlichen Meldungen, sondern an Berichte über nicht alltägliche Geschehnisse und solche Dinge, die eigentlich nicht sein dürften.
Sollten Sie regelmäßiger „Bild“-Leser sein, kann es nicht schaden mal ein wenig über den Tellerrand zu schauen und die Nase gelegentlich in ein anderes Blatt zu stecken. Wenn es Sie nicht stört, die Witze direkt neben einem Bericht über einen grausamen Mord zu lesen; wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass Artikel oft weitaus weniger spannend sind, als die Überschrift es vermuten lässt; wenn Ihnen klar ist, dass der politische Informationsgehalt der „Bild“ im Vergleich mit anderen Zeitungen manchmal aufgrund der Kürze der Meldungen qualitativ fragwürdig ist und wenn die bunte, chaotische Aufmachung und die extrem platten Texte neben dem Seite-eins-Mädchen Ihnen zusagen, spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, „Bild“ zu lesen. Im Ernst, diese Tageszeitung hat einige Vorteile gegenüber ihrer Konkurrenz: Sie hat keinen Ruf zu wahren und die Redakteure können deshalb über alles schreiben, was ihnen zu Ohren kommt. Berichte über UfO-Sichtungen, die anderen Täglichen zu unseriös wären, machen sich in der Zeitung, deren Name sich auf „wild“ reimt, besonders gut. Wer aus Prinzip einen Bogen um die „Bild“ macht, verpasst also etwas, genau wie der, dem es zu mühsam ist, die langen, spärlich bebilderten Texte der „normalen“ (Tages)zeitungen zu lesen.
Den Schweden entkommt man nicht
Dieser Titel hat nichts mit Gustav Adolf aus dem 30jährigen Krieg und auch nichts mit den (angeblich so zahlreichen) schwedischen Skinheads zu tun. Ich meine die Schweden, die 1997 48.900 Deutsche daran hinderten, morgens die Bettdecke zum Lüften aus dem Fenster zu hängen. Ganz recht, an die 50.000 Menschen schmoren in Deutschland hinter schwedischen Gardinen, wie es auf der Homepage www.gruenekoeln.de (Bündnis 90/Die Grünen in Köln) nachzulesen ist. Das Statistische Bundesamt hat am 31. 3. 2002 60.742 Inhaftierte und Sicherheitsverwahrte (Das sind Täter, die nach Verbüßung ihrer Haftstrafe wegen psychischer Probleme in entsprechende Anstalten eingeliefert wurden, eventuell für den Rest ihres Lebens.) gezählt. Das ist im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der BRD zwar weitaus weniger als es bei unserem großen Bruder USA der Fall ist, aber immerhin entspricht es der Einwohnerzahl einer Stadt wie Wittenberg oder Greifswald. Der Platz in der deutschen Gefängnissen würde also reichen, um eine mittelgroße Stadt komplett zu räumen. Angesichts dieser Vorstellung wird es Zeit, sich etwas näher mit den Insassen unserer Haftanstalten zu beschäftigen, finde ich.
Zuerst verweise ich ein weiteres Mal auf die Straßenzeitungen: Einige von ihnen enthalten regelmäßig Beiträge von Strafgefangenen oder vermitteln „Knastpatenschaften“ und Briefkontatkte zwischen freien und eingesperrten Bürgern.
Außerdem gibt es die überaus informative Internetseit www.knast.net. Dort lässt sich zum Beispiel erfahren, dass nur vier Prozent der Infhaftierten in Deutschland Frauen sind und auch, dass gewisse Ungerechtigkeiten aus diesem Verhältnis resultieren. Es wird über die allgemeinen Regeln des Strafvollzugs wie zum Beispiel Lockerung, offener Vollzug, über die Gefangenenarbeit, über die (weitgehend fehlende) Versicherung von Gefangenen, die hohe Selbstmordrate im Strafvollzug, das Verhältnis zwischen Gefängnis und Öffentlichkeit, die Geschichte des Strafvollzugs und unzählige weitere Themen informiert. Es werden Fragen beantwortet, Briefkontakte vermittelt und es wird eindrucksvoll erklärt, wie hart selbst das Leben in den deutschen Gefängnissen, die im internationalen Vergleich sehr human erscheinen, sein kann. Zitat: „Die Weihnachtszeit gilt nicht umsonst als die schwerste Zeit hinter Gittern.“
Eine Tatsache, die man immer wieder hört, ist, dass die deutschen Gefängnisse größtenteils überfüllt sind. Das bringt für die Gefangenen einen immer größeren Verlust von Privatsphäre und Sicherheit mit sich. Ich will hier keinesfalls die Gesamtheit der Strafgefangenen als eine Gruppe von armen Opfern darstellen, denen pauschal Unrecht getan wird. Aber wenn wir sie unmenschlich behandeln, lassen wir uns auch auf das Niveau von Gewaltverbrechern und skrupellosen, gierigen Geld-Veruntreuern herab. Und warum sollten Leute, die sich sowieso asozial verhalten, freundlicher zur Gesellschaft sein, nachdem sie die Gesellschaft von ihrer unfreundlichsten Seite kennengelernt haben. Denn nach der Haft geht die Demütigung zum Teil ja erst richtig los - wenn die Entlassenen ohne Geld, Wohnung und Arbeit dastehen und von den meisten Arbeitgebern gar nicht erst eine Chance bekommen, sobald diese von ihrer Vorstrafe erfahren.
Vor einiger Zeit sah ich zufällig eine Fernseh-Reportage, die berichtete, die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen habe die Absicht, aus Kostengründen die Gefängnisse zu privatisieren. Abgesehen von einem Regierungssprecher waren, soweit ich mich erinnere, alle Interviewten gegen diesen Plan. Ein befragter Häftling befürchtete, dass, sollten private Wachdienste in den Justizvollzugsanstalten eingesetzt werden, die Haftbedingungen noch härter würden, dass „amerikanische Zustände einreißen“ würden. Es wurde auch von einem Fall im Ausland berichtet, bei dem das private Wachpersonal eines Gefängnisses gestreikt habe, was zur Folge gehabt habe, dass viele Häftlinge vorzeitig entlassen werden mussten und die Sicherung der Anstalt an der Polizei hängen blieb. Aber noch ist ja nichts entschieden. Die Idee befinde sich momentan (Oktober 2003) noch im Stadium der politischen Diskussion, teilte mir ein Herr von der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen mit. Und ich hoffe, dass es bei Diskussionen bleibt; denn JVAs in den Händen von privatem Wachpersonal, dessen Schulung höchstens indirekt der staatlichen Kontrolle und hauptsächlich privaten, gewinnorientierten Unternehmen unterliegt, erscheinen mir wie ein Horrorszenario mittleren Grades.
