Erich Born

Jazzmässig

Neulich im Jazzclub: Ich laufe die lange Treppe hinunter. Es ist bereits das zweite Mal an diesem Abend, denn vor einer Viertelstunde, als ich schon einmal hier vorbeikam kamen noch keine Noten aus der Tür gequollen. Das, so finde ich, ist wenig einladend für eine Jazzkneipe. Doch jetzt ist es soweit. Helmut sitzt am Piano. Das erste Stück hat gerade begonnen, ich bin nur wenige Minuten zu spät. Jazz der pünktlich beginnt ist an sich schon ein gewisser Widerspruch, aber für Helmut als sessionmanager ein absolutes Muss.

Es ist noch ziemlich leer; lediglich an der Bar hat sich bereits eine geschlossene Front gebildet; noch muss keiner in zweiter Reihe trinken. Ich kann mir einen Platz aussuchen nahe der Bühne.

Ich wähle die Säule strategisch schräg hinter Helmut in der Hoffnung beim Blick auf die Tasten irgendwas abkupfern zu können. Das klappt zwar nie, aber wenigstens die Tonart lässt sich so bisweilen bestimmen. Nicht, das es viel nutzen würde, aber es gibt mir das Gefühl dabei zu sein, als Musiker gewissermassen, wenn auch als dilettantischer.

Helmut sitzt wie immer verbissen, an den Noten klebend auf seinem Hocker. Ich habe das Gefühl, nähme man ihm die Brille weg wäre es aus mit dem Pianospiel. Optisch ist er eher der Buchhaltertyp, Kleingartenvereinsvorstand vielleicht, in jedem Falle Spiessbürger. Seine Augen hasten von den Noten auf die Tasten und zurück: Hat Steevie Wonder jemals auf die Tasten geblickt? Jedenfalls denke ich, die Tastenguckertypen sind diese Lehrbuchtypen, die irgendwas abspielen, nachspielen. Jede noch so geniale kompositorische Wendung können sie erklären, parallele zu hier und Verwandschaft nach dort, Quarte, Quinte. Ist doch klar! Ein Keith Jarret-Stück wird da schonmal auf Hausmusikerniveau herunteranalysiert. Der Unterschied ist: Keith spielt es, das Publikum versteht und die Musikanalytiker erklären warum es gut ist. Sähe man es bauingenieurmässig könnte man sagen: Einer baut ein Haus, ein riesiges geniales Hochhaus sagen wir, dann kommen Leute die sagen: “Mensch ist das geiiiil, ey!“ Und dann kommt einer und erklärt, warum das Haus nicht einstürzt - Statikvorlesung, 3 Semester lang - und das das alles eigentlich voll logisch und gaaanz einfach ist. Schulbubenniveau.

Helmut kenne ich schon einige Jahre. Er ist ein Meister der Musikanalyse. Er ist auch technisch gut, vielleicht sogar brilliant. Ich möchte nicht wissen wieviele Akkorde und zugehörige Skalen er beherrscht und jederzeit abrufbereit hat. Man könnte ihn problemlos durch ein Midi-sequencer mit angebuster Akkorddatenbank ersetzen. Aber wenn man ihn auf Intiuition oder assoziatives Spiel anspricht reagiert er irgendwie ausweichend. Das ist nicht sein Feld, aber er kann es nicht akzeptieren wie mir scheint. Keith Jarret ist von ihm nicht weit entfernt scheinbar, er hat nur mehr geübt und mehr Patterns drauf, mehr Mb halt im Speicher. Mann ist das einfach!

Phantasie ist eben auch in der Musik etwas, das sich manche Leute überhaupt nicht vorstellen können.

Heute sitzt er am Seiler Flügel und hat den Chefposten, denn Bass und Schlagzeug sind nicht wirklich dominant. Bewundernswert, einer der es mit Arbeit macht, nicht mit Genie oder Intuition. Man merkt ihm auch nie eine irgendwie geartete Spielfreude an; eher Stress: Wird es gut gehen? Wie einer, der mit Tempo 200 und viel zu geringem Sicherheitsabstand bei Nebel auf der Autobahn unterwegs ist sitzt er auf den Hocker.
Am Ende steht Erleichterung, Freude, nicht ob des gelungenen Spieles, eher das es vorbei ist und man niemandem aufgefahren ist. Naja, schliesslich ist er auch nicht zum Spass hier, es ist sein Job; sitzt unsereins immer voller Intuition und Motivatioen auf der Arbeit und liefert geniales ab?