Wozu ich aufrufen möchte - deshalb dieses Kapitel - ist ein offenerer Umgang mit Häftlingen und Vorbestraften. Dazu bitte ich Sie einmal eine absolut bequeme und entspannte Position einzunehmen - jetzt! Trinken Sie einen Schluck ihres Lieblingsgetränks, gerne auch Alkohol, aber nur ein, zwei Schluck. Legen Sie die Füße hoch oder legen Sie sich ins Bett. Gehen Sie vorher aufs Klo, wenn Sie müssen, lassen Sie frische Luft ins Zimmer und sorgen Sie für Ruhe: Fernseher, Radio, Computer, Spülmaschine - alles aus! Und erst wenn Sie völlig ruhig und entspannt sind, fragen Sie sich, nur für sich und ohne Worte, Folgendes:
Wie oft hätte ich schon ein Verbrechen im Sinne des Gesetzes begangen, wenn Bestrafung ausgeschlossen gewesen wäre?
Ich will mit gutem(?) Beispiel vorangehen und Ihnen das Ergebnis meiner Selbstreflexion nennen: Einige Fälle von Beamtenbeleidigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung hätte ich inzwischen auf dem Konto, wäre ich immun wie ein Diplomat im Dienst. Und Sie? Wann hätten Sie gerne ein bisschen Geld abgezweigt? Wie vielen Polizisten hätten Sie schon kräftig die Meinung über ihre Form der Amtsausübung gesagt? Wann hätten Sie gerne jemandem eine gelangt? Eine kräftige Ohrfeige oder gar ein Faustschlag können schnell teuer werden, und wer im Falle einer Anzeige nicht zahlungsfähig oder -willig ist - und sei es nur ein Bußgeld wegen Falschparkens – wandert eventuell in den Bau. Sind wir unbescholtenen Bürger also überhaupt besser als mancher Knastbruder oder sind wir nur beherrschter und hatten bisher mehr Glück?
Ich denke, vor diesem Hintergrund wird es allmählich Zeit unsere Vorurteile abzubauen und ehemalige Strafgefangene schneller und freundlicher in die Gesellschaft zu integrieren. Und wir müssen schnellstens die vielen offenen und versteckten Feindseligkeiten in unserem Umfeld beseitigen; denn eine unfreundliche Atmosphäre gebiert zwangsläufig mehr Kriminalität. Folgendes können Sie tun, um unser tägliches Zusammenleben angenehmer zu gestalten (siehe auch: „Noch ein paar Tips zur Rücksichtnahme“):
- Wenn vor Ihnen ein Auto nur die vorgeschriebenen 50 km/h oder gar nur 45 fährt, dann ist das vielleicht ein Ortsfremder, der etwas sucht. Oder eine alte Person, die nicht mehr so sicher fährt und deshalb besonders vorsichtig ist. Oder ein Anfänger, der noch nicht so sicher fährt. In all diese Situationen kann und wird jede(r) von uns einmal geraten und möchte dann auch nicht durch dichtes Auffahren oder mit der Lichthupe drangsaliert werden. Auf der Autobahn kann es auch sein, dass Sie von 170 mal auf 120 runterbremsen müssen, weil vor Ihnen so eine Trantüte den LKW nicht schneller überholt. Das kann ähnliche Ursachen wie langsames Fahren in der Stadt haben oder aber es handelt sich um einen alten Kleinwagen, der einfach nicht so schnell beschleunigt wie Ihr PS-Monster. Vielleicht kann der/die Fahrer(in) sich keinen neuen Wagen leisten. Und wenn Sie noch so sehr an seiner Stoßstange kleben und noch so wild herumgestikulieren - das macht den vor Ihnen auch nicht schneller. Eventuell wird er/sie sogar nervös durch Ihr Gedränge, was die Unfallgefahr erhöht.
- Wenn Sie sehen, wie irgendein abgewrackter Typ in der Stadt Essensreste aus einem Mülleimer klaubt, sehen Sie nicht angewidert weg! Natürlich haben Sie allen Grund angewidert zu sein, aber was ist das im Vergleich zu dem Ekel, den der Typ vermutlich durchmacht? Also sprechen Sie ihn an und spendieren Sie ihm, wenn er möchte, ein belegtes Brötchen und etwas zu trinken. Das ist das Mindeste; vielleicht können Sie ihn auch zu einer wohltätigen Einrichtung bringen, im Notfall zur nächsten Kirche, wo ein Geistlicher Ihnen bzw. ihm weiterhelfen wird.
Ich habe einmal so eine Szene beobachtet und nichts unternommen, habe den Mann den Rest aus einer weggeworfenen Cola-Dose trinken und dann seiner Wege schlurfen lassen. Das bereue ich heute noch und es wird mir mit Sicherheit kein zweites Mal passieren. Man bedenke: In solchen Fällen ist der Schritt zur Kriminalität nicht groß - etwas zu Essen oder warme Kleidung stehlen bzw. einen einsamen Passanten überfallen, um an Geld zu kommen.
- Wenn Sie Großeinkauf machen und hinter Ihnen jemand mit einer Tüte Milch in der einen und einer Zeitschrift in der anderen Hand steht, dann lassen Sie diese Person ruhig vor. Sie müssen dadurch eine Minute länger warten. Der/die andere müsste jedoch fünf Minuten warten, bis Sie Ihren randvollen Einkaufswagen durch die Kasse gemanagt haben.
- Halten Sie alten Leuten oder Leuten mit Kinderwagen die Tür zum Kaufhaus auf. Auch wenn es Türken sind! Sollten letztere sich nicht bedanken, liegt das höchstwahrscheinlich daran, dass sie neu in Schröderland sind, noch nicht gut deutsch sprechen und sich in der fremden Umgebung unsicher fühlen - um so mehr, als viele Deutsche ihnen misstrauisch und abweisend begegnen. (Das mag in einzelnen Fällen durchaus berechtigt sein, aber dadurch werden die Leute auch nicht besser. In einem netten Land haben Ausländer natürlich größere Skrupel, zu schnorren und zu klauen.) Weitere Personengruppen, denen Sie auch die Tür aufhalten sollten sind Skingirls mit Kinderkarre, oft zu erkennen an dem kurzrasierten Haar mit langem Pony (Dann werden deren Männer Sie auch nicht verprügeln.), und Punkmädchen mit Kinderkarre (Dann werden die vielleicht wieder Lust kriegen für die deutsche Gesellschaft zu arbeiten.).
- Grüßen Sie nicht nur Ihre(n) Briefträger(in), sondern auch die Leute von der Müllabfuhr. Wenn nämlich mal ein sensibler Mensch aus irgendwelchen Gründen zu so „niederer“ Arbeit gezwungen ist, überlegt er sich vielleicht, in den Drogenhandel einzusteigen anstatt diese langweilige, dreckige, schlecht bezahlte Arbeit zu verrichten. Sind Sie nett zu ihm, fällt es ihm leichter, sein Los zu ertragen.