Helmut, ist schon hart. Die Schuhe sind wohl sehr teuer, Camels oder sowas. Sein Hemd aber... Es passt nicht zusammen mit den Schuhen. Die Ansagen macht er auch irgendwie uncool, dienstlich und beamtenmässig, mit dem Charme der späten sechziger. Im Jazz-Piano-workshop baut er alles auf Zahlen, Quinten und Quarten auf, die Musik ist bei ihm lediglich Mathematik, alles erklärbar, keine Wendung überraschend, Genialität hat keinen Platz, nicht einmal Gefühl. “Verlass Dich nie auf Intuition,“ hat er einmal zu mir gesagt, “es kann sein, das sie plötzlich nicht da ist und dann stehst Du dumm da! Was Du geübt hast ist da, darauf kannst Du immer bauen.“ Hmmm, bei mir ist das anders. Ich habe schon Stück über Wochen geübt und über Wochen immer andere Fehler an immer neuen Stellen gemacht. Sowas macht für mich keinen Sinn. Mein Klavierlehrer meinte einmal, ein Stück könne man auch ´überüben.´

Erste jam-Ansätze: Der Drummer ist getauscht, ein Saxophonist taucht auf. Die Musik ist weiterhin gut, swingt, aber: Was die Musiker verbindet ist, das sie mit brettharten Gesichtern dastehen und ihre Nummer völlig gestress und verbissen abziehen bleibt unklar.

Der Job des Showmanagers ist schon ein harter. Helmut tut sein bestes, im Moment tritt er wie bekloppt aufs Gaspedal am Flügel. Starrt nicht mehr auf Tasten und Noten, sondern nur noch auf die Pedalerie des Seiler. Was ist los, Helmut?

(Einige Tage später beim Jazzworkshop verstehe ich die Situation. Helmut zählt bei Schlagzeug- oder Basssolo die Takte damit er seinen Einsatz nicht verpasst. Dazu stept er immer rechts und links auf den Boden mit den Füssen. Er bewundert den Bassisten, der erstmal sein Instrument stimmt, am Amp herumfingert ein Bier bestellt und dann auch trinkt und irgendwann zum richtigen Zeitpunkt wieder einsetzt. Helmut muss zählen. Ich glaube ihm fehlt irgendwo eine Musikerschraube im Hirn. Wie kann man so arbeiten?)

Der Saxophonist duddelt herum, wohl wissend das er nach 32 takten wieder zum Ausgangsakkord zurückkommen muss, weiss aber wohl noch nicht wie er das hinkriegen soll. Ein Maler kann immer mal einen Kaffee holen gehen, was nachbessern, nachdenken, notfalls die ganze Leinwand zerreissen. Wer sollte das merken? Der Musiker hat immer dieses Echtzeitproblem: Kein Fehler wird verziehen. Komisch eigentlich das der Laden immer voller wird. Über hundert Prozent der anwesenden scheinen auch irgendwie Musiker zu sein, träumen vom kleinen Auftritt im Jazzkeller. Hach ja, ich ja auch!

Mein Fazit: Wenn Du keine Standards sicher durchspielen kannst vergiss es lieber. Mein fiktiver Auftritt verschiebt sich um einige Jahrzehnte in die Zukunft. Helmut ist sicher über 50. Gibt es eine Chance für mich in 10 Jahren auf den Schemel zu kommen und wenn auch nur für ein, zwei Stücke? Ich werde mich vermutlich die nächsten 10 Jahre mit der Beantwortung dieser Frage befassen, dann mit dem Üben anfangen und in weiteren zehn Jahren...

Gerade habe ich mit Helmut Blickkontakt aufgenommen, mein Blick fragte: “Was spielt der Jazzpianist während eines Saxophonsolos?“ Helmuts Blick antwortete: “Schau her so geht das: yeahhhh.“ Das überzeugte mich. Ein Anflug von Begeisterung! Schnell ist er vorbei.

Gerettet: Er hört auf, der Saxophonist und Helmut hat 32 Takte für sein Pianosolo Zeit. Die für die Improvisation zurechtgelegten Skalen scheinen hörbar in seinem Kopfe einzurasten.

Der Saxophonist gehört wohl in die Ecke: Arrogantes Arschloch1 Setzt es sich doch immer hin wenn nichts los ist, auf sein Schemelchen unten an der Bühne: Mit so einem ´arbeitsloser genialer Saxophonist bittet um eine milde Gabe´-Gesichtsausdruck. Jetzt dudelt er weiter, nicht schlecht, aber auch immer die gleichen Läufe, nicht wirklich virtuos; naja, besser als wenn er garnicht da wäre.

In der Pause dagegen wacht der Saxofreak, verlässt sein Schemelchen, macht ansatzweise Thai-Chi-Übungen. Dazu steigt er wieder auf die Bühne. Komisch, das wäre vorhin besser gekommen. Hätte sicher irgendwie als Showeinlage gut gewirkt, oder zumindest einen jener sterilen Typen auf der Bühne - alle sind vermutlich teflonbeschichtet, weil alles an Ihnen abtropft - als menschliches Wesen geoutet. Alles, Applaus, Buh-Rufe, Tomaten, einfach alles was irgendwie entfernt mit Emotion zu tun hat käme hier wirklich gut rüber.