- Setzen Sie sich dafür ein, dass auf Bahnhöfen beruhigende Musik wie zum Beispiel Vivaldi und Mozart gespielt wird. (Das hieße z. B., bei der Bahn anzurufen oder Leserbriefe an Zeitungen zu schreiben.) An einigen Orten wird es bereits getan und soviel ich weiß, hat dieses Vorgehen meistens einen Rückgang von Problemen wie Drogenhandel, Diebstahl und Gewaltdelikte zur Folge.
- Wenn Sie rauchen, nehmen Sie Rücksicht auf die Nichtraucher. Ich denke in diesem Fall nur zweitrangig an den gesundheitlichen Schaden; ich denke daran, wie sehr Sie den Leute am Nachbartisch im Restaurant auf die Nerven gehen, wenn diese Ihretwegen nicht mehr in frischer Luft essen können. Ganz besonders Leuten, die eine labile Gesundheit haben, können Sie damit einen netten Abend vermiesen. Manche Nichtraucher ziehen auch die Konsequenzen und besuchen kaum noch Restaurants und Cafés, weil sie das Essen im Qualm nicht genießen können. Und respektieren Sie als Raucher unbedingt die Nichtraucherbereiche. Viele Menschen stört der blaue Dunst ganz erheblich, aber sie trauen sich nicht es zu sagen.
- Wenn Sie ein Nichtraucher sind, übertreiben Sie es nicht. Wenn in einem Restaurant oder Zug die Raucher- und Nichtraucherbereiche nur unzureichend voneinander getrennt sind, versuchen Sie nicht, den Rauchern sogar in „ihrer“ Zone den Glimmstengel zu verbieten. Auch demonstratives Husten halte ich in solchen Fällen für zu grob. Sprechen Sie lieber mit dem Betreiber bzw. dem Zuständigen und verlangen Sie Maßnahmen, die den Rauch daran hindern, in den Nichtraucherbereich herüber zu ziehen.
- Wenn Sie es sich leisten können, bringen Sie alte Kleidung, Bücher, Möbel, Haushaltsgeräte und alles, was noch irgendwie brauchbar ist, zur Arbeiterwohlfahrt, anstatt es auf dem Flohmarkt oder bei „Ebay“ zu verhökern. Auf diese Weise erhalten wirklich arme Menschen die Chance ihrem bescheidenen Haushalt etwas mehr Komfort hinzuzufügen. Flohmärkte und „Ebay“ sind zwar auch eine gute Sache für Minderbemittelte, aber erstens bleiben hier diejenigen, die wirklich am Existenzminimum leben, außen vor und zweitens gehen auch Wohlhabende, die es nicht wirklich nötig haben, aus Spaß oder Sparsamkeit dort auf Schnäppchenjadg.
- Verkleinern Sie Ihren aktiven Freundeskreis. Wer die halbe Disco kennt, wahllos jeden Mitschüler, -studenten, Kollegen oder Kameraden zur Party bei sich nach Hause einlädt, jede(n) nach der ersten gemeinsamen Unternehmung als Freund(in) bezeichnet, weiß bald selbst nicht mehr, woran er/sie ist. Man verliert den Überblick, man fragt sich, wem man was erzählt hat und ob es weitererzählt wird. Man hat die unterschiedlichsten Dinge mit den verschiedensten Leuten laufen, rennt von Hinz zu Kunz, wird beim Gespräch mit A ständig durch Telephonanrufe von B oder C unterbrochen und findet vor lauter Freundschaft keine Zeit mehr dazu, mal allein zu sein und nachzudenken. Aber wenn es mal hart auf hart kommt, wird sich zeigen, wer wirklich zu Ihnen steht, für wen Sie mehr sind als nur der Smalltalk-Partner, die Anti-Einsamkeits-Pille. Wenn Sie Glück haben, wenden Sie sich bei Schwierigkeiten an den Richtigen. Wenn Sie Pech haben, werden Sie bitter enttäuscht. Unklarheiten in einem so weiten Beziehungs-Netzwerk, ausufernde multilaterale Verhältnisse, Gerüchte etc. - all das schafft Misstrauen, oder die Angst ausgeschlossen zu werden. Angst? Misstrauen? Na, raten Sie mal, was jetzt kommt. Genau, diese negativen Gefühle fördern Kriminalität - direkt oder indirekt.
Was Sie brauchen, sind zwei, drei echte Freunde. Und vergessen Sie Stories wie „auf Anhieb sympathisch“, „sofort gespürt: Seelenverwandtschaft“ und dergleichen! Ob es „Liebe auf den ersten Blick“ gibt, da bin ich überfragt, aber echte Freundschaften müssen zusammenwachsen. Abhängig von den Umständen kann es schneller gehen oder länger dauern, aber zwei Jahre müssen Sie mindestens investieren! Erst dann können Sie auf Basis dessen, was Sie fühlen und was Sie erlebt haben, ein taugliches Urteil über die potentielle Freundin oder den potentiellen Freund fällen. Eine solche echte Freundschaft ist mehr wert als fünf „Kumpels“: Sie gibt Ihnen mehr Sicherheit, Sie können eher auf Verständnis hoffen und man wird sich auch durch längere Zeiten ohne Kontakt nicht fremd.
Ich behaupte nicht, es spräche etwas gegen Bekanntschaften und „Kumpel“-Beziehungen. Schließlich können aus Ihnen die besten Freundschaften hervorgehen, und wenn das nicht passiert, bleibt es eben bei gelegentlichen Feierabend-Bierchen und Smalltalk oder guter Zusammenarbeit. Man darf sich nur nichts vormachen: Wenn Sie jemand fragt „Sind wir Freunde?“ oder jemand Sie als seinen Freund vorstellt, dann widersprechen Sie ruhig. Sagen Sie: „Soweit würde ich nicht gehen, wir sind gute Bekannte/Kumpels/Kollegen.“ Stellen Sie klar, dass das nicht als Abwertung, sondern nur als neutrale Unterscheidung gemeint ist. Wenn Ihr Gegenüber sich beleidigt zeigt, ist das vielleicht ein Indiz dafür, dass es mit einer Freundschaft sowieso nichts werden würde. Auf jeden Fall zeigt es deutlich, dass es noch Unklarheiten zwischen Ihnen gibt, die vor Aufbau einer Freundschaft dringend bereinigt werden müssen.
- Nehmen Sie die Sorgen und Gedanken anderer ernst - selbst, wenn es manchmal schwer fällt. Wer immer nur „Quatsch!“, „Unwichtig!“ oder „Vergiss es!“ zu hören kriegt, fühlt sich schnell einsam und verliert vielleicht das Mitgefühl für Mitmenschen, es sei denn, er oder sie ist ungewöhnlich charakterstark. Fehlendes Mitgefühl ist eine sehr gefährliche Sache!
- Seien Sie nett zu Kindern. Wenn die Kleinen oft erleben, dass Erwachsene ihre Überlegenheit ausnutzen und sich ihnen gegenüber arrogant, respektlos oder gar gewalttätig verhalten, werde sie sich bald nichts sehnlicher wünschen, als auch groß zu werden und ihrerseits die Schwächeren zu drangsalieren.
„Wie der Vater, so der Sohn.“
oder
„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“
oder
„Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.“
oder
„Wie du mir, so ich dir.“
oder
„Actio gleich Reactio.“
und manchmal sogar
„Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“
Kopftuch runter, Bart ab, stillgestanden!
Sooo... zu welchem Doitschland bewegenden Thema habe ich noch nicht meinen Senf dazu gegeben? - Ausländer! Das schreit doch förmlich nach einer kleinen Abhandlung. Über dieses Thema habe ich schon viel nachgedacht und auch schon Dinge zu Papier gebracht. Es war in der zehnten Klasse, als wir einen Aufsatz schreiben sollten und dafür drei Themen zur Auswahl vorgegeben bekamen. Ich wählte also das Thema „Ausländerproblematik“ und schrieb wild drauf los. Etwas zu wild vielleicht; denn als wir unsere Hefte zurückerhielten, verkündete die Lehrerin, mit der Bewertung einer Arbeit habe sie große Probleme gehabt. Aufgrund von Ausdruck und Struktur sei sie zwar sehr angenehm zu lesen, aber der Inhalt habe ihr Sorgen bereitet. Sofort stießen meine Banknachbarn mich an und riefen halblaut meinen Namen, so dass die Lehrerin nur noch zustimmend nicken konnte. Erklärung: Ich und einige meiner Mitschüler machten zu jener Zeit eine Art „rechte Phase“ durch - wir erzählten uns ausländerfeindliche Witze, hörten Skinhead-Musik und gaben uns Mühe besonders genervt zu wirken, wenn es zum Beispiel um „Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit“ oder „Integration ausländischer Mitbürger“ ging. Ich war ziemlich konsequent dabei, wenn ich mir auch nie den Kopf rasiert oder mich direkt gegenüber Ausländern feindselig verhalten habe. Aber ich habe aus meinen rechtslastigen Ansichten nie einen Hehl gemacht, weshalb meine Mitschüler die Worte der Lehrerin auch gleich richtig interpretiert hatten. Nachdem die Lehrerin bekannt gegeben hatte, sie habe meinen Aufsatz dem Herrn Direktor vorgelegt und auch der habe ihn trotz inhaltlicher Schwächen mit einer Zwei bewertet, nachdem sie mich zu einem Gespräch unter vier Augen gebeten hatte und nachdem die Mitschüler mein Werk gelesen hatten, war ich für ein paar Tage der Held der Clique. Wieder einmal skandierten wir Stammtisch-Parolen, es wurde die Trefflichkeit meiner „hart aber gerecht“-Formulierungen bestätigt und es wurde mir eingebläut, mir bei dem Gespräch unter vier Augen bloß nichts einreden zu lassen. Als es dann soweit war, wollte die Lehrerin mir aber zu meiner Überraschung nichts ein- oder ausreden. Sie machte mich lediglich darauf aufmerksam, dass meinem Informationsstand über das Thema einige wichtige Fakten und ausreichende Kenntnis der Gesetzeslage fehlten und wie wichtig umfassende Hintergrundinformationen bei der Behandlung eines so heiklen Themas seien. Deshalb möchte ich hier jener Lehrerin ausdrücklich danken - für das entspannte Gespräch, das für mich tatsächlich eine gute Orientierungshilfe darstellte. Selten bin ich auf dem Gymnasium so ernst genommen worden.
Inzwischen ist die rechte Phase bei mir und den Kumpels vorbei. Geblieben sind lediglich einige Sprüche, die wir uns angewöhnt haben und einige musikalisch herausragende Stücke der Skinhead-Musik, die uns immer noch gefallen. Die rassistischen Scherze von damals sind (hoffentlich) kritischen Gedanken zur aktuellen innerdeutschen Situation gewichen. So bin ich immer noch der Ansicht, dass man kriminelle Ausländer abschieben sollte - ungeachtet eventueller Verfolgung oder Unterdrückung in ihrem Geburtsland. So in etwa habe ich es damals geschrieben. Heute ist mir klar, dass man es so nicht stehen lassen kann. Man muss hinzufügen, dass ein solches Vorgehen nur dann „hart aber gerecht“ ist, wenn die Ausländer in Deutschland erstens so gut behandelt werden, dass sie Kriminalität nicht nötig haben und wenn sich Deutschland zweitens dafür einsetzt, dass die Verhältnisse in den Heimatländern der Einwanderer, Asylanten etc. besser werden.
Auch sollten wir nicht vergessen, dass ausländische Einwanderer dieses Land bereichern können. Wer hätte sich noch vor 30 Jahren träumen lassen, dass sich heute an jeder Ecke die Möglichkeit bietet türkisch, griechisch, chinesisch oder italienisch zu essen? Durch Ausländer haben Deutsche außerdem die Möglichkeit Augenzeugenberichte aus all den Länder zu hören, über die die Medien ständig berichten. Ich für meinen Teil würde eher einem gebürtigen Afghanen, der an er Imbissbude aus seiner Heimat erzählt, glauben, als Nachrichtenorganen, die schließlich alle mehr oder weniger auf ihren Profit schielen müssen uns deshalb einen Teil ihrer Objektivität einbüßen. Und wenn der Augenzeuge vom Imbiss-Stand auch nicht objektiv ist, kann man aus seiner Art und Weise des Erzählens doch Rückschlüsse auf die Stimmung in seiner Heimat schließen.