Die Musiker beginnen sich in die Pause zu drängen.

Man formiert sich neu: Helmut ist arbeitslos, ein neuer Pianist nimmt den Pianoschemel mit der Gestik eines Gorilla-Silberrückenmännchens ein (er hat auch ein wenig die Statur und den losen Unterkiefer.).
Eine lederbejackte Saxobraut schleicht sich an. Saxos sind es jetzt 4 an der Zahl, ein e-Gittarrist sucht verzweifelt verbissen den plugin für sein Kabel. (Die scherzhaft hingeworfene Bemerkung: “Heute ist unplugged!“ hätte bei ihm vermutlich einen Herzstillstand verursacht, ich lasse es lieber sein.) Auf der Bühne wird es eng.
Man stimmt - ohne Erfolg wie es scheint - die Instrumente. Pianist #2 und Sax #3 scheinen sich nicht einigen zu können wann es ok ist.

Der Saxofreak aus dem der 1. Akt steht plötzlich ziemlich uncool mit seiner olivfarbenen Baseballcap inmitten des Publikums 8und spielt. Auch die Groupies fehlen gänzlich, obwohl es an Mädels nicht mangelt. Mehr ist es so der Typus zwischen Esotera (Esoterikmesse) und FAZ-Aktionärsversammlumg.

Das ganze gleitet mir etwas in die “Ich will auch mal!“ Kiste ab. Ein weiterer Gitarrist läuft ein und feuert demonstrativ sein Instrument auf die Bühne. Der Gitarrenkoffer schein eigens für diesen Zweck ausgesucht zu sein. Das das Urtrio sitzt etwas ratlos herum, auf der Bühne herrscht Faustrecht. Helmuts Gesichtsausdruck ähnelt etwas dem des Einsatzleiters bei der letzten 1. Mai Demo. ´Eingreifen oder laufenlassen?´ scheint er sich zu fragen. Ich meine zu ihm: Die ersten Stücke haben mir besser gefallen, die waren klar strukturiert.´ Er nickt mir zu, froh einen Moment von seinen Problemen abgelenkt zu ein.

Auf der Bühne verdichtet sich das Genius. Man probt saxomässige Solos. Die
Gitarre, der Typ der mir gerade noch meinen Platz wegnehmen wollte, haut auch bös auf-, oder Dank des miesen Mixers besser auch in die Kacke. Es klingt Scheisse; zu laut, zu schrill, die Akkorde kommen herüber wie ein schlecht geführtes butterfly-Messer.
Der Pianist hat ratlos das spielen eingestellt. Er hört wenigstens, das die beiden Gitarren einen Klangbrei anrühren, dem das Piano noch den Rest geben würde. Es zeigt sich hier die musikalische Silberrückenerfahrung. Sehr gut, der Mann! Erfahren! Wenn´s schlecht wird aufhören, auch wenn man selbst nicht schuld ist.

Die lederbejackte Saxobraut ist gerade auf dem ego-trip. Sie plättet den alt-sax-Kollegen ab, merkt dann aber immerhin, das er gerade zum Solo anhub (öhhh, ähem, ick würde jetzt auch jerne mal eene Nummermachen, wäre dat möchlich?) und meinte, “Okaaaaay, okaaaaay!“, nicht etwa “Sorry“, sondern eben nur “Okaaaaaaaaaaaaay, it is your turn!“. Mit der Lederjacke auf der Bühne das hat schon was cooles. Überhaupt scheint mir, all diese Typen scheinen eher megacool sein zu müssen als gut Musik spielen zu wollen. ...und vor allem keinen Schpass zeigen: Man ist ernst! Sehr hip und seeehr ernst!

Ich reisse meine Jacke vom Haken und will rausstürmen und renne in Helmut rein, der gerade vom Klo kommt. Er ist froh, das es vorbei ist. In solch einem Chaos zu spielen ist anstrengend, meint er, noch dazu, wenn Du dafür bezahlt wirst dem ganzen eine Struktur zu geben.

Einige Zeit Woche später treffe ich Helmut wieder. Der Abend hängt ihm noch nach. “Mann, war das ein Durcheinander, das letze Mal,“ meint er, “eine Woche später lief es völlig anders, da waren weniger Leute da und einige waren Profis, die sich auch manchmal hierher verirren um Spass zu haben. Wenn so einige Säulen da sind läuft das ganze viel geordneter ab.“

Ich werde also bald mal wieder hingehen.

19. 1. 2004 / Erich Born

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.04.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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