Weiter im Text: Mehrere Leute haben mir schon mitgeteilt, dass sie nichts gegen Ausländer hätten - nur Türken könnten sie nicht leiden. Welch ein Zufall, dass Türken die größte ethnische Minderheit in Deutschland stellen. Und wie praktisch, wenn man gegen Türken sein kann ohne prinzipiell ein Rassist zu sein. Aber nein, ganz so schlimm ist es nicht; mir geht es ähnlich, mit der kleinen Differenzierung, dass ich junge Türken oft schon vom Anblick her nicht leiden kann. Und ich habe auch ein Theorie, woran dass liegen könnte. Sie befinden sich hier in einer Umgebung, in der sie auffallen - nicht all zu sehr, aber ihre schwarzen Haare, ihre dunkle Haut und die typisch türkischen Gesichtsmerkmale weisen sie doch eindeutig als nicht deutsch-stämmig aus. Mit dieser Situation des Andersseins hat schon manch Einer Schwierigkeiten. Dann kommen noch die kulturellen Unterschiede hinzu; ihre Familie ist vielleicht noch streng patriarchalisch strukturiert und plötzlich finden sie sich in einer Gesellschaft wieder, in der die Frauen gleichberechtigt sind. Sie werden von Lehrerinnen unterrichtet, müssen Polizistinnen gehorchen, sich von Ärztinnen untersuchen und Anträge von Beamtinnen genehmigen bzw. ablehnen lassen. War der Mann bisher unter anderem durch den Status des Herrschers über die Frau definiert, war die Dominanz sein festes Attribut, kann das Wegfallen dieses Attributs leicht als Wegfallen eines Stückes Männlichkeit gedeutet werden. Das gibt voll die fetten Komplexe, Alda! Komplexe zu zeigen erscheint Vielen (egal, welcher Hautfarbe und Nasenform) aber erst recht als ein Zeichen von Schwäche; so dass man sie lieber durch großspuriges Auftreten überspielt. Zwangsläufig folgt darauf die Reaktion vieler gebürtiger Deutscher: „Kommt in unser Land und kann sich nicht mal benehmen! Wir zahlen für sie, da wäre etwas mehr Dankbarkeit und Bescheidenheit angebracht. Das Goldkettchen und die Daunenjacke sind bestimmt geklaut.“ Missgunst auf deutscher Seite zieht natürlich wiederum Missgunst auf türkischer Seite nach sich: „Ey, was willst du eigentlich? Ich brauch dich doch voll nicht, du Nazi, ich scheiß auf deine Rassisten-Meinung!“. Leute, die mit Arroganz ihre Unsicherheit zu übertünchen suchen, sind nunmal unangenehm. So wird jungen Türken (oder Iranern, Irakern, Lybiern, Jordaniern, Saudi-Arabern, Ägyptern, Syriern... das können wir Angelsachsen vom Aussehen her ja fast nie unterscheiden) in vielen Diskotheken der Eintritt verwehrt, in der Fußgängerzone macht man einen Bogen um sie und meistens bleiben sie unter sich. Boah ey, voll die konkret krasse Völkerverständigung!
So wird das nichts. Es wird zwar schon besser; die Türkei und die Europäische Union machen vorsichtige Schritte aufeinander zu und auch innerhalb von Deutschland entspannen sich die Verhältnisse - aber es ist noch lange nicht soweit, dass man von einem einigermaßen unproblematischen Miteinander sprechen könnte. Zumal in letzter Zeit die Differenzen wieder zu Tage treten, und zwar im Licht der Frage, ob muslimische Lehrerinnen im Unterricht ein Kopftuch tragen dürfen. Der türkisch-stämmige Autor Feridun Zaimoglu hat in einem Interview, abgedruckt in den „Schleswiger Nachrichten“ vom 25. 9. 2003, eine (wie ich finde) wohltuend gemäßigte Position vertreten und zum Beispiel gesagt „Einwanderung ist eben eine Zumutung - für beide Seiten.“ und „...man muss im Blick haben, dass es in jedem Land eine kulturell-religiöse Kulisse gibt. Auch mir fällt eine Nonne nicht so auf, sie gehört hier hin. Man muss aufhören, ideologisch zu sprechen. Es ist schlicht eine Tatsache, dass eine Frau mit dem Kopftuch in Deutschland ungewöhnlich ist. Ich empfehle in diesen Fragen Zurückhaltung statt Stammtisch-Niveau.“. Das ist eine Empfehlung, die man sich generell zu Herzen nehmen sollte. Beide Seiten sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass sie den anderen fremd erscheinen und dass man sich aneinander gewöhnen muss. Außerdem sollte man sich ein wenig in Selbstbeobachtung üben und auch die eigene Kultur in Frage stellen.
Dass es in Deutschland ein Ausländerproblem gibt, ist nämlich nicht nur die Schuld der Ausländer, es ist vielmehr - wie so viele Dinge - ein Ausdruck unserer individuellen und gemeinschaftlichen Ängste und unreifen Punkte. Machte man Deutschland zur „ausländerfreien Zone“ oder wären Ausländer erst gar nicht hereingelassen worden, wären unsere Probleme trotzdem da und würden ein anderes Medium finden, um sich zu zeigen. Bildlich gesprochen: Nimmt man einem chronisch aggressiven Menschen seinen Sack zum Draufschlagen weg, sucht er sich ein anderes Ventil - oder bekommt Magengeschwüre. Die Parole „Ausländer raus!“ ist vor diesem gedanklichen Hintergrund etwa so sinnvoll wie: „Ich werfe den Spiegel weg, damit ich nicht mehr so hässlich bin!“.
Die verbotene Bibliothek
Das klingt düster, oder? Nach ketzerischen Werken, nach dem Hexenhammer (eine im Mittelalter sehr gefragt Abhandlung über u. a. die Aufdeckung und Behandlung von Hexerei), nach dem Necronomicon (ein meines Wissens fiktives Buch, dessen Legende von H. P. Lovecraft geschaffen oder zumindest populär gemacht wurde), nach de Sade und nach dem Playboy.
Aber nein, ich will auf ganz andere Lektüre hinaus; und zwar auf solche, die sich nur selten verbieten lässt, obwohl die Kreise, die unsere Gesellschaft leiten, Otto Normalverbraucher wahrscheinlich gerne davon fernhalten würden. (Leider ist das oft gar nicht nötig, da Otto offenbar von sich aus Angst hat, sich an solchem Stoff die Finger zu verbrennen.) Es sind die Werke, in denen unsere Welt nicht nur so dargestellt wird, wie sie ist, sondern in denen auch zu erfahren ist, warum sie so ist. Bücher jener Autoren, die völlig unprätentiös daherkommen, sparsam mit Adjektiven umgehen und ihren Lesern Fakten und Meinungen (meistens) getrennt darbieten. Oder aber satirische Werke, die versuchen ihr Bild der Wahrheit verständlich zu machen, indem sie bis an die Grenze der Erträglichkeit von Frechheit und schwarzem Humor gehen. Oder auch philosophisch-psychologische Bücher, die Blicke unter die Oberfläche des täglich Mit- und Gegeneinanders werfen.
Das Problem mit solchen Werken ist, dass sie hauptsächlich von Leuten gelesen werden, die sich so oder so Gedanken über das Leben und die Welt machen und etwas zur Verbesserung derselben tun. Mithin ist der Einfluss dieser Literaturgattung also äußerst beschränkt. Trotzdem möchte ich nun einige Bücher empfehlen, die ich selbst gelesen habe und für lesenswert halte.
- Horst-Eberhard Richter, „Die hohe Kunst der Korruption: Erkenntnisse eines Politik-Beraters“, Hoffmann und Campe
- Michael Moore, „Stupid White Men ...and Other Sorry Excuses for the State of the Nation“, HarperCollins Publishers
- Peter Scholl-Latour, „Afrikanische Totenklage: Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents“, C. Bertelsmann Verlag (Überhaupt halte ich fast alles von Scholl-Latour lesenswert.)
- Robert Anton Wilson, „Das Lexikon der Verschwörungstheorien“*, Piper Verlag
- Jan van Helsing (Pseudonym), „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“*, Ewert Verlag (meines Wissens im normalen Buchhandel nicht mehr erhältlich)
- Erich Fromm, „Die Kunst des Liebens“, unterschiedliche Verlage
- Erich Fromm, „Haben oder Sein“, unterschiedliche Verlage
- Peter Lauster, „Lassen Sie sich nichts gefallen“, ECON Verlag
- Eric Berne, „Spiele der Erwachsenen“, Rowohlt Verlag
* Diese Bücher sollte man nur als „Stimmungsbarometer“ lesen, um zu erfahren, was für ungewöhnliche Standpunkte es gibt und in welchen Bereichen man sich noch informieren sollte. Unbedingt eine gewisse Distanz zum Thema wahren und darauf achten, dass man nicht ungewollt die Meinung der Autoren übernimmt.
Kleines Einmaleins für Abweichler
Ich komme jetzt langsam zum Ende. Ich hoffe, Ihr Nacken schmerzt nicht zu sehr vom ständigen Kopfschütteln während der Lektüre meiner kleinen, literarischen Eskapade. Wenn Sie bis hier gelesen haben, dann nehme ich an, sind Sie entweder jemand, der ein angefangenes Buch grundsätzlich zu Ende liest oder aber Sie stimmen mir wenigstens in einigen Punkten zu. Im ersten Fall entschuldige ich mich Ihre Zeit verplempert zu haben und hoffe, dass Sie in Zukunft mehr Glück bei der Wahl Ihres Lesestoffes haben werden. Letzteren jedoch kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Sie das Zeug zu einer beachtenswerten Karriere als Nonkonformist haben. Und da ich schon ein paar Sprossen dieser Karriereleiter erklommen habe, biete ich Ihnen meine Erfahrungen als Hilfestellung an. Vielleicht haben Sie das gar nicht nötig, vielleicht sind Sie ein viel älterer und erfolgreicherer Rebell als ich - dann verstehen Sie es doch als Gedankenaustausch.
Meinen Erfahrungen zu Folge, ist der gute Abweichler
- vielseitig. Legen Sie sich nicht (und vor allem nicht zu früh im Leben) auf einen Bereich fest. Ihre Situation kann sich immer unvermutet ändern und vielleicht brauchen Sie eines Tages eine neue Strategie, um Ihren Mitmenschen zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wenn Sie ein Dichter sind und außerdem noch ein Instrument lernen (Vorzugsweise Gitarre, ein Streichinstrument, Klavier oder Schlagzeug), können Sie vielleicht eine Band gründen und Ihre Botschaft so einem breiteren und im Schnitt jüngeren Publikum mitteilen. Oder: Wenn Sie das Leid der Welt erkannt haben und sich dagegen aussprechen, ist das ein wertvoller Verdienst um die Menschheit. Aber wenn Sie nicht nur Ihren Geist, sondern Ihren Körper trainieren, können Sie in akuten Gefahrensituationen besser helfen. Zivilcourage ist leider immer noch eine zu seltene Tugend und im Zweifel bleibt mal wieder alles an Ihnen hängen, wenn es brennt, wenn auf der Straße einer alten Dame die Handtasche entrissen wird oder wenn ein Betrunkener ein Mädchen belästigt. Handeln Sie! Greifen Sie energisch durch!! Wenn alles vorbei ist, können Sie der Retter des Tages oder nur einer von vielen sein, die weggesehen haben. Welche dieser beiden Möglichkeiten sich besser anfühlt, ist ja wohl klar.
- unverschämt. Gelegentlich hilft nur ein kleiner, wohl dosierter Schock gegen Spießigkeit und Phlegma. Wenn die Leute Sie bloß für einen Spinner halten, wird davon nicht viel bewegt. Man denkt meistens nur darüber nach, wovon man sich selbst betroffen fühlt und da manche Menschen förmlich mit Scheuklappen durchs Leben laufen, fühlen sie sich nicht von dem, was um sie herum geschieht, betroffen, sondern nur von dem, was mit ihnen geschieht. Wenn Sie im Supermarkt also zum x-ten Mal unerträglich kleinbürgerliches Verhalten beobachten - kommentieren Sie es! Schon die verschiedenen Reaktionen der Leute sind äußerst interessant; von Ignorieren, über schüchternes Lächeln bis hin zu genervten oder gar geistreichen Antworten kann einem alles passieren. Aber auf jeden Fall besteht eine gewisse Chance, dass die Leute sich zu Hause fragen, was sie eigentlich gemacht haben und was der Typ/die Tussie eigentlich wollte. Auf diese Weise können wir in unserer Gesellschaft vielleicht ein Quäntchen des geradezu eklatanten Mangels an Fähigkeit zur Selbstreflexion beheben.
- offen und kontaktfreudig. Wenn Sie etwas wissen wollen, gibt es fast immer irgendwo jemanden, der Ihnen bereitwillig Auskunft erteilen wird. Bei der Inlands-Auskunft der Deutschen Telekom (11833) erhalten Sie von praktisch jeder Behörde, jedem Archiv, jedem Museum und jedem Geschäft eine Telephonnummer. Rufen Sie ganz ungeniert an, wo immer Sie wollen und fragen Sie, was immer Sie interessiert. Schlimmstenfalls ist derjenige am anderen Ende etwas verdutzt oder Sie müssen sich durch verschiedene Abteilungen telephonieren. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass gerade die verrufenen Behörden und Amtsstuben sehr hilfsbereit sind - schließlich werden sie genau dafür bezahlt. Auch sonst sind fast alle Leute zu einer kurzen Auskunft bereit, wenn man Sie nur vernünftig anspricht. Als ich zum Beispiel ein Referat über nationalsozialistische Mythologie halten sollte, wollte ich wissen, was Skinheads davon halten. Also sprach ich in der Fußgängerzone mit den Worten „Entschuldigung, Sie sehen ja aus wie ein Skinhead - würden Sie sich auch als solchen bezeichnen?“ einfach einen an. Und schon entfaltete sich ein freundliches, etwa halbstündiges Gespräch über Mythologie im weiteren Sinne. Ein weiteres Mal sprach ich, etwas voreilige vielleicht, zwei kahlköpfige Herren an: „Sie sind doch bestimmt rechts, oder?“. Nein, waren sie nicht, vielmehr waren sie linksgerichtete Fans des Ersten FC St. Pauli. Trotzdem haben sie weder ihre Fäuste sprechen lassen, noch ihren Hund auf mich gehetzt, sondern mir sogar noch Tips gegeben, wo ich Informationen über mein Referatsthema finden könne. Ich kann mich nur wiederholen: Wer ohne Scheu auf Menschen zugeht, wird dafür meist belohnt.
- selbstkritisch. Wer die Welt verbessern will, sollte zuerst sich selbst verbessern. Leider ist gerade das oft besonders schwer. Aber ein guter Lehrer (denn in diese Rolle geraten Abweichler häufig - wenn sie es nicht schon von Beruf sind) geht mit gutem Beispiel voran und verlangt von seinen Schülern nichts, was er nicht selber schafft oder wenigstens ernsthaft versucht. Also stellen Sie sicher, dass Sie Ihre Zeit sinnvoll nutzen, auf Ihre Gesundheit Acht geben (übrigens: Umweltverschmutzung schadet indirekt auch Ihrer Gesundheit.) und Freude am Leben haben. Wenn Sie soweit sind, kann die Menschheit schonmal einen Problemfall zu den Akten legen. Anderen zu helfen solange man selbst hilfsbedürftig ist, ist nur sinnvoll, wenn es den anderen noch weitaus schlechter geht als einem selbst und man gewissermaßen für gerechte Verteilung der Probleme sorgt; wenn man sozusagen mit Hilfe handelt („Ich helfe dir und du hilfst mir.“) oder wenn man darauf spekuliert, dass die anderen einem kein Leid mehr zufügen wollen, wenn sie selbst nicht mehr leiden. Leider zeigt die Erfahrung, dass die (aus Angst resultierende) Gier mancher Menschen grenzenlos ist und sie auch dann noch andere ausbeuten, wenn sie schon im Geld schwimmen. Also sollte man wirklich zuerst die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen (Nur die eigenen!!!) und dann anderen den eigenen Hütehund leihen.
- maßvoll. „Gott ist nicht kleinlich.“, sage ich immer. So halte ich mich für einen wahren Christen, obwohl ich fast nie in die Kirche gehe und besagte Musik höre. Solange man sich nicht selbst damit zerstört, widerspricht das Lebensprinzip „Sex, drugs and Rock’n’Roll“ den Zehn Geboten nicht. Ich bin der Ansicht, dass es immer auf das richtige Maß ankommt. Beispielsweise finde ich Pornos durchaus moralisch fragwürdig, was aber nicht bedeutet, dass ich mir ihren Konsum vollkommen verkneife. Was hat die Welt, die Menschheit davon, wenn jemand sein ganzes Leben, seine ganze Energie dem persönlichen Einhalten christlicher Tugenden widmet? Der wöchentliche Kirchgang, die totale Abstinenz von Alkohol und Drogen, das Verbannen von wilder Musik, brutalen Filmen und Computerspielen und die rigorose „Sex nur zur Fortpflanzung“-Einstellung mögen zwar an sich ganz gut sein, aber nur wenige Menschen bringen neben soviel Selbstdisziplinierung noch Kraft auf, um aktiv die Welt zu verbessern. Da finde ich es besser, hin und wieder ein wenig zu sündigen, damit man den täglichen Kampf besser übersteht. Man nehme Rock-Konserve Mick Jagger - er soll ja ein Leben voller Ausschweifungen geführt haben, aber trotzdem hüpft er in seinem Alter noch auf der Bühne herum, und wenn es heißt „Mickey in da house!“ kommen die Leute von nah und fern, um ihn zu sehen. Offenbar war die Entspannung, die sein Lebensstil ihm verschafft hat, mächtiger als die körperliche Schädigung durchzechter Nächte. Womit ich nicht für zügellosen Drogenkonsum plädieren will. Es soll lediglich ein Beispiel für die Kraft des Willens und die Wichtigkeit der richtigen Balance sein. Psychologen und Esoteriker werden Ihnen gerne mehr darüber erzählen.
- unbesorgt. Die gefährlichste Krankheit, die schon viele Hoffnungsträger des Querdenkertums dahingerafft hat, ist die Angst davor, verlassen zu werden und allein dazustehen: auf die angesagten Parties nicht eingeladen zu werden, niemanden zu kennen, die einen in die Disco begleitet, von niemandem gestreichelt zu werden, wenn die Arbeit mal wieder stressig war. Diese Ängste haben schon viele Abweichler wieder auf Kurs gebracht und dafür gesorgt, dass wenigstens äußerlich die Denk- und Handlungsmuster des Mainstreams auch von überdurchschnittlich befähigten Menschen befolgt werden. Dabei ist die allgegenwärtige Furcht davor, ausgestoßen zu werden, kaum begründet. Es gibt mehr Freaks auf der Welt, als man glauben sollte und die Verrücktesten sind meistens völlig unauffällig; denn ein echter Freak ist selbstbewusst genug, um nicht mit seinen Marotten zu protzen. Vielmehr wird man durch seine charakterlichen Abweichungen von der Norm in die Lage versetzt, sich mit sich selbst zu beschäftigen und nicht jedes Wochenende auf Gesellschaft angewiesen zu sein.
Mal wieder - ich kann’s nicht lassen - zitiere ich einen Rocksong (Metallica, Enter Sandman):
„Hush, little baby, don’t say a word, (Pscht, Kindchen, sei ganz still,
and nevermind that noise you heard. und achte nicht auf dieses Geräusch.
It’s just the beast under your bed, Es ist nur das Monster unter deinem Bett,
in your closet, in your head.“ in deinem Schrank, in deinem Kopf.“
Mit anderen Worten: Das bist bloß du selbst. All die Ängste, die einen daran hindern, ein selbständiger Mensch zu sein, schürt man selbst, und nicht bessere Umstände werden sie je abstellen, sondern nur man selbst. Überhaupt ist letztendlich nur man selbst verantwortlich und alles Abwälzen der Schuld auf andere Personen oder Bedingungen wird sich früher oder später rächen. Ein Freund von mir hatte eine Zeit lang ernsthafte Drogenprobleme. Ich weiß nicht, wie oft wir darüber geredet haben, über den Rausch, das Runterkommen, die Gründe für seinen Konsum, die Gründe für meinen nicht vorhandenen Konsum und die Frage, ob, wie, wann und warum er aufhören sollte. Ich weiß nicht, wie viele gute Ratschläge ich ihm gegeben habe, wie er sein Leben anders ausrichten könne - es nützte nichts. Schließlich stellte er den Konsum ganz plötzlich wieder ein, und das mit Hilfe einer aberwitzigen „Ersatzdroge“ (Diesbezüglich bitte keine Fragen). Wichtig ist aber, dass seine eigene Entscheidung gefallen war. Und nur die konnte er erfolgreich umsetzen, nur hinter der stand er mit ganzem Herzen. Anders wird es nie sein: Wenn Sie unglücklich sind, kann keine noch so geile Party, keine Droge und kein Lebenspartner das dauerhaft ändern, sonder nur Sie selbst, indem Sie ehrlich nach der für Sie passenden Lebensweise suchen. (Was nicht heißen soll, dass man Hilfe von Freunden oder Familie oder gelegentliche Ablenkung und Entspannung durch Drogen grundsätzlich ausschlagen müsste.)
Um wieder auf das Attribut „unbesorgt“ zurückzukommen: Ein echter Nonkonformist stellt sich seinen Problemen; erstens weil er dann auf Dauer weniger Probleme haben wird und zweitens eben gerade weil er unbesorgt ist - er weiß, dass er es selber schaffen kann und dazu keine Partygesellschaft und keinen Kaufrausch braucht – wenn schon, dann sollte es echter, zwischenmenschlicher Gedanken- und Gefühlsaustausch sein. Aber manchmal muss man ein Stück seines Weges alleine gehen, bis man früher oder später auf Gleichgesinnte trifft, mit denen man mehr gemein hat als den Musikgeschmack oder die Lust auf Shopping.
Vielleicht fragt sich der eine oder die andere ja: „Moment, warum soll ich eigentlich ein Abweichler sein?!“ Ich muss zugeben, die Frage ist berechtigt. Soll man Ärger machen? Soll man auf Teufel komm raus anders sein? Soll man alles verdammen, was die anderen lieben? Um Himmels Willen, nein!
Ich merke manchmal, dass ich mich über Dinge aufrege, die zu beurteilen ich überhaupt nicht in der Lage bin. In solchen Momenten geht die Abweichlerei mit mir durch und ich muss die Handbremse ziehen. Das war bei „Titanic“ von James Cameron der Fall: Alle schwärmten von dem Film, die Medien waren voll von Bildern und Interviews mit den Stars und die Leute sagten: „Was, den kennst du noch nicht? Musst du unbedingt sehen!“ „Ich muss gar nichts!“, antwortete oder dachte ich wenigstens. Und schließlich hasste ich den Film, ohne ihn zu kennen - nur weil er ein Mainstream-Kleinod war. Aber wenn die Massen nicht automatisch Recht haben, so haben sie auch nicht automatisch unrecht. Man muss nicht nur von der öffentlichen Meinung unabhängig sein, sondern darf sich auch nicht scheuen, sich ihr nach eigener Prüfung anzuschließen.
Genau das ist der Punkt: Man sollte immer unabhängig sein in dem, was man denkt, und in dem, was man sagt und tut, wenigstens meistens. Und da die öffentliche Meinung heutzutage leider selten eine Symphonie vieler unabhängig gebildeter Ansichten, sondern eine von Wenigen gebildete und von Vielen nachgeplapperte Meinung ist, nenne ich solche Menschen, die sich ihre Meinung selbst erdenken - und damit meistens von der öffentlichen abweichen - eben „Abweichler“.
Zu den Waffen!
!! Achtung: Metaphern und symbolische Ausdrücke voraus !!
Kameradinnen und Kameraden,
ihr seid jetzt mit eurer Mission vertraut. Ich hoffe, ich habe euch die Lage auf dem Schlachtfeld ausreichend detailliert geschildert, und ich hoffe, meine Informantionen sind alle korrekt; denn wenn wir erst einmal da draußen sind, ist keine Zeit mehr für eine Lagebesprechung. Für einen Rückzug ist es zu spät, und wenn wir keinen Erfolg haben, wird dies wahrscheinlich die letzte Schlacht gewesen sein.
Ich weiß, dass ihr Angst habt; mir geht es nicht anders. Aber größer ist meine Angst davor, was mit dieser Welt passiert, wenn wir nicht kämpfen. Ich bin schon auf verschiedenen Schlachtfeldern gewesen, von denen einige inzwischen verlassene, verrufene Blutacker sind. Auf anderen tobt der Kampf unverändert weiter - andere Kämpfer, aber die gleiche Verzweiflung, der gleiche Hohn und die gleichen traurigen Verluste. Schon mehrere alte Kameradinnen und Kameraden, auf die ich große Hoffnungen gesetzt hatte, haben die Hunde des Krieges verschlungen, bevor sie überhaupt erkennen konnten, worum es wirklich geht in diesem makabren Konflikt. Es ist wie in einem schlechten Horrorfilm: Der Feind hetzt unsere eigenen Gefallenen gegen uns. Dann wird es besonders schmerzhaft; denn wir müssen unsere Hand gegen die Gesichter erheben, mit denen wir zusammen gelacht und geweint haben. Ich weiß nicht, was in meinen ehemaligen Kameraden und jetzigen Feinden vorgeht, ob und was sie denken und fühlen. Ich frage mich, ob sie überhaupt je meine Kameraden waren, oder ob das Gift schon immer in ihren Adern floß und sie mich (und sich selbst) nur getäuscht haben. Aber ich weiß, dass ich die Erinnerungen an ihre Kameradschaft(?) wie einen schönen Traum verdrängen muss, wenn sie vor mir stehen und es heißt: du oder ich!
Auch weiß ich nicht, ob es möglich ist einen Gefallenen zurückzuholen. Es bleibt jedem selbst überlassen, ob der Versuch die Gefahr wert ist.
Wenn ihr gleich da draußen seid und um euch herum Schreie gellen, wenn die Existenzen, die ihr innerhalb weniger Sekunden vernichtet habt, euch verfolgen, wenn ihr in hasserfüllte Augen blickt, wenn ihr in der Ferne einen Kameraden zusammenbrechen seht, dann bleibt gefasst und bleibt menschlich. Ihr kämpft, um unsere Ideale zu verteidigen, nicht um eure Wut im Quälen der Gegner zu besänftigen.
Nicht Raserei und blinde Zerstörung wird diesen Tag zu unseren Gunsten entscheiden, sondern Besonnenheit, Mut, Zähigkeit und Einfallsreichtum.
Wenn wir heute einen Sieg erringen, muss uns das vorerst genügen. Wir müssen uns damit abfinden, dass kaum jemand uns als Helden feiern wird. Die Gewissheit, dass wir gerecht handeln, muss uns Belohnung genug sein. Wenn ihr euch dem Wankelmut der Leute aussetzt und euch als Held feiern lasst, habt ihr schon fast verloren. Denkt daran: Hochmut kommt vor dem Fall. Und so schnell, wie man zum Idol der Massen wird, kann man auch wieder in Ungnade fallen. Hört euch an, was die Menschen zu sagen haben, seid unabhängig von ihrer Meinung aber niemals so stur, über einen Ratschlag nicht wenigstens nachzudenken, auch wenn er absurd erscheint.
Und nun ist es soweit. Die Dinge werden ihren Lauf nehmen und es nützt nichts mehr, mit dem Schicksal zu hadern. Seid zuversichtlich, beherzigt meine Worte und denkt euch euren Teil. Ihr seid auf euch gestellt und vielleicht sehen wir uns nicht wieder. Gott ist auf eurer Seite - hoffentlich seid ihr auch auf seiner.
Diesen Text habe ich zwischen Abschluss des Gymnasiums und Beginn des Zivildienstes geschrieben (neben anderen Beschäftigungen).Claus Helge Godbersen, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.04.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).